Newsletter Nr. 23 vom 17.11.2022

Sich aufeinander einlassen: Bildungslandschaften gemeinsam gestalten

Tamara Fink

Inhalt

Erste Schritte an der KU Eichstätt-Ingolstadt und in der Region 10
Interviews zum Thema »Bildung und Engagement im gesellschaftlichen Raum«
Wie ist der Status Quo hinsichtlich der Einbindung der zivilgesellschaftlichen Akteur*innen vor Ort?
Wie schätzen die Engagierten ihre Rolle in kommunalen Bildungsprozessen ein?
Vertiefende Gesprächsrunden
Diskussion und Handlungsempfehlungen
Fazit
Autor
Redaktion

Erste Schritte an der KU Eichstätt-Ingolstadt und in der Region 10

Dieser Beitrag schildert das Vorgehen und die Erfahrungen der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt (KU) zum Aufbau und der Stärkung einer regionalen Bildungslandschaft und möchte dabei einen Aspekt besonders herausheben: die Beziehungsebene. Seit 2020 beschreiten wir, das Wissenstransfer- & Bildungsinnovationsteam an der KU, erste Schritte zur Stärkung und Vernetzung von formalen und non-formalen Bildungseinrichtungen der Region 10 (Ingolstadt, Eichstätt, Neuburg an der Donau, Schrobenhausen, Pfaffenhofen an der Ilm). Ziel ist es, einen vertrauensvollen Dialograum zu eröffnen, Schnittstellen zu identifizieren und ein Voneinander-Lernen in einer Community auf dem Weg zu einer starken Bildungslandschaft zu ermöglichen. Dabei ist der Vertrauensaufbau zwischen diversen Akteur*innen unserer Erfahrung nach eine der wichtigsten tragenden Komponenten im kooperativen Veränderungsprozess. Damit die Zusammenarbeit gelingt, braucht es ein gemeinsames Ziel, eine klare Definition der Rollen, Zuverlässigkeit, einen sorgfältigen Umgang untereinander, eine transparente Kommunikation, Wirkungsorientierung und vor allem viel Vertrauen.

Interviews zum Thema »Bildung und Engagement im gesellschaftlichen Raum«

Für die Anerkennung und den Ausbau lokaler Bildungslandschaften braucht es laut verschiedener Untersuchungen zunächst ein Wissen über die entsprechenden Strukturen, Abläufe und Systematiken von Bildungsarbeit im zivilgesellschaftlichen Sektor. Als ersten Schritt einer solchen Bestands- und Bedarfsaufnahme führte unser Team eine Interviewreihe und drei Gesprächsrunden zum Thema »Bildung und Engagement im gesellschaftlichen Raum« durch. Die Interviewreihe zwischen unserem Team und zivilgesellschaftlichen Akteur*innen der Region fand im März 2021 statt und bestand aus 12 Interviews. Damit sollte grundlegend in Erfahrung gebracht werden, wie zivilgesellschaftliche Akteur*innen Bildung verstehen, wie sie Bildungsarbeit leisten, welche Bedeutung sie Bildung beimessen und wie das Zusammenspiel zwischen informellen und formalen Bildungsakteur*innen der Region im Moment funktioniert. Die Interviews deckten verschiedene Sektoren und eine möglichst große Bandbreite des Ehrenamtes in der Region ab. Sie hatten nicht den Anspruch einer Vollerhebung oder einer wissenschaftlichen Befragung, sondern waren lediglich ein erster Schritt, eine Kontakt- und Bestandsaufnahme zu machen. Die Ergebnisse werden im Folgenden unter zwei Fragestellungen zusammengefasst:

Wie ist der Status Quo hinsichtlich der Einbindung der zivilgesellschaftlichen Akteur*innen vor Ort?

