Selbstwirksamkeit durch Engagement – wie geht das?
Laura Montanaro & Selia Boumessid / Dr. Dorothea Fuhr
Inhalt
Nachbericht zur Sitzung der BBE-AG »Migration, Teilhabe, Vielfalt«
Input von Dr. Dorothea Fuhr
Wie können Vereine und Verbände Strukturen öffnen?
Autorinnen
Redaktion
Nachbericht zur Sitzung der BBE-AG »Migration, Teilhabe, Vielfalt«
Am 28. September 2021 fand die Sitzung der BBE-AG »Migration, Teilhabe, Vielfalt« in Kooperation mit dem Projekt »STAEpolSEL – Gesellschaft selbstwirksam gestalten« zum Thema »Selbstwirksamkeit durch Engagement – Wie geht das?« statt. Vertreter*innen von Vereinen, Initiativen etc. sowie allgemein Interessierte diskutierten darüber, wie man junge Menschen mit Migrationsgeschichte durch diskriminierungssensibles Engagement für das Thema Ehrenamt begeistern kann. Dr. Dorothea Fuhr, Bundeszuwanderungs- und Integrationsrat (BZI), gab einen entsprechenden Input, in dem sie unter anderem auf die Definition des Begriffs »Diskriminierungssensibles Engagement« einging. Außerdem gab sie einen Überblick darüber, welche Hürden es für Einzelpersonen bzgl. des Themas »Engagement« gibt und machte Vorschläge, wie man diese überwinden könnte. Eine Zusammenfassung ihres Inputs ist weiter unten zu lesen.
Zudem stellte sich das Projektteam von »Staepolsel – Gesellschaft selbstwirksam gestalten«, bestehend aus Laura Montanaro (IGD) und Selia Boumessid (BBE), genauer vor und berichtete über Projektinhalte sowie über Projektziele. So wurde beispielsweise im Rahmen der »Civic Ideas Factory«, dem Herzstück des Projekts STAEpolSEL, die Projektgruppe »Almans of Color« mit einer Mikrofinanzierung in Höhe von 500 Euro gefördert. Zudem hatten sie die Möglichkeit, zuvor an unterschiedlichen Workshops (Öffentlichkeitsarbeit, Moderation/Rethorik, Antragstellung, Projektmanagement) teilzunehmen, die es ihnen ermöglichte, ihren eigenen Projektantrag einzureichen. Die Projektsprecherin Sandra Bilson berichtete von ihren Erfahrungen, die sie mit ihren Kolleg*innen im Rahmen der »Civic Ideas Factory« gesammelt hat. Hierbei ging sie insbesondere auf die Projektinhalte ein, was die Motivation hinter der Idee ist und inwiefern die Teilnahme an der Civic Ideas Factory bei der Umsetzung des Projekts förderlich war.
In der abschließenden Diskussion wurden mit den Teilnehmer*innen Ideen gesammelt, was auf individueller, institutioneller und politischer Ebene geschehen muss, um die Zielgruppe für gesellschaftliches Engagement zu begeistern und das Gefühl von Selbstwirksamkeit zu stärken.
Input von Dr. Dorothea Fuhr
Vereine und Verbände erfüllen – für Staat und Gesellschaft – eine wichtige Rolle und sind eine essenzielle Stütze. Sie stellen Infrastruktur zur Verfügung und erfüllen staatliche Aufgaben zum Beispiel im Bereich der sozialen Versorgung, Seelsorge und Erwachsenenbildung.
Leider nimmt die Zahl der ehrenamtlich engagierten Menschen seit Jahren kontinuierlich ab. Dies ist - neben der demographischen Entwicklung - einer Vielzahl an gesellschaftlichen und soziokulturellen Faktoren geschuldet.
Waren Menschen bis vor einigen Jahren noch klassisch in Vereinen organisiert, so verlagert sich das Engagement heute auf weniger gegliederte Initiativen. Statt in einem kommunal oder bundesweit operierenden Verein mit fester Struktur und Hierarchie, gibt es vermehrt Kleinstgruppen, wie beispielsweise Bürgerinitiativen. Diese Initiativen gründen sich mit einem konkreten Ziel – oftmals ein Missstand in der direkten Umgebung, den sie beheben möchten – mobilisieren und agieren gezielt und lösen sich mit der Behebung wieder auf. In der Zeit des Bestehens sind diese Initiativen imstande massiven politischen Druck zu erzeugen, große Mengen Geld zu akquirieren und Menschen zu mobilisieren. Damit sind sie nicht minder effektiv als ein Verein, sie haben allerdings ein komplett anderes Selbstverständnis und eine andere Struktur.
