Lebenslanges Lernen im Alter – was die Evangelische Kirche in Hessen und Nassau dazu beiträgt
Ina Wittmeier
Inhalt
Einleitung
1. Lernen im Ehrenamt - Ehrenamtsakademie der EKHN: www.ehrenamtsakademie-ekhn.de
2. Erwachsenenbildung in der EKHN
3. Mehrgenerationenlernen - Projektbeispiel Dorfschmiede Freienseen: www.dorfschmiede-freienseen.de
Autorin
Redaktion
Einleitung
Menschen in allen Lebensphasen zu begleiten ist Kernauftrag der evangelischen Kirche.
Mit Blick auf die Bildung bedeutet das „lebenslanges Lernen“. Die Angebote sind vielfältig und beginnen im Lebenszyklus bei der Evangelischen Familienbildung. In Familienbil-dungsstätten oder dezentral bieten evangelische Bildungseinrichtungen beispielsweise Kurse für Schwangere, Eltern-Kind-Gruppen oder auch digitale Elternbildung an. (https://digitale-elternbildung.de/).
Bildung findet auch im Kindergottesdienst, in den evangelischen Kitas und Schulen sowie auf Kinder- und Jugendfreizeiten statt. Betreuer*innen, pädagogische Fachkräfte und Leh-rende vermitteln dort neben Wissen auch Werte und üben gegenseitige Übernahme von Verantwortung ein. Im weiteren Lebensverlauf gibt es diverse Angebote und Möglichkei-ten zum Engagement. Die Angebote sind in aller Regel offen für Interessierte, auch ohne Kirchenmitgliedschaft.
Im Artikel werden einige ausgewählte Projektbeispiele aus der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau (EKHN) in den Bereichen Lernen im Ehrenamt, Erwachsenenbildung und Mehrgenerationenlernen vorgestellt.
1. Lernen im Ehrenamt - Ehrenamtsakademie der EKHN: www.ehrenamtsakademie-ekhn.de
Die Grundhaltungen des Ehrenamtsgesetzes bestimmen auch das Lernen im Ehrenamt in der EKHN: »In der Evangelischen Kirche ist es Aufgabe aller Getauften, am Bau des Reiches Gottes verantwortlich mitzuwirken. Deshalb ist ehren-, haupt- und nebenamtliche Arbeit gleichwertig. In der Zusammenarbeit prägen alle gemeinsam und gleichberechtigt das Leben und die Gestalt von Gemeinde und Kirche. Sie beteiligen sich an der Verkündigung, der Seelsorge, der Diakonie und nehmen Leitungsverantwortung in Gemeinde und Kirche wahr. …Dabei sollen Menschen unabhängig von ihrem Alter, ihrer Herkunft, ihrer beruflichen Situation, auch unabhängig von der Kirchenzugehörigkeit, angesprochen und motiviert werden, wie sie ihre Begabungen und Erfahrungen in kirchlicher Arbeit einbringen können. «
Ins Ehrenamt bringen Menschen differenziertes Vorwissen und Kompetenzen aus ihren Lebensfeldern ein. Anders als in Unternehmen lernen Ehrenamtliche nicht an ihrem regulären Arbeitsplatz, an dem sie sich eine festgelegte Zeit lang aufhalten. Sondern sie schenken der Organisation Zeit für ihr ehrenamtliches Engagement und das dazu benötigte Lernen. Das Lernen findet zumeist live im Vollzug (learning by doing) und bei Bedarf statt und ist informell. So ergibt sich beispielsweise eine konkrete, situative Problemstellung im Ehrenamt, für die eine Lösung gefunden werden muss. Die Ehrenamtlichen machen sich auf die Suche nach Antworten zur Problemlösung. Dabei finden sie Informationen, welche durch die Verknüpfung von Vorwissen und Erfahrung in Wissen verwandelt wird. Das gesamte benötigte Wissen für ein Ehrenamt kann man sich als einen Gesamt-Pool vorstellen, in dem einzelne Bausteine vorhanden sind (siehe Abbildung). Die Ehrenamtsakademie (eaA) nimmt die Ehrenamtlichen als Expert*innen für ihren eigenen Wissenserwerb ernst und setzt auf deren Selbststeuerungsfähigkeiten. Die Ehrenamtlichen können sich zeit- und ortsunabhängig die Wissensbausteine holen, die sie für die aktuelle Problemstellung benötigen.