In den Interviews wurde uns berichtet, dass es bislang in der Region nur eine punktuelle Zusammenarbeit zwischen verschiedenen Organisationen gibt. Eine systematische Kooperation zu Bildungszwecken gibt es weder unter zivilgesellschaftlichen Akteur*innen selbst, noch zwischen diesen und formalen Bildungseinrichtungen. Zwar wurde uns von Kooperationsprojekten erzählt, beispielsweise zwischen Schulen und Jugendeinrichtungen oder der Volkshochschule und Vereinen, aber diese sind sehr von individuellem Engagement einzelner Personen abhängig. Initiator*innen sind dann beispielsweise eine Lehrkraft und eine engagierte Person in einer Nachhaltigkeitsinitiative. Wechselt eine Person dann den Wohnort oder ändern sich Zuständigkeiten, bricht die Zusammenarbeit ab und muss oftmals komplett neu organisiert werden, weil sie nicht institutionell verankert ist, sondern nur durch das zusätzliche Engagement Einzelner überhaupt zustande kommt. Grundsätzlich zeigt das Stimmungsbild unserer Befragung, dass Vereine und Verbände mehr Anerkennung als Akteur*innen in einer starken Zivilgesellschaft fordern. Alle befragten Vertreter*innen wünschen sich eine Zusammenarbeit mit der Hochschule oder anderen Bildungseinrichtungen, da sie von dem Wissens- und Methodentransfer profitieren können und sich davon neue Mitglieder erhoffen. Auch die Relevanz, mit geeinter Stimme zur Politik zu sprechen und damit eigenen Forderungen mehr Schlagkraft zu verleihen, spielt dabei eine große Rolle. Allerdings wissen die Befragten oft schlicht nicht, an wen sie sich in den Schulen oder Universitäten wenden können, da die Kommunikationskanäle nicht intuitiv und entsprechende Ansprechpartner*innen nicht erkenntlich sind oder noch gar nicht existieren. Diese Barrieren werden auch durch die wahrgenommene Überlastungssituation von Angehörigen formaler Bildungseinrichtungen noch weiter erschwert. Wendeten sich Interessierte beispielsweise an Schulen, so wurde ihnen oft mitgeteilt, dass Kooperationsprojekte einen Mehraufwand darstellen, der für das ohnehin unter Druck stehende Lehrpersonal nicht zu leisten sei. Kooperationsprojekte sind häufig nur mit Unterstützung von extern, einer guten Vorbereitung und hohem persönlichen Engagement durchführbar.

Wie schätzen die Engagierten ihre Rolle in kommunalen Bildungsprozessen ein?

Durch die Interviews ging die KU einen Schritt auf ehrenamtliche Organisationen zu und öffnete sich mit der Botschaft, dass sie diese als gleichberechtigte Partner*innen einer Bildungslandschaft wertschätzt. Die Vereine fühlten sich dadurch als Bildungsakteur*innen ernst genommen und wurden teilweise das erste Mal in dieser Rolle angesprochen. Denn ihre eigene Wichtigkeit als gleichberechtigte Bildungspartner*innen für (Hoch-)Schulen nehmen Vereine und Verbände noch kaum wahr, obwohl sie vielfältige Bildungsangebote für Mitglieder und andere Menschen im Programm haben. Alle Befragten gaben an, dass der eigene Verein als Lernort für Mitglieder oder Externe diene. Beispiele hierfür sind: Kenntnisse über einen nachhaltigen Lebensstil, gesundheitsförderliches Training oder Sensibilisierung für fairen Handel weltweit. Das Lernen in Vereinen erfolgt einmal durch die Mitgliedschaft und das Interesse an den Kernthemen des Vereins. Allerdings wird dieses Kernwissen oftmals noch durch Trainings und Schulungen unterstützt bzw. ist – beispielsweise beim Technischen Hilfswerk oder Roten Kreuz – eine notwendige Voraussetzung für das Engagement im Verband. Trotzdem reagierte der Großteil der Befragten überrascht auf die Frage nach Lernprozessen und benötigte eine gewisse Ermutigung, den eigenen Verein tatsächlich als Bildungsakteur und das eigene Engagement als Lernraum wahrzunehmen. Die eigene Kompetenzentwicklung durch das Engagement wurde ebenfalls in acht von zwölf Interviews nur zögerlich beantwortet. Dies ist insbesondere bei kleineren Initiativen oder Vereinen der Fall, da in diesen meist keine Reflexion über die eigenen Kompetenzen stattfindet.

Vertiefende Gesprächsrunden

Mit drei folgenden Gesprächsrunden wollten wir einen neuen Austauschraum auf Augenhöhe schaffen und den Bewusstseinsbildungsprozess weiter vertiefen. Verschiedene Vertreter*innen von Vereinen, non-formalen und formalen Bildungseinrichtungen der Region wurden dafür zu einem dreistündigen Gespräch eingeladen. Hierfür konnten auch einige der bereits interviewten Personen begeistert werden. Für die Veranstaltungen wurden bewusst nicht Räumlichkeiten der Universitäten, sondern besondere Bildungseinrichtungen vor Ort ausgewählt: Die Gespräche fanden in einem neu eröffneten und als Verein organisierten Co-Working-Space, in dem Seminarraum einer Volkshochschule und im Gemeindezentrum einer Kirche statt.

