6. Deutscher EngagementTag in Berlin und online
Juliane Seifert, Staatssekretärin im Bundesfamilienministerium, und Dr. Thomas Röbke (BBE) eröffneten den 6. EngagementTag
Der sechste Deutsche EngagementTag stand unter dem Motto »Zivilgesellschaft zwischen Krisen und Nachhaltigkeit: Neue Themen – Zukunft schaffen«. Das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) richtete die zweitägige Online-Konferenz erneut mit dem Bundesnetzwerk Bürgerschaftliches Engagement (BBE) aus.
Christine Lambrecht, geschäftsführende Bundesfamilienministerin über die Konferenz: »Demokratie ist eine Mitmach-Veranstaltung. Demokratische Werte müssen jeden Tag gelebt und verteidigt werden. Die vielen Engagierten, die sich für die Demokratie, für Vielfalt und sozialen Zusammenhalt einsetzen, verdienen unsere Anerkennung und unsere Unterstützung. Deswegen ist es so wichtig, in der neuen Legislaturperiode mit einem Demokratiefördergesetz dafür zu sorgen, dass wichtige Initiativen verlässlicher und langfristiger gefördert werden können. Damit können wir all diejenigen stärken, die mit ihrem Engagement unsere Gesellschaft tagtäglich zusammenhalten.«
Dr. Thomas Röbke, Vorsitzender des BBE-Sprecher*innenrates: »In den Krisen der letzten Jahre hat sich bürgerschaftliches Engagement immer wieder als Rettungsanker erwiesen. Die Corona-Pandemie hingegen hat die Zivilgesellschaft, dessen Handeln und Existenz selbst herausfordert. Engagement ist der Humus unserer Gesellschaft. Damit bürgerschaftliches Engagement auch in Zukunft zur Lösung gesellschaftlicher Herausforderungen beitragen kann, brauchen wir stabile, funktionierende Strukturen der Engagement- und Demokratieförderung. Jetzt ist der beste Zeitpunkt für einen Neustart!«
Im Mittelpunkt des diesjährigen EngagementTages standen unter anderem die Fragen, wie es gelingt, langfristige und stabile Strukturen für bürgerschaftliches Engagement zu schaffen und zu stärken: Wie kann Zivilgesellschaft aktiv den digitalen Wandel gestalten? Und wie könnte eine Vision für die Zukunft des Engagements aussehen?
Über den Deutschen EngagementTag
Der Deutsche EngagementTag hat sich zu einer zentralen Plattform für Diskussionen, Wissenstransfer und die Vernetzung der zahlreichen Akteure etabliert. Die Ausrichter, das Bundesfamilienministerium als federführendes Ressort für Engagementpolitik und das Bundesnetzwerk Bürgerschaftliches Engagement, stärken damit die Sichtbarkeit des bürgerschaftlichen Engagements, das unabdingbarer Teil einer lebendigen und demokratischen Gesellschaft ist.
Thomas Röbke: Eröffnung Deutscher Engagementtag 2021
Eröffnungsrede: »Zivilgesellschaft zwischen Krisen und Nachhaltigkeit: Neue Themen - Zukunft schaffen!«
Liebe Frau Staatssekretärin Seifert, lieber Herr Staatssekretär Zierke, lieber Herr Tetzlaff,
liebe Mitstreiterinnen und Mitstreiter in Sachen Bürgerschaftliches Engagement,
sehr geehrte Damen und Herren,
schon alleine die Hürden und Volten der Planung zu diesem letztlich doch wieder digital stattfindenden Engagementtag zeigen, wie gut unser Titel gewählt ist: „Zivilgesellschaft zwischen Krisen und Nachhaltigkeit.“ Im Frühjahr dachten wir an eine schöne Präsenzveranstaltung in Berlin, dann hofften wir wenigstens auf ein hybrides Format. Nun sind wir doch im ausschließlich digitalen Raum gelandet, bis auf wenige Akteurinnen und Akteure, die hier im Studio der ehemaligen Berliner Kindl Brauerei versammelt sind. Also wieder Krise, also wieder das Bangen in der Zivilgesellschaft, wie nachhaltig sich ihre Strukturen und Organisationen angesichts dieser Herausforderungen erweisen werden. Wir haben uns wieder mal als flexibel erwiesen, und wir sollten uns unsere Laune nicht verderben lassen. Und auf bessere Zeiten hoffen!
Und dennoch meint der Titel: „Zivilgesellschaft zwischen Krisen und Nachhaltigkeit“ mehr als die sich wieder so akut zuspitzende Corona-Pandemie: Wir merken alle, dass in unserer Gesellschaft fundamentale Gewissheiten ins Rutschen kommen. Unser Lebensstil ist infrage gestellt, so, dass Olaf Scholz, unser voraussichtlich zukünftiger Bundeskanzler, von einer „neuen Normalität“ gesprochen hat, auf die wir uns zubewegen.Es gibt hierzu viele Entwicklungen, die ich nur stichwortartig aufrufen muss, denn sie sind ja allen geläufig: Die Klimakrise, die Zukunft der Demokratie, der gesellschaftliche Zusammenhalt. All das sind Themen, die die Zivilgesellschaft ins Mark treffen. Aber sie werfen auch Fragen auf, die ohne die Zivilgesellschaft nicht zu beantworten sind.
