Beitrag im Newsletter Nr. 1 vom 20.1.2020

Engagementförderung und Demokratiestärkung in ländlichen Räumen – Was sagt die Forschung?

Christine Eckes und Janine Dieckmann

Inhalt

Bedeutung des Strukturwandels ländlicher Räume

Was ist Engagement und Demokratiestärkung – und was nicht?

Fördernde und hemmende Faktoren für Engagement

Endnoten

Literatur

Autorinnen

Redaktion


Wissenschaftliche Publikationen und Studien zu Engagement im ländlichen Raum gibt es viele. Doch bisher fehlte es an einem systematischen Blick auf die vorhandenen Ergebnisse der Engagementforschung. Um den aktuellen Stand der Forschung zusammenzufassen, gab das BBE 2018 eine Literaturanalyse zum Themendreieck ›Engagementförderung – Demokratiestärkung – Ländlicher Raum‹ in Auftrag (gefördert vom BMFSFJ im Rahmen des Bundesprogramms Demokratie Leben). Mit der Durchführung wurde das Institut für Demokratie und Zivilgesellschaft (IDZ) betraut. In die Literaturanalyse wurden 60 Studien der letzten zehn Jahre einbezogen, die sich mit bürgerschaftlichem Engagement und/oder Demokratiestärkung in ländlichen Räumen befassen. Die Literaturanalyse umfasst eine Zusammenstellung der Hauptergebnisse der Studien sowie die Identifikation von Forschungslücken im Bereich der Engagementforschung.

In der Zusammenschau aller Studien ergaben sich vier Themenschwerpunkte, welche in diesem Beitrag kurz beleuchtet werden: (1) die Bedeutung des Strukturwandels ländlicher Räume für Engagement, (2) das Problem der genauen Begriffsdefinitionen, (3) die fördernden und hemmenden Faktoren für Engagement sowie (4) demokratiestärkende Gegenmaßnahmen in Bezug auf Engagement gegen rechtsradikale Einflüsse und Strukturen. Die gesamte Literaturanalyse sowie die dazugehörige tabellarische Übersicht über die Ergebnisse der analysierten Einzelstudien sind online zugänglich. [1]

Bedeutung des Strukturwandels ländlicher Räume

Rahmend für die Entwicklung von Engagement(-strukturen) ist der Strukturwandel ländlicher Räume, der maßgeblich durch den demografischen Wandel bestimmt wird. In den meisten Studien stellt er den Ausgangspunkt für die jeweilige Untersuchung dar.

Die Zentralisierung wirtschaftlicher Aktivitäten in größeren Städten spielt hierbei eine wichtige Rolle: Junge Menschen wandern in Städte ab, da sie dort Bildungsstätten und Arbeitsplätze finden. Vereine, die eine tragende Rolle für das Engagement in ländlichen Räumen spielen, verschwinden. Gleichzeitig verliert die Kirche, als traditionelle Trägerin vieler Aktivitäten an Bedeutung. Auch der Um- bzw. Rückbau sozialstaatlicher Aktivitäten in ländlichen Räumen und der Verlust der damit verbundenen Daseinsvorsorge spielen hierbei eine erhebliche Rolle (z.B. Schließung von Schwimmbädern, Schulen, Kindergärten; Mitgliederschwund in Vereinen und freiwilligen Feuerwehren; Verschlechterung des öffentlichen Nahverkehrs). Die abnehmende Gewährleistung der Daseinsvorsorge durch den Staat birgt die Gefahr, dass bürgerschaftliches Engagement immer mehr in die Verantwortung gezogen wird: Engagierte sollen dort einspringen, wo der Staat sich zurückzieht. Doch die Engagementforschung warnt: Engagement kann nicht als beliebig verwendbare Ressource betrachtet werden und den Rückbau staatlicher Infrastruktur ausgleichen (Eckes et al. 2019).

