»Und es hat Zoom gemacht… « – oder digitaler Turbo trifft analoge Bedürfnisse: Frewilligendienste in der Pandemie von Frühling 2020 - Früjahr 2021
Rainer Hub
Inhalt
Neue digitale Wirklichkeit
Digital bei zoom – oder doch lieber analoger Maskenball
Gestern sinnlos, heute Pflicht– oder Deutschland näht(e)
Impfen ist der Weg aus der Pandemie– oder Ausgang offen
»Rucki-zucki …« – oder keine üblich närrische Zeit
Orientierungsjahr wäre schön – oder lernen mit Körperkontakt
Brave New World – or BBB (Build it Back Better)
Autor
Redaktion
Neue digitale Wirklichkeit
Pandemie hier, digital da – »Die Welt wird von den Füßen auf den Kopf gestellt«: in der Welt der nationalen wie internationalen Freiwilligendienste waren Anfang März 2020 digitale Bewerbungen und Seminartage noch undenkbar. Zwischen Ostern und Pfingsten dann holprig: Welcher Videoanbieter darf´s denn sein? Die neue Wirklichkeit ist seit dem Freiwilligenjahrgang 2020/21 schon »kleine Routine«. Nun meist per zoom, mitunter mit ausgeschalteter Kamera – Seminartage in FWD gehen zur Not essend und trinkend vom Bett aus. Beachte: Thema mit Variation: Mütter im Windschatten der Kamera »mutieren« mitunter als »stille Teilhaberinnen«.
Digital bei zoom – oder doch lieber analoger Maskenball
Wobei: Was Freiwillige, Einsatzstellen, Träger und Partnerorganisationen (mit all ihren Mitarbeiter*innen) seit über einem (!) Jahr leisten ist enorm! Nie war »Bildungsjahr« so gemeint, wie es nun funktioniert, weil es der winzig kleine, noch immer junge Erdbewohner Namens COVID-19 allen abverlangt. Den Internationalen natürlich noch deutlicher als den Inlandsdiensten, zumal viele, die nicht ins Ausland konnten, im Inland eine Einsatzstelle wollten.
Über den Sommer 2020 war kurz die Hoffnung da, »jetzt wieder Seminare mit leibhaftigen Begegnungen« (mitunter als »Maskenbälle«) durchführen zu können – um »über Nacht« vom Herbst 2020 bis Sommer 2021 alles wieder »zurück zu zoomen«.
Und jetzt: Wer darf eigentlich womöglich ab dem Jahrgang 2021/22 ab dem Frühherbst einen Freiwilligendienst machen? »Bist Du eigentlich geimpft?« oder »Kannst Du wenigstens einen Schnelltest vorweisen?« Wie werden die Einsatzstellen und Träger mit der Herausforderung umgehen Freiwillige in Dienst zu nehme?
Ganz zu schweigen von den Herausforderungen Internationaler Dienstformate: womöglich geimpft, aber wie sind denn gerade die Ein- und Ausreiseregelungen inkl. ständig sich ändernder Quarantänebestimmungen? EU-Mitglied? Oder noch Europa? »Weltwärts« nach Afrika, Asien oder Südamerika? Na bravo!
Gestern sinnlos, heute Pflicht– oder Deutschland näht(e)
Bekommt nun eigentlich jede*r Freiwillige am Willkommenstag FFP2 Masken? Und wie viele (zum täglich wechseln – bitte aber nicht die eine Freiwillige mit dem anderen Freiwilligen)?
Entsprechend markiert könnten von Montag bis Sonntag sieben Stück reichen; einen Tag tragen, mehrere Tage auslüften lassen – außer in Bad, Toilette und Küche. Aber wie sieht das dann bei den Freiwilligen zuhause mit entsprechend langen Wäscheleinen aus? Und bitte nicht gemäß Waschgang »Buntes« alle von Allen gleichzeitig in den Backofen (Merke: wie bei der Tiefkühlpizza vorher die Einschweißhülle entfernen)!
Welch pädagogisch schöne Herausforderung war das doch im Herbst 2020. Nachdem die Verkäuferin im Stoff- und Bastelbedarfsladen auf ihre Nachfrage »25, so viele?« von der jungen Seminarpädagogin zur Antwort »na für jede/n eine?« bekam, um sodann am Kennenlerntag Stoffmasken zu nähen (Stichwort Gruppendynamik bzgl. 3 Nähmaschinen bei 12 / 13 Teilnehmer*innen) und sie individuell optisch zu gestalten (im Zweifel auch, um sie im Duschraum des Tagungshauses wieder zu finden). Tja, »kleine Schwarze«, »elegante Weiße« oder »kreativ Bunte«, das war mal.
Zum Glück lieben Seminarpädagog*innen Herausforderungen und »hirnen« darüber genauso gerne wie dem neusten digitalen Schrei hinterherzuhecheln. Eben gerade »Padlet« angeeignet, »Screenshot« statt Teilnehmer*innenliste zum Einsatz gebracht, kommen schon »Slido« oder »Prezi« um die Ecke; es »wonder.me« nix mehr.
