Beitrag im Newsletter Nr. 22 vom 5.11.2020

Stärkeorientierte Förderung von Mädchen und jungen Frauen in der Arbeit der Deutschen Kinder- und Jugendstiftung

Barbara Blum, Johanna Stiller, Ana-Maria Stuth, Stefan Schönwetter

Inhalt

Die Stärkung von Mädchen und jungen Frauen
Mädchen profitieren nicht automatisch vom Digitalen Wandel
Die Sinus 6c für eine zeitgemäße Bildung
Technovation Girls Germany
Coding lebensweltbezogen einbinden
Strukturen schaffen, die Chancengerechtigkeit befördern
Wir stärken Mädchen
Anstehende Herausforderungen
Autor*innen
Redaktion

Die Stärkung von Mädchen und jungen Frauen

Seit vielen Jahrzehnten gibt es zahlreiche Aktionen und Programme zivilgesellschaftlicher sowie staatlicher Akteure, um Mädchen und junge Frauen dabei zu unterstützen strukturelle Diskriminierungen abzubauen, selbstbestimmt die eigene Lebensbiografie zu gestalten sowie selbst in berufliche Führungsfunktionen aufzusteigen. Auch die Deutsche Kinder- und Jugendstiftung (DKJS) ist seit längerem Akteurin in diesem Feld und legt einen Fokus auf die Stärkung von Mädchen und jungen Frauen. Eigene Kompetenzen werden identifiziert, unterstützt und in geschützten Räumen gefördert. Dezidiert hat die DKJS das Thema 2003 das erste Mal aufgenommen. Zusammen mit dem Partner Nike wurde das Programm Mädchen Stärken gestartet. Über den Sport wurden Mädchen motiviert, sich den oft männlich dominierten öffentlichen Sportraum zurückzuholen. Das Aufbrechen des Klischees, dass Mädchen am Seitenrand stehen, wurde durch die gezielte Unterstützung, Begleitung sowie Förderung von lokalen Initiativen der Mädchenförderung realisiert. Ein zentraler Pfeiler war schon damals die Einbindung von Rolemodels, wie etwa der Schirmfrau Astrid Kumbernuss. Weibliche Vorbilder können Mädchen und junge Frauen inspirieren und konkret beraten, wie mit strukturellen Barrieren umgegangen werden kann, und vor allem zeigen: Frauen als Leistungsträgerinnen sind eine Selbstverständlichkeit. Seit dem Programmende 2009 sind diese Erfahrungen in das Programm Willkommen im Fußball übertragen worden. Das Programm ermöglicht jungen Geflüchteten bis 27 Jahren durch niedrigschwellige Angebote den Zugang zu Sport und unterstützt so die Integration und das gesellschaftliche Miteinander, auch über den organisierten Fußball hinaus. Das Programm setzt dabei auf Bündnisse. Dahinter steht die Kooperation eines Clubs der Bundesliga oder 2. Bundesliga mit lokalen Bildungsträgern, bürgerschaftlichen Initiativen oder kommunalen Akteuren sowie Amateurfußballvereinen.

Mädchen über den Sport zu fördern ist eine wichtige Komponente, um beispielsweise Selbstvertrauen aufzubauen. Junges weibliches Engagement bedarf jedoch zunehmend auf anderen Themenfeldern wie der Digitalisierung einen Fokus.

