Beitrag im Newsletter Nr. 1 vom 7.2.2021

Coronaschuldendebatte, bürgerschaftliches Engagement und das Schuldentilgungskonto des Bundes: freiwillig 1% dem Staat spenden!?

Dr. Rainer Sprengel

Inhalt

Das wohl unbekannteste öffentliche Konto der Bundesrepublik
Das Schuldentilgungskonto des Bundes: Ein ungewolltes Instrument für Etatisten
Der (Irr-)Glaube an die umfassende Lenkungskraft des Staates
In-Wert-Setzung von IBAN DE17 8600 0000 0086 0010 30
Monetäre Pandemie-Gewinner*innen
Erzwungener Konsumverzicht und steuerliche Mitnahmeeffekte
Mögliche quantitative und qualitative Effekte einer bürgerschaftlichen Schuldentilgungskampagne
Autor
Redaktion

Das wohl unbekannteste öffentliche Konto der Bundesrepublik

Es ist das Verdienst der FDP-Bundestagsfraktion in dieser Legislatur nach einem von der Bundesregierung sträflich vernachlässigtem Instrument des bürgerschaftlichen Engagements gefragt zu haben, das für die mittlerweile angefangenen Post-Corona-Debatten wichtig werden sollte: das bei der Bundesbank geführte Schuldentilgungskonto des Bundes. Auf dieses können Bürger*innen seit 2006 freiwillig Geld einzahlen, um sich an der Tilgung der Bundesschulden zu beteiligen. Immerhin 262 Bürger*innen haben dies 2019 getan, obwohl es das wohl unbekannteste öffentliche Konto der Bundesrepublik ist. Es wurde nicht eingerichtet, weil es irgendein Finanzminister wollte oder will, sondern weil Bürger*innen sich am Abbau der Staatsverschuldung beteiligen wollten. Bezeichnend für die bürgerschaftliche Motivation ist der Zahlungsvermerk, der die Einzahlung von 10.000 Euro 2019 begleitete: »Beitrag zur Tilgung unserer Staatsschulden«. Ja, es gibt sie, die Menschen, für die dieses Land unser Land ist.

Gerade deshalb ist die Art, wie dieses Instrument seitens der Bundesregierung(en) behandelt wird, ein Affront für bürgerschaftliches Engagement – ein Affront, der angesichts der notwendigen Post-Bazooka-Debatte endgültig aus der Zeit gefallen ist. Im Folgenden werde ich für eine intensive In-Wert-Setzung dieses Instruments plädieren – nicht als Ersatz für Steuerdebatten, wohl aber als klares Plädoyer, andere Wege zu beschreiten als die, die zu einem immer wieder heillos überforderten Staat führen, wenn Politik und Staatsverwaltung der Illusion anheimfallen, dass sie es allein richten müssten und könnten. Die Gefahr dafür ist vor dem Hintergrund der Pandemie paradoxerweise gewachsen, obwohl sie gezeigt hat, dass es in einer Demokratie auf den Gemeinsinn der Vielen und das Mittun aus freier eigener Entscheidung ankommt.

Zunächst werde ich den Affront in aller Deutlichkeit beschreiben (1), woraus sich einige problemlose Maßnahmen der In-Wert-Setzung ableiten lassen (2). Dann (3) werde ich eine besondere Zielgruppe skizzieren (nämlich die durchaus große Gruppe der unfreiwilligen Pandemiegewinner*innen, zu denen ich mich selbst zähle), um abschließend die qualitativen und quantitativen Effekte einer entsprechenden Kampagne (4) zu resümieren.

