Inhalt
Zur Situation queerer Menschen in Deutschland
Engagement queerer Menschen hat seinen Ausgangspunkt in Ungleichbehandlung
Queer Rights are Human Rights
Endnoten
Autor
Redaktion
QueerNet RLP ist das Netzwerk queerer Initiativen und Vereine in Rheinland-Pfalz. Gegründet 2005, bietet es als Netzwerk Austauschmöglichkeiten von queeren[1], Initiativen, Gruppen und Vereinen aus den Oberzentren und den sie umgebenden Landkreisen von Rheinland-Pfalz. Mit dem Bildungsprojet SCHLAU gehen seit 2009 in junge Erwachsene in Schulen in Rheinland-Pfalz und informieren über die Situation queerer Menschen im Hinblick auf gleiche Rechte und Akzeptanz.
Hintergrund der Gründung war die bestehende rechtliche Ungleichbehandlung queerer Menschen und die fehlende gesellschaftliche Akzeptanz. An der Aktualität dieser Anliegen hat sich bis heute nichts geändert. Auf der rechtlichen Ebene fehlt im Grundgesetz Artikel 3.3. der Schutz der sexuellen und geschlechtlichen Identität, das Abstammungsrecht zwingt lesbische Familien zur Stiefkindadoption der nicht gebärenden Mutter, es fehlt ein Personenstandsrecht, das eine Änderung des Geschlechtseintrags ohne Gutachten vorsieht.
Auf der Ebene der gesellschaftlichen Akzeptanz werden Übergriffe auf queere Menschen mit geringerer Bedeutung versehen als vergleichbare Angriffe gegen Andere; es fehlt eine breite Öffentlichkeitskampagne staatlicher Organe (Kommunen, Land, Bund), es fehlt ein nationaler Aktionsplan für Akzeptanz und gegen Diskriminierung queerer Menschen, sowie eine Unterstützung queerer Strukturen, die als dauerhafte Ansprechstellen fungieren.
Zur Situation queerer Menschen in Deutschland
Den Mangel aufzuzeigen bedeutet nicht zu leugnen, dass sich in den letzten Jahrzehnten viel getan hat, u.a. die Öffnung der Ehe, auch in den Kulturmedien gibt es, verglichen mit vor 30 Jahren, eine größere Sichtbarkeit.
Interessant zu untersuchen ist, wie diese Veränderungen zustande kam. Es waren in allen Fällen immer queere Menschen, die ihr Anliegen artikuliert haben, die Politik adressierten oder die Gerichte bemühten – und in der ersten Phase ihres Engagements zurückgewiesen wurden.
Das vielleicht eindrücklichste und bitterste Beispiel dafür war das Urteil des Bundesverfassungsgerichts von 1957. Die 1935 von der Diktatur der Nationalsozialisten verschärfte Fassung des §175 StGB[2], war unverändert ins Strafgesetzbuch der Bundesrepublik übernommen worden. Dies wurde vom Bundesverfassungsgericht nicht als nationalsozialistisches Unrecht (wie die Nürnberger »Rassegesetze«) anerkannt, die Klage wurde abgewiesen. Das bedeutete keine Entschädigung, keine Rehabilitierung (bis zum Jahr 2000) und vor allem die Fortsetzung der Verfolgung von queeren Menschen im gleichen Maß, oft vor den gleichen Richtern, wie in der Zeit der nationalsozialistischen Diktatur.
Begleitet wurde das Urteil von politischen Maßnahmen, polizeilicher Verfolgung und gesellschaftlicher Ächtung u.a. durch den Volkswartbund, einer Organisation, deren Leiter vom Bistum Köln bezahlt wurde. Mitglieder des Volkswartbundes stellten sich u.a. vor die Kinos und warnten die Besucher*innen vor »Schmutz und Schund« auf der Leinwand. Wie gelang es, dieses Klima der Repression der Adenauer Ära zu beenden? Viele Faktoren spielten dabei eine Rolle: die Studierendenbewegung der 1960er Jahre, die Zurückweisung der Zensur (Strauß-Affäre – die Zurückweisung der Zensur, die der damalige Verteidigungsminister Strauß versuchte durchzusetzen, indem er eine Ausgabe des SPIEGEL verbot), der politische Aufbruch (Vietnamkrieg/ Ostpolitik) generell und die Frauenbewegung und ihr Kampf gegen den §218 und ihr Beharren auf dem Recht auf körperliche Selbstbestimmung und gleichen Rechten.
