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Kommune und Bildungsbiografien
Kommunale Entwicklungen und Diskurse seit 2007
Kommunale Bildungslandschaften brauchen:
Gelingensfaktoren für kommunale Bildungslandschaften sind:
Literaturverzeichnis
Autor*innnen
Redaktion
Kommune und Bildungsbiografien
Gute Bildungschancen und lebenslanges Lernen sind für die Zukunft jedes Einzelnen ebenso entscheidend wie für den gesellschaftlichen Zusammenhalt. In den Kommunen werden die Weichen für den individuellen Bildungserfolg und das weitere Leben schon sehr frühzeitig gestellt. Aktuelle bildungspolitische Herausforderungen, wie die Aufarbeitung der Pandemiefolgen, die Integration von zugewanderten Kindern und Jugendlichen, die fortschreitende Digitalisierung, die Gestaltung der Ganztagsschule oder gelebte Inklusion – die Kooperation aller Bildungsverantwortlichen vor Ort ist alternativlos.
Die Potentiale eines von den zentralen Bildungsakteuren gemeinsam verantworteten kommunalen Bildungsmanagements sind offensichtlich: mehr Bildungsgerechtigkeit, lebendige Bildungslandschaften und erfolgreiche Bildungskarrieren. Ohne eine vertrauensvolle, strukturell verankerte und gut ausgestattete Kooperation bleiben sie jedoch nur Stückwerk.
In der Pandemie bewährten sich bestehende lokale Kooperationsstrukturen des kommunalen Bildungsmanagements, die in der Lage sind, in Abstimmung mit ihren Partnern einer »lokalen Verantwortungsgemeinschaft« kurzfristige, ausdifferenzierte Lösungen für die Bürgerinnen und Bürger, allen voran Kindern und Jugendlichen, anzubieten. Auch die aktuelle Flüchtlingssituation zeigt, was längst bekannt ist: Kommunen spielen eine zentrale Rolle zur Sicherung und Förderung gelingender Bildungsbiografien. Gleichzeitig sehen sie sich konfrontiert mit wachsenden bildungspolitischen Herausforderungen.
Kommunale Entwicklungen und Diskurse seit 2007
In den letzten Jahren ist ein Ungleichgewicht zulasten der Kommunen entstanden. Die Funktion der Kommunen und ihr Engagement für Bildung reicht inzwischen weit über die Wahrnehmung ihrer gesetzlich verankerten Schulträgeraufgaben hinaus. Von der frühen Bildung bis zur Weiterbildung, sind sie mit unterschiedlicher Intensität koordinierend tätig. Ein kommunales Bildungsmanagement will Bildungslandschaften strategisch gestalten, indem es Steuerungsimpulse setzt, Bildungsaktivitäten koordiniert und Bildungsakteure in Netzwerkstrukturen verbindet (Governance). Vor dem Hintergrund sich verändernder gesellschaftspolitischer und wirtschaftlicher Anforderungen befinden sich Bildungsstrukturen in einem tiefgreifenden Wandel.
Zur Bewältigung dieser Herausforderungen wird die Bedeutung von multiprofessionellen Kooperationen und interinstitutionellen Netzwerken immer deutlicher. Sie gelten als wirksame Bearbeitungsform zunehmend komplexer gesellschaftlicher Zusammenhänge und als geeignete Organisationsform für Aushandlungsprozesse verschiedenartiger Akteure (vgl. Schlimbach u.a. 2023).
Es wird darauf verwiesen, dass Zivilgesellschaft zwar zunehmend als Partnerin für Schulen und Kitas anerkannt, aber von kommunaler Seite als Mitgestalterin von Bildung weiterhin oft unterschätzt wird (Grgic, Rauschenbach, Steiner 2014 sowie Schlimbach u.a. 2023). Gab die Aachener Erklärung des Deutschen Städtetages im Jahr 2007 noch einen starken Impuls für eine staatlich-kommunale Verantwortungsgemeinschaft und für die Gestaltung regionaler Bildungslandschaften, scheint es in vielen Kommunen in den letzten Jahren keine erkennbare Weiterentwicklung einer staatlich-kommunalen bildungspolitischen Verantwortungsgemeinschaft zu geben, die den komplexen bildungspolitischen und gesellschaftlichen Herausforderungen Rechnung tragen würde - geschweige denn eine Weiterentwicklung hin zu einer staatlich-kommunalen-zivilgesellschaftlichen Verantwortungsgemeinschaft.