Das Schuldentilgungskonto des Bundes: Ein ungewolltes Instrument für Etatisten

Ohne die drei Kleinen Anfragen der FDP-Bundestagsfraktion »Steuerliche Behandlung von Zahlungen auf das Schuldentilgungskonto des Bundes« (Drucksache, 19/6279, 5.12.2018, https://dserver.bundestag.de/btd/19/062/1906279.pdf) »Spenden auf das Schuldentilgungskonto des Bundes« (Drucksache 19/15989, 16.12.2019, http://dipbt.bundestag.de/dip21/btd/19/163/1915989.pdf) sowie „Spenden auf das Schuldentilgungskonto des Bundes im Zeichen der Corona-Pandemie“ (Drucksache 19/25330, 16.12.2020, https://dserver.bundestag.de/btd/19/253/1925330.pdf) wäre mir dieses Konto nicht bekannt. Das ist kein Zufall, denn so ist es vom Bundesfinanzministerium und der Bundesregierung gewollt. Das Konto wird in keiner Weise beworben, es wird noch nicht einmal auf der BMF-Webseite auf dessen Existenz hingewiesen. Die Einzahlenden erhalten auch absolut und überhaupt gar nichts: Es gibt keine Dankesmail, keinen Brief, keinen Anruf, einfach überhaupt nichts an Anerkennung. Der offizielle, in der Antwort an die FDP-Anfrage genannte Grund: »Das Verfahren der Vereinnahmung von freiwilligen Geldleistungen auf dem Schuldentilgungskonto ist so ausgestaltet, dass der damit verbundene Verwaltungsaufwand und die damit verbundenen Kosten minimiert werden. Dementsprechend sind keine Dankesschreiben an Bürgerinnen und Bürger vorgesehen, die von dieser Möglichkeit Gebrauch machen. Es erfolgt aus diesen Gründen auch keine aktive Bewerbung des Schuldentilgungskontos. Würden Kosten für Dankesschreiben oder sonstige Honorierungen und daraus resultierender Verwaltungsaufwand gedeckt werden müssen, würde die bezweckte Schuldentilgung nur zum Teil erreicht werden. Dies dürfte nicht im Sinne der Bürgerinnen und Bürger sein, die sich für eine freiwillige Geldleistung an den Bund ausschließlich zur Schuldentilgung entschieden haben.« (Antwort der Bundesregierung, Drucksache 19/16300, 2.1.2020, http://dipbt.bundestag.de/dip21/btd/19/163/1916300.pdf, S. 5) Ach ja, dann gäbe es ja auch noch Gründe des Datenschutzes…

Jede Person, die mit Spendenakquise zu tun hat, dürfte jetzt zwischen lautem Gelächter und ungläubigem Stirnrunzeln hin und her schwanken – nur deshalb habe ich diesen Unsinn hier in Gänze zitiert. Ganz offensichtlich will der jeweilige Bundesfinanzminister dieses Geld nicht, das aus den Tiefen bürgerschaftlichen Engagements kommt. Die Spender*innen können diesen gespendeten Betrag auch nicht in ihrer Steuererklärung als Spende geltend machen – wobei sich hierbei immerhin das BMF des zynischen Kommentars enthält, dass ja das auch dem erklärten Ziel der Schuldentilgung widersprechen würde. Stattdessen wird auf die Abgabenordnung bzw. die Landesfinanzämter verwiesen.

Obwohl nicht gewollt, geben jährlich zwischen gut 150 und 250 Personen Geld zur »Tilgung unserer Schulden«. Das ist bürgerschaftliches Engagement in einer selten vorkommenden Reinkultur, die edle Patina bürgerschaftlichen Engagements, die keine Anerkennungskultur braucht und auch auf das bewusste, frohe, gemeinschaftliche Handeln mit Anderen vollständig verzichten kann. Wenn der Begriff des Altruismus eine Illustration braucht, so sind es diese Menschen, die dafür einstehen könnten.

Der (Irr-)Glaube an die umfassende Lenkungskraft des Staates

Der eigentliche Grund, warum die Regierung dieses bürgerschaftliche Engagement nicht will, ist kaum übersehbar ein anderer. Das Ministerium schämt sich und glaubt kontrafaktisch an die Allmacht der Steuererhebung: »Grundsätzlich steht dem Staat das Mittel der Steuererhebung zur Verfügung, um notwendige Ausgaben zu decken und seine Schulden zu tilgen. Er ist nicht auf eine freiwillige Finanzierung durch Private angewiesen. Bei einer rein freiwilligen privaten Finanzierung des Staates bestünde zudem das Risiko einer interessengeleiteten Finanzierung.« (Antwort der Bundesregierung, a.a.O. S. 5), Mal abgesehen davon, dass niemand eine rein freiwillige private Finanzierung des Staates gefordert hat (privat finanziert ist er ja immer), enthält dieser Satz das ganze Ausmaß der empfundenen Scham: Seit Jahrzehnten schon ist der Staat nicht in der Lage, die Steuerlast auf ein Niveau zu heben, dass die Bundesschulden gesenkt würden, durchaus auch, weil der Souverän Parteien, die das vorhaben (würden), nicht wählt. Auch diese Regierung verfährt so wie alle Regierungen vor ihr: Im Wahljahr werden milliardenschwer und unabhängig von den Auswirkungen der Corona-Pandemie die Steuern gesenkt.

