Der Internationale Jugendfreiwilligendienst (IJFD) – ein erfolgreiches Programm vor unsicherer Zukunft
Claudio Jax, Silvio Titzmann
Inhalt
Ein erfolgreiches Programm seit 2011
1. Der IJFD als Friedensdienst
3. Der IJFD als Gesellschaftsjahr
4. Der IJFD im Kontext der Pflichtdienstdebatte
5. Aktuelle Herausforderungen für den IJFD
Ein erfolgreiches Programm seit 2011
Der Internationale Jugendfreiwilligendienst (IJFD) wurde 2011 ins Leben gerufen. Er wird von einer vielfältigen Trägerlandschaft durchgeführt, in welcher sich die Pluralität unserer Gesellschaft widerspiegelt und jungen Menschen eine Breite an Engagementmöglichkeiten bietet. Das Feld reicht von Trägern wie dem Deutschen Roten Kreuz, der Aktion Sühnezeichen Friedensdienste, dem Internationen Bund und den AFS Interkulturelle Begegnungen, bis hin zu kirchlichen und anthroposophischen Trägern. Der IJFD wird als Entsendeprogramm vom BMFSFJ im Haushaltstitel Freiwilligendienste mit 14,6 Mio. € jährlich gefördert und ist grundsätzlich auf der ganzen Welt möglich.
Im letzten Jahr feierten das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ), das Bundesamt für Familie und zivilgesellschaftliche Aufgaben (BAFzA) und Zivilgesellschaft zusammen das 10-jährige Jubiläum: Über 28.000 Freiwillige leisteten in 109 Ländern einen IJFD. Selbst im von der weltweiten Covid-19 Pandemie geprägten Entsendejahrgang 2021-22 wurden über 2.000 junge Menschen in einen Freiwilligendienst – vorrangig in europäische Länder – entsandt. Eine Erfolgsgeschichte, deren Fortsetzung derzeit in Gefahr ist.
Bevor wir zu den aktuellen Herausforderungen im Programm kommen, soll es um die verschiedenen Aspekte gehen, in denen der IJFD Wirkung entfaltet.
1. Der IJFD als Friedensdienst
Durch die pädagogische Begleitung sensibilisiert, lassen sich die jungen Menschen auf eine andere Kultur ein und lernen in einem bisher noch fremden Umfeld Menschen kennen und schätzen. Zudem leisten sie, eingebunden in die Tätigkeiten von zivilgesellschaftlichen Organisationen. Einen konkreten, gesellschaftlich sinnvollen Hilfsdienst, häufig im sozialen Bereich. Aus Begegnungen wachsen Freundschaften, aus der Mitarbeit in den Einsatzstellen folgt häufig eine über die Dienstzeit hinausreichende Begleitung. So entstehen stabile Brücken zwischen Menschen über Grenzen hinweg.
Durch die Vielzahl der Freiwilligen in europäischen Staaten leistet der IJFD einen positiven Beitrag für den europäischen Zusammenhalt und beim Aufbau eines neuen Europas. Er bietet die Möglichkeit zur kontinuierlichen Begegnung, zum Austausch und zum Lernen voneinander. Die dabei gesammelten Erfahrungen während eines Freiwilligendienstes wirken bei den jungen Menschen ein Leben lang und fördern ein friedliches Zusammenleben in Europa nachhaltig.
Das insgesamt positive Bild von Deutschland in der Welt trotz der Schrecken, die es im Zweiten Weltkrieg verursacht hat, geht auch auf die vielfältigen zivilgesellschaftlichen Friedens- und Versöhnungsdienste zurück. Diese wichtige Arbeit ist eine kontinuierliche Aufgabe: Jede Generation muss diese Erfahrungen machen. Besonders wichtig sind Friedensdienste angesichts der vielen Konflikte und Kriege in der Welt, da sie langfristig die Basis für Frieden und Versöhnung erhalten und neu schaffen. So ist es gerade angesichts des Angriffskrieges gegen die Ukraine von Bedeutung, dass es gewachsene menschliche und zivilgesellschaftliche Kontakte in die Ukraine, aber auch nach Russland gibt, die fernab offizieller Wege und Möglichkeiten in einem auf demokratischen Werten fußenden Austausch stehen.
2. Der IJFD als Lerndienst
Als Lerndienst erleben junge Menschen in ihrem Freiwilligendienst die Welt unmittelbar, indem sie sich in eine für sie zunächst noch fremde Umgebung hineinbegeben. Durch intensive persönliche Begegnungen in einem anderen Land in Verbindung mit einer sinnerfüllten Tätigkeit, und dies über einen längeren Zeitraum, machen die IJFD-Freiwilligen Erfahrungen, die zu ihrer Persönlichkeitsbildung beitragen und die sich prägend auf ihr weiteres Leben auswirken.