Bislang fehlen umfassende empirische Untersuchungen zur Kooperationspraxis in kommunalen Bildungslandschaften. Die vorhandenen Ergebnisse zeigen aber, dass die Steuerungsansätze häufig aus einem pragmatischen Wechselspiel aus unterschiedlich hierarchischen und horizontalen Steuerungsimpulsen der beteiligten Akteure bestehen (Stolz et al. 2011). »Sowohl in der Diskussion als auch in der praktischen Erprobung einer vernetzten Bildung nehmen die Koordinations- und Kooperationsschwierigkeiten und deren Bewältigung einen größeren Raum ein als die eigentlich intendierten Ziele einer besseren Bildung und Erziehung.« (Steiner, C. u.a. 2022, S. 67).
Die auf der Abschlusstagung des am Deutschen Jugendinstitut durchgeführten Forschungsprojekts Zivilkoop (https://zivilkoop.de/) präsentierten Ergebnisse und eigene Praxiserfahrungen zeigen, dass zivilgesellschaftliche Akteure der informellen Bildung (z.B. Patenschafts-Netzwerke und Mentoring-Initiativen) vielerorts nur randständig an der Entwicklung von kommunalen Bildungslandschaften beteiligt sind. Diese werden häufig von staatlichen und etablierten Akteuren der Zivilgesellschaft (Vereine und Verbände) geprägt, während ehrenamtliche Initiativen vielerorts nur an der Umsetzung von Bildungsangeboten, nicht aber an der Steuerung beteiligt sind. Kollaboration und partnerschaftliche Kooperationen zwischen staatlichen, kommunalen und vielfältigen zivilgesellschaftlichen Akteuren sind nur in wenigen kommunalen Bildungslandschaften etabliert. Als Ursachen dafür gelten (Schlimbach 2022):
→ unterschiedliche Vernetzungsziele der Kommunen und der Zivilgesellschaft,
→ unterschiedliche Verständnisse von zivilgesellschaftlicher Mitgestaltung,
→ programmintendierte Formalisierung (Gremien, Strukturen etc.), die wenig anschlussfähig an die oft situative und informelle Kooperationspraxis ist, die auf Vertrauen und persönlichen Beziehungen beruht.
Vor diesem Hintergrund besteht der Handlungsbedarf einer Weiterentwicklung von kommunalen Bildungslandschaften, um leistungsfähige Strukturen flächendeckend und nachhaltig zu sichern bzw. zu etablieren.
Kommunale Bildungslandschaften brauchen:
→ neue Impulse zur Etablierung lokaler Kooperationsstrukturen eines kommunalen Bildungsmanagements mit zivilgesellschaftlicher Beteiligung,
→ eine verbindliche personelle und finanzielle Beteiligung der Länder,
→ die Erweiterung regionaler Netzwerke um aktuelle Themen- und Handlungsfelder,
→ eine strukturelle Verankerung zu einer staatlich-kommunalen-zivilgesellschaftlichen Verantwortungsgemeinschaft,
→ mehr zivilgesellschaftliche Akteure und Institutionen aus der non-formalen und der informellen Bildung und
→ den flächendeckenden Ausbau des kommunalen Bildungsmonitorings in den Ländern als Datengrundlage für die Bildungsplanung und -steuerung vor Ort.
Kommunen sind als ordnungspolitische und räumliche Einheiten für eine umfassende, an der Idee des lebenslangen Lernens und einem weiten Bildungsbegriff orientierte Bildungsplanung etabliert. Sie verbinden die Nähe zur Bürgerschaft mit dem ganzheitlichen Blick auf ein differenziertes System von Bildungsangeboten und Bildungswegen. Deshalb sind sie die zentralen Gebietskörperschaften für bildungspolitische Strukturentscheidungen und Programme von Bund und Land, insbesondere wenn es darum geht, bildungspolitische Vorhaben in die Fläche zu bringen und in den Kommunen und den Bildungseinrichtungen wirksam werden zu lassen. Hierzu bedarf es einer engen und strukturell abgesicherten und verbindlichen Zusammenarbeit zwischen Ländern, Kommunen und der Zivilgesellschaft, um strategisch und operational abgestimmt vorzugehen. Dies betrifft insbesondere den Bereich Schule, aber auch Handlungsfelder wie frühe Bildung, berufliche Bildung, Weiterbildung, MINT-Bildung, kulturelle Bildung, Bildung für nachhaltige Entwicklung, Bildung und Integration, die freie Jugendarbeit, Bildung und Gesundheit sowie die einzelnen Übergänge entlang der Bildungskette. Alle diese Bildungsbereiche sind Elemente kommunaler Bildungslandschaften.
