Inhalt
Digitale Öffentlichkeitsarbeit für Zivilgesellschaft
Voraussetzungen für digitale Öffentlichkeitsarbeit
Herausragende Beispiele: Greenpeace, Amnesty International, Bizim Kiez
Fehlende Ressourcen, fehlendes Know-How
Der Appell: nachhaltige Lösungen und adäquate Unterstützung für den Bereich digitale Öffentlichkeitsarbeit sind nötig
Zwischenüberschrift
Zwischenüberschrift
Endnoten
Autorin
Redaktion
Digitale Öffentlichkeitsarbeit für Zivilgesellschaft
»Für eine NGO nicht schlecht« – diese Einschätzung scheint auf den ersten Blick ein Lob zu sein. Es wurde unserer eigenen Freiwilligenagentur »oskar« vor Kurzem von unabhängigen Prüfern bescheinigt und bezog sich auf unsere digitale Öffentlichkeitsarbeit. In Wirklichkeit ist dieses Lob aber fragwürdig, denn die Öffentlichkeitsarbeit wird hier nur mit der Eingrenzung des NGO-Kontexts als »gut« wahrgenommen. Im Vergleich mit anderen Organisationen, etwa des For-Profit-Bereichs, großen Verbänden oder staatlichen Stellen, wäre die Einschätzung vermutlich nicht mehr so positiv. Darauf lässt zumindest der Zusatz »für eine NGO« schließen. In meiner Arbeit als Koordinatorin für Digitales Engagement ist mir dieser Zusatz schon häufig begegnet. Oft gut gemeint, impliziert er doch per se ein Defizit, für das allgemeine Bewertungskriterien nicht gelten können.
Nun ist bekannt, dass die Bewertung des öffentlichen Auftrittes, der heutzutage zunehmend digital gesteuert ist, zu einer Bewertung der Organisation selbst führt. Er ist ihre Visitenkarte: überzeugt er, überzeugt auch die Organisation. Tut er das nicht, werden Zielgruppen entweder gar nicht erst erreicht oder die Organisation würde von Ihnen wahrscheinlich als fragwürdig wahrgenommen. Diese Bewertung erfolgt unbewusst, Nutzer:innen überlegen sich in der Regel nicht, warum sie beispielsweise eine Webseite unattraktiv finden, sondern werden hier schlicht in ihren Erwartungen und Gewohnheiten nicht abgeholt. Das ist besonders tragisch, wenn es sich um potentielle Unterstützer:innen oder Fördermittelgebende handelt. Wer würde schon unterstützen oder Budgets erhöhen, wenn die Organisation nicht überzeugt?
Doch welche Voraussetzungen müssen eigentlich erfüllt sein, damit Botschaften ihre Zielgruppen erfolgreich erreichen können, gerade auch die der zivilgesellschaftlichen Organisationen? Um diese Frage soll es im Folgenden gehen. Damit beschäftigt sich dieser Artikel auch mit der Frage, was uns Zivilgesellschaft wert sein sollte. Für uns als Freiwilligenagentur ist die Antwort leicht: so viel wie möglich, denn sie ist ein Grundpfeiler unserer Demokratie.
Voraussetzungen für digitale Öffentlichkeitsarbeit
Die große Bedeutung von guter Öffentlichkeitsarbeit für das Funktionieren der eigenen Organisation gilt für fast jede Organisation. Es ist nicht relevant, ob es sich um eine zivilgesellschaftliche Struktur oder den For-Profit-Bereich handelt. Dabei ist Öffentlichkeitsarbeit heutzutage im Wesentlichen digital organisiert. Webseiten, Social Media und Onlinekampagnen, aber auch Content wie Plakate oder Videos werden digital erstellt und gepflegt.
