Weibliche DJs auf dem Vormarsch: Interview mit Olfa Arfaoui, Mitbegründerin von La Fabrique Art Studio in Tunesien
Yasmine Borghol
Inhalt
Einführung
Interview geführt von Yasmine Borghol
Hinweis
Redaktion
Einführung
Von Brigitta Wortmann, Erste Vorsitzende ANA HUNNA International Network e.V.
Betrachtet man die ökonomischen und gesellschaftlichen Situationen von Frauen in Tunesien und in der MENA Region (Naher Osten und Nordafrika), so erscheint ein vielschichtiges Bild. Die Internationale Arbeitsorganisation (ILO) schätzt den Anteil der erwerbstätigen Frauen in der MENA Region auf den niedrigsten weltweit. Gerade einmal 27 Prozent der Frauen in der MENA-Region hatten eine bezahlte Arbeit. Nach ILO Angaben hat sich die Situation durch die COVID-19-Pandemie verschlechtert. Zwischen Anfang 2019 und Ende 2020 ging die Erwerbstätigkeit bei Frauen um 4,1 Prozent zurück, unter Männern um 1,8 Prozent. Während in Tunesien Frauen 67% der Hochschulabsolventen ausmachen, liegt ihr Anteil an der erwerbstätigen Bevölkerung nur bei 24,6% (Global Gender Gap Report 2020 des Weltwirtschaftsforums zur Ungleichheit der Geschlechter). Die Arbeitslosigkeit betrifft Frauen doppelt so stark (22,5%) wie Männer (12,4%). Trotz ihrer akademischen Leistungen ist der Weg ins Wirtschaftsleben für junge Frauen schwer.
Mehrere Faktoren behindern die wirtschaftliche Inklusion und Stärkung von Frauen, unter anderem der Mangel an Strukturen zur Vereinbarkeit von Beruf und Familie, Gesetzgebungen, geschlechtsspezifische Gewalt und weiterhin vorherrschende traditionelle Rollenbilder. Nicht nur, dass dadurch Frauen behindert werden, die Staaten berauben sich auch Chancen und Ressourcen, indem sie ihnen einen Teil ihrer treibenden Kräfte entziehen.
Das Engagement von Olfa Arfaoui und dem La Fabrique Art Studio in Tunesien ist ein wunderbares Beispiel, mit welcher Kraft und welcher Ideenvielfalt auch in Tunesien Zugänge für Frauen geöffnet werden, gesellschaftliche Debatten angestoßen und Frauen sichtbarer gemacht werden.
Olfa Arfaoui ist ebenfalls Mitglied im ANA HUNNA International Network e.V., einem Verein in dem NGOs sowie Männer und Frauen aus Jordanien, Ägypten, Marokko, Tunesien und Deutschland sich für eine bessere Inklusion von Frauen in der Arbeitswelt einsetzen und sich dazu regional und überregional vernetzen. Zur Reflektion über Geschlechterstereotypen und zur Erörterung von Fragen zur wirtschaftlichen Teilhabe regen die ANA HUNNA Filme und das Trainings-Kit an, mit denen nicht nur in der MENA Region gearbeitet werden kann, sondern auch in Deutschland. »ANA HUNNA« bedeutet ich bin hier und steht für einen Aufruf an alle Frauen selbstbestimmt, aktiv und kraftvoll in Gesellschaft und in der Arbeitswelt zu sein.
Das folgende Interview, das die Autorin Yasmine Borghol mit Olfa Arfaoui führte, wurde zuerst im tunesischen Maft Mag veröffentlicht. Yasmine Borghol hat einen Abschluss in Internationale Beziehungen und schreibt vorwiegend Artikel über Feminismus, Geschlechtergleichstellung und Kunst.
Interview geführt von Yasmine Borghol
Hier eine weitere inspirierende Frau, die es zu entdecken gilt. Es war sehr aufregend, Olfa Arfaoui kennenzulernen, Sozialunternehmerin und Mitbegründerin von La Fabrique, einem künstlerischen Co-Working Space und Kunststudio. Ich freue mich sehr, dieses interessante Interview mit Ihnen zu teilen, in dem ich mit Olfa über Musik, die Situation von weiblichen DJs in Tunesien und der MENA-Region (Middle East and North Africa, Naher Osten und Nordafrika) und ihre Reise als Sozialunternehmerin, die etwas verändern möchte, gesprochen haben.
Und wenn jemand zufällig davon träumt, ein weiblicher DJ zu werden – für die ist dieses Interview genau das Richtige.