Um diese umfassende Gestaltungsaufgabe übernehmen zu können, müssen Funktion und Ausstattung von kommunalen Bildungslandschaften erweitert, flexibilisiert und strukturell abgesichert werden. In den Netzwerkstrukturen sollen die staatlichen, kommunalen und zivilgesellschaftlichen Bildungsakteure in die Entwicklung der Bildungslandschaften partnerschaftlich eingebunden werden. Kommunales Bildungsmanagement mit einer derart erweiterten Funktion braucht dementsprechend erweiterte Gestaltungsspielräume für die organisationale Umsetzung und eine verlässliche strukturelle Ressourcenabsicherung.
Gelingensfaktoren für kommunale Bildungslandschaften sind:
→ Gemeinsame Ziele, Strategien und Lösungswege entwickeln und partnerschaftlich umsetzen
→ Gegenseitiges Vertrauen aufbauen - Kooperationen fördern
→ Informelle Strukturen stärken – Exklusivität von Netzwerken überwinden
→ Teilhabe und Mitgestaltungsmöglichkeiten für alle Menschen schaffen
→ Selbstwirksamkeitserfahrungen ermöglichen
→ Gemeinsam Erfolge feiern: Sichtbarkeit, Anerkennung, Wertschätzung
Außerdem bedarf es einer stärkeren und regelhaften Einbindung der Zivilgesellschaft vor Ort, um die aktuell vielerorts hierarchisch geprägte Organisations- und Ablaufstruktur zu einer agilen, innovationsgetriebenen und wirkungsorientierten Ausrichtung weiterzuentwickeln. Es braucht adäquate Ressourcen, Strukturen und die Zusammenarbeit zwischen Ländern und Kommune auf Augenhöhe. Die kommunal-staatliche Verantwortungsgemeinschaft sollte zu einer kommunal-staatlich-zivilgesellschaftlichen Verantwortungsgemeinschaft weiterentwickelt werden.
Literaturverzeichnis
Grgic, M./ Rauschenbach, T./ Steiner, C. (2014): Das Bildungsengagement der Zivilgesellschaft. Zivilgesellschaft KONKRET, 5. https://www.bertelsmannstiftung.de/de/publikationen/publikation/did/das-bildungsengagement-der-zivilgesellschaft/ (zuletzt aufgerufen am 04.11.2022)
Schlimbach, T./ Kanamüller, A./ Langner, R./ Steiner, C. (2023): Zusammenarbeit für Bildung. Kommunale Koordinierung und Vernetzungspraktiken mit Zivilgesellschaft. Erscheint in: Brüggemann, C./ Hermstein, B./ Nicolai, R.: Bildungskommunen? Zum Wandel von Kommunalpolitik und -verwaltung im Bildungsbereich. Weinheim: Beltz-Juventa.
Schlimbach, T. (2022): Netzwerkpraktiken und Handlungslogiken: Ergebnisse aus qualitativen Netzwerkstudien. Vortrag vom 27.10.2022 auf der Abschlusstagung des Projekts ZivilKoop: »Gemeinsam für bessere Bildung? Zivilgesellschaftliche Akteure in kommunalen Bildungslandschaften«. Online.
Steiner, C./ Kanamüller, A./ Langner, R./Schlimbach, T. (2022): Deutsche Bildungs-landschaften. In: Bürger & Staat »Öffentliche Infrastrukturen. Politische Gestaltung der vernetzten Gesellschaft«. 72. Jg., H. 1/2, S. 63-68. [online unter: https://www.lpb-bw.de/bis]
Stolz, H.-J./ Schalkhaußer, S./ Täubig, V. (2011): »Vernetzte Bildung« – Ein institutio-neller Mythos? In: Bollweg, P./Otto, H.-U. (Hrsg.): Räume flexibler Bildung. Wiesba-den, S. 99–111.
Beitrag im Newsletter Nr.23 vom 17.11.2022
Für den Inhalt sind die Autor*innen des jeweiligen Beitrags verantwortlich.
Autor*innen
Pia Amelung ist Referentin für Schule und Bildung beim Deutschen Städtetag sowie beim Städtetag Nordrhein-Westfalen.
Kontakt: pia.amelung@staedtetag.de
Olaf Ebert leitet die Stiftung Bürger für Bürger als Geschäftsführender Vorstand und ist Mitglied des Sprecher*innenrates des Bundesnetzwerk Bürgerschaftliches Engagement.
Kontakt: o.ebert@buerger-fuer-buerger.de
Web: www.buerger-fuer-buerger.de
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