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Aktuelle Entscheidungspraxis über Gemeinnützigkeit
Rechtssicherheit für Alle statt politischem Druck auf Einzelne
Corona und Gemeinnützigkeit
Autorin
Redaktion
Seit der Bundesfinanzhof der Organisation attac im Frühjahr 2019 den Status der Gemeinnützigkeit aberkannte, besteht bei zahlreichen gemeinnützigen Organisationen Unsicherheit über ihren steuerrechtlichen Status. Der Grund dafür findet sich in der Urteilsbegründung des BFH. Hier heißt es, dass eine Tätigkeit, die darauf abzielt, die politische Willensbildung und die öffentliche Meinung im Sinne eigener Auffassungen zu beeinflussen, nicht als gemeinnützig gilt. Doch wo liegt die Grenze zwischen allgemeinpolitischen Äußerungen zum Alltagsgeschäft und gemeinnütziger Tätigkeit entlang der definierten Ziele einer Organisation?
Diese Entscheidung obliegt der Finanzverwaltung, die nach dem attac-Urteil aber zurecht auf eine Gesetzreform wartet, um ihrer Pflicht zur Entscheidung weiterhin auf stabiler Grundlage nachkommen zu können.
Von der Bundesregierung und der sie im Parlament tragenden Koalition ist seit Monaten nichts zu hören. Der zuständige Bundesfinanzminister Olaf Scholz versprach viel – vor allem während der Zeit, als er in Personalunion als Finanzminister und Kandidat für den SPD Parteivorsitz auftrat – bleibt aber bis heute einen Vorschlag zur Reform der für die Lösung der Frage maßgeblichen Abgabenordnung schuldig.
Tragisch – denn gerade in Zeiten, in denen die Gesellschaft große Belastungen und Umbrüche zu bewältigen hat, ist eine vitale, gut organisierte Zivilgesellschaft wichtiger denn je. Gilt ehrenamtliches und zivilgesellschaftliches Engagement doch als ein Grundpfeiler eines liberalen, pluralen und demokratischen Rechtsstaats. Die staatliche Förderung über Steuerprivilegien ist nicht mehr als ein angemessenes Zugeständnis an dieses wichtige gesellschaftliche Engagement. In der Folge des attac-Urteils ist gesetzgeberisches Handeln daher überfällig, um diese Säule unserer Gesellschaft zu stärken.
Aktuelle Entscheidungspraxis über Gemeinnützigkeit
Dabei ist die Frage maßgeblich, wie der Steuergesetzgeber und die Finanzverwaltung politische Aktivitäten gemeinnütziger Organisationen beurteilen sollen. Die Antwort darauf erfordert eine verfassungspolitische Betrachtung. Die Abgabenordnung setzt solche Wertungen um, bietet aber selbst keine Wertentscheidungen an. Die enge Auslegung des Zwecks der »allgemeinen Förderung des demokratischen Staatswesens« durch den Bundesfinanzhof wirft für drei Gruppen von Organisationen die Frage auf, ob sie ihre Tätigkeit wie bisher fortführen können: Für Organisationen, die sich auf einen gemeinnützigen Zweck berufen, aber nicht mehr abschätzen können, wie viel tagespolitische Einmischung künftig ein Risiko für die Gemeinnützigkeit ist. Für Organisationen, die sich auf einen gemeinnützigen Zweck berufen, sich aber politisch zu anderen Themen äußern. Und für Vereine, die sich bei einer Vielfalt von Themen an der politischen Willensbildung beteiligen. Der Gesetzgeber muss die Frage beantworten, ob er hier eine liberalisierende Klarstellung will, die den Spielraum der politischen Betätigung sichert.
Verfassungsrechtlicher Ausgangspunkt sind das Recht der Parteien auf Chancengleichheit und das Recht des Bürgers auf Teilhabe an der politischen Willensbildung. Daraus folgen Transparenzpflichten für die Finanzierung der Parteien, ebenso wie Grenzen für Steuervorteile aus Zuwendungen an Parteien, teilweise auch Zuwendungsverbote. Die steuerliche Behandlung von Berufs- und Wirtschaftsverbänden und gemeinnützigen Organisationen darf nicht zu einer Umgehung dieser Regelungen führen. Das Gemeinnützigkeitsrecht muss so reformiert werden, dass eine Umgehung der Regeln für die Parteien durch Zwischenschaltung angeblich gemeinnütziger Organisationen verhindert wird. Auf der anderen Seite ist die Vereinigungsfreiheit ein Grundrecht. Das Grundgesetz räumt Parteien die Mitwirkung an der politischen Willensbildung ein, aber kein Monopol darauf. Es gibt einen Satz im attac-Urteil, der das nicht ausreichend würdigt: »Zudem ist es rechtsfehlerhaft, aus dem Verbot einer parteipolitischen Betätigung auf die Zulässigkeit anderer politischer Betätigungen zu schließen.« Umgekehrt wird ein Schuh daraus: Die Unzulässigkeit oder Beschränkung politischer Betätigung ist rechtfertigungsbedürftig. Nicht ihre Zulässigkeit.