Mädchen profitieren nicht automatisch vom Digitalen Wandel

Es zeigt sich, dass die digitale Transformation nicht nur entlang der Frage entschieden wird, wie wohlhabend ein Elternhaus ist. In der Digitalen Bildung sowie der damit ver-knüpften Berufsorientierung werden Ungleichheitsstrukturen zwischen Geschlechtern manifest. Mädchen sind viel häufiger schon durch die familiäre Erziehung von digitalen Phänomenen abgekoppelt. Noch immer inspirieren Eltern eher Jungen mit der Anschaf-fung von Videospielkonsolen, der Anschaffung von PCs oder ganz grundsätzlich der na-turwissenschaftlich-mathematischen Förderung, um beispielsweise logarithmisches Den-ken zu trainieren. Hinzu kommt, dass das mediale Bild einer Informatikfachkraft immer noch sehr männlich geprägt ist. Nach wie vor gibt es einen digital gender gap. Frauen und junge Mädchen haben weniger Zugang zu digitalen Angeboten, erfahren sich seltener als Gestalterinnen digitaler Räume und haben generell eine niedrigere Offenheit mit Blick auf die digitale Transformation (D21, 2020, S. 7). Das schlägt sich auch darin nieder, wer der-zeitig die Workforce in Software- und Hardwaredesign bildet. Weiterhin sind dort Frauen unterrepräsentiert (17%, STATISTA 2018).

Die Sinus 6c für eine zeitgemäße Bildung

Durch die Sinus-Studie 25Next – Bildung für die Zu-kunft haben das Sinus-Institut und die DKJS ge-meinsam geprüft, welche Zukunftskompetenzen Kinder und Jugendliche benötigen, um an der künftigen Gesellschaft teilzuhaben. Herausgebildet wurden durch die repräsentative Studie sechs Kompetenzen zur Beschreibung von Future Readiness: Communication, Col-laboration, Critical Thinking, Creativity, Charisma und Coolness. Neben den bekannte 4c der 21st-century skills wurden mit Charisma und Coolness zwei neue Aspekte hinzugefügt, die vor allem jungen Menschen wichtig sind. So beschreibt Charisma die Fähigkeit, Ideen gut präsentieren zu können und sich auch zu trauen, vor anderen Menschen zu sprechen, Coolness hingegen beschreibt die Kompetenz, in einer digitalisierten und unsteten Welt auf sich achtzugeben: Wie manage ich meinen Stress? Wie teile ich meine Zeit gut auf? Einen kühlen Kopf in stressigen Situationen behalten.

Technovation Girls Germany

Die DKJS setzt seit 2017 das Programm Technovation Girls in Deutschland um. An den Standorten Hamburg und München realisiert die DKJS, zusammen mit den Part-nern Adobe und Salesforce, ein in Deutschland einzigartiges Unterstützungsangebot für Mädchen und junge Frauen zwischen 10 und 18 Jahren. Die Teilnehmerinnen schließen sich dabei in Teams zusammen und entwickeln eine Mobile-App zur Lösung eines lokalen Problems. Dies kann etwa die Vermeidung von Lebensmittelverschwendung, die Beseiti-gung von Straßenmüll, die Gründung von Fahrgemeinschaften oder eine Anwendung für die Erhöhung der Sicherheit von Mädchen und Frauen sein. Auf dem Weg hin zur App-Entwicklung werden die Teilnehmerinnen von Lehrkräften und Mentorinnen und Mento-ren der Partnerunternehmen begleitet. In regelmäßigen wöchentlichen Terminen wird das gesellschaftliche Problem analysiert, Lösungsansätze entwickelt und abschließend die App programmiert.

Coding lebensweltbezogen einbinden

Um den Prozess strukturiert zu absolvieren, steht den Teilnehmerinnen das Technovation Curriculum zur Verfügung. Dabei handelt es sich um Online-Lernmaterial zu den Feldern Ideation, Coding, Entrepreneurship und Pitching.

Im Lernfeld Ideation werden Grundlagen geschaffen, um ein gestaltbares Problem identifizieren und entsprechende Lösungsansätze erarbeiten zu können. So führen die Inhalte in die Umfeldanalyse, zirkuläre Ideenentwicklung, paper prototyping und das Konzept des minimum viable product ein. Teilnehmerinnen lernen ihre Ergebnisse der Ideation am Ende in einem Business Canvas zu strukturieren.

Im Lernfeld Entrepreneurship liegt der Fokus darauf, eine Idee zu entwickeln, die langfristig funktioniert und strukturell abgesichert ist. Dazu gehört, eine klare Marken- und Bildsprache für die App zu entwickeln. Ebenso ist ein Businessplan zu erstellen, der exemplarisch zeigt, wie sich die App finanziell selbst tragen könnte. Teilnehmerinnen verstehen hier oft zum ersten Mal, welche Kosten die Erstellung und der Betrieb einer professionellen Mobile-App beinhaltet.