Das bürgerschaftliche Engagement im ländlichen Raum steht durch demografische und infrastrukturelle Veränderungen vor neuen Herausforderungen und verändert sich: Um entstandene Versorgungslücken und fehlende kulturelle Angebote zu kompensieren, bilden sich einerseits gemeinwohlorientierte Zusammenschlüsse und Hilfsstrukturen, die beispielsweise zum Ziel haben neue Orte der Begegnung zu schaffen oder die Teilhabe älterer Menschen zu ermöglichen. Andererseits steht das Engagement in ländlichen Räumen vor der Herausforderung, dass durch zunehmend flexiblere individuelle Lebenswege die Langfristigkeit von Engagement abnimmt. Immer seltener engagieren sich Menschen über Jahrzehnte für eine Sache (z.B. als Trainer*innen im Sportverein), da sie z.B. aufgrund beruflicher Entscheidungen eher umziehen. Somit findet individuelles Engagement vermehrt kurzfristiger und situations- oder projektbezogen statt.

Was ist Engagement und Demokratiestärkung – und was nicht?

Durch die Analyse der Studien zeigte sich, dass es in der Forschungslandschaft an einheitlichen Begriffsdefinitionen für Engagement, Ehrenamt, lokalem Aktivwerden und Demokratiestärkung mangelt. So wird der Begriff des Engagements in einigen Studien sehr weit gefasst und dehnt sich bis in informelle Nachbarschaftshilfe aus. In anderen Studien wird er sehr eng gefasst, sodass nur vereinsgebundenes, institutionalisiertes Engagement erfasst wird. Wichtig ist eine differenzierte Definition von Engagement: Es gibt viele Formen von Engagement, die es anzuerkennen und zu untersuchen gilt, doch nicht jedes Engagement ist bürgerschaftliches Engagement. Im Vorwort der Literaturanalyse warnt Prof. Claudia Neu (Universität Göttingen) vor einer Verwässerung des Engagementbegriffs:

»Erweitern wir die Engagementdefinition bis in die Familie und den Freundeskreis hinein, ist bald nicht mehr klar, was gemeint ist, wenn wir über bürgerschaftliches Engagement reden oder wer die Zielgruppe von [politischer und finanzieller] Engagementförderung ist […].« (Eckes et al. 2019, S. 5)

Des Weiteren bleibt in der Forschung bisher die Verknüpfung der Begriffe Engagement und Demokratiestärkung unklar: Handelt es sich bei bürgerschaftlichem Engagement nur um den formalen Akt der demokratischen Teilhabe (z.B. in demokratisch organisierten Vereinen) oder zählen gemeinwohlorientierte Inhalte (des Vereins)? Bürgerschaftliches Engagement kann an sich zu mehr Teilhabe vor Ort führen, Menschen zu Partizipation ermutigen und somit gesellschaftliche Teilhabe innerhalb einer demokratischen Gesellschaft stärken. Jedoch könnte ohne einen klaren Bezug auf Gemeinwohlorientierung für eine vielfältige Gemeinschaft, auch eine Engagementstruktur als bürgerschaftliches Engagement gelten, die einer exklusiven Gemeinschaft gewidmet ist (z.B. ›Suppenküchen nur für Deutsche‹, ›Wir lieben [Ortsname]‹-Bürgerinitiativen). Es bedarf hierbei immer wieder einer klaren Positionierung:

»Demokratiefördernd und eine Zivilgesellschaft bestärkend wirkt Engagement dann, wenn es inklusiv agiert, Allen zu Gute kommen soll und nicht exklusiv für bestimmte Bevölkerungsgruppen reserviert ist.« (Eckes et al. 2019, S. 32)

Fördernde und hemmende Faktoren für Engagement

Die meistfokussierte Forschungsfrage der Studien war die Identifizierung von engagementfördernden und -hemmenden Bedingungen. Es stellten sich vier zentrale Aspekte als förderlich heraus:

(1) Orte sozialer Teilhabe: Es braucht niedrigschwellig zugängliche zentrale Orte als Kristallisationspunkte für Vernetzungen und als Ideenschmieden. Hierbei werden z.B. Vereinsräumlichkeiten, Jugendclubs oder Pfarrhäuser genannt. Wenn diese sozialen Orte durch infrastrukturellen Wandel als persönliche Bezugspunkte wegfallen, wirkt sich dies hemmend auf das Engagement vor Ort aus. Umso wichtiger ist die Etablierung neuer sozialer Orte als Anlaufpunkte.