Bei Berufs- und Wirtschaftsverbänden hinterfragen wir eine tagespolitische Einflussnahme nicht und räumen ihnen unabhängig davon Steuervorteile ein. Das Recht des Bürgers auf gleiche Teilhabe an der politischen Willensbildung gebietet es, Organisationen nicht steuerrechtlich unterschiedlich zu behandeln, je nachdem, ob sie sich für die Interessen einer Branche oder für ein allgemeines Ziel wie Umwelt- oder Brandschutz einsetzen. Deshalb sollte der Gesetzgeber klarstellen, dass tagespolitische Einflussnahme von gemeinnützigen Verbänden im Rahmen der Verfolgung ihres Zwecks zulässig ist, soweit die parteipolitische Neutralität gewahrt wird und die Mittelverwendung nicht die Regelungen zur Parteienfinanzierung umgeht. Er sollte weiterhin klarstellen, dass gelegentliche Betätigung außerhalb des gemeinnützigen Zwecks zur selbstlosen Förderung des demokratischen Staatswesens oder anderer gemeinnütziger Zwecke für die Gemeinnützigkeit unschädlich ist. Und er sollte diskutieren, wie Rechtssicherheit für Organisationen wie den Bund der Steuerzahler geschaffen werden kann, die sich breit in politische Debatten einmischen.
Wir Grüne wollen, dass grundsätzlich auch die Einflussnahme auf die politische Willensbildung zu gemeinnützigen Zwecken erfolgen darf. Hierfür braucht es eine Modernisierung der Abgabenordnung sowie klare und eindeutige Regelungen, dass die Förderung des demokratischen Staatswesens definitiv gemeinnützig ist.
Außerdem muss der Gesetzgeber das Verhältnis zwischen parteipolitischer Betätigung und politischer Willensbildung klar trennen. Aus dem Urteil des Bundesfinanzhofs geht hervor, dass die Einflussnahme auf die politische Willensbildung und der Gestaltung der öffentlichen Meinung nicht zu einer Steuerbegünstigung gemäß der Abgabenordnung führen könne, da den Organisationen das allgemeinpolitische Mandat fehle. Verwiesen wurde auf den in der Abgabenordnung enthaltenen Katalog an Tätigkeiten, dessen Erfüllung den Status der Gemeinnützigkeit bedingen. Diese Grenze ist zu eng gezogen. Es braucht Kritik aus der Zivilgesellschaft, um demokratische Debatten zu begleiten. Tagespolitische Einflussnahme durch gemeinnützige Organisationen muss somit möglich sein, sofern dies parteipolitisch neutral geschieht und Regelungen zur Parteienfinanzierung nicht umgangen werden.
Gleichzeitig ist erforderlich, dass gemeinnützige Organisationen transparenter werden. Sie nutzen ein Steuerprivileg mit der Begründung, das Allgemeinwohl zu fördern. Ein extensives Verständnis des Steuergeheimnisses, mit dem teilweise sogar die Veröffentlichung von Gerichtsentscheidungen über die Gemeinnützigkeit von Organisationen abgelehnt wird, ist hier nicht zu rechtfertigen. Ein bundesweites, öffentlich zugängliches Gemeinnützigkeitsregister würde zunächst einen Überblick schaffen, welche Körperschaften überhaupt den Status der Gemeinnützigkeit innehaben, und welche sich nur den Anschein geben. Diese Information ist für Spenderinnen und Spender genauso wichtig wie etwa für Kommunalverwaltungen, die gemeinnützigen Organisationen oft besonders günstige Bedingungen etwa für den Zugang zu kommunalen Räumen gewähren. Bestehende Selbstverpflichtungsinitiativen und Transparenzregelungen für den dritten Sektor sollten für gemeinnützige Organisationen ab einer gewissen Größe mit entsprechender politischer Relevanz vereinheitlicht und um grundlegende, verpflichtende Publizitätspflichten ergänzt werden.
