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Die Freiheitssphäre des Einzelnen
Die Pflicht, Menschen menschlich zu behandeln
Personenbezogene Daten im Kontext Sozialer Arbeit schützen – aber wie?
Datenschutz und Datensicherheit fangen mit der inneren Haltung dazu an
Autor
Redaktion
Die Freiheitssphäre des Einzelnen
Die Digitalisierung macht auch vor der Sozialen Arbeit nicht Halt. Auch hier wird mittlerweile – durch die Corona-Pandemie erheblich beschleunigt – mit zahlreichen digitalen Tools und Methoden gearbeitet; sei es mit Hilfe-Apps oder bei der Öffentlichkeitsarbeit (Stichwort: Social Media) oder internen Prozessen (Projektmanagement u. Ä.). Dass dabei, wie bei allen digitalen Anwendungen, jede Menge Daten produziert werden, ist ebenso klar wie der Umstand, dass der Sozialen Arbeit bzw. den in ihr Tätigen eine große Verantwortung beim Schutz von Datenmaterial zukommt. Doch hier entstehen Lücken, wie ein einfaches Praxisbeispiel zeigt.
Ein junger Mensch mit Drogenproblemen sucht über einen Browser das Kontaktbüro von Sozialarbeitenden auf. Dort findet ein (professionelles) Gespräch statt. Im Raum befinden sich mehrere Geräte, die über Apps mit Ortungserlaubnis verfügen. Das Handy des jungen Menschen sendet seinen Standort an den Internet-Provider, und die Handys und PCs der Sozialarbeitenden geben ihren Standort über den Browser ebenfalls bekannt. Wenn nun die Sozialarbeitenden während ihrer Beratungstätigkeit das Internet benutzen, können die dabei produzierten Daten und Informationen (beispielsweise Standorte und Suchbegriffe) im Grunde beliebig verknüpft werden. So kann das virtuelle Profil des jungen Menschen »erweitert« werden und ihm bei einer möglichen Fehlverknüpfung einzelner Datenspuren in ganz anderen Situationen (Wohnungssuche, Kreditanfragen, Online-Einkäufe usw.) schaden. Sein Recht auf informationelle Selbstbestimmung kann also, ohne dass einer der beteiligten Sozialarbeitenden irgendeine schlechte Absicht gehabt hätte, relativ leicht verletzt werden.
Hierbei handelt es sich keineswegs um einen »Kavaliersdelikt« oder eine Petitesse. Die rechtliche Situation beim Schutz von Menschen- und Bürgerrechten ist ganz klar und eindeutig. Als das Bundesverfassungsgericht 1983 im Zusammenhang mit dem so genannten Volkszählungsurteil das Recht auf informationelle Selbstbestimmung erstmals formulierte, bezog es sich dabei explizit auf die Grundrechte, die im Grundgesetz formuliert sind und die ihrerseits auf die Menschenrechte zurückzuführen sind.
Dort heißt es in Artikel 12 (Freiheitssphäre des Einzelnen):
»Niemand darf willkürlichen Eingriffen in das eigene Privatleben, die eigene Familie, die eigene Wohnung und den eigenen Schriftverkehr oder Beeinträchtigungen der eigenen Ehre und des eigenen Rufes ausgesetzt werden. Jeder Mensch hat Anspruch auf rechtlichen Schutz gegen solche Eingriffe oder Beeinträchtigungen.«
vgl. Allgemeine Erklärung der Menschenrechte
Die Pflicht, Menschen menschlich zu behandeln
Das InterAction Council hat 1997 die Erklärung der Menschenpflichten als Ergänzung zur Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte den Vereinten Nationen (UNO) und der Weltöffentlichkeit zur Diskussion vorgelegt. Sie beschreibt Pflichten, die von jedem Menschen einzuhalten sind, um die Menschenrechte zu gewährleisten. Artikel 1 aus den fundamentalen Prinzipien für Humanität lautet wie folgt:
»Jede Person, gleich welchen Geschlechts, welcher ethnischen Herkunft, welchen sozialen Status, welcher politischer Überzeugung, welcher Sprache, welchen Alters, welcher Nationalität oder Religion hat die Pflicht, alle Menschen menschlich zu behandeln.«
vgl. Allgemeine Erklärung der Menschenpflichten
Die Soziale Arbeit kann hier mit ihrem bisherigen Identitätsverständnis einen praktischen Bezug finden und hat in ihrer Grundsatzerklärung der Internationalen Föderation der Sozialarbeiter eine eigene Interpretation der Menschenrechte formuliert, die sich auch mit der praktischen Ausgestaltung der Menschenrechte innerhalb der Menschenpflichten verbindet. So heißt es dort: »Der Beruf der Sozialarbeit übernimmt seinen Teil der Verantwortung dafür, gegen Menschenrechtsverletzungen vorzugehen und diese zu beseitigen. Sozialarbeiter müssen diese Verantwortung in ihrer Praxis bei Einzelpersonen, Gruppen und Gemeinschaften, in ihrer Rolle als Vertreter von Ämtern oder Organisationen sowie als Bürger einer Nation und der Welt wahrnehmen.«
vgl. Geschichte der Menschenrechte
Personenbezogene Daten im Kontext Sozialer Arbeit schützen – aber wie?