So oder so: auch über die Steuerlast entscheiden die Bürger*innen in einer Demokratie, nämlich über ihr Engagement in politischen Parteien und der Zivilgesellschaft sowie über Wahlzettel. Gerade deshalb ist dieser Affront gegen bürgerschaftliches Engagement doppelt ärgerlich: Er verachtet erstens diejenigen, die freiwillig geben und stößt die ab, die bei einem Mindestmaß an Anerkennung und Information geben würden, um die Staatsschulden, um unsere Staatsschulden zu senken. Zugleich nimmt er zweitens auch der qualitativ-zivilgesellschaftlichen Spitze dieses Engagements den Resonanz- und Wirkungsraum. Jede Person, die freiwillig gibt, ist ein Aktivposten in einer Debatte um Staatsfinanzierung aus Gebühren, Steuern, Zinsgewinnen, Unternehmensbeteiligungen, Zöllen usw. sowie freiwilligen Schenkungen. Natürlich kann man freiwillig geben und zugleich gegen höhere Steuern sein. Dennoch sind diese Personen Aktivposten, weil sie mit Sicherheit über dieses Thema länger nachgedacht haben und argumentieren können, warum man freiwillig geben sollte, obwohl die Steuerlast in Deutschland nicht unbeträchtlich ist. Die Mär vom Steuerstaat ist der Fetisch von Etatisten, denen jede Form bürgerschaftlichen Engagements suspekt ist. Etatisten finden sich in allen Parteien und politischen Richtungen, in allen Ministerien, Verbänden und Organisationen. Sie glauben fest an die umfassende Lenkungskraft des Staates als dem zentralen Gemeinwohlakteur, das finanzielle wie zeitliche Engagement der Bürger*innen ist für sie enervierend und eigentlich nur zu ertragen, wenn die Bürger*innen den Vorgaben staatlicher Organe folgen.

Auf den Spuren dieses Etatismus werden die Herausforderungen der Post-Coronazeit nicht zu bewältigen sein, denn dann wird es nicht nur um pandemiebedingte und vorherige Schulden gehen, sondern ebenso um die Bewältigung großer Gegenwartsaufgaben wie der Klimakrise. Das geht nur mit allen Bürger*innen und deshalb ist es so bedeutsam, wie an dieser Stelle das Verhältnis zwischen bürgerschaftlichem Engagement und unserem Staat ausgestaltet ist: partnerschaftlich oder feindlich, als Kooperation oder als Affront.

In-Wert-Setzung von IBAN DE17 8600 0000 0086 0010 30

Bei der Bundeskasse Halle/Saale bei der Deutschen Bundesbank, Filiale Leipzig IBAN: DE17 8600 0000 0086 0010 30 BIC: MARKDEF1860 kann sich unter Angabe des Stichworts »Schuldentilgung« jede*r Bürger*in, jedes Unternehmen freiwillig an der Schuldentilgung beteiligen. Warum es so wenige tun, wurde im vorigen Abschnitt deutlich. Damit dies anders wird, bedarf es erstens ganz basal einer Anerkennungskultur. Dazu müssen keine salbungsvollen Briefe per Post verschickt werden. Warum nicht einer*m Spender*in ein Bundesverdienstkreuz verleihen, vom Bundespräsidenten symbolisch an eine Person für alle anderen vergeben, die bisher gegeben haben? Das wird seinen (kostenlosen) Weg in Presse und (soziale) Medien finden. Eine Information über das Konto auf der Webseite des Ministeriums zu erstellen, wäre eine Tätigkeit, die im Rahmen schon vorhandener und ausfinanzierter Tätigkeiten staatlicher Verwaltungen stattfindet und keine Zusatzkosten erzeugt. Und was für ein schöner Tweet könnte vom Bundesfinanzminister kommen: »Heute haben wieder drei Bürger*innen 7000 Euro gespendet, um die Bazooka unseres Staates zu füllen. Klasse und Danke – ohne Euch wäre unser Land ärmer!« Kein Cent muss dafür zusätzlich aufgewendet werden.

