Beitrag im Newsletter Nr. 10 vom 20.5.2020

Buddhisten in Deutschland und die Zivilgesellschaft

Martin Hage

Inhalt

Was ist die Deutsche Buddhistische Union?
Welche Arten von buddhistischen Gemeinschaften gibt es in Deutschland und wo liegen ihre Unterschiede?
Zivilgesellschaftliches Engagement von Buddhisten und buddhistischen Gruppen
Wo ist die DBU im Austausch mit anderen gesellschaftlichen Gruppen?
Autor
Redaktion

Was ist die Deutsche Buddhistische Union?

Die Deutsche Buddhistische Union (DBU) ist ein Dachverband, der etwa 65 Gemeinschaften unterschiedlicher Größe als Mitglieder hat sowie eine weitere Gemeinschaft mit gut 2500 Einzelmitgliedern. Insgesamt repräsentiert die DBU 10 - 12.000 Menschen, die sich zum Buddhismus bekennen. Wie viele Buddhisten es tatsächlich in Deutschland gibt, ist mangels entsprechender Erhebungen nicht bekannt; Schätzungen gehen von einer mehrfachen bis vielfachen Anzahl aus.

Welche Arten von buddhistischen Gemeinschaften gibt es in Deutschland und wo liegen ihre Unterschiede?

In der heutigen Zeit können drei Ansätze des Buddhismus unterschieden werden, wie er hier gelehrt und praktiziert wird, nämlich der traditionelle, der säkulare und der immanente Buddhismus.

Zum einen gibt es den traditionellen Buddhismus, wie er in der ursprünglichen Ausbreitung von Indien ausgehend gelehrt wurde und auch heute noch gelehrt wird. Hier wird das menschliche Leben als in eine anfangslose Kette von Wiedergeburten eingebettet gesehen, den Existenzkreislauf oder Samsara, dessen Kennzeichen »dukkha« ist, was generell mit Leiden übersetzt wird. Ziel des buddhistischen Weges ist die Befreiung aus diesem Existenzkreislauf, der nicht lediglich ein Zustand von Frieden und Glück ist, sondern ein nicht bedingter Zustand jenseits dieser Wiedergeburten. Die Praktizierenden aller klassischen Schulen teilen ein Grundverständnis von Wiedergeburt und Karma, also einem Verständnis von Ursache und Wirkung auf der Grundlage von heilsamen und unheilsamen Handlungen.

Als Formen dieses klassischen Buddhismus gibt es hier insbesondere die Schulen des Theravada oder auch frühen Buddhismus, des Zen und des tibetischen Buddhismus; daneben gibt es auch andere Schulen des Mahayana.

Unter einem säkularen buddhistischen Ansatz versteht man eine Form von buddhistischer Praxis, die sich auf unsere unmittelbare existenzielle Situation beschränkt, ohne sich auf Annahmen über frühere oder künftige Leben zu stützen und die davon ausgeht, dass durch die buddhistische Praxis eine relative Freiheit von Gier, Hass und Verblendung erreicht werden kann. In der säkularen Vorstellung sind Wiedergeburt, Karma und Nirvana lediglich Überreste altindischer Metaphysik, die aus der buddhistischen Lehre herausgenommen werden sollten, damit diese mit der heutigen naturalistischen Weltsicht kompatibel ist.

Der immanente Buddhismus schließlich, der heute vermutlich am häufigsten anzutreffen ist, beschränkt sich fast ausschließlich auf existenzielle und psychologische Ziele und sieht den Buddhismus als ein geeignetes Mittel für innere Wandlung, für die Heilung von Verletzungen und Beziehungen, für das Finden innerer Tiefe und die Verbundenheit mit anderen Menschen und der natürlichen Welt. Dabei wird buddhistische Meditation hauptsächlich in Begrifflichkeiten von psychotherapeutischen Modellen erklärt. Am deutlichsten kommt diese Richtung in einem westlichen Ableger der Theravada-Tradition zum Ausdruck, dem Vipassana. Gegenüber der Befreiung aus dem Existenzkreislauf zielt der immanente Buddhismus darauf ab, sich aktiver, freudiger und spontaner auf die Welt einzulassen und am Tanz des Lebens mit einem ruhigen und klaren Bewusstsein teilzunehmen. In diesen Kontext gehören auch die unterschiedlichen Ansätze zur Schulung von Achtsamkeit.

