Beitrag im Newsletter Nr. 11 vom 4.6.2020

Krisen-Governance etablieren! Wie wir gemeinsam Corona meistern.

Dr. Raban Daniel Fuhrmann

Inhalt

Krisen-Governance etablieren! Wie wir gemeinsam Corona meistern.
1. Reaktive Vorbereitung
2. Proaktive Kommunikation
3. Kreative Koordination
4. Co-kreative Kollaboration
Krisen-Governance etablieren und institutionalisieren
Endnoten
Autor
Redaktion

Krisen-Governance etablieren! Wie wir gemeinsam Corona meistern.

In der Krise zeigen wir unser wahres Gesicht – dies gilt auch für Institutionen und Staaten. Regierungen allerorten tun in der momentanen Corona-Krise, was sie am besten können: Sie greifen durch. Doch reicht dieser direktive Interventionsstil der weitreichenden Einschränkungen, um Ausmaß und Impakt der Krise wirklich zu meistern - also nicht nur zu bändigen, sondern zu besiegen? Wie kann vielmehr die ganze Gesellschaft – nicht nur das Gesundheitssystem – zur Höchstform auflaufen? Denn in der Krise zeigen wir auch, was in uns steckt. Wie stark muss mehr Demokratie und Partizipation Teil der Lösung sein? Hochkomplexe Krisen, wie Corona, überfordern die üblichen Routinen und Zuständigen. Deshalb verlangen sie nach ungewohnten Koalitionen und innovativen Wegen. Um diese zu finden und umzusetzen, müssen wir das co-kreative Potential unserer Gesellschaft wecken und bündeln. Wie kann dies gelingen? Welche Möglichkeiten stehen uns dafür zur Verfügung? Genau darum kümmert sich die »Krisen-Governance«: Wie wir unter Druck gute, nachhaltige und angemessene Entscheidungen treffen, Lösungen erarbeiten und gemeinsam implementieren. Folgend ein erster Einblick in die vier grundlegenden Modi von Krisen-Governance[1]:

1. Reaktive Vorbereitung

Die Krise beginnt mit ihrer Ausrufung. Diese sollte kämpferisch, ehrlich und frühzeitig erfolgen. Hier zeigt sich, was die Führung sich und dem Gemeinwesen zutraut. Wie diese Einstimmung erfolgt, entscheidet ob das Gemeinwesen geordnet den Krisenmodus hochfährt und ihre Kräfte aktiviert und bündelt. Der erste Schritt ist darum ein umfassender »Fitness-Check« in Bezug auf die zu erwartenden Turbulenzen: Wo wird es wohl eng werden (Material, Personal, Tests ...), und wann/wo ist mit Überraschungen zu rechnen?

2. Proaktive Kommunikation

Die eigentliche Krisen-Governance beginnt dann, wenn aus diesem noch reaktiven, in einen proaktiven Modus hochgeschaltet wird. Wie einbeziehend, zutrauend, zumutend wird kommuniziert? Gerade in dynaxen Bedrohungslagen besteht nicht nur ein großer Aufklärungsbedarf, sondern drohen auch Verunsicherung und Verzagtheit. Eine laufende, ehrliche, transparente und verständnisvolle Kommunikations- und Informationspolitik ist darum unabdingbar. Zudem muss auch vorsorgend auf Falschinformationen, Gerüchte und Verschwörungstheorien eingegangen werden. Umfassende und transparente Aufklärung über die aufkommenden Konsequenzen und den Stand der Vorbereitungen sind essenziell: So weiß die Gesellschaft, woran sie ist, kann an den richtigen Stellen unterstützen und auch anerkennen, was bereits von offizieller Seite erfolgt.