(2) Finanzielle Ressourcen: Eine gesicherte, langfristige Finanzierung wird immer wieder als förderlich benannt. Hierbei ist es von zentraler Bedeutung, dass die Engagierten über das Wissen verfügen, wo Gelder ggf. zu akquirieren und wie Anträge zu stellen sind. Darüber hinaus wird gerade diese Antragspolitik als hemmend für Engagement benannt. Hierbei werden viele Ressourcen gebunden bzw. die Motivation Engagierter zunichte gemacht. Des Weiteren führt die selektive, projektbezogene Finanzierung zu einer Verstärkung der Konkurrenzsituation zwischen Initiativen.

(3) Schlüsselpersonen: Von großer Bedeutung und in den Studien immer wieder benannt sind lokale Macher*innen. Sie können impulsgebend für ganze Orte und Regionen sein und halten das Engagement am Leben. Hierbei gilt gerade in ländlichen Räumen derdie Bürgermeisterin meist als das ›Zugpferd‹ zum Anstoß neuer Prozesse, wobei es oft auch engagierte Privatpersonen sind. Fallen diese Schlüsselpersonen weg, wirkt sich das hemmend auf das Engagement vor Ort aus.

(4) Vernetzung und Kommunikation: Diese Faktoren werden nahezu immer als engagementförderlich genannt. Sie spielen einerseits zwischen den Akteur*innen vor Ort, jedoch auch überregional, eine wichtige Rolle. Doch nicht nur die Vernetzung der Engagierten untereinander, sondern auch ein gutes Verhältnis zu Verwaltung, Politik und finanzierungsgebenden Institutionen ist von großer Bedeutung für gelingendes Engagement. Auch die Digitalisierung ermöglicht neue Kommunikations- und Vernetzungsmöglichkeiten für Engagement. Bei der Entwicklung engagementfördernder Maßnahmen mithilfe digitaler Möglichkeiten ist es jedoch wichtig, exkludierende Mechanismen zu verhindern (z.B. von älteren Menschen).

Neben diesen förderlichen wurden in der Analyse auch Faktoren sichtbar, die sich hemmend auf das Engagement von Menschen auswirken können. So zeigt sich, dass der sozioökonomische Status von Menschen dafür entscheidend ist, ob sie sich engagieren bzw. in welcher Form. Menschen mit einem höheren Bildungsabschluss und erwerbstätige Menschen engagieren sich in höherem Maße bürgerschaftlich. In Regionen mit geringer Arbeitslosigkeit ist so auch die Engagementstruktur stärker ausgeprägt. Erwerbslose oder Menschen mit einem niedrigeren Bildungsabschluss engagieren sich weniger bürgerschaftlich, werden teilweise von Engagementstrukturen ausgeschlossen bzw. engagieren sich eher in privaten Kreisen (z.B. der Nachbarschaftshilfe). Des Weiteren fokussieren einige wenige Studien die Bedeutung von Geschlecht für Engagement. Es zeigt sich, dass sich mehr Männer als Frauen engagieren, was sich in ländlichen Räumen stärker ausprägt als in städtischen. Gerade die Unvereinbarkeit von Familie und Engagement ist hierbei ein entscheidender Faktor. Frauen übernehmen oft informelle Aufgaben wie die Betreuung von befreundeten Kindern, während deren Eltern arbeiten. Auch das Engagement von Menschen mit Migrationshintergrund ist geringer als von Menschen ohne Migrationshintergrund. Migrationshintergrund ist also scheinbar auch ein hemmender Faktor für Engagement. Doch in diesem Bereich fehlt es an Forschung. Wenn sich Studien mit Engagement und Migration beschäftigen, dann meist mit dem Engagement für Menschen mit Migrationshintergrund als Zielgruppe. Dabei könnte die Untersuchung des Engagements von Menschen mit Migrationshintergrund (und mögliche Hemmnisse für sie sich zu engagieren) zu einem besseren Verständnis und der Förderung eines interkulturellen Zusammenlebens führen (vgl. Röder 2019).