Ich möchte diese unterschiedlichen Ansätze hier nicht werten, wobei ich mir doch die Bemerkung erlaube, dass man in Anbetracht dieser unterschiedlichen Ansätze mit dem Begriff Buddhismus vorsichtig umgehen und danach fragen sollte, was im Einzelfall damit tatsächlich gemeint ist.

Die Deutsche Buddhistische Union als traditionsübergreifender Dachverband hat nur Gemeinschaften als Mitglieder, die sich dem traditionellen Buddhismus zurechnen, und sie macht das Bestehen einer Überlieferungslinie auch zum Aufnahmekriterium für neue Gemeinschaften.

Zivilgesellschaftliches Engagement von Buddhisten und buddhistischen Gruppen

Eine noch neuere Entwicklung, die nicht als vierter Ansatz bezeichnet werden sollte, sondern eher übergreifend bei allen Buddhisten vorzufinden ist, ist ein sozial engagierter Buddhismus. Die globale Gemeinschaft steht bekanntermaßen vor den überwältigenden Herausforderungen der ökologischen Krise einerseits und der Tatsache andererseits, dass ein erheblicher Teil der Menschheit nicht die grundlegenden Voraussetzungen für ein würdiges Leben hat, nämlich angemessene Nahrung, sauberes Wasser, Unterkunft, Gesundheitsversorgung und Bildung, usw. Diese beiden Herausforderungen gefährden unsere kollektive Zukunft.

Im Westen tendierten diejenigen, die den Buddhismus in den drei zuvor genannten Ansätzen als ihren spirituellen Weg ansehen, dazu, sich hauptsächlich auf eine Verbesserung ihres persönlichen Lebens bzw. auf die Befreiung zu konzentrieren, wobei nach der Mahayana-Lehre die Befreiung aber auch gleichzeitig die größtmögliche Hilfe für alle Wesen bedeutet und insofern schon einen sozialen Ansatz enthält. Die tätige Hilfe zur Linderung von Leiden oder zur Verhinderung ökologischer Zerstörung stand jedoch zumindest nicht im Vordergrund.

Hier können jedoch seit Jahren Bestrebungen in allen drei buddhistischen Praxisformen verzeichnet werden, wie zum Beispiel Projekte für die Schulbildung und Ausbildung in ärmeren Ländern, für Umweltschutz und medizinische Unterstützung und Gefangenenhilfe. Es gibt auch buddhistische Gruppen, die eine solche Tätigkeit zu ihrem Hauptzweck gemacht haben.

Einige buddhistische Gruppen haben auch Hospizdienste eingerichtet, oder praktizierende Buddhisten sind ehrenamtlich als Begleiter für Kranke oder Sterbende tätig.

Die DBU nimmt als Organisation auch Stellung zu gesellschaftlichen Vorgängen und mahnt zu Toleranz und Gewaltlosigkeit.

Anders als zum Beispiel die Christen und Muslime, die dazu aufgerufen werden, den Armen, Kranken, Obdachlosen und Hungrigen zu helfen und über die Jahrhunderte beeindruckende humanitäre Organisationen geschaffen haben, die auf vielen Feldern wirksame Hilfe leisten, ist dies bei den Buddhisten bislang nicht oder erst in Ansätzen der Fall.

Der Grund für diese vergleichsweise schwache Reaktion auf kollektives Leid mag zum Teil in der buddhistischen Lehre selbst begründet sein. Die buddhistischen Schriften sind voll des Lobes für Freundlichkeit und Mitgefühl und von Ermahnungen, zum Wohl aller fühlenden Wesen zu handeln, doch sie raten selten, sich aktiv für soziale Gerechtigkeit usw. einzusetzen.

Demgegenüber liegt der Fokus des traditionellen Buddhisten auf der eigenen Befreiung zum Wohl aller Wesen, und der der säkularen und immanenten Buddhisten auf der persönlichen Transformation. Dazu kommt manchmal auch ein krasses Fehlverständnis von grundlegenden buddhistischen Lehren wie zum Beispiel der des »anatman«, also der Leerheit, die als bloße Rhetorik (»es ist sowieso alles leer«) eine persönliche Betroffenheit und tatsächliches Engagement eher verhindert als befördert, oder der Karma-Lehre, die zum Teil fälschlich so verstanden wird, dass bestimmte soziale Verhältnisse oder der eigene Status eben unausweichlich seien, da sie ja auf bestimmten Ursachen und Wirkungen beruhten.