Der Zeit-Redakteur Thomas Assheuer sprach schon von einer „neuen Achsenzeit“, auf die wir zusteuern. Der Begriff der Achsenzeit stammt von Karl Jaspers. Er bezeichnet den Zeitraum zwischen, grob gesagt, dem achten und zweiten Jahrhundert vor Christus, in der sich an verschiedenen Orten auf dem Globus die Grundlagen eines Denkens entfalteten, die bis heute gültig sind. Die klassische griechische Philosophie Platons und Aristoteles, Konfuzianismus, Buddhismus oder die großen jüdischen Propheten eint im Kern die Vorstellung, den Menschen als Akteur in einer Gesellschaft zu begreifen, die sich selbst Gesetze und Regeln geben kann, um den Zusammenhalt zu festigen und das Zusammenleben möglichst friedlich zu gestalten. Der Mensch ist nicht mehr nur Spielball höherer Mächte, die er beispielsweise mit Opfern besänftigt und milde stimmt.
So entstehen fundamentale Vorstellungen wie ein Staat, der sich ein verbindliches Recht gibt, ein Mensch, der einem moralischen Maßstab folgt, eine Gemeinschaft, die sich selbstgegebenen ethischen Regeln unterwirft. Das sind eigentlich auch die Kernanliegen der Zivilgesellschaft heute. Ich denke, dass heute Nachmittag Frau Professorin Ute Frevert in ihrer Keynote über den Begriff der Zivilgesellschaft darauf sicher eingehen wird. Darauf freue ich mich an diesem Engagementtag ganz besonders.
Nehmen wir drei zentrale Begriffe, die Zivilgesellschaft und Bürgerschaftliches Engagement wesentlich bestimmen:
Solidarität. Dies meint ja ursprünglich, dass Menschen aus gemeinsamer Betroffenheit gegen eine erfahrene Ungerechtigkeit auf die Straße gehen, ihre Benachteiligung öffentlich machen und Einspruch erheben. Nun redet man von Solidarität, wenn sich Menschen in den eigenen vier Wänden isolieren, um andere nicht anzustecken.
Gemeinschaft: Wir wünschen uns alle eine möglichst inklusive Gesellschaft, die bei aller Verschiedenheit doch für alle gute Lebenschancen bereithält. Wir sehen aber, dass sich die Gräben vertiefen und der Ton des demokratischen Diskurses verschärft: Zwischen Reich und Arm, ökologischen Aktivist*innen und Menschen, die ihren Lebensstil inklusive Flugreisen aufrechterhalten wollen. Zwischen Coronaleugnern und Impfgegenerinnen und der Mehrheit der Geimpften, zwischen People of Color und weißer Mehrheitsgesellschaft, zwischen autofahrenden Parkplatzsucher*innen und Fahrradfahrenden, LGBT-Aktivist*innen und Feminist*innen usw. usw. Es scheint fast dahin zu kommen, dass man gewisse Abspaltungen von Minderheiten in Kauf nimmt, weil Kompromisse immer schwerer werden.
Freiheit: hatten wir uns nicht daran gewöhnt: Freiheit ist vor allem die Freiheit, zwischen in Fülle vorhandenen Angeboten zu wählen. Und nun, angesichts Corona, werden wieder ältere Freiheitsvorstellungen virulent. Etwa die Kantische Vorstellung, die Freiheit wesentlich mit dem Erfüllen einer moralisch gebotenen Pflicht verknüpft. Freiheit in Bezug auf Bürgertugenden, wie das etwa aktuell Ministerpräsident Kretschmann einfordert. Oder Hegels berühmter Satz: Freiheit sei die Einsicht in die Notwendigkeit. Also das Erkennen einer Notsituation, um das Richtige zu tun, damit die Not gewendet werden kann. Im Prinzip ist das ein eher therapeutischer Freiheitsbegriff, der uns empfiehlt, uns von den gängigen Freiheitsillusionen der „alten Normalität“ zu verabschieden.
Das greift alles tief in die Zivilgesellschaft ein. Aber ich denke: Gerade die organisierte Zivilgesellschaft und das Bürgerschaftliche Engagement als ihr Motor haben auch gute Antworten: Denn es geht bei ihnen immer um eine Freiheit, die auch Verantwortung für andere übernimmt, zum Beispiel als Vorstand eines Vereins oder als Bildungspatin für einen Geflüchteten. Es geht um eine gelebte Solidarität, die nicht nur das eigene Anliegen verfolgt, sondern auch Rücksicht auf andere nimmt und jenen, deren Stimme zu schwach ist, Gehör verschafft. Es geht in der Zivilgesellschaft schließlich um eine Vorstellung von Gemeinschaft, die Brücken zwischen den unterschiedlichen Fraktionen unserer Gesellschaft bauen will und damit Tag für Tag für Inklusion sorgt.
