Inhalt
Systematische Zusammenarbeit
Instrumente
Voraussetzungen
Zivilgesellschaftlich Engagierte als Bildungsakteure
Spielraum
Miteinander wirken
Autor*in
Redaktion
Systematische Zusammenarbeit
Seit fast zwei Jahrzehnten wird in der Bundesrepublik auf der Bundes-, Landes- und kommunalen Ebene die Entwicklung von kommunalen Bildungslandschaften vorangetrieben. Dabei entwickeln die kommunale Verwaltung und Politik mit Zivilgesellschaft, Wirtschaft und weiteren vielfältigen Akteuren vor Ort eine ganzheitlich orientierte, bildungsbezogene systematische Zusammenarbeit, die die Bildungskette kohärent abbildet und die strukturellen Grundlagen für systematische Zusammenarbeit schafft. Die kommunal-zivilgesellschaftlichen Akteure verankern diese nachhaltig, um ressourcenschonend und Synergie schaffend zum Wohle jedes und jeder Einzelnen die größtmögliche Wirkung und individuelle Bildungserfolge zu erzielen. Konkret bedeutet dies eine gleichberechtigte Kooperation zwischen ungleichen Partnern, die mit gemeinsamer Zielsetzung entlang des kommunalen Handlungsbedarfs ein geeignetes Vorgehen gemeinsam entwickeln, ihre Maßnahmen abstimmen und somit ihre Kompetenzen und Expertise bündeln.
Dieser Weg ist wie bei jeder Organisationsentwicklung einer, der von allen Beteiligten gewollt und entschieden begangen werden muss und für den die Voraussetzungen zum Teil noch zu schaffen sind. Das sind vorrangig Bewusstheit und Verständnis für die jeweils andere Perspektive, weniger in Zuständigkeitsgrenzen zu denken, dafür die Verantwortungsgemeinschaft in den Vordergrund zu stellen. Der Grundgedanke einer kommunal-zivilgesellschaftlichen Verantwortungsgemeinschaft für Bildung vor Ort, die auch die Wirtschaft einbezieht, erwächst aus der Erkenntnis, dass sich Bildungsentwicklung und persönliche Bildungserfolge ohne das Engagement der Zivilgesellschaft nur begrenzt ermöglichen lassen und systematische koordinierte Kooperationen zwischen lokalen Akteuren aller Couleur und ihren Bildungsbeiträgen das wirkungsvollste Instrument für qualitätsvolle Bildungsergebnisse sind.
Alltags- und Zukunftskompetenzen wie Teamfähigkeit und Teamgeist, Resilienz und Kreativität, soziale Kompetenz und kritische Reflexion – all diese Kompetenzen werden durch den freien Entfaltungs- und Erprobungsraum gewährleistet, den zivilgesellschaftliche Akteure aus freien Stücken anbieten. Bildung als lebenslanges Lernen, das Zusammenspiel formaler, non-formaler und informeller Lernebenen ermöglicht erst die freiheitlich demokratische Gesellschaft, die sich den Zukunftsaufgaben gemeinschaftlich stellen kann. Das setzt jedoch voraus, dass eine chancengerechte Bildung durch den gesamten Lebenslauf hinweg als DAS hohe gesellschaftliche Gut betrachtet wird, das die Grundlage für Teilhabe, Beteiligung und Wirksamkeit jeder und jedes Einzelnen bietet und wesentlich für eine zukunftssichere demokratische Gesellschaft ist.
