Inhalt
Einleitung
Europa im Umbruch: Die nachhaltige und digitale Transformation
Gute Arbeit als Grundlage
Europäische Lösungen für ein solidarisches Wirtschaften
Der Weg in ein solidarisches Europa
Autorin
Redaktion
Einleitung
Jeder nach seinen Fähigkeiten, jedem nach seinen Bedürfnissen! – Das solidarische Leistungsprinzip von Karl Marx geht davon aus, dass der Mensch als Teil einer Gesellschaft nach den eigenen Voraussetzungen etwas zu dieser Gemeinschaft beitragen kann und möchte, um diese zum Wohle aller voranzubringen.
Auch in den europäischen Verträgen spielt die Solidarität als Grundprinzip gesellschaftlicher Organisation und gemeinsamen Wirtschaftens eine entscheidende Rolle. In Art. 3 des EU-Vertrags, der die Ziele der europäischen Einigung formuliert, heißt es in dem Abschnitt zur europäischen Wirtschaft:
«[Die Europäische Union] bekämpft soziale Ausgrenzung und Diskriminierungen und fördert soziale Gerechtigkeit und sozialen Schutz, die Gleichstellung von Frauen und Männern, die Solidarität zwischen den Generationen und den Schutz der Rechte des Kindes. Sie fördert den wirtschaftlichen, sozialen und territorialen Zusammenhalt und die Solidarität zwischen den Mitgliedstaaten.»
Die Mütter und Väter der Verträge haben somit ein eindeutiges Bekenntnis zu einem solidarischen Europa formuliert und in die DNA der europäischen Union eingraviert.
Solidarisches Wirtschaften verfolgt weitergehende Ziele als die Gewinnmaximierung zum Wohle der Einzelnen und ordnet sich nicht angeblichen Marktzwängen unter. Es ist grundlegend demokratisch, nachhaltig und schaut nicht nur auf den Wert, sondern eben auch die Werte. Damit kann solidarisches Wirtschaften zu einem wichtigen Baustein bei der Umsetzung des Solidaritätsversprechens in Europa werden.
Europa im Umbruch: Die nachhaltige und digitale Transformation
Die Europäische Union taumelt in den letzten Jahren von einer Krise in die nächste und reagiert mehr auf äußere Umstände, als dass sie die Zukunft gestaltet. Die Covid-19-Pandemie, der Ukraine-Krieg, die Energiekrise und der Einbruch der Reallöhne haben unsere Gesellschaften schwer beeinträchtigt. Besonders betroffen von solchen Schocks sind diejenigen, die ohnehin wenig haben oder in prekären Verhältnissen leben und arbeiten.
Zeitgleich befinden wir uns in einer Situation des Umbruchs und der Transformation. Der Nachhaltige Umbau und die Digitalisierung bringen gewaltige Veränderungen mit sich. Unter diesen Umständen müssen wir die Art wie wir Arbeiten und Leben aktiv umgestalten. Die Europäische Union strebt einen gerechten Übergang an. Es sind jedoch neue Strategien und Maßnahmen erforderlich, um sicherzustellen, dass alle Bürger*innen davon profitieren und nicht nur einige wenige. Hierbei wird insbesondere auch die Stärkung der sozialen und solidarischen Wirtschaft eine wichtige Rolle spielen.
Gute Arbeit als Grundlage
Im Durchschnitt arbeiten erwerbstätige EU-Bürger*innen in der Woche 37 Stunden. Das heißt, dass sie einen großen Teil der ihr zu Verfügung stehenden Zeit für ihre Erwerbsarbeit aufwenden und diese einen wichtigen Teil ihres Lebens bestimmt. Daher ist es gerade zur Ermöglichung der Transformation von besonderer Bedeutung, die Arbeitsumstände zu verbessern und diese ebenso sozial verträglich umzugestalten, wie andere Teile des gesellschaftlichen Zusammenlebens.
Im Zusammenhang mit den Krisenfolgen der letzten Jahre war ersichtlich, dass Arbeitnehmer*innen, die tariflich abgesichert und durch kollektive Interessenvertretung unterstützt waren, besser geschützt durch die Krise gingen. Ihr Kurzarbeitergeld wurde oftmals aufgestockt und ihr Kündigungsschutz stärker. Es handelt es sich um Instrumente solidarischen Wirtschaftens zum Wohl der Vielen in einer kapitalistischen Wirtschaft, die auf dem Egoismus der Marktteilnehmer beruht. Ich habe mich deshalb als Berichterstatterin im Beschäftigungsausschuss des Europaparlaments für die deutliche Stärkung der Demokratie am Arbeitsplatz eingesetzt. Denn die vor uns liegenden Transformationsprozesse werden nicht gelingen, wenn wir es nicht schaffen die Arbeitnehmer*innen, die hiervon am meisten betroffen sein werden, mitzunehmen. Zusätzlich sind wir auf ihre praktischen Kenntnisse angewiesen, um nicht in der Theorie des Wandels stecken zu bleiben, sondern diesen in die Praxis zu übersetzen. Studien zeigen, dass bei Unternehmen, die die Mitarbeiterbeteiligung voll ausschöpfen, die Wahrscheinlichkeit, dass sie Nachhaltigkeitsstrategien in ihre Managementrichtlinien integrieren, fast doppelt so hoch ist wie bei Unternehmen ohne Mitarbeiterbeteiligung. Grundlegende Veränderungen sind am Ende nur unter Einbeziehung der Betroffenen erfolgreich.
