Beitrag im Newsletter Nr. 13 vom 1.7.2021

Zeit, dass sich was dreht: Debatten um Gemeinnützigkeit beenden und Bürokratieabbau im Engagementbereich ermöglichen

Anna Christmann, MdB

Inhalt

Politische Meinungen dürfen kein Privileg von Parteien sein
Debatte beenden, Gemeinnützigkeit absichern und eine politische Stimme ermöglichen
Bürgerschaftliches Engagement und seine Organisationen leiden unter Bürokratie
An zahlreichen Stellen hemmt Bürokratie das freiwillige Engagement
Für die kommenden Jahre muss Bürokratieabbau im Engagement Priorität haben
Autorin
Redaktion

Politische Meinungen dürfen kein Privileg von Parteien sein

Unsere Demokratie lebt von den Menschen, die sich engagieren. Egal, ob sie das in Parlamenten tun oder in gemeinnützigen Organisationen. Sie alle sind Teil unserer Demokratie und müssen sich auch daran beteiligen können. Das Gemeinnützigkeitsrecht ist dafür zunehmend eine wackelige Grundlage geworden, ein Spielball politischer Interessen statt wasserdichter Entscheidungsgrundlage für zuständige Behörden und Finanzämter, wie es sich in einem Rechtsstaat gehört. Es wird Zeit, dass es sich weiterentwickelt und verlässliche Grundlage für die Organisationen ist, die unsere lebendige Zivilgesellschaft ausmachen.

Gemeinnützigkeitsrecht hat sich schon immer weiterentwickelt. Nur aktuell sehen wir, der Katalog gemeinnütziger Zwecke ist offenbar zu unscharf, unvollständig bzw. bietet nicht die Rechtssicherheit, die er sollte – wie bei der »Förderung des demokratischen Rechtswesens« oder der »Volksbildung« deutlich wird. Denn hierüber wird offensichtlich kein sicheres Mandat abgedeckt, sich als gemeinnützige Organisation politisch zu äußern oder zu betätigen. Aber genau das kann so nicht bleiben. Hier hinkt das Verständnis von funktionierender Demokratie: In Einzelfällen und gewissem Umfang muss sich auch ein Sportverein gegen Rassismus positionieren können, ebenso wie ein Gesangsverein für die Flüchtlingsunterkunft Spenden sammeln oder die Landjugend für besseren ÖPNV kämpfen können muss. Teilweise ist das auch für die Erfüllung der eigenen gemeinnützigen Satzungszwecke unerlässlich. Politische Meinungen zu vertreten und Bestandteil von politischer Willensbildung zu sein, darf in der Demokratie kein Privileg von Parteien sein, sondern muss als Kompetenz auch gemeinnützigen Organisationen, d.h. der Zivilgesellschaft, zustehen.

Debatte beenden, Gemeinnützigkeit absichern und eine politische Stimme ermöglichen

Die Politik täte gut daran nicht erst abzuwarten, bis oder ob das Bundesverfassungsgericht diese offenen Fragen klärt. Über das Jahressteuergesetz 2020 gab es zwar Änderungen am Gemeinnützigkeitsrecht. Diese waren auch teilweise gut und wurden auch auf Hinwirken der Länder erreicht. Beispielsweise wurden weitere gemeinnützige Zwecke wie der Klimaschutz oder Einsatz für geschlechtliche Gleichberechtigung ergänzt oder die zeitnahe Mittelverwendung für kleinere Organisationen flexibilisiert. Auch die Einführung eines Gemeinnützigkeitsregisters für mehr Transparenz ist zu begrüßen – wenngleich 2024 noch sehr lange hin ist.

An entscheidender Stelle konnten sich Bundesregierung bzw. SPD und Union im Bundesrat nicht überwinden: Klarzustellen, dass politisch Betätigung für Gemeinnützige unschädlich ist. Hierzu hätte es vielleicht nur einer kleinen Ergänzung der Abgabenordnung in § 58 bedurft. Dazu hatten auch die Länder im Bundesrat einen Vorschlag unterbreitet, der leider keine Mehrheit fand. Das ist schade. Auch die GRÜNE-Bundestagsfraktion hat dies in einem Antrag zum Jahressteuergesetz 2020 nochmals versucht zu ergänzen.

So bleibt leider die nun seit Jahren schwebende Unsicherheit in der Zivilgesellschaft bestehen: Wie politisch darf mein Verein sich äußern oder betätigen? Riskieren wir damit unsere Gemeinnützigkeit? Hier werden auch ein Stück weit die Finanzbehörden und Finanzgerichte von der Politik im Regen stehen gelassen, die das im Zweifelsfall auch weiterhin unterschiedlich bewerten.

