Beitrag im Newsletter Nr. 15 vom 28.7.2022

Die Umsetzung der SDG als Chance und Herausforderung für Bürgerschaftliches Engagement

Jana Rückert-John, Liska Beulshausen, Martina Löw, Serge Embacher, Dominik Schlotter, Anne Gräfe

Inhalt

Ungewöhnliche Kooperationen auf Grundlage der SDG
Transdisziplinäre Forschung und Reallabore
Kurzvorstellung der drei Modellprojekte
Die Praxisphase
Schlüsse für Engagementpolitik
Ausblick
Autor*innen
Redaktion

Ungewöhnliche Kooperationen auf Grundlage der SDG

Was passiert, wenn sich zivilgesellschaftliche Initiativen aus dem ökologischen und aus dem sozialen Bereich zusammentun und gemeinsam Projekte gestalten? Welche Rolle spielen dabei die 17 Nachhaltigkeitsziele, die Sustainable Development Goals (SDG) und können sie als gemeinsamer Ausgangspunkt für die bisher eher noch ungewöhnlichen Partnerschaften dienen?

Diesen Fragen hat sich das Projekt »Die Umsetzung der Sustainable Development Goals als Chance und Herausforderung für das Bürgerschaftliche Engagement – Lernprozesse in Organisationen durch Kooperationen zwischen Organisationen verschiedener Engagementbereiche« angenommen. Das transdisziplinäre Projekt startete im Oktober 2020 und wurde vom Institut für Sozialinnovation gUG (ISInova), dem Bundesnetzwerk Bürgerschaftliches Engagement (BBE) und dem Bund für Umwelt- und Naturschutz Deutschland (BUND) durchgeführt. Unterstützt wurde es vom Umweltbundesamt (UBA) und dem Bundesumweltministerium (BMUV). Ziel des Projekts war es, Kooperationen von unterschiedlichen engagementpolitischen Akteuren zu erproben und zu analysieren. Dabei sollte herausgefunden werden, welche Chancen und Möglichkeiten die Kooperationen bieten, aber auch, welche Barrieren und Grenzen sie erfahren. Es wurde außerdem untersucht, welche transformativen Lernprozesse sich in Organisationen durch die Kooperationen ergeben und wie Initiativen beim Aufbau von Kooperationen und der Durchführung von Kooperationsprojekten unterstützt werden können.

Da transformative Lernprozesse nicht direkt gesteuert werden können, sondern eher durch problem- und handlungsorientiertes Lernen in gesellschaftlichen Gestaltungsräumen, also im direkten Tun, befördert werden, wurde in dem Projekt eine Praxisphase eingeplant. In dieser haben sich drei Initiativen mit Partnern aus dem jeweils anderen engagementpolitischen Bereich zusammengetan und in einer einjährigen experimentellen Phase gemeinsam ein Modellprojekt konzipiert und durchgeführt. Während dieser Zeit wurden die Initiativen von ISInova, dem BBE und dem BUND begleitet. Gemeinsam wurden die Prozesse, Schwierigkeiten und Problemlösungen in den Modellprojekten reflektiert.

Transdisziplinäre Forschung und Reallabore

Diese Form des gemeinsamen Forschens von wissenschaftlichen und praktischen Akteuren wird als transdisziplinäre Forschung bezeichnet. Insbesondere bei Forschungsfragen, die sich auf die sozial-ökologische Transformation der Gesellschaft richten, werden in den letzten Jahren vermehrt Akteure aus der Praxis eingebunden, denn Transformationswissen ist häufig kein wissenschaftliches, sondern ein ganz praktisches Wissen. Dementsprechend sind transdisziplinäre Projekte auch stark anwendungsorientiert. Beispielsweise können in sogenannten Reallaboren nachhaltige Handlungsmöglichkeiten praktisch ausprobiert werden. Dabei ist der Ausgang des Experiments offen. Erfahrungen mit Reallaborforschung haben gezeigt, dass so neue Perspektiven aufgedeckt werden können, die auch quer zu bestehenden politischen, administrativen oder ökonomischen Logiken verlaufen können. Gerade angesichts komplexer gesellschaftlicher Zusammenhänge und Unsicherheiten zukünftiger Entwicklungen bietet dieser experimentelle Charakter damit eine vielversprechende Chance, um nachhaltige Handlungsmöglichkeiten aufzudecken. In diesem Kontext sind auch die drei Modellprojekte zu betrachten: Die einjährige Praxisphase war in Anlehnung an Reallaborforschung offen gestaltet und bot die Möglichkeit, die Kooperationsbeziehungen ganz praktisch zu testen. In (selbst-)reflexiven Workshops wurde die Möglichkeit gegeben, gemeinsam die Prozesse und die Kontexte der Modellprojekte zu analysieren. Damit die drei Modellprojekte unterschiedliche, für das Vorhaben interessante Aspekte berücksichtigen, wurde bei der Auswahl auf eine gewisse Diversität geachtet. Die drei Initiativen, die die Modellprojekte durchgeführt haben, unterscheiden sich daher in Bezug auf ihre Rechtsform, auf die Region und auf ihre Zielsetzung. Neben der formalen Diversität der drei Modellprojekte, konnte so auch der Mehrdeutigkeit der möglichen Ansätze zur Auseinandersetzung mit den SDGs Folge geleistet werden, die sich auch in den unterschiedlichen zivilgesellschaftlichen Organisationsformen und ihren Handlungsfeldern abbildet.