In allen Runden entstand durch den Austausch ein Bewusstsein, womit sich die jeweils anderen Akteur*innen thematisch beschäftigen, was ihre Herausforderungen und Ideen sind, nach welchen Logiken sie funktionieren und wie sich der Kontakt gestalten lässt. Es gibt verbindende Themen, wie beispielsweise die Bindung junger Menschen an ihre Region, die Einbindung verschiedener Zielgruppen in Vereinsaktivitäten oder gemeinsame Ziele in einer starken Zivilgesellschaft, die in jedem Gesprächskreis bedeutsam waren. Was hält die Menschen vor Ort? Wie kann ein Mensch sich hier aus- und weiterbilden? Wie können wir die Jugend beteiligen und Partizipation ermöglichen? Diese Fragen standen an allen drei Terminen zur gemeinsamen Diskussion.

Alle Teilnehmer*innen der Gespräche waren interessiert an einer kontinuierlichen Netzwerkstruktur für (Bildungs-)Themen, welche die Region betreffen. Generell wurde mehrfach der Wunsch nach einer besseren Vernetzung der Bildungsangebote sowie die gezielte strukturelle Förderung von intersektionalem und übergreifendem Lernen gefordert. Zwar wird den Vereinen auch eine Bringschuld für die Hervorhebung ihrer Wichtigkeit im Bildungsbereich zugeschrieben , doch können Vereine dies oft realistisch nicht leisten. Sie kämpfen mit Mitgliederschwund oder einem dauerhaften Überlastungszustand ihrer Mitglieder und fühlen sich oftmals nicht imstande, die eigene Relevanz im Bildungsbereich vor der Politik zu vertreten. Dem entspricht auch der Wunsch nach besserer Vernetzung der formalen und non-formalen Bildungsinstitutionen, um mehr Kooperation, gemeinsame Projekte und ein Voneinander-Lernen zu ermöglichen. Gemeinsam mit starker Stimme Interessen vor der Politik zu formulieren, wird als sehr entlastend wahrgenommen.

Diskussion und Handlungsempfehlungen

Bisher gibt es nur wenig Austausch zwischen formalen und non-formalen Bildungseinrichtungen in der Region 10 und es fehlen entsprechend passende regionale Austauschräume. Dadurch herrscht ein mangelndes Bewusstsein über das Bildungsverständnis und die Lernumgebung der Anderen. Im ehrenamtlichen Bereich gibt es kaum ein (Selbst-)Bewusstsein darüber, dass der eigene Verein Bildungsarbeit leistet. Die Selbsteinschätzungen zur Kompetenzentwicklung unterstützen das Bild, das der Freiwilligensurvey zeichnet: Engagement ist einer der wichtigsten Lernorte und vor allem für soziale/personale Kompetenzen unübertroffen. Dennoch wird die eigene Kompetenzentwicklung kaum reflektiert und findet dadurch ähnlich der Bildungsarbeit wenig Eingang ins (Selbst-)Bewusstsein der Vereine.

Was bedeutet dies für die Entwicklung kommunaler Verantwortungsgemeinschaften? Solange das Bewusstsein über die eigene Bildungsarbeit nicht im Selbstverständnis angekommen ist, wird eine Vernetzung zwischen non-formalen und formalen Bildungsorganisationen nur punktuell entstehen können. Es braucht eine kontinuierliche, bewusste Ansprache und Einbindung von Vereinen, Verbänden und anderen non-formalen Organisationen als Bildungsakteur*innen in kommunalen und regionalen Formaten und Vertreter*innenkreisen, um dieses Selbstbewusstsein zu etablieren und zu festigen. Eine gegenseitige Wahrnehmung kann nur dann langfristig und von Einzelpersonen entkoppelt sein. Die Förderung einer Selbstwahrnehmung als Bildungsakteur*innen im ehrenamtlichen Bereich ist auch deshalb so wichtig, weil sie den Vereinen und Verbänden ein größeres Selbstbewusstsein verschafft. Sie werden nicht nur in ihrer aktivistischen, gemeinschaftsbildenden oder sozialen Rolle, sondern auch in ihrer Position im Bildungssystem anerkannt. Dies macht einen großen Unterschied. Folglich sind sie in der Lage, ihren Forderungen nach mehr Unterstützung von der Politik mehr Nachdruck zu verleihen.