Bürgerschaftliches Engagement und seine Organisationen leiden unter Bürokratie

Die Debatte um das Gemeinnützigkeitsrecht ist aber nur symptomatisch für ein größeres Problem: Für den Einsatz von Engagierten, Ehrenamtlichen und ihre Organisationen wurden in den vergangenen Jahren eher sogar rechtliche Hürden auf- als abgebaut. Der Staat muss hier wieder seine Rolle stärker als »Ermöglicher« verstehen: Die beste Förderung von bürgerschaftlichem Engagement ist es, ihm zunächst einmal keine Steine in den Weg zu legen. »Bürokratieabbau« für das Ehrenamt war übrigens auch eine Vereinbarung des Koalitionsvertrages. Mit ein paar Veränderungen über das Jahressteuergesetz 2020 sehen wir dieses Versprechen aber nicht als eingelöst an.

In vier Jahren im »Unterausschuss Bürgerschaftliches Engagement« des Bundestages haben wir eine ganze Palette von Bereichen beleuchtet, in denen es Aufgabe der Politik sein müsste, Bürokratie, rechtliche Unstimmigkeiten und mehr abzubauen.

An zahlreichen Stellen hemmt Bürokratie das freiwillige Engagement

Klar ist z.B., dass die Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) einen hohen und ganz neuen Standard für den Datenschutz in Europa gesetzt hat und damit Europa auch zu einem weltweiten Vorreiter im Datenschutz gemacht hat. Jedoch sind die EU-Mitgliedsstaaten selbst für die Umsetzung der DSGVO verantwortlich. Und in diesem Zuge ist es wahrscheinlich nicht sinnvoll, dass in Deutschland dieselben Maßstäbe bei der Umsetzung für einen kleinen, gemeinnützigen Verein wie für einen großen Industriekonzern gelten. Hier müssten spezifische Anpassungen an die Anforderungen je nach Körperschaft gelten.

Auch andere Themen bewegen die Zivilgesellschaft, z.B. das Vergaberecht, die Umsetzung der EU-Geldwäscheverordnung und das Transparenzregister, die Frage ob ein sog. Negativattest für Jugendtrainer statt einem Führungszeugnis (bei gleichzeitig hohen Kinderschutzstandards) sinnvoll ist oder mehrere Ungereimtheiten bei den Sozialgesetzbüchern (SGB): z.B. ob Assistenzleistungen für Behinderte über die Regelung im SGB IX nicht eher verhindert als ermöglicht werden oder ob die (monatliche) Anrechnung von Ehrenamtsvergütungen nach SGB II in der jetzigen Form so sinnvoll ist.

Gleiches gilt für die Freiwilligendienste, wo beispielsweise fraglich ist, warum Dienste, die sich selbst zurecht als »Bildungsdienste« verstehen nicht als Ausbildungszeiten anerkannt werden und somit z.B. für junge Menschen kein Unterhaltsanspruch besteht oder warum Taschengeld als Einkommen auf Sozialleistungen angerechnet wird. Das sind keine technokratischen Nuancen, denn letztlich nimmt das ggf. jungen Menschen die Möglichkeit, sich unabhängig von ihrem Elternhaus um einen Freiwilligendienst zu bemühen. Ein kleiner aber sinnvoller Fortschritt war zuletzt immerhin die Einführung eines schon lange geforderten Teilzeitfreiwilligendienstes für alle.

Für die kommenden Jahre muss Bürokratieabbau im Engagement Priorität haben

Für die kommenden Jahre muss daher Bürokratieabbau zentral für Engagementpolitik sein. Die Liste an bürokratischen Hemmnissen und Ungereimtheiten ist noch viel länger als hier angerissen. Anstatt jedoch mit einer Deutschen Stiftung für Engagement und Ehrenamt (DSEE) Services anzubieten, um sich durch den »Dschungel« an Vorschriften zu kämpfen, sollte es oberste Priorität sein – wo möglich – unnötige Bürokratie zunächst abzubauen bzw. zumindest an die spezifischen Voraussetzungen der Zivilgesellschaft anzupassen. In Baden-Württemberg hat sich die neue Regierungskoalition dies jetzt auch zu einer zentralen Aufgabe gesetzt.

Wir regen daher an, gleich zu Beginn der kommenden Legislaturperiode eine breit aufgestellte Entbürokratisierungsoffensive umzusetzen und auch künftig dafür Sorge zu tragen, dass neue Gesetzesvorhaben kein Mehr an Bürokratiebelastung mit sich bringen. Dazu schlagen wir u.a. vor, in einer neuen Bundesregierung eine verantwortliche Position zu schaffen, die für Bürgerschaftliches Engagement, Demokratie, Partizipation und Zivilgesellschaft zuständig ist und hierfür Verantwortung trägt. Natürlich sind Engagement und Ehrenamt gesellschaftliche Querschnittsthemen und daher auch über viele Ministerien verteilt. Aber eben deswegen braucht es hier eine bessere Koordination, Vernetzung und Verbindlichkeit von Politik – gerade auch mit und gegenüber der Zivilgesellschaft.In diesem Sinne freuen wir uns auch auf die weitere Zusammenarbeit und den Austausch mit dem BBE.

Es gibt noch viel zu tun, packen wir es an!


Beitrag im Newsletter Nr. 13 vom 1.7.2021
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Dr. Anna Christmann, MdB, Bündnis90/Die GRÜNEN, ist Mitglied im Unterausschuss Bürgerschaftliches Engagement.

Kontakt: anna.christmann@bundestag.de


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