Um diese Potenziale richtig zu entfalten, braucht es Nachhaltigkeit. Wir sind nun mitten in einer Regierungsbildung. Uns hat natürlich im BBE sehr gefreut, dass viele Stichworte, die wir den politisch Verantwortlichen seit Jahr und Tag mitgeben, nun offenbar Eingang in den Koalitionsvertrag gefunden haben – natürlich in gebotener Kürze, aber dennoch viel größeren Raum einnehmend, als ich es von vorherigen Koalitionsvereinbarungen kannte. Wer in diesen Umbruchzeiten einen nachhaltigen Beitrag der Zivilgesellschaft will, muss politisch für Nachhaltigkeit sorgen. Das BBE hat daher hartnäckig in den letzten Wochen folgende Kernempfehlungen adressiert:
Wir wollen uns dafür einsetzen, dass
• eine verbindliche und langfristig angelegte Förderung der Zivilgesellschaft möglich wird. Dafür soll das beabsichtigte Demokratiefördergesetz eine Förderkompetenz des Bundes für zivilgesellschaftliche Infrastrukturen in enger Abstimmung mit den Ländern ermöglichen. Wichtig ist uns: Demokratie muss hier in der Breite der Infrastrukturen des Bürgerschaftlichen Engagements, nicht nur als Radikalisierungsprävention gedacht werden;
• im Gemeinnützigkeitsrecht politisches Engagement als Teil der jeweiligen gemeinnützigen Zweckverfolgung gemäß dem Grundgesetz anerkannt wird;
• die Zivilgesellschaft mit ihren Schwerpunktgebieten in die übergreifend entscheidenden beratenden Gremien des Bundes einbezogen wird. Daher freuen wir uns auf die Ausarbeitung der angekündigten neuen nationalen Engagementstrategie mit einem möglichst breiten Ansatz von Beteiligung, so wie es das BBE schon mal für das „Nationale Forum für Engagement und Partizipation“ organisiert hat;
• die Bedeutung des Bürgerschaftlichen Engagements für Bildung auch nach Auslaufen des Aufholpakets durch nachhaltige Förderung dauerhaft gestärkt wird;
• eine eng vernetzte europäische Zivilgesellschaft gestärkt wird;
• die Zivilgesellschaft in der digitalen Transformation durch umfangreiche Maßnahmen und Konzepte unterstützt wird.
Wir wissen, dass viele im politischen Feld der Parteien, auch in der zukünftigen Opposition, diese Forderungen mittragen. Aber wir wissen auch, dass, obwohl vieles sich davon im Koalitionsvertrag findet, es dann auf Wortlaut der Gesetze und Formulierung der Richtlinien ankommt. Wir haben das beispielsweise an der Ausgestaltung der Deutschen Stiftung für Engagement und Ehrenamt (DSEE) erlebt, die auf den letzten Metern vor ihrer Gründung durch Streichen einiger Halbsätze offensichtlich ihren Förderschwerpunkt verloren hatte. Jetzt steht der Förderschwerpunkt wieder explizit in der Koalitionsvereinbarung. Politik ist eben, wie Max Weber schon wusste, die Kunst, dicke Bretter zu bohren.
Das BBE wird die Engagementpolitik der kommenden Bundesregierung kritisch konstruktiv begleiten. Darauf freuen wir uns. Wir freuen uns auch, weil wir als Partner ernst genommen werden, unsere Stimme hörbar ist und gehört wird. Hoffentlich auch bei unserem Dauerbrenner, einen Hauptausschuss für Bürgerschaftliches Engagement und Demokratie im Bundestag einzurichten. Das ist nun auch Sache des sich konstituierenden Parlaments. Wir bleiben am Ball.
Der Engagementtag, der heute zum fünften Mal gemeinsam von BBE und BMFSFJ durchgeführt wird, ist ein hervorragendes Beispiel einer gelungenen Kooperation. Wir danken den vielen Beteiligten im BMFSFJ und BafzA, vor allem Herrn Engler vom Referat 111 sowie Frau Budach und Frau Hopka vom BafzA für die nun fünfjährige gelungene Zusammenarbeit! Und natürlich der Spitze des Hauses und den dort Verantwortlichen, Frau Ministerin Lambrecht, Frau Staatssekretärin Seiffert, Herr Parlamentarische Staatssekretär Zierke, Herrn Tetzlaff, Herrn Steegmanns, Frau Junker-Ojo und den vielen engagierten Mitarbeiter*innen für die wieder so tolle Zusammenarbeit. Natürlich auch Mareike Jung mit Ihrem Team im BBE, die das wieder hervorragend gemanagt hat.
Vielen Dank! Und jetzt freuen wir uns auf viele spannende Diskussionen