Abgehängt durch Themenhopping?
Verunsicherung schützt vor Rassismus nicht.
Provokateur oder Verunsicherte?
Demokratielose Dichotomie.
Kleiner Fünf macht weiter.
Wider der Normalisierung.
Endnoten
Autorin
Redaktion
Abgehängt durch Themenhopping?
Du bist auf einer Verlobungsfeier. Am Buffet triffst du Lydia, die Freundin deines Bruders, ihr kennt euch schon seit Jahren, seid euch nicht wirklich ähnlich, aber könnt immer zusammen lachen. Sie ist bekannt dafür, viel zu reden, so auch jetzt, als sie eine Eilmeldung auf ihr Handy bekommt: »Ach, wieder Krach bei der EZB! Also ich muss sagen, diese ganze Eurolüge geht mir auf den Keks. Ich habe neulich so eine Doku gesehen, da ist mir klar geworden, dass der Euro uns gar nicht geholfen hat, wusstest du das? Der soll uns einfach noch mehr von Brüssel abhängig machen. Auch dieses ganze Bachelor/Master Ding an Unis – pure Bevormundung. Meine Güte, die Welt steht halt Kopf. Gestern noch ein christlicher, friedlicher Nationalstaat und schwupps, heute schon islamisiert und gegendert im Namen der Toleranz. Naja, du musst diese Hackbällchen probieren, köstlich!« Wie reagierst Du darauf?
Wichtig wäre hierbei weder auszuflippen noch still zu schweigen. Ein höfliches aber bestimmtes: »Da wirfst du aber gerade ziemlich vieles in einen Topf, was nicht zusammen gehört, Lydia.«, würde in der Situation wahrscheinlich eher dienen. Auch ein ironischer Kommentar kann helfen, »Provokateur*innen« abzukühlen: »Lydia, kulinarisch gesprochen mischt du gerade die köstlichen Hackbällchen mit Mozzarella, Mousse au chocolat und Senf zusammen…«. Außerdem kannst Du ein Telefonat am folgenden Tag anbieten, in welchem du Lydia ruhig erläuterst, dass gar nichts »schwupps« islamisiert ist und sie sowohl Stimmungsmachern als auch Themenhopping auf den Leim geht.
Verunsicherung schützt vor Rassismus nicht.
Während der Mittagspause in der Büroküche wurde über den letzten Tatort gesprochen. Thema des Films waren Geflüchtete und Proteste gegen die Errichtung von Erstaufnahmestellen. Bei der Unterhaltung fiel dir Annette aus der Buchhaltung auf. Sie ist eine langjährige Kollegin von dir und ihr versteht euch gut. Annette sagte: »Die können ja nicht alle kommen« und »Also bei uns sollte auch so ein Containerding hin. Da kann man ja seine Kinder nicht mehr rauslassen. Ist doch klar, dass ich da Angst hab. Ich trau mich das kaum zu sagen, sonst werde ich gleich als Rassistin abgestempelt.« Wie reagierst du?
Mit einer Ich-Botschaft kannst du dich von Annettes Aussage abgrenzen, ohne sie in eine unangenehme Situation zu bringen. So kannst du zum Beispiel sagen: »Ich habe da ganz andere Erfahrungen gemacht«. Sofern möglich kannst du der Debatte auch noch einen anderen inhaltlichen Rahmen geben, indem du zum Beispiel auf die Schutzbedürftigkeit von geflüchteten Menschen hinweist, statt auf ihr angebliches Gefahrenpotential: »Das sind immerhin Menschen, die vor Krieg oder Verfolgung geflohen sind. Ich finde es sehr wichtig, dass wir ihnen Schutz bieten und helfen.« In jedem Fall lohnt sich auch hier ein später folgendes Gespräch ohne Publikum.
Provokateur oder Verunsicherte?