Rechtssicherheit für Alle statt politischem Druck auf Einzelne
Die beschriebene Aufgabe ist nicht einfach, aber es bleibt Aufgabe des Gesetzgebers, Klarheit in der Abgabenordnung zu schaffen, auf deren Grundlage die zuständigen Finanzbehörden und Gerichte Entscheidungen über den Status der Gemeinnützigkeit der einzelnen Organisationen treffen. Der bisherigen Untätigkeit der Koalition auf diesem Feld der Gesetzgebung steht eine Zunahme von Angriffen aus der Politik auf einzelne gemeinnützige Organisationen gegenüber.
Über die Gemeinnützigkeit einzelner Organisationen zu urteilen, obliegt jedoch in keinem Fall dem Gesetzgeber. Vor dem Hintergrund der Gewaltenteilung muss garantiert werden, dass diese rechtsstaatlichen Grenzen nicht überschritten werden.
Dazu gehört auch, dass sich politischer Einflussnahme durch Parteien, Landes- oder Bundesregierungen auf die Entscheidungen der Finanzbehörden über die Gemeinnützigkeit von Organisationen entgegengestellt wird. Solche Versuche, auf die Arbeit von Nichtregierungsorganisationen einzuwirken, dürfen deren Arbeit und Beitrag nicht beschränken.
Ein Gesetz in einem Rechtstaat muss abstrakt-generelle Regelungen treffen, die somit für eine Vielzahl von Sachverhalten und Personen gelten und nicht in Form von Einzelfallgesetzen spezifische Fälle individuell normieren.
Corona und Gemeinnützigkeit
Die aktuelle Situation unter dem Einfluss der Corona-Epidemie stellt die gemeinnützigen Organisationen vor große Herausforderungen. So fallen aufgrund des infektionsrechtlich eingeschränkten Angebots, gewisse Einnahmen aus. Da die Organisationen gemäß der Abgabenordnung vordergründig keine eigenwirtschaftlichen Interessen verfolgen sollen und Einnahmen zeitnah zur Erfüllung des Satzungszweck einzusetzen sind, fehlen häufig umfangreiche Rücklagen, mit denen sich die derzeitigen finanziellen Ausfälle auffangen lassen. Gleichzeitig bleiben dauerhafte Zahlungspflichten weiter bestehen. Von Sportvereinen bis hin zu Einrichtungen für politische Bildung zeigt sich, dass es derzeit staatlicher Unterstützung bedarf.
Ein erster Schritt hierfür ist das von der Bundesregierung auf den Weg gebrachte »Sozialdienstleister-Einsatzgesetz«. Darin enthalten ist eine Garantie für die gemeinnützige Sozialwirtschaft sowie die Einführung eines befristeten und subsidiären »Sicherstellungsauftrags« für alle Träger sozialer Dienste, wie beispielsweise Betreuungsleistungen nach dem Sozialgesetzbuch. Ebenso wurde Vereinen die Möglichkeit eingeräumt, ihre hauptamtlichen Beschäftigten vorübergehend in Kurzarbeit schicken zu können. Zudem wurden Neuregelungen hinsichtlich Spenden und Sponsoring getroffen, die seitens des Bundesfinanzministeriums mit Schreiben vom 9. April 2020 den obersten Finanzbehörden der Länder mitgeteilt wurden. Inwiefern dies in der Praxis Wirkung entfaltet, bleibt jedoch abzuwarten.
Zu bedauern ist allerdings, dass Sozialunternehmen bzw. gemeinnützige Körperschaften keine Notkredite im Rahmen der Programme der KfW beantragen können, sofern sie nicht hauptsächlich gewerblichen Tätigkeiten nachgehen. Es besteht somit ein Regelungsdefizit in der Nothilfe für diverse kleine, gemeinnützige zivilgesellschaftliche Organisationen. Insbesondere lokale Initiativen, die in der jetzigen Situation aktiv sind und sich beispielsweise im Rahmen der Nachbarschaftshilfe einbringen oder Atemschutzmasken nähen, brauchen weiterhin Unterstützung, damit deren Engagement fortbestehen kann.
Ehrenamtliches zivilgesellschaftliches Engagement ist unverzichtbar für das Gemeinwesen. Es muss Ziel von Gesetzgebung und Politik sein, verschiedene zivilgesellschaftliche Akteure in ihrem Bemühen zu fördern – auf Basis einer gleichen, gerechten und verlässlichen steuerrechtlichen Regelung.
Beitrag im Newsletter Nr. 12 vom 18.6.2020
Für den Inhalt sind die Autor*innen des jeweiligen Beitrags verantwortlich.
Autorin
Dr. Manuela Rottmann (Bündnis 90/Die Grünen) ist Juristin, seit 2017 Mitglied des Deutschen Bundestags und Obfrau ihrer Fraktion im Rechtsausschuss.
Kontakt: manuela.rottmann@bundestag.de
Redaktion
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