Wissensbausteine und -inhalte versteht die eaA nicht als exklusiv oder „geheim“, sondern bieten diese als »open educational ressources« an. Sie sind offen im Internet verfügbar, Interessierte benötigen kein Passwort, um sich in eine Lernumgebung einzuloggen. Sie können das benötigte Wissen jederzeit und von jedem Ort mit Internetverbindung abrufen. (YouTube Kanal Ehrenamtsakademie EKHN: www.youtube.com/c/EhrenamtsakademieEKHN). Denn Ehrenamtliche brüten auch mal abends oder am Wochenende über einem Problem und brauchen dann zeitnah eine Lösung.
Für den Austausch untereinander und zur Informationssammlung bietet die Ehrenamtsakademie zwei Facebook-Gruppen an: »Kirchenvorstand EKHN« und »Kirchenvorstandswahl 2021 EKHN«.
Die derzeit jeweils etwa 500 Mitglieder können bei Bedarf Fragen stellen und erhalten schnelle Antworten, entweder von einem anderen Gruppenmitglied oder von den Administrator*innen und Fachstellen. Diese geschlossenen Gruppen dienen dem Austausch und der Diskussion und haben sich z.B. in der Corona-Pandemie bewährt, als Informationen des Krisenstabs der EKHN unmittelbar eingestellt und somit schnell verbreitet werden konnten. Die Mitglieder erhalten Push-Nachrichten und sind somit sofort über aktuelle Entwicklungen informiert.
Die Ehrenamtsakademie ist der Auffassung, dass Informationen gut digital vermittelt werden können. Das Erlernen und Weiterentwickeln von Leitungskompetenzen sowie die Arbeit an Einstellungen und Haltungen oder Strategieentwicklung kann am besten in Präsenzveranstaltungen, in Gemeinschaft mit anderen erarbeitet werden. Das Angebot ist somit ein »Blend« aus Präsenz und Online-Angeboten. Die Vernetzung Ehrenamtlicher miteinander ermöglicht damit »Social Learning«.
Die Ehrenamtsakademie setzt insgesamt auf informelles, selbstgesteuertes Lernen bei Bedarf, zum Kompetenzaufbau im Ehrenamt – für alle Altersstufen.
2. Erwachsenenbildung in der EKHN
Das Zentrum Bildung der EKHN bietet im Fachbereich Erwachsenenbildung und Familienbildung Angebote für das »lebenslange Lernen«.
Das Fachfeld »Bildungsarbeit mit älteren Menschen« beschreibt sein Angebot wir folgt: »Bildungsarbeit mit älteren Menschen beschäftigt sich mit den gesellschaftlichen Bedingungen sowie den alltäglichen Herausforderungen des Älterwerdens in der heutigen Zeit. Altenbildung in der Evangelischen Erwachsenenbildung orientiert sich am Konzept des »lebensbegleitenden Lernens« und verknüpft Bildung mit den entsprechenden Lebensphasen der Menschen« (www.erwachsenenbildung-ekhn.de/fachfelder/bildungsarbeit-mit-aelteren/).
Die Angebote des Fachfelds »Digitale Bildung« werden von allen Altersgruppen genutzt. Die Programminhalte reichen von theologischen, politischen oder ethischen Themen bis zu Technik-Tipps und Management-Fragestellungen (www.erwachsenenbildung-ekhn.de/fachfelder/digitale-bildung).
Betrachtet man das Thema »lebenslanges Lernen« mit dem Schwerpunkt auf dem Alter, so ist für die EKHN auch »Leben im Alter (LiA)« zu erwähnen. »LiA« ist ein Netzwerk in der EKHN, das sich mit den Fragen des Alter(n)s auseinandersetzt. Es ist ein loser Zusammenschluss von Interessierten, freiwillig Engagierten und Fachkräften aus Organisationen und Institutionen zum gemeinsamen Thema Alter. Auf regionaler Ebene haben die Dekanate gemeindepädagogische Konzepte entwickelt, die auf Sozialraumanalysen fußen. Sie sind auf die vorhandenen lebensweltlichen Bedarfe abgestimmt und bieten u.a. spezielle Angebote für Menschen im Alter. Die Zielgruppe wird hier nicht mehr klassisch wie früher als Senior*innen bezeichnet und richtet sich nicht mehr (nur) an Hochaltrige, sondern bietet vor allem Themen an, die für Menschen ab 55+ interessant sind (Ruhestand, Kinder verlassen das Haus, Beruf und Pflege…).