Über die vergangenen 15 Jahre haben sich in vielen Kommunen dauerhafte Kooperationen zwischen den kommunalen und zivilgesellschaftlichen Ebenen, aber auch mit der Wirtschaft etabliert, basierend auf einer Bewegung, die in der Initiative »Lernen vor Ort« begründet ist. »Lernen vor Ort« ist vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) mit Deutschen Stiftungen von 2009-2014 gemeinsam entwickelt und durchgeführt worden. In 40 Modellkommunen wurde eine Verwaltungsentwicklung in systematischer Kooperation mit Stiftungen als Vertreterinnen der Zivilgesellschaft erprobt, deren Kern ein belastbares, jedoch wandlungsfähiges Gerüst für (Bildungs)Entwicklung und Management vor Ort mit dazugehörigen Steuerungsinstrumenten ist. Aus diesem Modellvorhaben heraus hat sich eine anhaltende bundesweite Bewegung in Kommunen entwickelt, zunehmend kommunale Bildungslandschaften zu etablieren. Dabei ist die zugrundeliegende Struktur, die ein systematisches, kooperatives, an gemeinsamen Zielsetzungen orientiertes Handeln ermöglicht, kein Selbstzweck, sondern das Fundament, um bildungsbezogene Handlungsfelder wie Inklusion, Integration, Demokratiestärkung, Bildung für nachhaltige Entwicklung, digitale Transformation oder kulturelle Bildung und andere im jeweiligen kommunalen und regionalen Kontext bearbeiten zu können. Ebenso bietet die zugrundeliegende Kommunikations-, Steuerungs- und Entscheidungsstruktur eine anpassungsfähige Basis, um auf akute Gefahren, wie aktuell auf Krieg und seine Folgen oder die Pandemie, und flächendeckende Maßnahmen schnell und adäquat unter Berücksichtigung der lokalen Gegebenheiten reagieren zu können.
Instrumente
Beim Etablieren von kommunalen Bildungslandschaften haben sich Instrumente bewährt, mit denen sich die Situation vor Ort analysieren, bewerten und Handlungsfelder priorisieren lassen. Die Instrumente sind u.a. ein kommunales Bildungsmonitoring, eine differenzierte Bildungsberichterstattung, die Bildungssteuerung auch im politischen Rahmen ermöglicht (zum Beispiel Finanzierung), und ein professionelles Bildungsmanagement, das die unterschiedlichen Kräfte und Ressourcen zusammenführt. Wie jedoch der Zugang zur Entwicklung von kommunalen Bildungslandschaften geschaffen wird, ist vom Bedarf der jeweiligen Kommune abhängig. Mal wird mit einem problemlösenden Projekt begonnen und die beteiligten Akteure sehen, wie sich gemeinsam Synergien schaffen und Ressourcen bündeln lassen und welcher Strukturen es bedarf. Andere beginnen mit dem Blick auf die Grundlagen für die erfolgreiche Zusammenarbeit und den Strukturschärfungen in der Verwaltung. Beide exemplarische Ansätze jedoch sind Teil eines Bildes. Die Erfolge von (Bildungs)Projekten als Einzelmaßnahmen hängen davon ab, wie gut sie organisch in lokale Entwicklungen und Prozesse eingebettet sind. Damit das gelingen kann, braucht es Strukturen und Zielsetzungen, die als Orientierung und verbindliche Leitplanken dienen. Erst dann lässt sich die Nachhaltigkeit von lokaler Bildungsarbeit verwirklichen.
Voraussetzungen
Bildung ist mehr als Schule. Bildung ist keine kommunale Pflichtaufgabe. Bildung als eine freiwillige kommunale Leistung bietet somit eine große Chance und individuellen Gestaltungsfreiraum einer lokalen Bildungslandschaft. Für kommunal-zivilgesellschaftliche Bildungspartnerschaften im obigen Sinne braucht es eine offene und wandlungsbereite kommunale Verwaltung und Politik, die Engagement für Bildung als Gewinn und Zukunftssicherung für ihre Kommune betrachtet. Es braucht genauso zivilgesellschaftliche Akteure, die sich einer wesensfremden Partnerschaft mit Kommune, Wirtschaft und Wissenschaft öffnen und dafür Zeit investieren. Je mehr in der Verwaltung und Politik, in der Wirtschaft ebenso wie in der Öffentlichkeit, erkannt wird, dass sich der Aufwand für diese Form der etablierten Zusammenarbeit lohnt, desto größer sind die Chancen von Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen, ihre Talente zu entfalten, Kompetenzen zu entwickeln und die Gesellschaft mitzugestalten. Angesichts des globalen Wandels in Bezug auf Klima, natürliche Ressourcen und Gesellschaftsordnung und der lokalen Auswirkungen und Problemstellungen in einem allumfassenden komplexen Transformationsprozess ist es nur zwangsläufig und zukunftssichernd, die unterschiedlichen Verantwortungsträger, staatliche, wirtschaftliche und zivilgesellschaftliche, und die verschiedenen Handlungsebenen zusammenzuführen und koordiniert vorzugehen.
