Beitrag im Newsletter Nr. 22 vom 5.11.2020

Der Corona-Hilfsfonds für die Zivilgesellschaft

Dr. Andreas Rickert

Inhalt

Die Herausforderungen der zweiten Welle
Schnelle Hilfe für kleine und mittlere zivilgesellschaftliche Organisationen
Zwei Förderbeispiele
Mit Sorge in die Zukunft
Autor
Redaktion

Die Herausforderungen der zweiten Welle

Corona ist ein Stresstest für die Gesellschaft. Die befürchtete zweite Welle verstärkt nun den Druck, auch auf die Zivilgesellschaft. Nicht umsetzbare Projekte, erschwerter Zugang zu Zielgruppen, wegbrechende Einnahmen und der Rückgang von Spenden bedroht viele Organisationen und Vereine in ihrer Existenz. Staatliche Unterstützungsmaßnahmen von Bund und Ländern reichen nicht aus oder gehen am Bedarf vorbei. Kredite, die von den Organisationen nicht zurückgezahlt werden können, waren und sind keine tragfähige Lösung. Und obwohl Solidarität und Spendenbereitschaft groß sind, zeichnen zahlreiche Einzelschicksale ein erschreckendes Bild. Vor allem für kleine Organisationen werden Kontaktbeschränkungen und zurückgehende Einnahmen über kurz oder lang zu einer existenziellen Bedrohung. Gleichzeitig wird zivilgesellschaftliches Engagement mehr denn je gebraucht. Die sozialen und gesellschaftspolitischen Auswirkungen der Pandemie werden sich mittelfristig entfalten und Individuen wie der Gesellschaft im Ganzen weiter zusetzen. Zivilgesellschaftliches Engagement und Einsatz für Toleranz und vielfältiges Miteinander wirken dem entgegen. Eine funktionierende Zivilgesellschaft ist deshalb essenziell, gerade in Krisenzeiten, wenn Demokratie und gesellschaftlicher Zusammenhalt auf der Probe stehen.

Schnelle Hilfe für kleine und mittlere zivilgesellschaftliche Organisationen

Wir sehen die wirtschaftliche Situation vieler gemeinnütziger Organisationen und Vereine mit großer Sorge. Deshalb haben wir im Sommer den Corona-Hilfsfonds für die Zivilgesellschaft ins Leben gerufen, der in Not geratenen und wirkungsvoll arbeitenden Organisationen in der Krise nachhaltig helfen soll. Seither kam gut eine halbe Million Euro zur Unterstützung kleiner und mittlerer Organisationen zusammen. Zu den Fördernden gehören u. a. die Heidehof-Stiftung, UPS, United Way Worldwide, die 3M-Foundation und die ökologische Suchmaschine Ecosia. Erstmals haben wir einen Spendenfonds auch für Kleinspenden von Privatpersonen geöffnet.

Seit Anfang August können sich bevorzugt mittlere und kleine zivilgesellschaftliche Organisationen um Fördermittel aus dem Hilfsfonds bewerben. Im online-Bewerbungstool haben sich seitdem knapp 350 Organisationen registriert. Von 180 Organisationen wurden Fördersummen angegeben, die sich auf ca. 2,4 Mio. Euro summieren. Eine vollständige Bewerbung eingereicht haben rund 50 Organisationen mit beantragten Fördervolumen von rund 1,5 Millionen Euro. Da die Fördermittel wirkungsorientiert und nicht mit der Gießkanne verteilt werden, wird jeder Antrag eingehend geprüft. Wichtigste Voraussetzung ist, dass die finanzielle Schieflage coronabedingt entstanden ist. Wichtig ist auch, dass die Organisationen grundsätzlich wirkungsorientiert arbeiten und eine transparente Berichterstattung belegen können. Der größte Bedarf zeigt sich bei Organisationen, die im Bereich Bildung und Erziehung und in der Jugend- und Altenhilfe arbeiten. Bislang sind 11 Förderzusagen über eine Gesamtfördersumme von ca. 260.000 Euro erfolgt, weitere Bewerbungen werden von unserem Analyse-Team geprüft. Eine wichtige Erkenntnis ist bereits jetzt, dass der Unterstützungsbedarf bei vielen Organisationen im nächsten Jahr noch deutlich höher ausfallen wird als in diesem Jahr.

