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Strukturen offenlegen, Handlungsbedarfe aufzeigen / Fakten statt Szenarien
Daten sind wertvolle Rohstoffe
Offenheit als subversive Strategie
Autorin
Redaktion
Strukturen offenlegen, Handlungsbedarfe aufzeigen / Fakten statt Szenarien
Feministische Hashtags wie #MeToo, #aufschrei oder #schauhin haben gezeigt, wie sich per Twitter diskriminierende Strukturen offenlegen lassen und ganz nebenbei Betroffene miteinander vernetzen können. Das Netz erlaubt eine Transparenz, durch die sowohl Demokratie als auch Feminismus, gerne auch im Zusammenspiel, enorm gewinnen können.
Die Grundlage dafür sind offene Daten, die allen gleich leicht zugänglich sind, denn sie stärken demokratische Prozesse, an denen Bürger*innen aktiv beteiligt sind. In Berlin zum Beispiel werden rassistische, homo-, Trans*- und xenophobe Vorfälle von sogenannten Registerstellen digital gesammelt und frei zur Verfügung gestellt. Eine solche Sammlung an Daten – wenn sie weltweit erhoben werden – demonstriert, wann und wo dringend gehandelt werden muss. Sie kann auch helfen, auf Verantwortliche entsprechend Druck auszuüben.
Ein weiteres, ebenfalls globales Beispiel sind Morde an Frauen (Femizide). Wenn die Daten hierzu offen gesammelt würden, könnten sie vielleicht verhindert oder zumindest die Anzahl der Morde verringert werden. In jedem Fall würden auch hier Strukturen offengelegt und gezeigt, was konkret getan werden müsste. Die wheelmap.org – ein weiteres Beispiel – hilft, mit den gemeinschaftlich generierten Daten die Barrierefreiheit und Teilhabe für Menschen mit Handicap weiterzuentwickeln und deutlich zu machen, wo und wie ihre Lebensbedingungen verbessert werden könnten.
Daten, Zahlen und Fakten sind immer wieder Grundlage, um demokratisches politisches Handeln zu begründen. Fakten statt Szenarien. Das Internet als globale Struktur zum organisierten Sammeln der Daten steht bereit, es muss nur genutzt werden. Feministisches Handeln im Netz kann und sollte also heißen, sich genau dafür einzusetzen: Daten zu sammeln und sie im Netz zur Verfügung zu stellen. Und dabei auf offene Netzwerk- und Verteilungsstrukturen zu beharren, Stichwort: Netzneutralität. Nur so kommen alle Daten gleich schnell zu allen Nutzer*innen.
Daten sind wertvolle Rohstoffe
Daten, egal ob explizit offen gesammelt oder »einfach nur« generiert, sollten allen gleichermaßen gehören. Bisher jedoch sind sie vor allem Grundlage für Geschäftsmodelle, die mit Daten Umsätze in Milliardenhöhe machen. Gleichzeitig sind sie die Basis für Algorithmen und künstliche Intelligenzen. Noch wird es vielfach unterschätzt, doch Big Data, konzentriert auf den Servern weniger großer Unternehmen oder autoritärer Staaten, gefährdet die Demokratie im Kern.
Wie Daten gesammelt und genutzt werden, spiegelt die gesellschaftlichen Strukturen wider, im Guten wie im Bösen. Sie können die Menschenwürde schützen oder gefährden. Besonders problematisch wird es, wenn Technologie unkritisch als Motor für Problemlösungen eingesetzt wird, etwa im Bereich der Überwachung. Predictive Policing etwa, also die vorhersagende Polizeiarbeit, verlässt sich bei Gefahrenanalysen und -abwehr auf Algorithmen. Die Freiheit der Einzelnen wird der vermeintlichen Sicherheit aller geopfert. Wir dürfen unser Sicherheits- und Fortschrittsbedürfnis nicht an weißen patriarchalen Strukturen ausrichten. Denn so nehmen wir billigend den Ausschluss von (BPoC-)Frauen und anderen marginalisierten Gruppen in Kauf. Stattdessen ist es auch eine zivilgesellschaftliche Aufgabe für einen Gesellschaftsentwurf zu kämpfen, der auf Einschlüssen und Gleichwertigkeit beruht.
Our data to ourselves! Die feministische Forderung aus den 1970ern «Our bodies ourselves» ist heute leicht abgewandelt wieder aktuell. Doch wie lässt sich das bewerkstelligen? Klar, ein Weg wäre, anstelle von Facebook dezentrale Netzwerke zu nutzen und die dabei anfallenden Daten somit auch dezentral zu verteilen. Die Idee, Daten als Geldäquivalent einzusetzen, muss ebenso überdacht werden. Fortschreitender Privatisierung und Kommerzialisierung von Technologie könnte mit der Forderung «Unsere Daten gehören uns!» etwas entgegengesetzt werden. Dann sind auch Kooperationen oder eine umfassendere Idee der (digitalen) Commons möglich bzw. können stärker werden. Die technische Struktur des Internets erlaubt das alles – doch bislang fehlt uns zumeist das politische Bewusstsein, die Möglichkeiten radikaldemokratisch zu nutzen. Auch deshalb braucht es feministische Netzpolitik.
Offenheit als subversive Strategie
Es gilt, offene Strukturen, offene Daten und offene Software als feministische subversive Strategie zu nutzen, um intersektionales Denken als Default, also Grundeinstellung zu etablieren. Macht- und Herrschaftsverhältnisse können so in den Blick genommen und mit technologischen Hilfsmitteln bekämpft werden. Einem demokratischen Staat, der Gleichberechtigung und Menschenwürde zum Grundrecht erklärt hat, muss es genau darum gehen.
Zivilgesellschaftliches Engagement kann in dieser Hinsicht sehr vielfältig sein. Wir gestalten das Internet aktiv mit und können darauf drängen, intersektionalem Wissen und Erfahrungen Raum zu geben, zum Beispiel aus dem globalen Süden. So stammen weniger als 20% der 70.000 aktiven Wikipedia-Mitarbeiter aus dem globalen Süden, weniger als 1.000 aus afrikanischen Ländern. Die Wikipedia als zivilgesellschaftliches globales Projekt könnte sich also aktiv an einer Bekämpfung der Ungleichheit darüber, welches Wissen als solches wahrgenommen wird, beteiligen.
Open Access, also der freie Zugang zu wissenschaftlichen Informationen, kann helfen, Vertrauen in Wissenschaft, aber auch Politik zurückzugewinnen, denn letztere ist auf Erkenntnisse angewiesen. Feministisches, also macht- und herrschaftskritisches Wissen, ist dann nicht länger auf große kommerzielle Verlage angewiesen. Monetäre und klassistische Sperren bei der Rezeption lassen sich dann einfach umgehen. Mithilfe des Internets und offener Strukturen kann Demokratie so vielfältig und integrativ gestaltet werden.
Es ist an der Zeit, Medium und Technologie politisch progressiv zu nutzen.
Beitrag im Newsletter Nr. 15 vom 29.7.2021
Für den Inhalt sind die Autor*innen des jeweiligen Beitrags verantwortlich.
Autorin
Francesca Schmidt ist derzeit Referentin für feministische Netzpolitik im Gunda-Werner-Institut für Feminismus und Geschlechterdemokratie in der Heinrich-Böll-Stiftung. Sie ist außerdem Gründungsmitglied und Vorständin von netzforma* e.V. – Verein für feministische Netzpolitik.
Kontakt: francesca@netzforma.org oder fschmidt@boell.de
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