In diesem Szenario ist es offensichtlich, dass finanzstarke Organisationen mit ihrer Öffentlichkeitsarbeit erfolgreicher sein können als finanzschwache. Sie leisten sich Kommunikationsabteilungen, beauftragen Werbeagenturen und buchen teure Werbeplätze etwa im TV. So schaffen einige es sogar, unsere Wahrnehmung soweit zu verändern, dass wir ihre Marken und Begriffe in unseren Wortschatz aufnehmen. Wer hat nicht schon nach einem Tempo gefragt, wenn ein Papiertaschentuch verlangt wurde, wer nutzt nicht den Begriff »googeln« wenn es um die Begriffssuche auf einer Suchmaschine geht oder wer weiß nicht sofort, dass sich hinter »AHA« Hygieneregeln verbergen? Diese Erfolge lassen sich Organisationen einiges kosten, die Werbewirtschaft boomt. So beliefen sich die Ausgaben für den Gesamtwerbemarkt 2019 in Deutschland auf stolze 32,6 Milliarden Euro[1]. Fernsehwerbung schlägt hier mit gut der Hälfte der Summe zu Buche, gefolgt von Zeitungen und Online. Die Hauptwerbetreibenden lassen sich ebenfalls gut identifizieren. Es sind, wenig überraschend, große Konzerne. Unter den ersten vier finden sich P&G, Ferrero Deutschland, der Discounter Lidl und Amazon. Sie gaben 2019 zusammen über 2200 Millionen Euro für Öffentlichkeitsarbeit aus. Auch die Bundesregierung weiß, dass gute Öffentlichkeitsarbeit viel kostet. Für 2021 will sie 40,8 Millionen Euro für Werbung und PR ausgeben, das geht aus einer Anfrage der FDP hervor[2]. Die hier aufgeführten Beispiele werfen ein Licht auf das Marketing-Verhalten großer Player.
Die wenigsten kleinen oder zivilgesellschaftlichen Organisationen können überhaupt nur in die Nähe dieses medialen Getöses kommen. TV-Spots, die zu guten Sendezeiten schon mal 60.000€ kosten können (ohne Produktionskosten), sind schlicht außerhalb der finanziellen Reichweite. Es geht an dieser Stelle auch nicht um den direkten Vergleich, sondern um das Aufzeigen des Spannungsfeldes, in dem sich wirksame Öffentlichkeitsarbeit bewegt. Geld spielt da fast immer eine entscheidende Rolle, auch wenn die verausgabten Summen unterschiedlich sind. So geben auch weniger große Player, etwa kleine und mitteständische Betriebe, Studien zufolge durchschnittlich ca. 5% ihres Umsatzes für Marketing aus[3]. Bei Kleinstunternehmen sind das immerhin gut 500€ pro Monat[4].
Herausragende Beispiele: Greenpeace, Amnesty International, Bizim Kiez
Welche Relevanz haben obige Zahlen nun für die Alltagsrealität von zivilgesellschaftlichen Organisationen? Sicherlich lassen sie sich nur schwer vergleichen, schließlich ist das Feld der NGOs extrem heterogen. Trotzdem besteht die Notwendigkeit wirksamer digitaler Öffentlichkeitsarbeit auch hier.
Es gibt durchaus einige zivilgesellschaftliche Organisationen, die eine wirklich prägende Öffentlichkeitsarbeit betreiben. Herausragende Beispiele sind etwa Greenpeace mit seinem eindrücklichen Storytelling oder Amnesty International. Fast jede:r von uns hat sicherlich bestimmte Bilder von Gefahren für die Natur oder Gefängnissen vor Augen, wenn die Organisationsnamen fallen. Aber auch hier sind es wieder sehr finanzstarke Organisationen mit einem speziellen Fokus auf Öffentlichkeitsarbeit, die herausstechen. Greenpeace beispielsweise gibt in seinem Jahresbericht für 2019 an, 84,3% der eingenommenen 71 Millionen Euro für Projektkampagnen und -kommunikation zu verwenden.