Ein ganz wichtiger Effekt solcher Anerkennungsmaßnahmen wäre aber, dass das Signal käme: liebe Mit-Bürger*innen, eure freiwilligen Beiträge für die Senkung unser aller Staatsschulden sind gewollt. Und das kann dann ein guter partnerschaftlicher und kooperativer Anknüpfungspunkt für Kampagnen aus der Zivilgesellschaft werden. Personen schließen sich zusammen, eine Werbeagentur entwickelt pro bono eine Kampagne, ein paar Stiftungen geben Geld für Sachmittel, das Schuldentilgungskonto des Bundes wird bekannter, Debatten um Für und Wider werden geführt. Was soll bürgerschaftliches Engagement tun, was nicht? Fehlt das Geld dann woanders in der Zivilgesellschaft? Wie ist das Verhältnis zwischen Bürger*innen und Staat? Wie sollte es sein? Sind das überhaupt »unsere« Schulden oder die eines fernen, fremden Bundesstaates? Welche Steuern sollten erhöht werden, welche nicht, um die Krise zu bewältigen? Mit solchen Debatten werden Schuldentilgungskonto wie Möglichkeit ganz nebenbei bekannter und lassen alle Beteiligten über das Verhältnis von Staat und Zivilgesellschaft, von »unseren« Bundesschulden und »unserem« eigenem Geld nachdenken. Mit anderen Worten: Die In-Wert-Setzung dieses Kontos enthält viel mehr Dimensionen, als die, die sich in einem erhöhten Mittelzufluss des Staates zur Schuldentilgung niederschlagen könnte.

Ein wichtiger Punkt für diese In-Wert-Setzung wird dabei sein, die Überwindung des politischen Nicht-Wollens zu verbinden mit den finanziellen Herausforderungen der Pandemie-Krise. Gerade schien der Staat bei einer Neu-Nullverschuldung (vielmehr war es ja nicht) angelangt, als die Krise einen heftigen, neuen Verschuldungszyklus in Gang setzte. Deshalb soll der Blick auf diejenigen gerichtet werden, die in und durch die Krise gewonnen haben, und zwar insbesondere auf diejenigen, die unfreiwillig ohne eigenes Zutun zu den Gewinner*innen 2020 gehören.

Monetäre Pandemie-Gewinner*innen

Es gibt viele gute Gründe, warum vor allem über negative Folgen und Verlierer*innen in der Pandemie geredet wird – nicht nur, was die unmittelbar betroffenen Kranken oder Verstorbenen angeht, sondern ebenso die vielen in ihren Berufs- und Ausbildungswegen benachteiligten Menschen jeden Alters. Auch die vielen Unternehmen und zivilgesellschaftlichen Organisationen, die unter Druck oder in Insolvenzgefahr sind, werden zurecht öffentlich vorrangig thematisiert, damit zielgenaue Hilfen diskutiert und möglich werden.

Dennoch gibt es jenseits psychischer Belastungen durch Vereinsamung, Freiheitsbeschränkungen oder Leben in zu engen Räumen in monetärer Hinsicht viele Millionen Menschen, die im Jahr 2020 auf der Gewinner*innenseite stehen. Dabei interessieren mich hier nur ehrliche Menschen, d. h. die Frage, welche Arten von Kriminellen gewonnen oder verloren haben, bleibt hier außen vor. Die ehrlichen Bürger*innen kann man in zwei Gruppen teilen: Jene, die eigeninitiativ und gezielt monetär gewonnen habe und jene, die unfreiwillig gewonnen haben.

Eigeninitiative Gewinner*innen sind all jene Unternehmer*innen, die die Krise als Chance genutzt haben und zum Beispiel einen Impfstoff mit ihrem Unternehmen entwickelten, in die Maskenproduktion einstiegen, daraus Modeartikel machten oder die die interessante und erfolgreiche Idee hatten, den Virologen Drosten mit schicker weißer Maske als Räuchermännchen auf den Markt zu bringen. Geld und Anerkennung sind die Belohnung, die unsere Marktwirtschaft dafür als Anreiz und Belohnung bietet, auf neue Herausforderungen mit marktfähigen Lösungen zu reagieren. Es sei ihnen von Herzen gegönnt! Viel größer jedoch ist die Gruppe der unfreiwilligen monetären Gewinner*innen. So banal es ist: Die Restaurant- und Barschließungen in den beiden Lockdowns führten schlicht dazu, dass die Bürger*innen, die diese Angebote gerne wahrnehmen, ihr Geld nicht ausgeben konnten.

