Beitrag im Newsletter Nr. 12 vom 18.6.2020

Gemeinnützigkeit in der Krise

Katrin Werner

Inhalt

Antifaschismus ist gemeinnützig
Reform des Gemeinnützigkeitsrechts
Eine lebendige Demokratie braucht eine aktive und kritische Zivilgesellschaft
Endnoten
Autorin
Redaktion

Seit dem Attac-Urteil des Bundesfinanzhofs im Februar 2019 ist in Deutschland eine breite Debatte um Gemeinnützigkeit entbrannt. Der Bundesfinanzhof hatte dem globalisierungskritischen Netzwerk die Gemeinnützigkeit aberkannt. Die Kampagnen von Attac seien keine gemeinnützige politische Bildungsarbeit, da sie vielmehr auf eine Beeinflussung der politischen Meinung zielen.

In der Folge dieses Urteils wurde auch dem Verein Campact e.V. die Gemeinnützigkeit entzogen, da diese ebenfalls auf der Förderung politischer Bildungsarbeit basierte. Dies hat für die Organisationen und für die gesamte Zivilgesellschaft enorme Auswirkungen. Einerseits wird mit dem Entzug der Gemeinnützigkeit eine wichtige Finanzierungsquelle eingeschränkt. Spenden für gemeinnützige Organisationen können von der Steuer abgesetzt werden. Die fehlende Möglichkeit der Steuerabsetzung kann die Spendenbereitschaft von Bürger*innen reduzieren. Andererseits geht mit der Gemeinnützigkeit ein gewisses Gütesiegel einher. Der Entzug der Gemeinnützigkeit kann daher den Ruf einer Organisation schädigen.

Darüber hinaus hat das Urteil zu Attac auch eine Strahlkraft auf weitere Organisationen der kritischen Zivilgesellschaft. Der mögliche Entzug der Gemeinnützigkeit aufgrund von politischer Aktivität von zivilgesellschaftlichen Organisationen wirkt wie eine Drohung, die häufig zu einer Selbstzensur führt. Zivilgesellschaftliche Organisationen werden vorsichtiger in ihren politischen Äußerungen und Aktivitäten, denn der Verlust der Gemeinnützigkeit würde bei vielen zu einer existentiellen Bedrohung werden. Das Gemeinnützigkeitsrecht wird hier zu einem politischen Instrument.

Antifaschismus ist gemeinnützig

Auch der größten und ältesten antifaschistischen Organisation in Deutschland, der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes (VVN-BdA), wurde durch eine Entscheidung des Berliner Finanzamtes die Gemeinnützigkeit entzogen. In diesem Fall beruht die Entscheidung auf einer Regelung in § 51 Abs. 3 der Abgabenordnung (AO). Nach dieser reicht die bloße Aufnahme einer Körperschaft als »extremistisch« in einem Verfassungsschutzbericht des Bundes oder der Länder dafür aus, dass diese Bewertung als widerlegliche Vermutung für die Finanzverwaltung dafür gilt, dass die Körperschaft nicht gemeinnützig ist.

Die VVN-BdA hat sich seit 1947 für einen demokratischen Neubeginn eingesetzt und hält bis heute Gedenken, Erinnerung, Aufklärung und Mahnung hoch. Sie hat wesentlich dazu beigetragen, dass die Verbrechen des Nazi-Regimes nicht in Vergessenheit geraten sind. In ihr haben sich Verfolgte des Naziregimes, WiderstandskämpferInnen und AntifaschistInnen aller Generationen zusammengeschlossen.

Der Entzug der Gemeinnützigkeit basiert in diesem Fall auf dem Verfassungsschutzbericht des Landes Bayern. In diesem wird die Vereinigung als linksextremistisch eingestuft. Die Entscheidung beruht dabei nicht auf Erkenntnissen, die gerichtlich überprüft und korrigiert werden können. Sie stellt vielmehr eine politische Bewertung des bayrischen Landesamts für Verfassungsschutz dar[1]. Eine Kleine Anfrage der Bundestagsfraktion DIE LINKE. hat ergeben, dass vermeintliche Hinweise auf verfassungsfeindliche Bestrebungen der VVN-BdA als geheim eingestuft werden. Die Bundesregierung hat damit jegliche Auskunft über den Sachverhalt verweigert[2].