Europäische Lösungen für ein solidarisches Wirtschaften
Die EU ist nicht nur ein gemeinsamer Markt, sie ist eine Wertegemeinschaft und zu Recht stolz auf die einzigartige Errungenschaft ihres Sozialmodells. Es ist die Aufgabe von uns Europaabgeordneten und den Mitgliedsstaaten dies in die Realität der Bürger*innen zu übertragen. Eine wichtige Rolle hierbei spielen die europäischen Institutionen und damit auch die Ratspräsidentschaft, die jeweils für ihre halbjährige Amtszeit die Leitlinien der Politik des Ministerrats als Co-Gesetzgeber bestimmt.
Die kürzlich begonnene spanische Ratspräsidentschaft will sich für ein soziales Europa einsetzen, das die Rechte der Arbeitnehmer*innen und den Sozialstaat stärkt, Ungleichheiten bekämpft und die demokratische Beteiligung der Bürger*innen stärkt. Sie bekennt sich mit ihrem ambitionierten Programm zu einer sozialen Fortentwicklung der europäischen Gesellschaft. Als Kompass muss hierbei die europäische Säule Sozialer Rechte dienen, welche durch die EU-Kommission, das Parlament und die Mitgliedsstaaten als wichtige Stütze der Europäischen Union 2017 geschaffen wurde. Mit dem Aktionsplan zur Umsetzung der Säule werden gemeinsame Mindeststandards für gute Arbeit und einen angemessenen Sozialschutz gesetzt und somit das Versprechen der europäischen Solidarität bekräftigt.
Der Weg in ein solidarisches Europa
Auf dem Sozialgipfel in Porto hatten die europäischen Staats- und Regierungschefs 2021 unter anderem beschlossen, bis 2030 rund 15 Millionen Menschen in der EU aus Armut und sozialer Ausgrenzung zu verhelfen. Dieses Ziel kann nur erreicht werden, wenn das soziale Europa deutlich gestärkt wird. Dafür brauchen wir eine Politik, die die immer größer werdende Vermögensschere als Bedrohung unserer demokratischen Gesellschaft begreift. Gleichzeitig müssen wir die Investitionen in gemeinwohlorientierten Bereichen wie Bildung und Kinderbetreuung deutlich erhöhen. Hierzu müssen die europäischen Fiskalregeln angepasst und die Austeritätspolitik beendet werden.
Schlussendlich kann ein solidarischeres Europa nur unter Einbeziehung aller Betroffenen entwickelt werden. Das umfasst Sozialpartner, Wohlfahrtsverbände und weitere Teile der Zivilgesellschaft. Zugleich müssen wir als politische Akteur*innen die notwendigen rechtlichen Rahmenbedingungen dafür schaffen. Nur so können wir Allen ein Angebot machen und sie am nachhaltigen, digitalen und sozialen Europa teilhaben lassen.
Beitrag im Newsletter Nr. 7 vom 27.7.2023
Für den Inhalt sind die Autor*innen des jeweiligen Beitrags verantwortlich.
Autorin
Gabriele Bischoff ist seit Juli 2019 Abgeordnete des Europäischen Parlaments und seit Dezember 2021 stellvertretende Vorsitzende der S&D-Fraktion. Sie engagiert sich für sozialdemokratische Kernthemen wie die flächendeckende Umsetzung von Mindestlöhnen und Mindestsicherung, die Stärkung der Tarifpolitik sowie für mehr Mitbestimmung am Arbeitsplatz. Als Vizepräsidentin im AFCO-Ausschuss setzt sie sich für eine bessere Handlungsfähigkeit der EU sowie für eine breite Bürgerbeteiligung ein.
Sie ist Vizepräsidentin der Europa-Union Deutschland, Mitglied im Trägerverein der Europäischen Akademie Berlin, Vorstandsmitglied der SPDqueer Berlin, Mitglied der Versammlung der Kuratoren des Europäischen Instituts Berlin (IEP) und Mitglied der SPD, IG Metall und des ADF.
Kontakt: gabriele.bischoff@europarl.europa.eu
Weitere Informationen: https://www.europarl.europa.eu/meps/de/197435/GABRIELE_BISCHOFF/home
Redaktion
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