Daraus folgt ein expliziter Auftrag für die Grundlagen Sozialer Arbeit, der sich in den praktischen Tätigkeiten der Sozialarbeitenden niederschlagen muss, wenn damit eine ernsthafte Bedeutung verbunden sein soll. Die praktische Ausgestaltung – von der Haltung zu Menschenrechten bis hin zur täglichen Praxis – stellt daher eine Herausforderung in der methodischen Arbeit mit betroffenen Menschen dar. Die Frage, wie sich personenbezogene Daten im Kontext Sozialer Arbeit so gut wie möglich schützen lassen bzw. wie eine unzulässige Verbreitung solcher Daten oder gar ihr Verkauf aktiv verhindert werden kann, steht daher aktuell auf der Tagesordnung.
Nun hat bekanntlich die Veränderung der Gesellschaft (Prozessen und Handlungen) durch weltweit vernetzte Entwicklungen an Geschwindigkeit gewonnen und führt zu Verunsicherungen auch in der Praxis Sozialer Arbeit. Haltungs- und Handlungsvorschriften können hierbei die Grundlage für die weitere Ausgestaltung der Arbeit sein und geben einen individuellen Handlungsrahmen für den Umgang mit moralischen Konflikten. Soziale Arbeit agiert in allen Gebieten gesellschaftlicher Veränderung und hat damit eine Seismographen-Funktion innerhalb des Systems von Gesellschaft. Professionelle Soziale Arbeit ist essentieller Bestandteil der Gesellschaft und hat die Pflicht, durch ihre Arbeit die Beachtung der individuellen Grundrechte durch ihre Expertise und Erfahrung zu gewährleisten und dies auch in Politik und Gesellschaft zu transportieren.
Datenschutz und Datensicherheit fangen mit der inneren Haltung dazu an
Was braucht also die Soziale Arbeit aktuell im Kontext von Datenschutz und Datensicherheit? Zunächst vor allem eine innere Haltung. Es kommt auf jede*n selber an. Mittlerweile gibt es genug Beispiele, wie datensichere Kommunikation gelingen kann, und jede Person ist selbst aus einer inneren Haltung heraus verantwortlich, Programme und Tools zu erproben und zu verwenden, welche die Daten der uns anvertrauten Personen nicht weitergeben. Nur zu warten, bis eine Vorgabe die andere ablöst, bringt uns nicht voran.
Sozialarbeitende sind bei ihrer Arbeit auf das Vertrauen ihrer Adressat*innen unbedingt angewiesen. Sie sind schon deshalb dazu verpflichtet, sich mit den Datenspuren, die in der Arbeit generiert werden, zu beschäftigen und vor allem personenbezogene Daten vor Missbrauch zu schützen. Dies bedeutet, von vornherein auch darauf zu achten, so wenig Daten wie möglich zu produzieren und offen zu legen. Sozialarbeitende brauchen Zeit, Anspruch und Interesse, die verschiedenen Wege der Datenverarbeitung zu durchblicken und geeignete Anwendungen zu benutzen, die den Datenmissbrauch verhindern.
Ein Dienst für das Smartphone beispielsweise kann so konfiguriert werden, dass nur wenige Daten produziert und für Werbe- oder sonstige fremde Zwecke weitergereicht werden können. Der einzige Haken dabei oft: Es muss nur gemacht werden! Dass ein Raum für Einzelgespräche in einer Einrichtung so gebaut ist, dass von außen nicht mitgehört werden kann, ist selbstverständlich. Und genau diese Selbstverständlichkeit ist eben auch bei Gesprächen oder Nachrichten über digitale Medien notwendig.
Ähnliches gilt auch für die Nutzung von Nachrichtendiensten. Die Erfahrung zeigt, dass Adressat*innen durchaus bereit sind, Apps (zum sicheren Kommunikationsverkehr) zu installieren, wenn damit die Unterstützung der Sozialarbeiten gewährleistet wird. Sozialarbeitende brauchen auch Videokonferenz- und Austauschtools, über welche die Daten und Diskussionen mit den Adressat*innen nicht weitergegeben werden und die über lokale (zumindest europäische) Server funktionieren und nur das wirklich Funktionsnotwendige speichern. Die Bereitstellung von Internetverbindungen in Einrichtungen der Sozialen Arbeit ist inzwischen über gute VPN-Knoten möglich und kann über die Sachkosten der Einrichtung ermöglicht werden. Auch die Organisation der Sozialen Arbeit im Rahmen von Abstimmungsprozessen im Team sowie der Dokumentation der Arbeit gegenüber Fördermittelgebern ist eine datenverursachende Arbeit. Diese kann über geeignete Plattformen organisiert werden, die nur wenige oder keine Übermittlung von sensiblen Daten verursachen.
Beitrag im Newsletter Nr. 11 vom 3.6.2021
Für den Inhalt sind die Autor*innen des jeweiligen Beitrags verantwortlich.
Autor
Kai Fritzsche ist Fachreferent für Digitalisierung und Soziale Arbeit, seit 19 Jahren in der Sozialen Arbeit unterwegs und beschäftigt sich intensiv mit Digitalisierung und Sozialer Arbeit. Er ist derzeit unter anderem Landesvorsitzender Sächsische Landjugend und Fachreferent Digitalisierung rediak concept.
Kontakt: concept@rediak.de
Zur Website von rediak concept
Zur Website Eid der Sozialen Arbeit
Redaktion
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