3. Kreative Koordination

Komplexe Krisen brauchen komplexe Lösungen, die ungewöhnliche Instrumente beinhalten und heterogene Koalitionen erfordern. Die gezielte Koordination der Lösungsideen und des Potentials von zig Millionen Menschen und Institutionen braucht eine strategische Anleitung. Allerdings stößt eine direktive Einsatzsteuerung gerade bei fluiden, dynaxen und disruptiven Krisen sowie bei co-kreativen und kollaborativen Lösungsprozessen an ihre Grenzen. Es braucht deshalb eine übergeordnete Koordinierungsstelle der Krisen-Governance, die mit agilen Methoden [2] die Kräfte bündelt und erfolgreiche Ansätze und Beispiele weiterverbreitet. Diese Meta-Koordination stellt keine direktive Leitung dar, sondern eine dirigierende und arrangierende. Denn das Beste in den Menschen wird geweckt nicht durch Befehl, sondern durch Beteiligung.

4. Co-kreative Kollaboration

Ein umfassendes Entfachen des enormen Potentials an Co-intelligenz und Co-Kreativität gelingt darum nur intrinsisch motiviert – sie wird nur freiwillig gegeben und kann nicht befohlen werden. Solch ein partizipativer und inklusiver Governance-Stil zeichnet sich durch ein Umarmen von Komplexität – also von Individualität, Differenz und Identität – sowie durch echte Augenhöhe aus. Der Weg aus der Krise muss also ein umfassend demokratischer sein. Denn gerade bei COVID-19 Maßnahmen müssen ja alle – und sei es nur durch Einhalten der Sicherheitsabstände – mitmachen. Aber in jedem von uns steckt noch viel mehr Krisenlösungsbeitrag: Mehr Bürgerbeteiligung weist uns den besten und nachhaltigsten Weg aus der Corona-Krise: Offene und repräsentative Resonanz- und Beratungsräume, die die anstehenden Entscheidungen ganzheitlich erweitern und fundieren, erhöhen die Qualität von Entscheidungen und Maßnahmen und stärken die Akzeptanz von einschneidenden und riskanten staatlichen Maßnahmen. Methoden dazu gibt es genug, hier einige Beispiele (die natürlich entsprechend angepasst und digitalisiert werden müssten):

  • Plan-Ahead Teams stammen aus der Beratungswelt, könnten jedoch für gesellschaftlich-politische Krisen gut weiterentwickelt werden: Neben den akuten Krisenbearbeitungsstäben werden zusätzliche, herausforderungsspezifische Antizipationsbeiräte eingerichtet, die schon 2-3 Schritte weiterdenken. So kann der Horizont nicht nur zeitlich, sondern auch sektoral und disziplinär geöffnet werden, denn die Zusammensetzung dieser Teams wäre bewusst sehr breit und bunt, inkl. Querdenkern, Kritikern und »Spinnern«.
  • Krisenräte könnten als Beratungsbeiräte allen Exekutivorganen - von Kommune bis zur EU – beim Abwägen schwerwiegender und Entscheiden folgenreicher Maßnahmen an die Seite gestellt werden: Als ständige Reflexions- und Resonanzgremien beraten 16 Menschen, die per Zufall ausgewählt wurden und rollierend ausgetauscht werden, für je eine Woche, Politik und Verwaltung bei kritischen Fragen – und zwar schnell, neutral und informiert! Dadurch wird nicht nur die Qualität der Entscheidungen und Maßnahmen erhöht, sondern auch Vertrauen und Akzeptanz in diese gestärkt. Die endgültige Entscheidung liegt weiterhin bei den gewählten Zuständigen, allerdings verpflichten sich diese, alle wesentlichen Fragen diesem Gremium vorzulegen und dessen Empfehlungen beim Entscheiden mit einzubeziehen. [3]
  • HausParlamente ermöglichen eine sehr breite, niedrigschwellige und gezielte Beratung durch zig-Tausende. Akute Fragen der Politik werden von einer neutralen Stelle in digitalen Unterlagen so aufbereitet, dass jede*r interessierte Einwohner*in die zur Entscheidung anstehende Problematik verstehen und bearbeiten kann. Doch man beantwortet diese Frage nicht allein, sondern trifft sich dazu mit anderen - digital oder real (Zuhause, in der Schule, am Arbeitsplatz ... egal wo). Diese zusammengefassten Empfehlungen von tausenden von Hausparlamenten dienen dann dem politischen Auftraggeber als Bürgerforum beim Abwägen. Auch hier können schnell und differenziert konkret Rückmeldungen eingeholt werden. [4]