Zwar wurden die Steuernachforderungen vorerst nach einer breiten Unterstützung der VVN-BdA durch jüdische Gemeinden, Gewerkschaften und Parteien durch das Finanzamt Berlin ausgesetzt, der Kampf um die Anerkennung der Gemeinnützigkeit ist jedoch noch nicht vorbei.

Reform des Gemeinnützigkeitsrechts

All diese Entwicklungen machen deutlich, dass es dringend eine Reform des Gemeinnützigkeitsrechts braucht, um die kritische Zivilgesellschaft zu schützen und zu stärken. In Folge des Attac-Urteils wird es absehbar weitere Verfahren geben, die zu einem Entzug der Gemeinnützigkeit von Organisationen führen werden. Daher braucht es schnelle Änderungen.

Im Koalitionsvertrag von CDU/CSU und SPD ist eine Verbesserung des Gemeinnützigkeitsrechts festgeschrieben. Die Reform, für die federführend Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) verantwortlich ist, lässt jedoch bisher auf sich warten. Zwar wurde im November 2019 ein Arbeitsentwurf durch das Ministerium bekannt, dieser wurde jedoch nach massiven Protesten von zivilgesellschaftlichen Organisationen, die darin eine weitere Verschlechterung ihrer Situation sahen, von Scholz zurückgezogen. Im Entwurf enthalten war eine Regelung, nach der Vereine ihre Gemeinnützigkeit und die damit verbundenen Steuervergünstigungen verloren hätten, wenn sie sich parteipolitisch nicht neutral verhalten hätten. Viele Organisationen sahen darin einen politischen Maulkorb.

Durch die Corona-Krise ist nicht nur mit einer weiteren Verzögerung der Reform des Gemeinnützigkeitsrechts zu rechnen. Die Krise trifft viele zivilgesellschaftliche Organisationen zudem hart, denn oft bleiben Einnahmen wie Spenden aus oder fallen geringer aus. Hier braucht es mehr Unterstützung durch den Staat, denn eine kritische und lebendige Zivilgesellschaft braucht es in Krisenzeiten mehr denn je.

Eine lebendige Demokratie braucht eine aktive und kritische Zivilgesellschaft

Es ist Aufgabe der Zivilgesellschaft sich aktiv an politischen und gesellschaftlichen Debatten zu beteiligen und so zum Willensbildungsprozess der Gesellschaft beizutragen. Es muss sichergestellt sein, dass zivilgesellschaftliche Organisationen dazu den nötigen rechtlichen Spielraum haben. Die Fraktion DIE LINKE. im Bundestag hat dazu mehrere Initiativen in den Bundestag eingebracht. Mit den Anträgen »Zivilgesellschaft ist gemeinnützig«[3] und dem Entwurf eines Gesetzes zur Änderung der Abgabenordnung[4] wollen wir die Diskussion zur Reform des Gemeinnützigkeitsrechts anfeuern und die Bundesregierung weiter unter Druck setzen. Wir werden auch zukünftig weiter an diesem Thema arbeiten. Dass eine Reform des Gemeinnützigkeitsrechts ein umfangreiches Unterfangen ist, bei dem viele Aspekte berücksichtigt werden müssen, wurde nicht zuletzt in einer öffentlichen Anhörung des Unterausschuss Bürgerschaftliches Engagement im Bundestag am 29. Januar 2020 und durch Vorschläge und Gutachten u.a. von der Gesellschaft für Freiheitsrechte, dem Paritätischen Gesamtverband und der Allianz Rechtssicherheit für politische Willensbildung deutlich. Es bedarf einer umfangreichen Reform, um die rechtlichen Rahmenbedingungen an die zivilgesellschaftliche Landschaft des 21. Jahrhunderts anzupassen.


Endnoten

[1] vgl. GH München, Beschluss vom 7. Februar 2018 – 10 ZB 15.795, Rn. 19

[2] vgl. https://www.linksfraktion.de/themen/nachrichten/detail/keine-rechtsfreien-raeume-fuer-den-verfassungsschutz/

[3] http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/19/154/1915465.pdf

[4] http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/19/177/1917752.pdf


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Für den Inhalt sind die Autor*innen des jeweiligen Beitrags verantwortlich.

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Katrin Werner ist Sprecherin für bürgerschaftliches Engagement der Bundestagsfraktion DIE LINKE und stellvertretende Vorsitzende des Unterausschusses Bürgerschaftliches Engagement.

Kontakt: Katrin.werner@bundestag.de

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