Kurzvorstellung der drei Modellprojekte

Die Initiativen stellen sich im Schwerpunkt dieses Newsletters ausführlich dar. An dieser Stelle sollen sie daher mit ihren Modellprojekten nur kurz vorgestellt werden, um eine Einordnung zu geben.

Die Initiative fairEInt aus Eichstätt, einer Kreisstadt in Oberbayern, ist ein loses Netzwerk, das aus verschiedenen Organisationen aus dem Nachhaltigkeitsbereich besteht. Ziel der Initiative ist es, die verschiedenen Organisationen zusammenzubringen und einen Austausch zu ermöglichen. Außerdem stellt FairEInt eine zentrale Anlaufstelle für Bürger*innen und Initiativen da, die sich mit dem Thema Nachhaltigkeit auseinandersetzen möchten. In dem Jahr des Modellprojekts hat Eichstätt den »Eichstätter Obstwald« konzipiert und angelegt.

Die Freiwilligen Agentur Lilienthal ist ein eingetragener Verein, der in der Gemeinde Lilienthal in Niedersachen ansässig ist. Sie ist verantwortlich für Beratung und Vermittlung von allem, was das Ehrenamt betrifft und führt außerdem verschiedene Projekte zum Thema Nachhaltigkeit durch, wie zum Beispiel die europäischen Nachhaltigkeitswochen. In der Projektphase hat die Freiwilligenagentur ein Konzept für einen nachhaltigen Begegnungsort im Sinne der SDG in Lilienthal erstellt und beschäftigt sich derzeit mit der Umsetzung und dem Aufbau des Begegnungsorts.

Bei dem Internationalen Begegnungszentrum St. Marienthal (IBZ St. Marienthal) in Ostritz, im Landkreis Görlitz, handelt es sich um eine Stiftung. Das Stiftungsziel ist die Förderung von Bildung und Begegnung von Menschen. In dem Modellprojekt des IBZ St. Marienthal mit dem Namen »Biodiversität sozial denken« wurde begonnen ein Netzwerk aufzubauen, in dem sich soziale und ökologische Initiativen begegnen und für gemeinsame Aktionen vernetzen können.

Die Praxisphase

Im Januar 2021 wurde die Ausschreibung mit der Suche nach passenden Initiativen für die Modellprojekte über den BBE-Newsletter veröffentlicht. Nach der Auswahl der drei Initiativen durch das Projektteam begann zunächst die Kennenlernphase. Bei diesen pandemiebedingt digitalen ersten Treffen lernte das Projektteam die Engagierten kennen, erfuhr mehr über die Zusammenarbeit innerhalb der Initiativen sowohl miteinander als auch mit anderen Akteuren vor Ort und über bereits umgesetzte Projekte. Zudem wurden erste Ideen für die Praxisphase vorgestellt. Diese Ideen wurden im Rahmen einer Workshopreihe von den Initiativen und dem Projektteam aufgegriffen, gemeinsam weiterentwickelt und teilweise auch wieder verworfen, bis dann im Sommer 2021 die jeweilige Projektidee feststand.

Wie bereits erwähnt, werden transformative Lernprozesse durch problem- und handlungsorientiertes Lernen im praktischen Tun befördert. Um diese Lernprozesse innerhalb der Modellprojekte gut beobachten und die Initiativen bestmöglich bei der Umsetzung ihrer Vorhaben unterstützen zu können, hat sich das Projektteam während der Praxisphase zu regelmäßigen Updatetreffen mit den Initiativen getroffen. Der Fokus dieser Treffen lag auf dem informellen Austausch zwischen den Engagierten und dem Projektteam. Einerseits, um Fortschritte festzuhalten und die Engagierten in ihrem Tun zu bestärken und andererseits, um bei auftretenden Problemen mögliche Lösungsansätze zu diskutieren oder Ratschläge und Tipps zu geben.

Um die Initiativen bestmöglich bei der Umsetzung ihrer Vorhaben zu unterstützen, waren Expert*innen-Inputs Teil der Praxisphase, die den Engagierten - zusätzlich zur Expertise des Projektteams – fachliches Wissen und Beratung vermittelt haben. Diese Inputs waren, wie die Initiativen und ihre Vorhaben, von ganz unterschiedlicher Natur und Themenlegung. So gab es Workshops, Vorträge oder auch Beratungen, je nach Fragestellung und Bedarf des Projekts, die entweder direkt von den Initiativen selbst organisiert oder in Absprache mit der jeweiligen Initiative aus den Netzwerken der Organisationen des Projektteams bereitgestellt wurden.