Die verschiedenen Akteur*innen, die wir befragt und ins Gespräch gebracht haben, besitzen jeweils unterschiedliche Kulturen, Bedarfe und Herangehensweisen in ihrem Alltag und Miteinander, sodass die Transfer- und Beziehungsarbeit wohl die größte Herausforderung im langfristigen Zusammenspiel sein dürfte. Wie wichtig die Beziehungsebene ist, wird sowohl durch die geschilderten Beispiele funktionierender Kooperationen deutlich, als auch durch die Ergebnisse der Befragung und Gespräche. Nur so entsteht ein Gefühl für die Arbeit des/der Anderen und Kooperationen entwickeln sich ganz natürlich, wenn das Gegenüber greifbar und vertrauenswürdig erscheint. So führten die Interviews und Austauschrunden, welche primär den Zweck einer Bestandsaufnahme und eines Kennenlernens hatten, bereits zum Aufbau einer vertrauensvollen Grundlage. Die beteiligten Akteur*innen kontaktierten uns danach selbstständig bei Bedarfen oder Projektideen und waren auch gerne bereit, uns weiterhin mit ihrem Wissen und ihren Erfahrungen zur Seite zu stehen. Dass eine Weiterführung des Austauschs seitens der zivilgesellschaftlichen Partner*innen gewünscht ist, wurde von allen Seiten deutlich geäußert und als wichtiger Schritt für eine Transformation des Bildungssektors erkannt. Dem Wunsch nach Veränderung steht jedoch die dauerhafte Überlastungssituation aller Teilnehmenden der Gesprächsformate gegenüber. Sowohl die Schulen als auch die Hochschulen und andere ehrenamtlich getragenen Organisationen kämpfen mit einer Überlastung und Personalmangel. Wie kann also diese zukünftige Aufgabe gemeinsam gemeistert werden? Welche Handlungsweisen und Empfehlungen lassen sich also daraus ableiten? Was braucht es nun, um Bildungslandschaften langfristig zu generieren und am Leben zu halten? Wie können zivilgesellschaftliche Akteur*innen vor Ort am besten dabei unterstützt werden, ihre Arbeit zielgenau und wirkungsmächtig im Rahmen kommunaler Entwicklung ausüben zu können?

Eine Bildungslandschaft im Sinne einer Community lebt nicht zum Selbstzweck, sondern muss erhalten werden und kontinuierlich methodisch bzw. strukturell unterstützt werden – vor allem vor dem Hintergrund der dauerhaften Belastungssituation im Bildungs- und Engagementsektor. Es braucht daher dringend personelle Verantwortlichkeit und Ressourcen in Form von Koordinationsstellen. Diese gibt es bereits an einigen Orten, nur haben Anlaufstellen dieser Art eine Vielzahl von Herausforderungen und sind damit oftmals ausgelastet. Es braucht Formate, die jenseits kommunaler Stellen organisiert sind, da diese oftmals noch in klassischen formalen Bildungsstrukturen denken. Und es braucht dringend Verstetigung: Die Vernetzungstreffen müssen so organisiert werden, dass sie für die einzelnen Akteur*innen so wenig organisatorischen Aufwand wie möglich bedeuten. Eine Transferstelle der Hochschule(n) kann dafür beispielsweise eine neue Chance sein, um als Anlaufstelle das Netzwerk zu unterstützen und zu koordinieren. Denn eine Nachhaltigkeit dieser Austauschrunden ist zwingend notwendig, damit sich die Akteur*innen kennenlernen, Vertrauen aufbauen und ihre Kompetenzen und Ideen langfristig teilen können.

Fazit

Unser Fazit: Transformation ist Beziehungsarbeit im vertrauensvollen Dialog. Den Kontakt mit den verschiedenen Bildungsakteur*innen aufzunehmen, kann dafür nur ein erster Schritt sein. Danach ist der Vertrauensaufbau zwischen den diversen Akteur*innen einer Bildungslandschaft unserer Erfahrung nach eine der wichtigsten tragenden Komponenten von Veränderungsprozessen und gelingender Kooperation. Die Qualität der Interaktion, Kontinuität und Verlässlichkeit sind essenziell für den Aufbau von stabilem Vertrauen, welches langfristige Erfolge befördert. Wer erreichen möchte, dass Menschen sich langfristig mit einer gemeinsamen Vision an der Gestaltung der Community beteiligen, darf sich nicht darauf beschränken, fachliche Expertise und ein passendes Budget bereitzustellen.


Beitrag im Newsletter Nr. 23 vom 17.11.2022
Für den Inhalt sind die Autor*innen des jeweiligen Beitrags verantwortlich.

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Autor

Tamara Fink ist Mitarbeiterin an der Katholischen Universität Eichstätt.

Kontakt: tamarafink@online.de


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