Doppelstrukturen, Intransparenz, Überbürokratie und andere, einem zielgerichteten Handeln oftmals zuwiderlaufende Mechanismen vergangener Zeiten, müssen zugunsten eines verschränkten agilen Vorgehens und Handelns aufgelöst werden. Das setzt jedoch eine Haltungsänderung und einen Wertewandel voraus, der nicht mehr die Stärke im Festhalten an hierarchischen Abläufen sieht, sondern neue Wege des Zusammenspiels unterschiedlicher Stärken der Akteursgruppen erprobt und etabliert. Das bedeutet aber auch, die Grundfesten einer eingeübten Bürokratie durchlässiger zu gestalten, Macht zu teilen und dafür Platz, Raum und Instrumente zu schaffen. Ziel ist es, ungleiche Partner in gemeinsamer Verantwortung trotz geteilter Zuständigkeit als resiliente Gemeinschaft zusammenzuführen, die die Zukunft entlang akuter, mittelfristiger und langfristiger Anforderungen gestalten können. Hier gilt es ein neues Verständnis von kooperativer kommunaler Governance zu etablieren, das sich an gemeinsamer Verantwortung und gleichwertiger Handlung orientiert, denn in der Kommune werden gesellschaftliche und individuelle Probleme gelöst und damit die relevanten Lösungskompetenzen für gesellschaftliche Aufgaben entwickelt.
Zivilgesellschaftlich Engagierte als Bildungsakteure
Wird im Allgemeinen von der Zivilgesellschaft gesprochen, werden zumeist hochorganisierte zivilgesellschaftliche Organisationen der Zivilgesellschaft gemeint. Neben ihnen gibt es aber noch wesentlich mehr zivilgesellschaftliche Engagierte, Stiftungen, Vereine, Initiative, Einzelpersonen mit einer Vielfalt an Angeboten und Aktivitäten – im Bildungsbereich von außerschulischen Lernorten bis zur Einzelbetreuung als Mentoren oder Coaches –, die aus freien Stücken und nach eigener Maßgabe sich dem Gemeinwohl verpflichtet fühlen und entsprechend handeln. Sie sind in der Kommune zu Hause und engagiert, sie kennen sich dort gut aus: Sie identifizieren Handlungsbedarf und planen Maßnahmen, sie haben besondere Kontakte in die Bürgerschaft, sie können Botschaften aufnehmen und vermitteln. Sie sind als Multiplikatorinnen und Multiplikatoren und Ermöglicherinnen und Ermöglicher in viele Richtungen aktiv. Auf der kommunalen Ebene bereichern sie die Bildungsentwicklung durch vielfältiges Wissen, Expertise und Kreativität, und durch ihre Flexibilität, auf akuten Bedarf schnell und unbürokratisch zu reagieren. Überregional geben sie ihr Erfahrungswissen weiter und bringen Erkenntnisse anderer Akteure in ihre eigene Kommune ein.
Spielraum
Die Akteure dieser größtenteils lokal verankerten aber politisch wenig beachteten Zivilgesellschaft sind aus der überregionalen Perspektive häufig schwer zu identifizieren und noch weniger zu adressieren. Für diese große, im Kleinen mächtige Akteursgruppe gibt es weder formalisierte Strukturen noch ein Selbstverständnis als (auch) politisch relevante Akteure. Auch bei diesem großen Anteil Engagierter in der Akteursgruppe weitgehend unbeachteter Zivilgesellschaft besteht Bedarf für ein verändertes Selbstverständnis und an lokalen Strukturen, die die Zusammenarbeit unterschiedlicher Akteure mit dem Anspruch, gleichermaßen wichtige Beiträge zum Beispiel zur Bildungsentwicklung vor Ort zu leisten, unterstützen. In vielen Programmdesigns der Bundes- und Länderministerien gibt es seit etlichen Jahren den Anspruch, zivilgesellschaftliche Akteure in lokale Entwicklungen einzubeziehen. Ein Modellvorhaben jagt das andere. Jedoch scheitern diese Ansätze häufig am Mangel nachhaltiger Strukturen, wie auch daran, dass Engagierte gerne kategorisiert und bei Bedarf ›eingesetzt‹ werden. Engagierte, ob hauptamtlich oder neben- und ehrenamtlich, sind in Handlungsfeldern aktiv, die unsere Lebenswelt widerspiegeln, getrieben oftmals von solchen Fragestellungen: Welche Aufgabe ist zu lösen, was kann ich tun, wo findet mein Beitrag Resonanz? Ebenso stehen aber hier die Fragen nach der Motivation im Raum, was macht mir Freude, worin möchte ich mich erproben, wo sehe ich mein Potential gut genutzt? Diese Grundlage für das persönliche Engagement oder auch die Kriterien für Engagemententscheidungen von Einzelorganisationen muss man kennen und verstehen, um die Bedingungen zu kennen, unter denen die Engagierten ihre Zeit, ihr Können, ihre Verbindungen und anderes beitragen, und um zu verstehen, wie sie langfristig unterstützt werden können.