Diese Beispiele entstammen dem »Spiel der radikalen Höflichkeit [1]« von Kleiner Fünf. Sie basieren auf ähnlichen Erlebnissen, die an uns herangetragen wurden. Kleiner Fünf empfiehlt bei radikal höflichen Debatten darauf zu achten, ob das Gegenüber eher ein*e Provokateur*in oder ein*e Verunsicherte*r ist. Bei Verunsicherung helfen viele Nachfragen den tatsächlichen Grund hinter einer Haltung herauszufinden und es lohnt Gemeinsamkeiten zu entdecken, bevor bestimmte Schlussfolgerungen in Frage gestellt werden. Bei Provokationen ist es eher wichtig Unstimmigkeiten zu entdecken, eigene Gegenpositionen zu vertreten und andere Logiken (z.B. rechtliche Kategorien) einzuführen. Das übergeordnete Ziel von diesen Streitgesprächen sollte nicht unbedingt die Überzeugung des Gegenübers sein. Vielmehr geht es darum zum Nachdenken anzuregen. Wenn Betroffene von hetzerischen Aussagen anwesend sind, steht die unmissverständliche Solidarität im Vordergrund.
Demokratielose Dichotomie.
Die Mobilisationkraft der Rechtspopulist*innen besteht unter anderem in der Kreation von Feindbildern. Eindeutig wird in WIR und SIE, in GUT und in BÖSE unterteilt. Längst gehören nicht bloß Geflüchtete zu diesem Feindbild, auch Klimaaktivist*innen und sogenannte »Gutmenschen« werden als Abgrenzungsfiguren benutzt. Abgesehen von den inhaltlichen Streitpunkten, wie der Behauptung die Klimakrise sei nicht vom Menschen beeinflusst und auch abgesehen von den Führungskräften der Partei mit z.T. rechtsextremen Biographien, ist ihre Logik und Kommunikation höchst problematisch. Dem Gedanken der Dichotomie, der klaren Aufteilung in richtig und falsch, wohnt etwas zutiefst antidemokratisches inne. Die einfache Lösung: Wahr vs. Lüge ist eine Strategie. Deshalb sollte absoluten Aussagen, wie »die da oben machen alles falsch« oder »die da kommen, sind alle nicht ausgebildet« auf zwei Ebenen widersprochen werden. Auf der inhaltlichen und auf der strategischen.
Alle Tipps und Hinweise [2] von Kleiner Fünf beziehen sich auf das Gespräch im Familien-, Freund*innen, - oder Arbeitskreis. Mit anderen Worten: wir haben uns auf den engsten Zirkel spezialisiert. Personen, die wir kennen und vielleicht auch lieben. Menschen, mit denen wir, ob gewollt oder nicht, durchs Leben gehen. Unsere Tipps beziehen sich somit nicht auf den direkt politischen Raum, nicht auf den Umgang mit Amtsträger*innen einer rechtspopulistischen Partei.
Kleiner Fünf macht weiter.
Kleiner Fünf wurde 2016 durch Ehrenamtliche gegründet und wird bis heute ehrenamtlich fortgeführt. 2019 erschien das Buch »Sag was! Radikal Höflich gegen Rechtspopulismus argumentieren [3]« im Oetinger Verlag mit vielen praktischen Tipps von der Schwesterinitative »Diskursiv!«. Kleiner Fünf gibt Workshops [4] im gesamten Bundesgebiet zum Umgang mit Rechtspopulismus on- und offline. Die Initiative lebt von Spendengeldern und Mitgliedsbeiträgen. Jede Unterstützung ist eine große Hilfe, um beispielsweise den Schreibtischplatz zu bezahlen, Arbeitstreffen zu organisieren oder Poster zu drucken.
Wider der Normalisierung.
Das Thema Rechtspopulismus und auch Rechtsextremismus im familiären Diskurs sowie im deutschen Bundestag wird uns leider noch eine ganze Weile begleiten. Dabei sind wir nicht bereit unseren Namen zu ändern: Kleiner Fünf (Prozent) und somit ein Scheitern an der 5%-Hürde für die Anti-Demokrat*innen setzen wir weiterhin als Vision an die Spitze unseres Engagements. Außerdem möchten wir radikal höflich und mit Nachdruck anmerken: Nur weil Rassismus, Ausgrenzung und Autoritarismus mancherorts lauter werden, so werden sie nicht normal. Es ist die Aufgabe alle Bürgerinnen und Bürger jene Trends nicht »normal« werden zu lassen und ihnen zu widersprechen. Der Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier sagte kürzlich: »Wir brauchen nicht nur die Demokratie, sondern die Demokratie braucht auch uns.«