Impfen ist der Weg aus der Pandemie– oder Ausgang offen
Nervig im 1. Quartal 2021 auch das Impfprozedere bzw. dessen Kommunikationsmanagement. Gut zwar, dass Freiwillige in ihren Einsatzstellen adäquat gemäß zu dem sonstigen Personal geimpft werden sollen Jedoch wurden sie schon von der zuständigen Ministerin angeschrieben, bitte statt in ihrer Einsatzstelle ihre »Bürgerpflicht« in einem Impfzentrum zu verrichten (sinnvoll oder Beleg dafür, wie »krank« unser Gesundheitssystem »gesund gespart« ist?) – zumal um dort dann in »gähnend leeren Messehallen« erfolglos auf die entsprechenden »Impflinge« (welch Wort für Menschen über 80 Jahre) zu warten, die mangels Impfstoff b. a. W. zu wenig / keine Termine bekommen.
»Rucki-zucki …« – oder keine üblich närrische Zeit
Vor 18 Monaten, kaum ein Mensch hätte das Wort »Pandemie« gemäß Brockhaus (äh Wikipedia) deuten können, wurde im BBE-Newsletter zu Freiwilligendiensten gefragt: »Wo sehen Sie die Freiwilligendienste in fünf Jahren?« Antwort: »So eine langfristige Planungssicherheit kennt man bei den Freiwilligendiensten nicht. Stets gibt es Entwicklungen und Neuerungen. Meist wird Vorschlägen und Forderungen jahrelang nicht nachgekommen, dann passiert etwas und man erinnert sich der bewährten Freiwilligendienste – ›schon‹ geht ein Ruck durch das Land.«
Auch jetzt keine Planungssicherheit, jedoch kam alles anders: Der »Ruck« wurde zum »digitalen Turbobeschleuniger« (was nicht heißt, dass es nicht zeitgleich analoge Leerläufe gäbe). ABER: Sowohl die Freiwilligen (»Ich fühle mich verlassen …«) als auch das in den Freiwilligendiensten tätige Personal wünschen sich vermehrt menschliche Begegnungen und soziale Lernpotentiale (»Ich vermisse die Menschen…«) im Alltag der Einsatzstellen und bei den Seminaren in Bildungshäusern in Form von Stuhlkreisen und anderen Formaten zurück. Die Sehnsucht auf eine analoge Seminarabschlusswoche im Juni ist allseits spürbar – könnte aber enttäuscht werden …
Orientierungsjahr wäre schön – oder lernen mit Körperkontakt
Die Teilnahme an einem FWD als »Orientierungsjahr« war im Jahrgang 2020/21 eher überschaubar: »Meinem Wunsch in einen Sozial- bzw. Pflegeberuf oder theologische Praxis (Diakon*in / Pfarrer*in) Einblicke zu bekommen, bin ich kaum nähergekommen.« Und doch: Die Freiwilligen sind froh / zufrieden, dass sie inkl. analogem (!) Teilzeitalltag in der Dienststelle wenigstens »so« einen FWD absolvieren können, als vorher in der Schule und ab Herbst an der Uni »nur vor der Kiste zu hängen«. Der zunehmende Wunsch, den Freiwilligendienst 6-12 Monate zu verlängern, scheint ein Beleg dieser Tendenz.
Brave New World – or BBB (Build it Back Better)
Wohin wird sich die »schöne neue Welt der Freiwilligendienste« weiterentwickeln? Welche digitalen Neuerungen gilt es zu wahren, welche kritisch zu prüfen und zu verwerfen? Was geht – auf Sicht – zur Not, macht – auf Strecke – aber eher wenig Sinn? Für welches Problem ist digital die beste Lösung? Fragen über Fragen …
Nicht für emotionale, soziale, unmittelbare und echte Begegnungen von Mensch zu Mensch: Tausend Mal berührt, tausend Mal ist nix passiert, tausend und eine Nacht – und es hat BOOM gemacht – von ZOOM war nie die Rede. Der Vorhang fällt und NICHT alle Fragen offen!
PS: Mag es in der »Jahrhundertkrise« (es sind erst zwei Jahrzehnte vorüber während einer weit schlimmeren Klimakatastrophe) hie und da Pandemieprofiteure geben – Pandemiegewinner*innen gibt es bei regional bis zu 100% mehr Verstorbenen und einer 10-fachen Steigerung an Suiziden als statistisch üblich sowie nach allem Homeschooling etc. und vielfach noch anstehenden Insolvenzen gesellschaftlich KEINE.
Beitrag im Newsletter Nr. 12 vom 17.6.2021
Für den Inhalt sind die Autor*innen des jeweiligen Beitrags verantwortlich.
Autor
Rainer Hub ist zuständig für freiwilliges soziales Engagement und Freiwilligendienste bei der Diakonie Deutschland und Sprecher der BBE-AG Freiwilligendienste.
Kontakt: rainer.hub@diakonie.de
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