Beitrag im Newsletter Nr. 18 vom 10.9.2020

Rezension zu Emanuel Richter: Seniorendemokratie. Die Überalterung der Gesellschaft und ihre Folgen für die Politik.

PD Dr. Ansgar Klein

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Rezension zu Emanuel Richter: Seniorendemokratie
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Welche Möglichkeiten der Partizipation bieten sich in einer alternden Gesellschaft an? Emanuel Richter macht deutlich, dass nur unter bestimmten Bedingungen – sozial, ökonomisch, kulturell und politisch – ein greifbarer demokratischer Gewinn erzielt werden kann. Sofern vermieden werden soll, dass v.a. die materiell bessergestellten, besser gebildeten, einkommensstarken und meist auch gesünderen Senior*innen von einer solchen Beteiligung profitieren, bedarf es einer „erheblich ausgeweiteten, wohlfahrtstaatlichen Gleichheitspolitik zugunsten der von Armut betroffenen und von Ausgrenzung bedrohten Senioren“ (S. 15). Damit spricht der Autor insbesondere die weiblichen Mitglieder der Altersgruppe und die Senior*innen mit Migrationshintergrund an.

Allerdings treten die Senior*innen kaum „als Betreiber einer verstärkten demokratischen Teilhabe der gesamten Bürgerschaft in Erscheinung“ (S. 16) Daran, so Richter, ändert das Engagement in Seniorenbeiräten und Seniorenbüros kaum etwas: „Die Kategorie des Ehrenamtes stellt also oft nicht mehr da als die Umschreibung für eine wohlfahrtsstaatliche Selbsthilfe unter eifrigen Rentnern. Sie verspricht soziale Hilfe für die wachsende Zahl der armutsbedrohten Senioren, aber kaum ein partizipatives Engagement, das über die Belange der eigenen Altersgruppe hinausreicht.“ (S. 17)

Richter empfiehlt daher eine deutliche Ausweitung der Engagementmöglichkeiten: „Damit die partizipative Entfaltung gelingt, sind die generationsspezifischen und die generationsübergreifenden Angebote für bürgerschaftliches Engagement erheblich auszuweiten und facettenreicher zu gestalten.“ (S. 19)

In 4 Kapiteln rollt der Autor das Thema auf: Kapitel 1 trägt die Befunde zum demographischen Wandel weltweit und für Deutschland zusammen, beleuchtet Arbeit und Konsum und auch die soziale Spaltung unter den Senioren. Kapitel 2 behandelt die Altersbilder und kontrastiert diese mit einem „paradoxen Jugendkult“, in dessen Zentrum zunehmend das Ziel der „Selbstoptimierung“ steht. Kapitel 3 diskutiert das bislang schwache politische Profil der Senior*innen: Sie sind demokratisch wenig sichtbar und die bisherigen Engagement-profile gelten dem Autor vor allem als „Strategie der wohlfahrtsstaatlichen Entlastung“. Kapitel 4 schließlich diskutiert die Option einer „Herrschaft der Senioren“ und stellt ihr die Vision einer „Stärkung einer solidarischen Bürgerbeteiligung“ auch zwischen den Generationen gegenüber.

Auch die Senior*innen wenden sich vermehrt neuartigen Engagement- und Beteiligungsformaten zu und sie scheuen auch nicht die Adaptation digitaler Technologien und Kommunikationsformen. Auch die Förderpolitik hat dies erkannt. Gefördert wurden bislang etwa ca. 1000 Seniortrainer*innen und lokale Seniorenbüros. Die Senioren, so Richter, „haben es in der Hand, eine stärkere Berücksichtigung von Bürgerinteressen jeglicher Herkunft in allen Phasen und auf allen Ebenen politischer Entscheidungsprozesse einzuleiten. Sie können einen kraftvollen basisdemokratischen Impuls in die politischen Institutionen und Gremien hineintragen. Wenn sie sich als eine tatkräftige Avantgarde vermehrter Bürgerpartizipation verstehen, können sie alle zu erwartenden Widerstände meistern und die eigene Politisierung zu einer Demokratisierung der gesamten Gesellschaft vorantreiben.“ (S. 241)

Ein die Debatte strukturierendes und perspektivierendes Buch. Sehr empfehlenswert.


Beitrag im Newsletter Nr. 18 vom 10.9.2020

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Autor

PD Dr. Ansgar Klein, Privatdozent für Politikwissenschaften am Lehrstuhl für Politische Theorie der Humboldt-Universität zu Berlin. Gründungsgeschäftsführer des Bundesnetzwerks Bürgerschaftliches Engagement (BBE) und Publizist (u.a. 1988 Mitbegründer des Forschungsjournals Neue Soziale Bewegungen). 2000-2002 Wissenschaftskoordinator für die SPD-Bundestagfraktion in der Enquete-Kommission „Zukunft des Bürgerschaftlichen Engagements“.

Kontakt: ansgar.klein@snafu.de


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