Engagement queerer Menschen hat seinen Ausgangspunkt in Ungleichbehandlung
Ohne diesen Kontext ist auch eine queere Emanzipationsbewegung nicht zu denken, aber gleichzeitig lassen sich Elemente erkennen, die fast allen dieser Bewegungen gemeinsam sind. Bezogen auf die queere Emanzipationsbewegung und ihr bürgerschaftliches Engagement heißt das: Die Reaktion auf die Zurückweisung durch Justiz und Politik waren in erster Linie öffentlichkeitswirksame Aktionen, Büchertische auf Marktplätzen, Kongresse, Demonstrationen wie der Christopher Street Day (CSD), der 1979 zum ersten Mal in der Bundesrepublik stattfand. Mit klaren Forderungen (Abschaffung des § 175 StGB, Thematisierung von Homosexualität/ Transidentität in den Bildungseinrichtungen) wurde die Öffentlichkeit (zuerst) der großen Städte (Berlin, Hamburg, Köln, Stuttgart, München) adressiert. Das interessierte die Medien, die nicht nur darüber berichteten, sondern auch Hintergrundinformationen lieferten. Ein weiterer Impuls bürgerschaftlichen Engagements bestand darin, dass sich queere Menschen vor Ort in Gruppen zusammenschlossen und begannen, eigene Strukturen aufzubauen wie Zentren, Lokale oder Tagungshäuser. All dies auf ehrenamtlicher Basis, bis heute. So hat bürgerschaftliches Engagement queerer Menschen seinen Ausgangspunkt in Ungleichbehandlung, Zurücksetzung, Ausgrenzung, Kriminalisierung und Verfolgung. Es trifft zunächst die definierte Gruppe queerer Menschen. Das Grundanliegen allerdings nach Gleichwertigkeit, gleichen Rechten und Teilhabe ist viel größer als die konkreten Anliegen; die konkreten Anliegen sind eher der Lackmustest dafür, ob das allgemeine Versprechen des Grundgesetzes (»Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller stattlichen Gewalt«) sich auch im konkreten Fall erfüllt. Wie zäh dies in der Politik der Bundesrepublik Deutschland ist, davon zeugen die offenen »Baustellen«, die weiter oben genannt sind. Die entscheidenden Gesetzesänderungen sind auf der politischen Ebene durch Beschlüsse des Bundesverfassungsgerichts »erzwungen« worden, wie die Ehe für alle oder zuletzt das Klimaschutzgesetz. Dass die Bedeutung von Artikel 1 in der Rechtsprechung so hervorgehoben wurde, dass die Kulturmedien eine weitgehend akzeptierende Haltung zeigen, dass auch die Politik sich in kleinen Schritten bewegt, dass es gelungen ist Räume für queere Menschen zu schaffen, auch Beratungseinrichtungen aufzubauen, ist ohne bürgerschaftliches Engagement queerer Menschen nicht denkbar.
Queer Rights are Human Rights
Die jüngsten Entwicklungen, die Zunahme von Hass und Hetze im Internet und auf der Straße zeigen, dass es keinen Stillstand gibt, sondern v.a. Akzeptanz immer neu und mit jeder Generation wiedererrungen werden muss, in erster Linie durch die Protagonist*innen selbst. Die Erfolge der queeren Bewegung in den letzten Jahrzehnten belegen eindrücklich, dass dies gelang, weil das konkrete Anliegen immer die Grundanliegen demokratischen Zusammenlebens betraf und damit anschlussfähig war weit über die queere Community hinaus. Da gilt im Übrigen auch nicht nur für die Bundesrepublik Deutschland, denn queer rights are human rights.
Endnoten
1 Queer meint die Vielfalt sexueller und geschlechtlicher Identitäten.
2 Der §175 bestrafte einvernehmliche sexuelle Handlungen unter Männern, wobei die Altersgrenze der Strafbarkeit homosexueller Personen höher lag als bei heterosexuellen Personen. Bestraft wurde v.a. Penetration, gegenseitige Onanie war in der Fassung des § 175 von 1871 straffrei, Die Verschärfung aus den Jahre 1935 bezog sich v.a. darauf, dass schon der Versuch einer Annäherung strafbar war und zudem das Strafmaß drastisch erhöht wurde. Viele, die nach dem §175 verurteilt worden waren, kamen direkt nach dem Ende der Haft erneut in sog. »Schutzhaft«, die häufig in Konzentrationslagern und damit dem (fast) sicheren Tod endeten.
Beitrag im Newsletter Nr. 19 vom 23.9.2021
Für den Inhalt sind die Autor*innen des jeweiligen Beitrags verantwortlich.
Autor
Joachim Schulte ist Sprecher des QueerNet RLP e.V.
Kontakt: sprecher_in@queernet-rlp.de
Redaktion
BBE-Newsletter für Engagement und Partizipation in Deutschland
Bundesnetzwerk Bürgerschaftliches Engagement (BBE)
Michaelkirchstr. 17/18
10179 Berlin
Tel.: +49 30 62980-115