Diese Akteure der Zivilgesellschaft sind oftmals stark intrinsisch motiviert und folgen einem sensiblen Wertekompass. Will man sie in Strukturen integrieren, sind Maßnahmen hilfreich, die für administrative Entlastung sorgen, lokale Transparenz des Bedarfs, der Angebote und vor allem lokale Knotenpunkte schaffen, die als zentrale Anlaufstellen für all diese dienen können. Lokale Bildungsbüros in der kommunalen Verwaltung könnten diese erweiterte Aufgabe übernehmen, oder aber Stabsstellen beim Landrat oder Bürgermeister, wo die Fäden zusammenlaufen, wenn Bildung im obigen Sinne verstanden Chefsache ist. Eine der Engagementbereitschaft und der Wirkung des Engagements angemessene Beteiligung an lokaler Entwicklung bedeutet, Kooperation neu zu denken, Hindernisse dafür aus dem Weg zu räumen, um Spiel- und Möglichkeitsräume zu erweitern und Beteiligung nicht als eine Gunst oder Belohnung zu betrachten.
Miteinander wirken
Eine strukturierte vertikale und horizontale Zusammenarbeit in der und mit der Zivilgesellschaft in der Kommune (nicht nur) in Bezug auf die Bildungsentwicklung vor Ort kann sich von formlosen runden Tischen bis zu formalen Verbünden oder anderen verbindlichen Konstruktionen zeigen, je nach Situation vor Ort, und bildet die Bandbreite des Lebenslangen Lernens ab. Ein solcher Zusammenschluss erhöht die Sichtbarkeit und erleichtert die Ansprechbarkeit der Beteiligten. Das ist eine erste Grundlage für kommunal-zivilgesellschaftliche Bildungspartnerschaften, die über sporadische Zusammenarbeit hinausgehen wollen. Auf Seiten der Kommune ist es vorteilhaft, wenn die Kooperation mit dieser zivilgesellschaftlichen Gruppe selbstverständlich integriert ist in die strategischen Planungsabläufe der lokalen Bildungsentwicklung und der Gestaltung der entsprechenden Maßnahmen.
Eine vertrauensvolle, in der gemeinsamen Zusammenarbeit vor Ort vernetzte und verankerte Bildungspartnerschaft, die auch die staatlichen Akteure einschließt, eröffnet für Kommunen wie Zivilgesellschaft eine mittel- bis langfristige Planungssicherheit und einen Handlungsspielraum, der Lösungen nicht nur für den tagesaktuellen Handlungsbedarf generiert. Ein gemeinsames Handeln steigert das Potential, für alle Bürgerinnen und Bürger das Bildungsniveau und die Bildungsqualität zu steigern und in der Folge die wirtschaftliche Stabilität der Kommune zu sichern. Und nicht weniger bedeutend: Ein solidarisches Miteinander fördert das Verständnis füreinander und stärkt damit den gesellschaftlichen Zusammenhalt.
Beitrag im Newsletter Nr.23 vom 17.11.2022
Für den Inhalt sind die Autor*innen des jeweiligen Beitrags verantwortlich.
Autor*innen
Sabine Süß ist die Leitung der Koordinierungsstelle Netzwerk Stiftungen und Bildung beim Stiftungen für Bildung e.V.
Kontakt: sabine.suess@stiftungen-bildung.de
Web: www.netzwerk-stiftungen-bildung.de
Redaktion
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