Zwei Förderbeispiele

Eine der geförderten Organisationen ist das Dialoghaus in Hamburg. Vor genau einem Jahr hat die Organisation mit der Ausstellung »Dialog im Dunkeln« für ihr Engagement um den gesellschaftlichen Zusammenhalt das Wirkt-Siegel von PHINEO erhalten. In der Ausstellung führen blinde Menschen die Besucher*innen durch Lebenswelten ohne Licht. Dann werden Blinde zu Sehenden und Sehende zu Blinden. Das Dialoghaus schafft nicht nur Angebote für Besucher*innen, sie fördert das Selbstbewusstsein, die Eigeninitiative und den Mut der eigenen Mitarbeiter*innen. Gerade für sie ist es in besonderer Weise tragisch, dass die Ausstellung coronabedingt geschlossen ist. Die Stärke des Dialoghauses ist sein Erlebnischarakter, der Menschen mit und ohne Behinderung zusammenführt – seit Corona kaum möglich. Ausbleibende Einnahmen aus dem wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb und zurückgehende Privatspenden bringen die gemeinnützige GmbH bei weiterlaufenden Kosten in existenzielle Nöte.

Gefördert wird zum Beispiel auch der Karnevalsgesellschaft Närrisches Saarschiff e. V.. Neben der Pflege des Närrischen Brauchtums hat sich der Verein in den vergangenen zehn Jahren immer stärker zum gesellschaftlichen Akteur für die rund 1.500 Einwohnerinnen der kleinen Gemeinde Irsch in Rheinland-Pfalz entwickelt. Die Karnevalsgesellschaft engagiert sich auch im Bereich der Integrationsarbeit: Ortsansässige Kinder mit Migrationshintergrund können bei Kunst- und Basteltagen die Ortsgemeinde näher kennenlernen. Wichtig aber ist vor allem, den Kontakt nicht nur zu den eigenen Mitgliedern, sondern auch zu den Menschen im Dorf zu halten, die kaum oder wenige Kontaktmöglichkeiten haben, ganz besonders zu älteren und alleinlebenden Menschen. Isolation und Verunsicherung gerade in der Coronazeit können schwerwiegenden Folgen haben, wie etwa Depression und Demenz. Dem wirkt der Verein mit seinen zahlreichen Aktivitäten entgegen. Auf der Homepage aber muss es nun heißen: »Momentan keine Termine«. Deshalb haben die Mitarbeitenden der Karnevalgesellschaft eine Initiative gestartet. Sie wollen älteren Menschen beibringen, wie sie Internet und Handy für Wissensaustausch und soziale Beziehungen nutzen können. Damit leistet der Verein einen wirkungsvollen Beitrag zur Stärkung der sozialen Bindungen vieler Gemeindemitglieder in Irsch und dafür bekommt der Verein Unterstützung aus dem Corona-Hilfsfonds.

Mit Sorge in die Zukunft

Aus den Bewerbungen für den Hilfsfonds wissen wir sehr gut, dass viele Organisationen nicht nur aktuell mit Schwierigkeiten kämpfen, sondern auch mit großer Sorge in die Zukunft blicken. Der befürchtete flächendeckende Spendenrückgang ist zwar bislang ausgeblieben, dennoch stehen gerade kleine und mittlere Organisationen schnell vor existenzbedrohenden Situationen. Auch die zwingend erforderlichen Investitionen in tragfähige digitale Infrastrukturen können von vielen nicht geschultert werden. Zudem wird mittelfristig mit schmerzhaften Spendenausfällen und dem Rückgang von Geldern aus Förderprogrammen gerechnet. Noch ist die Welle klein, aber sie ist in Bewegung. Die wirtschaftlichen Auswirkungen der Corona-Krise werden auch die Zivilgesellschaft in den kommenden Monaten mit Wucht treffen. Deshalb werben wir bei Fördernden genauso wie in der Politik weiter für Unterstützung und Stärkung zivilgesellschaftlichen Engagements.

Mit unserem Aufruf an die Bundesregierung haben wir frühzeitig auf die Gefährdung der Zivilgesellschaft durch die Coronakrise hingewiesen und für staatliche Unterstützungsprogramme geworben. Anfänglich wurden politische Entscheidungen aber offenbar ohne das Bewusstsein für die Bedeutung der Zivilgesellschaft getroffen, bei den milliardenschweren Rettungspaketen der Bundesregierung wurde sie schlicht vergessen. Das darf nicht wieder passieren. Die Zivilgesellschaft braucht eine starke, gemeinsame Stimme, die gehört wird. Sie ist unverzichtbar für eine zusammenhaltende Gesellschaft und eine widerstandsfähige Demokratie.

Die Bewerbungsfrist für NPOs läuft vorerst bis 15. November 2020. Eine Fortführung des Corona-Hilfsfonds im Jahr 2021 ist aktuell im Gespräch. Alle Infos und der Link zum Bewerbungsformular finden sich unter www.corona-hilfsfonds.org.


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Dr. Andreas Rickert ist Vorstandsvorsitzender der PHINEO gAG.

Kontakt: andreas.rickert@phineo.org


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