Erzählen Sie uns ein bisschen was über sich
Olfa Arfaoui, ich bin ein Social Influence Entrepreneure. Ich arbeite seit einem Jahrzehnt an Gleichstellungsprojekten für die internationale Entwicklungszusammenarbeit und habe Projekte zur Geschlechtervielfalt und -gleichstellung geleitet und entworfen, die auch den privaten Sektor und zivilgesellschaftliche Organisationen einschlossen. Ich war auch die ausführende Produzentin einer Medienkampagne mit dem Titel »Ich bin hier – ANA HUNNA« um Frauen und Mädchen in Wirtschaft und Gesellschaft durch Filme und soziale Debatten zu stärken. Zudem habe ich an einem Projekt in der MENA-Region gearbeitet, das sich auf die vier Hauptländer Jordanien, Ägypten, Marokko und Tunesien erstreckt.
2017 habe ich einen Coworking Space namens La Fabrique Art Studio mitbegründet, einen gemeinschaftsorientierten Kunstraum, der junge Künstler*innen und Kreative ermutigt und ihnen Zugang zu Möglichkeiten wie künstlerischen Residenzen, Netzwerken, Kollaborationen und auch Schulungen bietet.
Wir betreiben Kapazitäts- und Kompetenzentwicklung für Künstler*innen und Kreative und konzentrieren uns hauptsächlich auf Minderheitengruppen. Allerdings finde ich es problematisch, dass Frauen und Mädchen als Minderheitengruppen gelten.
Können Sie uns mehr über La Fabrique erzählen?
La Fabrique wurde 2017 von mir und dem Musiker und Künstler Mohamed Ben Slama gegründet. Wir haben ein Studio geschaffen, in dem Musiker*innen und Künstle*innen ihre Musik aufnehmen können, aber es ist auch ein Raum für Kreative, um zu arbeiten, zu kollaborieren und ihre Projekte zu teilen.
Die Idee von La Fabrique ist es, aufstrebende Kreative zu fördern und ihnen Zugang zu Möglichkeiten zu geben.
Wie kam es zu der DJ-Schule nur für Frauen? Woher kam die Idee?
Ich hatte eine Leidenschaft für Musik, ich habe früher Geige gespielt. Ich musste irgendwann aufhören, aber die Idee, Musik zu machen, ist geblieben. Also habe ich 2018 an einem Workshop für weibliche DJs beim GOETHE Institut Tunis teilgenommen, der von der türkisch-deutschen DJ und Produzentin DJ Ipek geleitet wurde. Wir hatten eine Woche Training und sind dann im Yuka, einer Bar in Tunis, aufgetreten.
Nach diesem Workshop wollten wir das Praktizieren (und die Handwerkskunst) fortsetzen. Also blieb ich mit der Dozentin und DJ Ipek in Kontakt und fragte sie immer wieder nach Materialien, was ich kaufen sollte, welche Ressourcen benötigt werden. Und dann habe ich beschlossen, eine Schule für weibliche DJs zu gründen. Das Projekt ist natürlich im La Fabrique angesiedelt. Wir haben 2018 mit unserem ersten Workshop begonnen. Er fand am 8. März statt, am Internationalen Frauentag, also fragte ich Rim Charfi (Noy ära), ob sie mitmachen und unsere Lehrerin sein möchte.
Und so haben wir angefangen. Anfangs sehr klein, nach und nach ist unsere Gemeinschaft gewachsen.
Wie ist die Kampagne »16 DJs des Aktivismus gegen geschlechtsspezifische Gewalt« entstanden?
Unser Ansatz bei La Fabrique entstand aus dem Drang, Kunst als Werkzeug für Aktivismus zu nutzen, wir setzen uns sehr für Artivismus (Kunst für positiven sozialen Wandel) ein. Wir wollten etwas zu den 16 Tagen zur Beendigung der Gewalt gegen Frauen, ausgerufen von den Vereinten Nationen, beitragen und unseren Schüler*innen die Möglichkeit geben, ihre Stimme zu erheben und eine aktive Rolle zu spielen, um das Bewusstsein zu schärfen und die Debatte über Gewalt, Rassismus, Sexismus und alle Formen von Gewalt gegen Frauen, Mädchen und nicht-binäre Personen anzustoßen.
Wir haben die 16 Days of Activism in 16 DJs of Activism umgewandelt und dann einen Aufruf an Student*innen und Dozent*innen innerhalb und außerhalb der Universität gestartet. Ihnen gefiel die Idee, weil sie nie gedacht hätten, dass sie eine solche Rolle spielen und sich mit ihrer Kunst und Musik engagieren könnten. Anfangs hatten sie ein wenig Zweifel, ob sie das hinbekommen. Am Ende war es großartig für sie.
Wir hatten weibliche DJs und wir haben eine Online-Kampagne gestartet, aber es war auch ein Online-Festival. Vom 25. November bis zum 10. Dezember 2020 gab es jeden Tag ein Talent Testimonial und eine 30-minütige Musiksession.