Die Zusammenarbeit mit den Initiativen war geprägt von einem hohen Maß an Engagement und einem großen Interesse, gemeinsam mit dem Projektteam die Prozesse, das Projektumfeld und die Kooperationen zu reflektieren. Dies zeigte sich dann auch noch einmal ganz deutlich in den Reflexionsworkshops, die das Projektteam mit den Initiativen nach ungefähr einem halben Jahr nach Beginn der Praxisphase sowie gegen Ende der Praxisphase durchführte und die den Rückblick auf die Prozesse in den Modellprojekten und den Ausblick auf kommende Aktionen und Kooperationen ermöglichten.

Den Abschluss der Praxisphase bildete das Abschlusstreffen Anfang Juli 2022, bei dem sich alle drei Initiativen und das Projektteam in Eichstätt trafen und gemeinsam auf die Modellprojekte zurückblickten. Das erfolgreiche Treffen mit Vernetzung der drei Initiativen hat erneut das genuine Interesse der Engagierten gezeigt, voneinander zu lernen, sowie auch noch einmal verdeutlicht, dass die drei Initiativen trotz ihrer Verschiedenheit oft in der Praxisphase mit ähnlich gelagerten Problemen zu tun hatten, an die sie sich anpassen mussten. In dem Treffen konnten sich die Initiativen hierüber entsprechend austauschen. Alle Initiativen planen, ihre in der Praxisphase des Projekts begonnenen Vorhaben weiterzuführen bzw. sind aktiv mit der weiteren Umsetzung beschäftigt.

Schlüsse für Engagementpolitik

Aus der engagementpolitischen Perspektive ergaben sich aus dem Projekt in erster Linie bestätigende Befunde. Modellprojekte, die neue Experimentierräume eröffnen bzw. ausloten sollen, wären demnach auf eine längere Förderung, eine flexiblere Handhabung der Fördermittel und auch auf die zumindest anteilige Bereitstellung von Personalmitteln angewiesen. Hier wäre seitens der öffentlichen Fördergeber zu überlegen, wie man die bürgerschaftlich Engagierten und ihre Initiativen künftig schon beim Design und beim Zuschnitt von Projekten einbinden könnte. Der Gestaltungswille seitens des Engagements ist, das hat unser Projekt deutlich gezeigt, auf jeden Fall vorhanden.

Ausblick

Derzeit befindet sich das Projekt in der Auswertungsphase. Erste Erkenntnisse konnten bereits gemeinsam auf dem Abschlusstreffen diskutiert werden. Mit Abschluss des Projekts im Herbst werden die Ergebnisse, auch in Bezug auf die Fördermöglichkeiten von ähnlich gelagerten Projekten, an das UBA und BMUV weitergeleitet. Geplant ist außerdem eine Broschüre mit Handlungsempfehlungen für zivilgesellschaftliche Initiativen, die ebenfalls Kooperationsbeziehungen planen. Die Ergebnisse aus dem Projekt werden im BBE-Newsletter fortlaufend abgebildet.

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Beitrag im Newsletter Nr. 15 vom 28.7.2022
Für den Inhalt sind die Autor*innen des jeweiligen Beitrags verantwortlich.

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Autor*innen

Prof. Dr. Jana Rückert-John ist Gesellschafterin im Institut für Sozialinnovation (ISInova).

Kontakt: jana.rueckert-john@isinova.org

Liska Beulshausen ist wissenschaftliche Mitarbeiterin in dem Projekt »Umsetzung der SDG als Chance und Herausforderung für Bürgerschaftliches Engagement« im Institut für Sozialinnovation (ISInova).

Kontakt: liska.beulshausen@isinova.org

Martina Löw ist Abteilungsleiterin in der Abteilung Freiwilligenmanagement in der Bundesgeschäftsstelle des BUND.

Kontakt: Martina.Loew@bund.net

Dr. Serge Embacher ist Leiter Fachprojekte im BBE.

Kontakt: serge.embacher@b-b-e.de

Dominik Schlotter ist Referent im Projekt »ENGAGIERT FÜR KLIMASCHUTZ« sowie im Projekt »Umsetzung der SDG als Chance und Herausforderung für Bürgerschaftliches Engagement« im BBE.

Kontakt: dominik.schlotter@b-e-e.de

Anne Gräfe ist Mitarbeiterin im Projekt »Umsetzung der SDG als Chance und Herausforderung für Bürgerschaftliches Engagement« sowie zuständig für den Newsletter und die Publikationsbetreuung im BBE.

Kontakt: anne.graefe@b-b-e.de


Redaktion

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