Hin und wieder finden sich aber auch unter kleineren lokalen Organisationen oder Grassrootbewegungen gute Beispiele für eine gelungene Öffentlichkeitsarbeit. Eines ist die Berliner Bürgerinitiative »Bizim Kiez«[5]. Bizim Kiez engagiert sich seit 2015 sehr erfolgreich gegen Gentrifizierung und ist zumindest in Berlin recht bekannt. Mit Hilfe der Initiative wurden schon einige Häuser in Berlin Immobilienspekulanten entzogen und so der Wohnraum für Mieter:innen erhalten. Die Gruppe organisiert Feste, Demonstrationen[6] und PR-wirksame Aktionen und ist sehr gut mit anderen zivilgesellschaftlichen Akteuren sowie mit Entscheidungsträgern in der Politik vernetzt. Immer wieder schafft sie es, sehr viele Menschen zum Mitmachen zu bewegen. Aktuell unterstützt Bizim Kiez zum Beispiel die Kampagne »Deutsche Wohnen enteignen«, die den Immobilienkonzern medienwirksam angreift[7]. Der große Medienerfolg der Initiative trotz sehr geringer finanzieller Mittel hat einen Grund: Unter ihrem Dach vereinen sich viele Medienprofis, die sich ehrenamtlich dort engagieren. Dieses Glück haben aber nicht sehr viele kleine Organisationen. Voraussetzung dafür wäre, dass sie ein Thema vertreten, welches viele medienaffine Menschen anzieht. Gentrifizierung ist ein solches Thema, viele andere wertvolle Themen sind es nicht. So hat es beispielsweise der »Jazzclub Karlshorst« schon seit Jahren schwer, Menschen zu finden, die ihn in der digitalen Öffentlichkeitsarbeit unterstützen wollen.
Fehlende Ressourcen, fehlendes Know-How
Was mir in meiner Arbeit in der Freiwilligenagentur bei Organisationen deshalb häufig begegnet ist Ratlosigkeit: Das Bewusstsein für die Wichtigkeit guter Außendarstellung ist zwar vorhanden, doch fehlen Know-How sowie die entsprechenden finanziellen und personellen Ressourcen, um diese umzusetzen.
Viele Organisationen versuchen sich deshalb durch kostenfreie Pro-Bono- oder sonstige günstige Workshops fortzubilden, um den ständig wandelnden Ansprüchen von digitaler Öffentlichkeitsarbeit gerecht zu werden. Es ist ein großer Gewinn, dass es solche Fortbildungen so zahlreich gibt. Gerade in dem Coronajahr 2020 ist diese Angebotslandschaft auch noch stark gewachsen. Trotzdem gibt es einige Faktoren, die verhindern, dass wesentliche Verbesserungen für kleinere NGOs eintreten können.
Ein Problem sind die knappen personellen Ressourcen. Selbst wenn Mitarbeitende von kleineren zivilgesellschaftlichen Organisationen über das passende Know-How verfügen oder es sich angeeignet haben, fehlt ihnen später oft die Zeit, es umzusetzen. Und auch hier spielt indirekt wieder das Thema Geld mit: Nach einer Einschätzung von Mediaworxxx.com liegen die Kosten für Marketing zu 30% beim Personal[8]. Dieser Bedarf schlägt sich bei kleineren Organisationen aber nicht adäquat in den Arbeitsplatzbeschreibungen der Mitarbeitenden nieder. Diese können nur selten primär für Öffentlichkeitsarbeit eingestellt werden. Deshalb muss diese wichtige Arbeit oft »nebenbei« laufen – schlechte Voraussetzungen für eine wirksame Strategie.
Ein weiteres Problem ist die fehlende Betreuung nach den kostenfreien Fortbildungen. Selbst wenn die Mitarbeitenden von NGOs sich die Zeit nehmen können um das wertvoll Erlernte umzusetzen, sind sie dabei oft allein. Nach der Schulung fehlt nun eine dauerhafte Ansprechperson für die 1000 kleinen Fragen, die im Laufe der Implementierung von neuen Prozessen immer auftauchen. Diese Ansprechperson gibt es aber fast nie. So bleiben Pro Bono-Veranstaltungen, die inhaltlich gut sind, am Ende oft doch nur ein Feigenblatt statt echter Hilfe.