2.1 regionale Projektstellen 55+
Die Einsicht, dass Alter(n) sich ändert, hat dazu geführt, die Zielgruppe der 50- bis 70-Jährigen stärker in den Blick zu nehmen. In der EKHN wurden fünf Projektstellen 55+ errichtet. Sie arbeiten themenbezogen und gehen von der grundsätzlichen Haltung aus, dass Menschen sich in der Region vernetzen und eigene Projektideen umsetzen. Die hauptamtlich besetzten Projektstellen unterstützen die Engagierten dabei. Die Projektstellen 55+ legen Wert auf Selbstbestimmung, Möglichkeiten der Teilhabe und ein differenziertes Bild des Alter(n)s. Die Beteiligten entwickeln gemeinsam innovative und kreative Konzepte, die Begegnung ermöglichen und in welchen sie ihre Kompetenzen einbringen können. Dabei geht das Konzept weg von der reinen Angebotskultur und der kalendarischen Zielgruppenorientierung, hin zum Aufnehmen von Lebensthemen und deren thematischer Bearbeitung.
2.1.1 Projektbeispiel Boomerangs 55+ (Dekanat Kronberg)
»Wir sind die Generation der »Babyboomer«, also jene geburtenstarken Jahrgänge, die Ende der 50er und Anfang der 60er Jahre das Licht der Welt erblickt haben. Wir waren immer viele – zu viele, mussten uns Nischen und Plätze suchen, flexibel sein. Wir sind ins Wirtschaftswachstum hineingeboren und die meisten von uns hatten eine freie Kindheit und Jugend.
Auch wir sind älter geworden. Mitte 50 oder älter… Wechseljahre! Den größten Teil unseres Erwerbslebens haben wir hinter uns. Die Kinder sind groß. Sofern unsere Eltern noch leben, sind sie nun meist auf uns angewiesen. Wir stellen uns neuen Herausforderungen. Mit unserem Projekt wollen wir dazu beitragen Veränderung zu gestalten. Wie ein Boomerang kommen wir zurück: Wir, die wir immer zu viele waren. Wir steuern auf den dritten Lebensabschnitt zu und wollen ihn gestalten – aktiv!« So lautet die Selbstbeschreibung auf der Website des Projekts, das sich als sorgende Ge-meinschaft auch auf die Suche nach für sie passenden spirituellen Formen begibt.
2.1.2 Projektbeispiel »SMARTphone ENTDECKEN«
»SMARTphone ENTDECKEN« ist ein vom Land Hessen finanziertes und auf ein Jahr befristetes Medienkompetenzprojekt, dessen aktive Phase im Dezember 2019 endete. Der Grundthese folgend, dass nur diejenigen sich eigenverantwortlich und autonom in einer digitalisierten Gesellschaft bewegen können, die sich in ihr auskennen, wurde an sechs Projektstandorten zwischen August und Dezember in insgesamt 18 Vor-Ort Veranstaltungen und 10 Webinaren mit über 800 interessierten Menschen über 55 Jahren gearbeitet, diskutiert und sich mit Grundfragen der Digitalisierung anhand der eigenen Smartphonenutzung auseinandergesetzt. Das Besondere an diesem Projekt war die Verbindung digitaler und analoger Lern- und Begegnungsszenarien. Mit Hilfe einer hybriden Veranstaltungsmethodik wurden analoge Vor-Ort Begegnungen mit digitalen Online-Szenarien verbunden, so dass einerseits die räumliche Barriere der Teilhabe genommen wurde, auf der anderen Seite das soziale Kommunikationserlebnis auch für Online-Teilnehmende vorhanden war.
Als Bildungsgrundlage wurden hierfür zahlreiche Videos und Texte für raum- und zeitunabhängige Selbstlernprozesse produziert, die gemeinsam mit den Aufzeichnungen der Webinare in Sinne der Nachhaltigkeit auch in Zukunft abrufbar sein werden.
2.1.3 Projektbeispiel Initiative 55 plusminus
»Mein Dorf55±« lädt Seniorinnen und Senioren aus dem Nassauer Land ein, sich zu vernetzten und gemeinsam ihren Alltag zu gestalten. Dort finden sich Seniorinnen und Senioren mit ähnlichen Interessen zusammen, werden initiativ und starten neue Projekte. Das kann eine lange Veranstaltungsreihe, wie zum Beispiel die inzwischen sehr beliebten Wanderungen auf unbekannten Pfaden rund um die Loreley, ebenso wie ein einmaliges Treffen zu einem aktuellen Thema sein. Begegnungen mit Bildungscharakter (wie Livestream-Museumsbesuche oder Sprachkurse) kommen ebenso vor wie Veranstaltungen, bei denen man „einfach nur“ eine gute Zeit miteinander verbringen will.