Weihnachtsgeschenke, Auslandsurlaube, Skiurlaube, geschlossene Modeläden, Böllerverkaufsverbot: all das führte zu echten, monetären Gewinnen auf den Konten der Bürger*innen, denn kaum jemand wird nächstes Jahr doppelt so viel Raketen in die Luft schießen, weil er*sie dieses Jahr keine Rakete abfeuern konnte oder über Monate vier Mal wöchentlich ins Restaurant gehen, wenn er oder sie dies vorher zwei Mal wöchentlich tat. Und die Urlaubstage mussten im Coronajahr ja genommen werden, also auch da fällt die Chance weg, 2021 oder 2022 ausgefallene Urlaube nachzuholen. Entsprechend ist in diesem Jahr die Sparquote der Bürger*innen, die jahrelang fiel, sprunghaft gestiegen. Betrug sie 1991 und 1992 noch mit ihren Höchstwerten 12,9% und 2019 noch 10,6%, wird sie 2020 mindestens 16% betragen. Das sind gut 100 Milliarden Euro Erspartes ZUSÄTZLICH.

Erzwungener Konsumverzicht und steuerliche Mitnahmeeffekte

Der Großteil des unfreiwillig ersparten Geldes ist Folge eines zumeist erzwungenen Konsumverzichts im Zuge von Lockdown-Maßnahmen. Dieser Konsum hätte aus schon versteuertem Geld stattgefunden. Da dieses Geld schon besteuert wurde, kann der Staat dieses nicht noch einmal besteuern: Es führt kein Weg des Steuerstaates zu diesem Geld.

Deshalb kann man natürlich sagen, dass die Menschen nach Ende der Pandemiesituation was auch immer vermehrt konsumieren sollen – vielleicht doppelt so häufig fliegen? Das würde dann in einem gewissen Rahmen die unfreiwilligen, positiven Umweltbilanzen des letzten Jahres im Nachhinein zunichtemachen. Da der Verzicht nun mal schon geleistet wurde, wäre es gesellschaftlich vielleicht dann doch klüger, nach anderen Wegen zu suchen. Einer davon könnte engagierte Bürger*innen zum Schuldentilgungskonto des Bundes führen …

Doch Spargewinne aus erzwungenem Konsumverzicht sind nicht die einzigen Mehreinnahmen bei den unfreiwilligen Gewinner*innen der Pandemie. Auf andere Formen könnte der Steuerstaat vielleicht Zugriff finden, doch das wäre mit einem Aufwand und Verdruss verbunden, der den Ertrag nicht wert ist. Als Fernpendler spüre ich das monatelange Homeoffice monetär doppelt positiv. Zum einen erspare ich unmittelbar Kosten für Fahrten, Übernachtung und auswärtiges Essen. Zum anderen wird es zum ersten Mal dadurch 2020 so sein, dass die Maximalsumme, die ein abhängig beschäftigter Fernpendler bei der Einkommenssteuer geltend machen kann mit meinen Aufwendungen übereinstimmt - in den Jahren davor blieb jeweils ein vierstelliger Betrag ohne Berücksichtigung. Und als Sahnehäubchen obendrauf kommt die Home Office-Pauschale. Anders gesagt: obwohl ich 2020 real weniger Kosten hatte, kann ich bei der Steuer mehr absetzen als in den vorherigen Jahren. Natürlich sieht das für andere Bürger*innen anders aus, viele haben erhebliche Mehrkosten für ihr Home Office und können weniger als vorher absetzen, andere arbeiten in Kurzarbeit oder verloren ihre Stelle. Im Detail gibt es viele Konstellationen: Es ist nicht möglich, diese steuerstaatlich ›gerecht‹ abzubilden, zumal wenn man der These folgt, dass es sich hierbei um ein singuläres Phänomen in 2020 und teilweise 2021 handeln soll. Der richtige Versuch, auch über Steuerentlastung denen zu helfen, bei denen Mehrkosten entstanden sind, führt zu ungewollten Mitnahmeeffekten.

Ungewollte monetäre Gewinne aus erzwungenem Konsumverzicht und steuerliche Mitnahmeeffekte sind 2020 ein millionenfaches Phänomen, die sich auf viele Milliarden Euro summieren: Nach Berechnungen der DZ Bank handelt es sich bei der zusätzlichen Sparquote im Jahr 2020, wie gesagt, um 100 Milliarden Euro, in Zahlen: 100.000.000.000,00 EUR.