Mit welchen Problemen sind weibliche DJs in Tunesien und im Nahen Osten konfrontiert? (neben geschlechtsspezifischer Gewalt)
Die größten Herausforderungen sind: Zugang zu Ressourcen (Ausbildung, Möglichkeiten, Ateliers), alle Arten von Mechanismen zur Karriereentwicklung – Frauen sehen sich auch mit vielen geschlechtsspezifischen Stereotypen konfrontiert („das ist nichts für Frauen, das ist ein Männerjob, Frauen können nicht im Nachtleben arbeiten“) –, zudem ist auch toxische Männlichkeit im Sinne von viel Gewalt und Diskriminierung ein Problem. Eines unserer Ziele war und ist die Bekämpfung von toxischen Männlichkeitsstrukturen. Frauen werden auch im DJ-Beruf nicht gleich bezahlt wie Männer, und für viele Frauen, die Kinder haben, ist die Vereinbarkeit von Arbeit und Leben eine große Herausforderung.
Wie könnte Ihrer Meinung nach, die Situation der weiblichen DJs in Tunesien und im Nahen Osten verbessert werden?
Es ist sehr wichtig, solche Initiativen wie 16 DJs of Aktivism zu fördern und sichere Räume für weibliche Künstler*innen und Kreative zu schaffen, damit sie ihre Karriere in der Kunst und insbesondere in der Musik vorantreiben können. Außerdem ist es sehr wichtig, das Bewusstsein zu schärfen und Stereotypen über den Beruf des DJs abzubauen, über den wir nur wenige Informationen haben und seinen Wert nicht kennen. Ich denke auch, dass die Schaffung eines Finanzierungsmechanismus für weibliche Künstlerinnen viele dazu ermutigen kann, ihre Karriere als DJs zu beginnen.
Wie stellen Sie sich die Zukunft der weiblichen tunesischen DJs vor?
Die elektronische Musikindustrie wächst in Tunesien und auch in der MENA-Region. In einem Artikel, den ich vor ein paar Wochen gelesen habe, hieß es, dass die Jugend im Alter von 15 bis 35 Jahren bald etwa 70 % der Bevölkerung der MENA-Region ausmachen wird. Die Bevölkerung wird immer jünger, und diese Jugend hat ein großes Interesse an elektronischer Musik.
Es gibt noch einen weiteren wichtigen Aspekt, nämlich die digitale Komponente. Heutzutage versuchen etablierte Musiker*innen, mehr und mehr digitale Plattformen und Produkte in ihre Musik einzubauen, weil es viel einfacher ist und die Ergebnisse erstaunlich sind. Denn man kann Musik in sehr kurzer Zeit und mit viel weniger Aufwand produzieren.
Was halten Sie von der aktuellen tunesischen Szene/Industrie für elektronische Musik?
Sie wird immer noch von Männern dominiert, und das ist auch in anderen Ländern so. Die Promoter sind meist Männer, also neigen sie dazu, Männer zu fördern. Sie neigen dazu, Männer einzuladen, sich mit Männern zu vernetzen, die sind der Old Boys Club der Branche. Ich denke, dass es sehr wichtig ist, diese Kette zu durchbrechen, indem man weiblichen DJs mehr Sichtbarkeit verschafft und zeigt, dass Talent nicht vom Geschlecht abhängt.
Welchen Rat geben Sie Frauen, die eine Karriere in der elektronischen Musikszene anstreben?
Vertraut euch selbst und eurem Talent, sucht nach weiblichen Vorbildern, um euch inspirieren zu lassen, und versucht, in Netzwerke einzutreten, die weiblichen Künstler*innen Chancen bieten.
Haben Sie Veranstaltungen in nächster Zeit?
La Fabrique und die Female DJ School organisieren auch FeMENA, ein Netzwerk, Bewegung und Festival für Geschlechtervielfalt und Inklusion in elektronischer Musik und digitaler Kunst in der MENA-Region und darüber hinaus.
Wir sind eine inklusive Bewegung, ein Netzwerk und Festival für weibliche Talente in der elektronischen Musik und der digitalen Kunst unter der Leitung von La Fabrique Art Studio (Tunesien) zusammen mit dem Four Seasons Festival (Marokko) und Future Female Sound (Dänemark).
FeMENA في منا
a: (fe) for female and non-binary talents in electronic music and digital arts
b: (mena) for middle east, north africa and beyond
a: describes an action to make female and non-binary talents more visible. It means in arabic »there is of us«
b: a network and a movement to promote gender diversity and equality in alternative arts and new technologies.
Beitrag im Newsletter Nr. 19 vom 23.9.2021
Für den Inhalt sind die Autor*innen des jeweiligen Beitrags verantwortlich.
Hinweis
Das Original-Interview wurde von Yasmine Borghol geführt und erschien zuerst am 25. Januar 2021 im tunesischen Maft Mag.
Übersetzung aus dem Englischen: Anne-Kathrin Gräfe.
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