Das Projekt besteht im 16. Jahr und wird von der »Initiative 55plusminus« des Evangelischen Dekanats Nassauer Land verantwortet. Aus der Initiative wurde eine App als Mitmachbörse entwickelt, die 2017 den goldenen Internetpreis verliehen bekam. Aktuell sind etwa 900 User*innen registriert. Corona hat zu einem Digitalisierungsschub geführt und Videokonferenzen ermöglicht.
Ein großes Team an Ehrenamtlichen und eine halbe hauptamtliche Projektstelle unterstützen bei Projektideen und der Umsetzung, sie beraten bei Technik-Schwierigkeiten und beim Einstellen von Suchanfragen und Angeboten. Ein Redaktionsteam bewertet diese, um den Katalog von Angeboten in den Grenzen des moralisch Vertretbaren zu halten (keine Schwarzarbeit, keine Partner*innen-Vermittlung…). Das Nassauer Land ist eine Weinregion, eines der aktuell erfolgreichen Projekte war ein Online Wine-Tasting mit der Weinkönigin und etwa 100 Teilnehmenden, die die Probeweine im Voraus bestellt hatten.
3. Mehrgenerationenlernen - Projektbeispiel Dorfschmiede Freienseen
Geboren aus einer einzigen Idee »Leben und Sterben wo ich daheim bin«, sorgt der inno-vative Ansatz und das hohe ehrenamtliche Engagement seit 2009 für Aufmerksamkeit. Ideengeber, Visionär und Gründer der DorfSchmiede ist Ulf Häbel, ehemaliger Pfarrer im Ort.
»Die DorfSchmiede Freienseen ist eine Vision, die auf allen Ebenen aus den Folgen des demografischen Wandels gelernt hat: Sie gibt älteren Menschen die Möglichkeit zur heimatnahen Tagespflege und -betreuung. Sie bietet den Angehörigen von Pflegebedürftigen die Möglichkeit, sich im Rahmen ihres Pflegeurlaubs zu erholen. Die dörfliche Nahversorgung ist reaktiviert worden und die DorfSchmiede bietet als neuer Ortsmittelpunkt ein Forum für den Dialog des ganzen Ortes. Sie ist Begegnungsstätte und Veranstaltungsraum. Jung und Alt werden zusammengeführt und die medizinische Versorgung im Ort wird optimiert. In den historisch wertvollen Gebäuden sind drei altersgerechte Wohnungen vermietet. Durch die Zusammenarbeit mit dem Waldkindergarten der Diakonie und der evangelischen Grundschule, die beide vom Gemeinschaftssinn der Freienseener getragen werden, existiert hier ein Mehrgenerationenprojekt im besten Sinne, das einen wichtigen Impuls zur Dorfentwicklung setzt. Als Leuchtturmprojekt durfte sich die DorfSchmiede 2015 auf der Grünen Woche in Berlin präsentieren. Die Idee der Dorfschmiede wird täglich durch die rund 800 Einwohner*innen Freienseens gelebt. Zur Förderung des Projekts DorfSchmiede und der Entwicklung ihres Ortes haben sie sich in dem gemeinnützigen Verein „»Vogelsberger Generationennetzwerk / Nachbarschaftsfamilie e.V.« zusammengeschlossen. In verschiedenen Arbeitsgruppen werden Ideen entwickelt und die Dorfgemeinschaft weiter geschmiedet.«
Wie Sie an den unterschiedlichsten Beispielen sehen konnten, wird das Konzept des »Lebenslangen Lernens« in der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau vielfältig umgesetzt. Ehrenamtliche und Hauptamtliche gestalten gemeinsam Projekte und leisten einen wertvollen Beitrag für die Gesellschaft, wertebasiert und offen für alle Menschen.
Beitrag im Newsletter Nr. 19 vom 24.9.2020
Für den Inhalt sind die Autor*innen des jeweiligen Beitrags verantwortlich.
Autorin
Ina Wittmeier ist Diplom-Pädagogin und Arbeitspsychologin und seit 2013 die Referentin der Ehrenamtsakademie der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau. In dieser Funktion ist sie zuständig für die Fortbildung für leitende Ehrenamtliche und für Beratung zum Thema Ehrenamt.
Kontakt: ina.wittmeier@ekhn.de
Weitere Informationen:
Redaktion
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