Indem der IJFD pädagogisch vorbereitet, begleitet und ausgewertet wird, werden Räume geschaffen, in denen die gesammelten Erfahrungen erweitert, vertieft und reflektiert werden und daraus nachhaltige Erkenntnisse und Impulse für das weitere Leben gewonnen werden können.
Die Lernerfahrungen in einem Internationalen Jugendfreiwilligendienst sind oftmals eine Basis für ein aktives und von Unternehmergeist geprägtes Leben. Eine Wirkung ist, dass aus dem Wanderjahr selbstbewusste junge Menschen hervorgehen, die sich in verantwortungsvoller Weise in ihr Leben und in die Welt stellen.
Viele Freiwillige erleben nach der Erfahrung multipler Krisen in den letzten Jahren im Kontext ihres Freiwilligendienstes Selbstwirksamkeit als besonders prägend, sie übernehmen Verantwortung und wachsen mit ihren Aufgaben. Ihre Resilienz steigt, ihre Fähigkeiten – sowohl soft als auch hard skills – nehmen zu und sie sind nach dem internationalen Freiwilligendienst besser für die Herausforderungen des Arbeitsmarktes vorbereitet. Im Rahmen ihres Dienstes erwerben sie z.B. Sprachkenntnisse und erlernen neue Arbeitsmethoden. Dies stellt auch einen Gewinn für die Wirtschafts- und Arbeitswelt in Deutschland dar.
3. Der IJFD als Gesellschaftsjahr
Junge Menschen stellen sich im IJFD für ein Jahr ihres Lebens freiwillig in den Dienst für ein gesellschaftliches Anliegen. In diesem Tätig-Werden für andere und dem damit verbundenen Erleben der eigenen Entwicklung kann der IJFD als Lernfeld und Sozialisationsinstanz für ein aktives Mitgestalten der Gesellschaft wirksam werden. Ehemalige Freiwillige engagieren sich auf vielfältige Weise für eine demokratische und weltoffene Gesellschaft. Dies wird im Rahmen der pädagogischen Begleitung durch die Träger gezielt gefördert (Partizipation, Räume der gesellschaftspolitischen Auseinandersetzung …).
Ein Dienst mit dem IJFD ist Ausdruck gelebter Solidarität, er stärkt den gesellschaftlichen Zusammenhalt und die Demokratie aus der Mitte der Gesellschaft heraus. Aus jungen Menschen werden aktive Staatsbürger*innen.
Es ist wichtig für den demokratischen Zusammenhalt unserer Gesellschaft, dass junge Menschen die Welt in einer solidarischen Weise erleben, dass sie zu eigenverantwortlichem Handeln und zu dessen Reflektion ermutigt. Ebenso wichtig ist es, dass sie dabei begleitet und ihnen entsprechende Rahmenbedingungen in Einsatzstellen und den Seminaren geboten werden - damit diese jungen Menschen sich mit ihren Erfahrungen und Prägungen aus dem IJFD in unsere Gesellschaft stellen und diese aktiv mit gestalten.
Ehemalige Freiwillige finden sich überall in unserer Gesellschaft, ganz überdurchschnittlich aber genau dort, wo es um Engagement und Verantwortung geht, wo es etwas zu gestalten und zum Positiven zu verändern gilt.
4. Der IJFD im Kontext der Pflichtdienstdebatte
Wir begrüßen es, dass durch die Debatte über die mögliche Einführung eines Pflichtdienstes auch über den besonderen Wert und die Bedeutung von Gemeinschaftsdiensten für unsere demokratische Gesellschaft diskutiert wird. Das Engagement von Freiwilligen in anderen Ländern – sowie Incoming Freiwilligen in Deutschland – wird noch zu wenig gewürdigt. Solidarität macht nicht an den Landesgrenzen halt, Freiwillige im IJFD leisten in ihren Gastländern einen wichtigen Beitrag und engagieren sich nach ihrer Rückkehr vermehrt in unserer Gesellschaft. Das Thema muss also nicht nur national, sondern europäisch und global gedacht werden.
Wir sprechen uns für einen Rechtsanspruch auf Förderung eines Freiwilligendienstplatzes im Inlands- oder Auslandsdienst sowie für eine deutliche Aufwertung und den Ausbau von Freiwilligendiensten aus.
Ein Freiwilligendienst im IJFD bietet eine hervorragende Möglichkeit für eine kritische und konstruktive Auseinandersetzung mit der Gesellschaft und der Welt, in der wir leben. Der Dienst ermöglicht die Erfahrung von Selbstwirksamkeit und führt oft zu lebenslangem gesellschaftlichem Engagement. Ein »verpflichtendes Engagement« kann diesen Raum der Auseinandersetzung und Reflexion stark einschränken und ist – mit dem ihm anhaftenden Zwangsimage – letztlich ein Widerspruch in sich.
Ein Rechtsanspruch wird den Freiwilligendiensten die ihnen gebührende gesellschaftliche Anerkennung verschaffen und mehr Menschen für ein solches, freiwilliges Engagement begeistern. Darüber hinaus braucht es verbesserte Rahmenbedingungen.