Wirklich hilfreich wäre es also, wenn entweder die Betreuung von Öffentlichkeitsarbeit eine sinnvolle monetäre Entsprechung bei der Grundfinanzierung von NGOs finden würde oder alternativ externe Unterstützung in dem Bereich digitale Öffentlichkeitsarbeit dauerhaft gewährleistet wäre. Diese Bereiche könnten sowohl von staatlicher als auch von wirtschaftlicher Seite beeinflusst werden.
Der Appell: nachhaltige Lösungen und adäquate Unterstützung für den Bereich digitale Öffentlichkeitsarbeit sind nötig
In dem Bereich digitale Öffentlichkeitsarbeit benötigt die Zivilgesellschaft dauerhafte Unterstützung. Mit Tools wie einem Baukasten für Webseiten oder Unterstützung für verwandte Themen wie zum Beispiel digitale Sicherheit ist es nicht getan. Viele Organisationen benötigen mehr Hilfe für den Schritt davor: die Erarbeitung und Umsetzung einer wirksamen Öffentlichkeitsarbeitsstrategie, das Know-How für die Umsetzung und Pflege von Tools der Öffentlichkeitsarbeit und personelle Ressourcen, intern oder extern, die langfristig dabei unterstützen.
Staat und Wirtschaft können hier sinnvoll helfen, indem sie Möglichkeiten finden und schaffen um diese Formen der Unterstützung zu gewährleisten. Das könnten von staatlicher Seite direkte finanzielle Zuwendungen sein, die für Öffentlichkeitsarbeit zweckgebunden sind. Firmen könnten Pro Bono-Aktionen ersinnen, die nachhaltiger sind als ein einmaliger Schulungstag. Sie könnten beispielsweise eine:n Mitarbeiter:in stundenweise, aber langfristig und regelmäßig gemeinnützigen Organisationen zur Verfügung stellen, um Veränderungsprozesse zu begleiten. Staatliche Stellen könnten hier wiederum unterstützen, indem sie Anreize für Unternehmen schaffen, solche Pro-Bono Aktionen anzubieten.
Freiwilligenagenturen und gemeinnützige Organisationen wiederum könnten aktiv einen Schwerpunkt auf den Bereich »Engagements in der digitalen Öffentlichkeitsarbeit« legen. Dieser Bereich ist sowohl bei der Suche als auch bei den Angeboten stark unterrepräsentiert.
Was das bereits angesprochene Thema der Fernsehwerbung angeht, wären auch hier Sponsoringaktivitäten denkbar. Schön wären doch hochwertige Fernsehspots mit prominenten Pat:innen, die statt Schokokugeln die Vorzüge von zivilgesellschaftlichem Engagement für alle anpreisen. Das Motto könnte sein: »Heute schon Gesellschaft mitbewegt?«.
Vielleicht würde es dann irgendwann nicht mehr heißen »für eine NGO nicht schlecht« sondern einfach nur »gute Arbeit!«.
Endnoten
[1] https://www.absatzwirtschaft.de/die-konzerne-und-branchen-mit-den-hoechsten-werbeausgaben-169751/ (für eventuelle Coronabedingte Abweichungen von dem Trend liegen noch keine Zahlen vor)
[4] Nach einer Studie des Marktforschungsiunstituts Gfk, hier zitiert von Fuleda KG : https://unternehmensberatung-fuleda.de/marketingbudget/
[5] https://www.bizim-kiez.de/?cn-reloaded=1
[6] Beispielsweise die #Mietenwahnsinn-Demo https://mietenwahnsinn.info/demo-april-2018/widersetzen-demo/
[7] https://www.bizim-kiez.de/dw-shoppingtour-vermasseln/
Beitrag im Newsletter Nr. 2 vom 21.1.2021
Für den Inhalt sind die Autor*innen des jeweiligen Beitrags verantwortlich.
Autorin
Gül Yavuz ist Koordinatorin für Digitales Engagement bei oskar | freiwilligenagentur lichtenberg.
Kontakt: Guel.Yavuz@oskar.berlin
Redaktion
BBE-Newsletter für Engagement und Partizipation in Deutschland
Bundesnetzwerk Bürgerschaftliches Engagement (BBE)
Michaelkirchstr. 17/18
10179 Berlin
Tel.: +49 30 62980-115