Die Inhalte der Rubrik Coding führen in die Grundlagen des algorithmischen Denkens ein und nutzen dafür das System Thunkable. Als Blockbased-Coding-Tool bietet die Thunkable-Umgebung einen guten Kompromiss aus Zugänglichkeit für unerfahrene Teilnehmerinnen und der Möglichkeit, komplexe Anwendungen zu erstellen. Weiterführend lernen die Teilnehmerinnen die Konzepte von Cloud-Computing, Artificial Intelligence, Workflows und Fehlerbereinigung von Code.

Mit Hilfe von Materialien, Anleitungen und Informationen im Feld Pitching lernen die Teilnehmerinnen, ihre App gut zu erklären, ein Marketing-Video zu erstellen und im Generellen eine komplexe Anwendung mit einfachen Botschaften zu versehen. Ziel ist aber vor allem der Aufbau von Selbstbewusstsein bei den Teilnehmerinnen.

Die Kombination dieser vier Lernfelder macht Technovation Girls Germany, neben vielen anderen Coding Schools, Hacking- und Making-Projekten, einzigartig in der deutschen Projektlandschaft.

Strukturen schaffen, die Chancengerechtigkeit befördern

»Ich dachte am Anfang, dass das Programmieren komplett anders ist und deshalb unsere Mentoren das meiste machen. Aber ich war ziemlich glücklich darüber, dass wir das Programmieren übernommen haben. Wir haben sehr viele Erfahrungen gemacht.« (Teilnehmerin) Technovation Girls wird derzeitig in der dritten Saison in Deutschland umgesetzt. Das Konzept, Programmierkenntnisse mit der Bearbeitung konkreter lokaler Problemen zu verknüpfen, zahlt sich aus. In Hamburg werden überwiegend Teilnehmerinnen aus benachteiligenden Lebenslagen erreicht, was im Feld der digitalisierten Bildung keine Selbstverständlichkeit ist. Durch die Herausforderung, eine selbstgewählte Problemlage zur bearbeiten, entstehen Motivation und Interesse sowie Ausdauer, sich auch mit komplexen Inhalten zu befassen. Die Mentorinnen und Mentoren im Programm können sich ganz in eine begleitende Rolle zurückziehen: Im Projektprozess haben sie die Aufgabe, Teilnehmerinnen zu motivieren, neue Zugänge zu den Lerninhalten zu öffnen und die Transferleistung zu erbringen, das Gelernte in den Zusammenhang der modernen Arbeitswelt zu setzen.

Zentral für die Akquise der Teilnehmerinnen ist die Schule. Nur durch die Kooperation mit engagierten Lehrkräften kann Technovation Girls Teilnehmerinnen Mädchen und junge Frauen aus benachteiligenden Lebenslagen erreichen. Es zeigt sich, dass diejenigen Mädchen, die sich unabhängig von Schulteams bei Technovation Girls anmelden, eher aus besser situierten Umfeldern kommen. Sie sehen bereits aus eigenem Antrieb die Notwendigkeit, sich mit algorithmischem Denken zu befassen. Ein weiteres Learning ist: Angebote und Formate im Rahmen von Technovation Girls funktionieren, wenn Mädchen Zeit haben, sich digital auszuprobieren, ihr Umfeld zu erkunden, eigene Ideen mit ihren Freundinnen umsetzen und Selbstwirksamkeit, wertschätzende Momente sowie Feedback erfahren. Daher ist die Begleitung der Mentorinnen und Mentoren und Lehrkräfte durch die DKJS ein wichtiger Bestandteil des Programms. In einem Mentoring-Workshop werden Mentorinnen und Mentoren ausführliche Kenntnisse zur Gestaltung einer guten Begleitung vermittelt: Kernelemente dabei sind Empathie, Wertschätzung und Kongruenz, sowie die Fähigkeit, komplexe Sachverhalte einfach darstellen zu können.