Ein Faktor für die Verschiebung: Die Kritik an starren, hierarchischen und oft undurchlässigen Organisationsformen großer und einflussreicher Vereine. Dies spiegelt sich z.B. in der Mitgliederstruktur, die eine Gesellschaft der vielen nicht repräsentiert.
Was können Vereine und Verbände also tun, um Ihre Strukturen zu öffnen, mehr Repräsentanz zu schaffen und Hürden abzubauen für Menschen, die sich engagieren möchten?
Ein Punkt: Vereine müssen sensibler auf die Hürden für Engagement reagieren und Diskriminierungserfahrungen mitdenken:
Ökonomische Faktoren wie die eigene finanzielle Situation. Kann ich es mir leisten, neben der Lohnarbeit noch einem Ehrenamt nachzugehen? Auch die Sozialisation und das Vorhandensein von Vorbildern im Familien- und Bekanntenkreis spielt eine wichtige Rolle. Habe ich in meiner Familie oder im Bekanntenkreis Menschen, die sich für ein oder mehrere Themen einsetzen und sehe ich in den Vereinen und Organisationen »Menschen wie mich«, ist die Chance groß, dass auch ich mich ehrenamtlich engagieren werde.
Es gibt zwar hierfür kein Patentrezept, aber dafür einige Maßnahmen, die jede Organisation ergreifen kann, wie gezielte Kommunikation und Reflektion.
Auf Organisationsebene müssen Arbeit und Strukturen kritisch reflektiert und weiterentwickelt werden. Dies gilt auch für die Sprache und Außendarstellung jeder Organisation. Es lohnt sich einen kritischen Blick darauf zu werfen, welche Bilder man als Organisation vermitteln möchte, welche Werte und Kernbotschaften und wie bzw. ob diese in der öffentlichen Darstellung wahrgenommen werden. Hierbei sollte auch Platz für Vielschichtigkeit und Mehrdeutigkeiten sein.
Auch lohnt es sich Begriffsgeschichten zu hinterfragen, die ggf. einen diskriminierenden oder verletzenden Hintergrund haben, und diese im Zweifelsfall durch sensible Begriffe und Narrative zu ersetzen.
Grundsätzlich gilt es, den eigenen Standpunkt, die eigene Sozialisierung und die eigene Lebensrealität zu hinterfragen und ein Bewusstsein für die Vielfalt an Perspektiven und Lebensrealitäten zu entwickeln.
Was für mich kein Hindernis darstellt, kann für eine andere Person bereits eine ernstzunehmende Schwierigkeit sein (z.B. Uhrzeiten, Tagungsorte, Kosten für Anreise, Barrierefreiheit). Sehr formale und akademische Sprache kann außerdem den Zugang zu Informationen erschweren und so eine ausschließende Wirkung haben – über große Strecken auch für Muttersprachler*innen.
Die einzig zielführende Lösung ist also ein offener, wertfreier Dialog sowohl vereinsintern als auch mit der Öffentlichkeit, um die individuellen Hürden zu erkennen und Lösungen zu finden.
Beitrag im Newsletter Nr. 23 vom 18.11.2021
Für den Inhalt sind die Autor*innen des jeweiligen Beitrags verantwortlich.
Autorinnen
Dr. Dorothea Fuhr ist Projektleiterin beim Bundeszuwanderungs- und Integrationsrat (BZI).
Kontakt: fuhr@bzi-bundesintegrationsrat.de
Laura Montanaro ist Projektmitarbeiterin im Projekt »STAEpolSEL – Gesellschaft selbstwirksam gestalten« und für die Iranische Gemeinde in Deutschland e.V. (IGD) tätig.
Kontakt: laura.montanaro@iranischegemeinde.de
Selia Boumessid ist Projektmitarbeiterin im Projekt »STAEpolSEL – Gesellschaft selbstwirksam gestalten« und für das BBE tätig.
Kontakt: selia.boumessid@b-b-e.de
Redaktion
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