Engagement gegen Rechts

Eine besondere Herausforderung für die Zivilgesellschaft – gerade im ländlichen Raum – ist die extreme Rechte. Studien zum Thema »Demokratieförderung in ländlichen Räumen« befassten sich primär mit den Auswirkungen von Rechtsradikalismus auf Engagement bzw. mit Engagement gegen Rechtsradikalismus. Gerade in Gegenden, in welchen die Engagementstruktur gering ausgeprägt ist, sind extrem rechte Parteien, Strukturen und Akteur*innen besonders stark. Beispielsweise können sie hier leichter Posten in Vereinen übernehmen und so ihr Gedankengut verbreiten. Dadurch wird demokratisches Engagement erschwert. Es kann aus Angst zum Rückzug aus dem Engagement kommen.

Die Handlungsstrategien in Bezug auf antidemokratische Strukturen und Akteur*innen sind komplex und auf lokales bürgerschaftliches Engagement gegen Rechts angewiesen. In der empfehlenswerten Studie zu Gegenmaßnahmen gegen Rechtsradikalismus von Buchstein und Heinrich (2010) werden diese in präventive, reaktive, integrative und repressive Strategien unterteilt. Zwei Handlungsstrategien, die eng mit bürgerschaftlichem Engagement verbunden sind, sind die präventive und reaktive. Bei einer präventiven Strategie handelt es sich um eine größere Strategie der Dorfentwicklung:

»Präventiv gegen extrem rechte Aktivitäten zu agieren hieße also, neue Formen der Beteiligung zu erproben, um lokale Demokratie zu stärken, flächendeckende Präsenz demokratischer Parteien zu forcieren und eine vorausschauende Bearbeitung lokaler Problemlagen zu etablieren.« (Eckes et al. 2019, S. 26)

Wenn bereits etablierte rechtsradikale Strukturen vor Ort vorhanden sind, ist eine reaktive Strategie geboten. Für das Gelingen wird ein Zusammenschluss demokratischer Akteur*innen aus Zivilgesellschaft, Verwaltung und Politik als wichtig angesehen. Zusammen sollten diese eine gemeinsame Problemdiagnose als Ausgangspunkt und eine längerfristige Begegnungsstrategie entwickeln.

In diesem Beitrag konnten die Ergebnisse der Literaturanalyse und der aktuelle Stand der Forschung zu Engagement und Demokratiestärkung im ländlichen Raum nur umrissen werden. Für einen umfassenden Überblick empfiehlt sich das Lesen der Literaturanalyse, welche mit einem tabellarischen Überblick über die Inhalte der 60 Einzelstudien ergänzt wurde. Die Autorinnen wünschen gute Lektüre.

Endnoten

Die Literaturanalyse ‚Engagementförderung - Demokratiestärkung - ländlicher Raum‘ und Auswertungen der Einzelstudien sind hier zugänglich: https://www.laendlicher-raum.info/material-und-links/idz-analyse/ [05.01.2020].


Beitrag im Newsletter Nr. 1 vom 20.1.2020

Für den Inhalt sind die Autor*innen des jeweiligen Beitrags verantwortlich.
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Autorinnen

Christine Eckes studiert Gesellschaftstheorie M.A. an der Friedrich-Schiller-Universität. In den Jahren 2017-2019 arbeitete sie als studentische Mitarbeiterin im Institut für Demokratie und Zivilgesellschaft in Jena. Kontakt: christine.agnes.eckes@uni-jena.de


Dr. Janine Dieckmann ist Sozialpsychologin und stellvertretende Direktorin des Instituts für Demokratie und Zivilgesellschaft. Kontakt: janine.dieckmann@idz-jena.de

Literatur

Redaktion

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