Mögliche quantitative und qualitative Effekte einer bürgerschaftlichen Schuldentilgungskampagne

Unter anderen Umständen wären diese 100 Milliarden Euro plus x (die Sparquote war ja am Sinken) ausgegeben worden und haben die hohe Quote der kurzfristig verfügbaren Sichteinlagen (wie zum Beispiel Tagegeld) in Deutschland auf 2 Billionen Euro erhöht, neben 5 Billionen Euro langfristiger angelegtem Vermögen – alles schon versteuertes Geld.

Es wird Zeit, aus bürgerschaftlicher Sicht darüber zu diskutieren, wie wir als Bürger*innen mit diesen 100 Milliarden Euro umgehen wollen – zumindest, wenn das unfreiwillig ersparte Geld nicht vor einer persönlichen Überschuldung bewahrte. Das Anwachsen der Sichtvermögen zeigt zudem, dass die meisten Bürger*innen spüren, dass für das viele Geld nicht genügend renditestarke und seriöse Anlagemöglichkeiten existieren.

Menschen in Not helfen, Künstler*innen Kunstwerke abkaufen, sich an Überbrückungskrediten für Unternehmen beteiligen, endlich etwas renovieren lassen – es gibt viele Möglichkeiten, die besser und gesellschaftlich nutzbringender sind, als das Geld unverzinst auf seinem Konto liegen zu haben, es windigen Berater*innen zu geben oder gar mit Minuszinsen Banken zu subventionieren. Eine durchaus naheliegende Möglichkeit könnte auch sein, dem Staat freiwillig zu geben, um unsere gemeinschaftlichen Schulden zu tilgen. Die gemeinschaftlichen Beiträge der 150-250 Unverzagten, die dies seit 2006 taten, ohne gewollt zu sein, zahlen jährlich zusammen einen sechsstelligen Beträge ein – bei vielen Einzahlenden handelt es sich um dreistellige Beträge, einige hundert Euro.

Eine 1%-Kampagne könnte monetär wie diskursiv sehr einfach, zielführend und lohnend sein: Jede*r möge für 2020 seine persönliche, monetäre, ehrliche Gewinn- und Verlustrechnung machen. Wer sich dann zu den vielen Millionen Gewinner*innen zählt, möge von seinem subjektiv ermittelten Überschuss 1% oder mehr auf das Schuldentilgungskonto des Bundes einzahlen. Alle Bürger*innen guten Willens könnten das tun, 1% von unerwartet Gespartem würde niemanden einschränken oder existentiell bedrohen– zumal ja das Geld nur da ist, weil es 2020 nicht ausgegeben werden konnte und es mit dem Geldausgeben 2021 auch nicht einfach los geht.

Wenn dann in Verbindung mit den oben vorgeschlagenen Maßnahmen einer In-Wert-Setzung des Schuldentilgungskontos aus den 250 Einzahler*innen real 25.000 werden, wäre das sehr befriedigend und bei 250.000 richtig gut, denn diese Zahlen würden zugleich Ausdruck einer gesellschaftlichen Debatte sein. Deshalb wäre ein aus meiner Sicht erwartbarer Nebeneffekt solch einer Debatte, dass viele aus ihrer Gewinnrechnung andere Konsequenzen ziehen und, statt dem Staat freiwillig zusätzlich zu geben, in andere Richtungen spenden würden. Anders gesagt: Dass 1% von 100 Milliarden Euro auf das Schuldentilgungskonto fließen, wäre eine optimistische Erwartung, dass insgesamt aber 1 Milliarde Euro zusätzlich in Staat, Zivilgesellschaft und Nothilfen fließen, wäre das Mindeste an bürgerschaftlichem Realismus. So oder so würde aus zivilgesellschaftlicher Sicht unser Gemeinwesen gestärkt. Meine persönliche Rechnung für 2020 ist in Arbeit …


Beitrag im Newsletter Nr. 1 vom 7.1.2021
Für den Inhalt sind die Autor*innen des jeweiligen Beitrags verantwortlich.

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Dr. Rainer Sprengel ist Leiter des Arbeitsbereichs Information und Kommunikation des BBE und befasst sich seit über 20 Jahren mit dem Thema bürgerschaftliches Engagement.

Kontakt: rainer.sprengel@b-b-e.de


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