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Ein zivilgesellschaftliches Projekt gegen das Vergessen
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Ein zivilgesellschaftliches Projekt gegen das Vergessen
Der Wolfratshauser Ortsteil Waldram hat eine besondere, wechselvolle Geschichte. Ab 1939/40 wurde hier eine nationalsozialistische Mustersiedlung gebaut, die während des Zweiten Weltkriegs als Lager für Rüstungsarbeiter*innen der nahe gelegenen Munitionsfabriken diente. Bis zu 5000 Männer und Frauen aus 16 Ländern lebten in diesem »Lager Föhrenwald«. Gegen Kriegsende führte der sogenannte Todesmarsch der KZ-Häftlinge aus Dachau hier vorbei – Föhrenwald wurde bei Kriegsende für viele Überlebende des Holocaust zum Ort, an dem sie durch amerikanische Truppen befreit wurden. Nach Kriegsende wurde Föhrenwald in ein Lager für Displaced Persons (DP) umgewandelt, in dem zeitweise bis zu 6000 Überlebende des Holocaust untergebracht waren. Der Ort entwickelte sich zu einem der größten und dem am längsten bestehenden Lager für jüdische DPs in Europa. Nach der offiziellen Auflösung des DP-Lagers im Jahr 1957 übernahm das Katholische Siedlungswerk die Häuser, um hier heimatvertriebene, meist kinderreiche katholische Familien ansässig zu machen. Föhrenwald wurde in Waldram umbenannt.
Seither hat sich der Ort stark verändert. Das ehemalige Badehaus am heutigen Kolpingplatz (während der DP-Zeit »Independence Place« und während der NS-Zeit »Danziger Freiheit«) ist eines der letzten zentralen Gebäude, das in seiner relativ ursprünglichen Gestalt an die bewegte Ortsgeschichte erinnert. Als dieses Haus abgerissen werden sollte, haben wir, die Bürger*innen von Wolfratshausen, eine Bürgerinitiative gegründet und jahrelang für den Erhalt dieses geschichtsträchtigen Gebäudes gekämpft.
Am 25. September 2012 gründete sich deshalb der Verein »Bürger fürs BADEHAUS Waldram-Föhrenwald e.V.« (derzeit über 530 Mitglieder), um im ehemaligen Badehaus, das auch eine Mikwe beherbergte, die besondere Vergangenheit dieses Ortes zu dokumentieren und für künftige Generationen zu bewahren. Die politischen Widerstände gegen dieses Vorhaben waren groß, weil auch in unserer Region viele Menschen gerne einen »Schlussstrich« unter die Vergangenheit ziehen wollen.
In rein ehrenamtlicher Arbeit musste deshalb die historische Dauerausstellung durch lokal ansässige Bürger*innen, Historiker*innen und Studierende erarbeitet und Teile des historischen Badehauses selbständig renoviert werden. Nach einem jahrelangen Antrags-Marathon um öffentliche Zuschüsse für die Sanierung des mehr als 900qm großen Gebäudes, konnte schließlich 2016 mit der Sanierung des mehr als 1,4 Mio. Euro teuren Projekts begonnen werden, wobei der Verein 10% aus eigenen Mitteln beisteuern musste. Dies konnte nur durch die Organisation von zahlreichen Spendenaktionen und Benefizveranstaltungen sowie durch intensive ehrenamtliche Arbeit am Bau und bei der inhaltlichen Konzeption der Dauerausstellung gelingen. Am 18. Oktober 2018 wurde der Erinnerungsort BADEHAUS schließlich unter dem Beisein von mehr als 60 Zeitzeug*innen aus dem In- und Ausland feierlich eröffnet.
Bis zur Eröffnung im Oktober 2018 wurden mehr als 17.000 sowie seither mehr als 10.000 Ehrenamtsstunden in dieses zivilgesellschaftliche Projekt investiert!
Der Verein will mit diesem Projekt die regionale Erinnerungskultur stärken und das Geschichtsbewusstsein der Bevölkerung fördern, besonders auch in der jungen Generation. Über die im Erinnerungsort BADEHAUS dargestellte vielschichtige Regionalgeschichte lässt sich auch ein migrations- und globalgeschichtlicher Ansatz verfolgen: Während der NS-Zeit befanden sich in Föhrenwald auch Zwangsarbeitskräfte aus Ost- und Westeuropa, nach dem Krieg lebten hier jüdische Displaced Persons, die zum großen Teil ins Ausland (v.a. USA und Israel) auswanderten. Mit mehr als hundert dieser Displaced Persons und deren Nachkommen konnten wir weltweit persönliche Kontakte und zum Teil auch Freundschaften knüpfen. Durch diese Begegnungen können auf beiden Seiten Berührungsängste und Vorurteile abgebaut werden – auch unter den Nachfahren in der 2. und 3. Generation, die mit ihren Eltern und Großeltern den Erinnerungsort besuchen.
Nicht nur durch unsere Dauerausstellung möchten wir auf die historischen Ereignisse und ihre Bedeutung für die Gegenwart aufmerksam machen. Auch durch unsere zahlreichen Sonderausstellungen und Veranstaltungen, der »Begegnungen im BADEHAUS«, sei es durch Lesungen, Filme, Zeitzeug*innengespräche, Konzerte oder wissenschaftliche Vorträge, möchten wir die regionale Geschichte ins öffentliche Bewusstsein bringen. Bis heute wird das Museum ehrenamtlich betrieben. Außerdem arbeitet die überwiegende Mehrheit der Mitarbeiter*innen im Erinnerungsort BADEHAUS ehrenamtlich und stellt dadurch neben dem täglichen Betrieb sogar Führungen, Workshops, Veranstaltungen, sowie Wander- und Sonderausstellungen auf die Beine. Bei den wenigen Festangestellten handelt es sich um junge Menschen aus der Region, die hier im Rahmen eines Bundesfreiwilligendienstes, eines Werkstudent*innenjobs, eines Praktikums oder einer Projektstelle wertvolle Erfahrungen für Ihren weiteren Lebensweg machen.
Der Erinnerungsort BADEHAUS benötigt Ihre Unterstützung: Werden Sie Spender*in, Mitglied und/ oder ehrenamtliche*r Mitarbeiter*in!
Mehr Infos zu Unterstützungsmöglichkeiten
Weitere Informationen zum Erinnerungsort BADEHAUS
Beitrag im Newsletter Nr. 2 vom 27.1.2022
Für den Inhalt sind die Autor*innen des jeweiligen Beitrags verantwortlich.
Autor*innen
Dr. Sybille Krafft ist Vorsitzende des Bürger fürs BADEHAUS Waldram-Föhrenwald e.V.
Jonathan Coenen ist stellvertretender Vorsitzender des Bürger fürs BADEHAUS Waldram-Föhrenwald e.V.
Sarah Lex ist für Digitalisierung & Archivierung im Erinnerungsort BADEHAUS zuständig.
Kontakt: sarah.lex@erinnerungsort-badehaus.de
Redaktion
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