Auf der anderen Seite enthält die buddhistische Lehre aber gerade Handlungsanleitungen wie das Unterlassen von Schädigung, Genügsamkeit und geistiger Schulung, die, im Sinne eines kategorischen Imperativs auf alle Menschen ausgeweitet, automatisch zur Beseitigung aller vorher genannten Probleme führen würde. Sie kann damit auch in sich als sozial ausgerichtete Lehre verstanden werden.

Wo ist die DBU im Austausch mit anderen gesellschaftlichen Gruppen?

Die DBU nimmt seit Jahren an verschiedenen Interreligiösen Dialog-Formaten teil. Trotz der Tatsache, dass sie, im Unterschied zu den christlichen Kirchen und jüdischen Gemeinden, nicht als Körperschaft des öffentlichen Rechts anerkannt ist, wird sie sowohl auf Gemeinde-Ebene als auch auf Landes- und nationaler Ebene meist von Vertretern der traditionellen christlichen Kirchen als Dialogpartner eingeladen. Alle interreligiösen Dialog-Formate, zu denen die DBU beiträgt, sind dadurch charakterisiert, dass Vertreter verschiedener Religionsgemeinschaften zusammenkommen, um einen gleichberechtigten, respektvollen und zuweilen auch kritischen Meinungsaustausch zu pflegen.

Ziele dieses Austauschs sind gegenseitiges Kennenlernen, Vertrauensbildung und die gemeinsame Beteiligung an interreligiösen Projekten. In der Gesellschaft fördert der interreligiöse Dialog gegenseitiges Verständnis, Toleranz und den interkulturellen Austausch, weshalb er auch von säkularen Regierungsinstitutionen, wie Gemeindeverwaltungen, Landesregierungen oder Innen- und Außenministerium, begrüßt und unterstützt wird. Im Falle von gesellschaftlichen Konflikten im Zusammenhang mit religiösen Themen werden die im interreligiösen Dialog organisierten Personen oder Gremien immer öfter zu Partnern bei der gesellschaftlichen Konfliktbearbeitung bzw. -lösung.

Auch die DBU profitiert von diesem Prozess in mehrfacher Weise. Die buddhistische Lehre wird in einem positiven Zusammenhang in der breiteren Gesellschaft bekannt gemacht. Verbindungen und Beziehungen zu anderen gesellschaftlich relevanten Personen und Institutionen werden auf- und ausgebaut. Die DBU und andere buddhistische Organisationen erhalten dadurch in Deutschland Sichtbarkeit als gesellschaftlich engagierte Gruppen, die auch bereit sind, Verantwortung zu übernehmen. Dies fördert nicht zuletzt zumindest langfristig die Bestrebungen der DBU nach Anerkennung als Religionsgemeinschaft, sei es durch einen Staatsvertrag oder als Körperschaft des öffentlichen Rechtes.

Die Erfahrung im interreligiösen Dialog ist derzeit noch, dass die Buddhisten als Gesprächspartner gerne gesehen werden und dass auch erhebliches Interesse an einer Person als Buddhist besteht, dass es jedoch seltener zu einem vertieften Austausch über religiöse Fragen kommt. Hier scheint eine gewisse Distanz gegenüber dem Buddhismus als explizit nicht-theistischer Religion zu bestehen.

Auch in dem behördlichen Verfahren auf Verleihung des Status einer Körperschaft des öffentlichen Rechts, das aus unterschiedlichen Gründen schon seit Jahren anhängig ist, werden wir in Bezug auf unsere Praxis und unsere Vorstellungen von religiösem Leben im Prinzip an christlichen Vorstellungen gemessen.


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Für den Inhalt sind die Autor*innen des jeweiligen Beitrags verantwortlich.

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Autor

Martin Hage ist 60 Jahre alt, von Beruf Rechtsanwalt und seit etwa 25 Jahren praktizierender Buddhist. Gegenwärtig ist er Erster Vorsitzender der DBU e.V.

Kontakt: hage@dbu-brg.org


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