Teams, die besonders erfolgreich waren, werden bei einem Celebration-Event gewürdigt. Weiterhin haben diese Teams die Möglichkeit, am internationalen Technovation-Girls-Wettbewerb, der Technovation Challenge teilzunehmen und ihre Apps mit denen von über 20.000 anderen Mädchen weltweit zu messen.

Auswertungen zeigen, dass sich alle Teilnehmerinnen nach der Teilnahme bei Technovation Girls Germany sicherer im Umgang mit digitalen Technologien sowie der eigenen Gestaltung von Projekten zeigen. Dies wird ebenfalls von allen Lehrkräften bestätigt, die feststellen, dass die Teilnehmerinnen nach der Teilnahme in der Lage sind, Probleme digital zu lösen. Besonders erfreulich ist ebenso, dass 62% der Teilnehmerinnen nach einer Teilnahme angeben, sich einen informatikbezogenen Berufsweg vorstellen zu können.

Wir stärken Mädchen

Seit 2020 ist Technovation Girls Germany Teil der DKJS-Dachmarke Wir Stärken Mäd-chen. Hier bündelt die DKJS verschiedene Aktivitäten zur Mädchenförderung auch über das Technovation-Angebot hinaus. So wer-den an den Standorten Berlin, Köln und Trier in Kooperation mit Schulen Angebote entwi-ckelt, die insbesondere auf die folgenden Bereiche einzahlen:

• Fit für neue Ausbildungsberufe: Schülerinnen lernen berufliche Möglichkeiten in zukunftsorientierten Branchen kennen.

• Fit für MINT-Berufe: Schülerinnen wissen um die Vielfältigkeit von MINT-Berufen und sehen in ihnen eine berufliche Perspektive für sich selbst.

Dabei unterstützt die DKJS teilnehmende Schulen mit einer finanziellen Förderung sowie einer Beratung und Online-Seminaren für teilnehmende Lehrkräfte.

Anstehende Herausforderungen

Zunehmend relevanter wird für die DKJS dabei auch die Frage kritisch zu prüfen, wer genau die Zielgruppe von Aktivitäten der Mädchenförderung ist. Die Programme sollen allen sichere Räume bieten, die sich als Mädchen oder junge Frau verstehen. Das schließt auch queere Jugendliche explizit mit ein. Die Begleitung der Aktivitäten erfordert hier eine gestärkte Sensibilität für bestehende Ungleichheitsstrukturen. Die Deutsche Kinder- und Jugendstiftung will mit Wir stärken Mädchen lernen, in dieser geänderten geschlechterpolitischen Lage sichere Räume aufzubauen.

Seit dem 12. Oktober ist die Registration an der kommenden Technovation Saison 2020/21 möglich. Haben sie Interesse an Technovation teilzuhaben, wenden Sie sich an technovation@dkjs.de


Beitrag im Newsletter Nr. 22 vom 5.11.2020
Für den Inhalt sind die Autor*innen des jeweiligen Beitrags verantwortlich.

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Autor*innen

Barbara Blum ist Programmmitarbeiterin in Technovation Girls Germany und verantwortlich für die Umsetzung des Programms in Bayern.

Kontakt: barbara.blum@dkjs.de

Johanna Stiller ist Programmmitarbeiterin in Technovation Girls Germany und verantwortlich für die Umsetzung des Programms in Hamburg.

Kontakt: johanna.stiller@dkjs.de

Ana-Maria Stuth ist Abteilungsleiterin Programme und Mitglied der Geschäftsleitung der Deutschen Kinder- und Jugendstiftung. Sie verantwortet dort die Themen freiwilliges Engagement, Jugendbeteiligung, Inklusion und Entrepreneurship Education.

Kontakt: ana-maria.stuth@dkjs.de

Stefan Schönwetter ist Mitglied der Geschäftsleitung in der Deutschen Kinder- und Jugendstiftung. Er ist verantwortlich für das Thema Digitale Kompetenzen.

Kontakt: stefan.schoenwetter@dkjs.de


Redaktion

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