Krisen-Governance etablieren und institutionalisieren

Dies sind nur einige von vielen bereits entwickelten und noch viel mehr möglichen Verfahren, die dabei helfen können, dass auch unter erschwerten Krisenbedingungen mit Partizipation das co-kreative Potential erschlossen und schwerwiegende Entscheidungen breiter abgesichert werden können. Um diese Fülle an passenden Formaten zu nutzen, neue in Auftrag zu geben oder weiter anzupassen, braucht es Expertise und dafür verantwortliche (staatliche) Stellen. Darüber hinaus braucht es eine generelle, umfassende Beschäftigung mit dem Thema der Demokratieentwicklung, die sich darum kümmert, dass ebensolche Methoden entwickelt und eingesetzt werden, damit unsere demokratischen Prozesse sowohl in als auch nach der (sowie vor der nächsten) Krise besser laufen. Nach der Krise ist vor der Krise: Denn das Krisenbewältigungspotential unserer Demokratien wurde zuletzt immer mehr als ungenügend eingestuft – nicht nur von der Fridays-for-Future-Generation. Die Etablierung einer kontinuierlichen Demokratieentwicklung im Sinne einer Lernenden Demokratie ist darum nicht nur in dieser Krise eine Kernaufgabe, sondern wird zum nachhaltigen Meistern der Corona-Krise und all ihrer Nachwirkungen und Verwerfungen unabkömmlich. Wenn wir uns darum jetzt nicht kümmern, dass bei der aktuellen Krisenbewältigung vielseitige Positionen eingebunden, neue Ideen gefördert und entwickelt, also das co-kreative Potential entfaltet und die Akzeptanz der staatlichen Maßnahmen gesteigert werden, dann sind langfristig-nachwirkende Folgeschäden für Gesellschaft, Politik und Wirtschaft zu befürchten. Wenn wir als Demokratie in die Krise gehen, dann lasst uns diese auch mit den Stärken einer Demokratie meistern, also mit professionell organisierter Beteiligung und Beratung, die uns hilft die Corona- und Folgekrisen zu bewältigen; damit zukünftige Generationen von 2020 als einem Wende- und Aufbruchjahr reden werden, in der wir nicht nur gemeinsam Corona bewältigt haben, sondern in der wir insgesamt »die Kurve gekriegt« haben, sodass wir gelernt haben, gemeinsam die kleinen und großen Krisen der Menschheit, co-kreativ, zu meistern.


Endnoten

  1. Eine ausführlichere Fassung erscheint in vhw FWS/3-20, herunterzuladen unter www.lernende-demokratie.de
  2. In den letzten Jahren hat sich eine ganze Fülle solcher agilen und achtsamen, fluiden und systemischen Prozessgestaltungsansätzen insbesondere in der Organisations- und Führungsentwicklung etabliert. Beispiele sind neben Scrum und anderen agilen Methoden, auch achtsamkeitsbasierte Ansätze, wie Theory-U, Mindful Leadership oder Genuine Contact
  3. Dieses Modell wird gerade von der Akademie Lernende Demokratie und anderen Akteuren aus der Demokratieentwicklungsszene ausgearbeitet. Weitere Informationen unter: www.lernende-demokratie.de
  4. Diese Methode wurde vom Autor mit OpenPetition digital aufgesetzt, sodass sie ab Sommer von der kommunalen bis zur europäischen Ebene nutzbar sein wird: Einen Einblick aus einem Vorlauf: www.hausparlamente.de.

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Für den Inhalt sind die Autor*innen des jeweiligen Beitrags verantwortlich.

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Dr. Raban Daniel Fuhrmann ist Organisations- und Demokratieentwickler (ReformAgentur Konstanz), Verfahrensforscher und -designer (Procedere Verbund und Akademie Lernenden Demokratie, Köln) und Dozent und Programmentwickler (Universität Tübingen, CVJM-Hochschule und Intersectorale School of Governance DHBW).

Weitere Informationen:

Kontakt: [fuhrmann@democracy-international.org](mailto: fuhrmann@democracy-international.org)


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