5. Aktuelle Herausforderungen für den IJFD
a) Folgen der Covid-19 Pandemie
Mit dem weltweiten Lockdown im März 2020 mussten in einer bisher beispiellosen Kraftanstrengung fast alle IJFD Freiwilligen weltweit nach Deutschland zurückgeholt werden. Nur aufgrund der Strukturerhaltungsmaßnahmen, die das BMFSFJ erfolgreich umgesetzt hat, war es möglich, dass überall dort, wo es die pandemiebedingten Umstände zuließen, die Entsendung von Freiwilligen unmittelbar wieder aufgenommen werden konnte. Insbesondere in den europäischen Staaten konnten schon 2020 und 2021 wieder IJFD Freiwillige ihren Dienst leisten. Ein großer Erfolg, vor allem für die jungen Menschen, die in dieser Zeit biografisch in die Lage versetzt wurden eine sinnvolle Tätigkeit aufzunehmen.
Leider ist der grenzüberschreitende Austausch im IJFD auch heute noch von pandemiebedingten Folgen beeinträchtigt. So haben viele Länder ihre Visumsprozesse umgestellt, oder sie haben nicht die administrativen Kapazitäten, um Visaanträge rechtzeitig zu bearbeiten. Auch die derzeitige Situation eingeschränkter Flugpläne wirkt sich belastend aus.
Die Träger und Freiwilligen im IJFD stellt die Pandemie daher immer noch vor zum Teil erhebliche Herausforderungen, sowohl organisatorischer, als auch finanzieller Art.
b) Folgen der weltweiten Inflation auf den IJFD: gestiegene Kosten
Die aktuelle Phase hoher Inflation wirkt sich erheblich auf die Träger des IJFD aus. Neben der Inflation in Deutschland muss dabei berücksichtigt werden, dass diese in den Partnerländern vielfach noch höher liegt. Zudem sind bestimmte Kostenpositionen im Freiwilligendienst, wie etwa Flüge, von besonders hohen Kostensteigerungen betroffen. Weiter reduziert hat sich der Wert der aufgewandten Mittel durch den sinkenden Kurs des Euros.
Da im IJFD, in den meisten Fällen, keine oder nur eine sehr eingeschränkte Möglichkeit gegeben ist die Kostensteigerungen an die Einsatzstellen bzw. deren Kostenträger weiterzugeben, gerät das Finanzierungsmodell der Träger in eine Notlage.
Hinzu kommt, dass es seit der Einführung des IJFD 2011 keine Anpassung des Fördersatzes von immer noch 350 € pro Freiwilligen-Monat gegeben hat. Die Kostensteigerungen im IJFD sind bereits erheblich gewesen, hinzu kommt nun noch die aktuell hohe Inflation.
Die Träger stehen aufgrund dieser Situation finanziell vielfach mit dem Rücken zur Wand. Sie sind daher dringend auf eine Fördersatzanpassung angewiesen, um einen IJFD im bisherigen Umfang, seiner Diversität an Freiwilligen und Einsatzstellen und in der bestehenden hohen pädagogischen Qualität aufrechterhalten zu können.
Als zivilgesellschaftliche Träger des IJFD sind wir dazu im engen Austausch mit dem BMFSFJ, jedoch zeichnet sich im Regierungsentwurf zum Bundeshaushalt 2024 eine Kürzung für die Jugendfreiwilligendienste ab, welche eine Anpassung der Fördersätze erheblich erschwert.
Gerade in Zeiten großer gesellschaftlicher Veränderungen müssen soziale Angebote ausgebaut werden. Ein IJFD bietet in schwierigen Zeiten Orientierung und stärkt die Persönlichkeitsentwicklung und den gesellschaftlichen Zusammenhalt. Die Haushaltsmittel für diesen Lerndienst zu erhöhen, ist eine vergleichsweise geringe Investition mit großer Wirkung.
Wenn wir als Gesellschaft die notwendigen Mittel aufbringen, um es jungen Menschen zu ermöglichen einen gut begleiteten Freiwilligendienst zu leisten, in Deutschland und weltweit, setzen wir eine Priorität, die sich in vielfacher Weise auszahlt.
Beitrag im Newsletter Nr.24 vom 1.12.2022
Für den Inhalt sind die Autor*innen des jeweiligen Beitrags verantwortlich.
Autoren
Claudio Jax ist Stellv. Vorsitzender AKLHÜ e.V. – Netzwerk und Fachstelle für Internationale Personelle Zusammenarbeit sowie Geschäftsführer Freiwilligendienste weltweit beim Freunde der Erziehungskunst Rudolf Steiners e.V.
Kontakt: c.jax@freunde-waldorf.de
Silvio Titzmann ist Referent für internationale Freiwilligendienste, Aktionsgemeinschaft Dienst für den Frieden e.V. (AGDF). Dort ist er für die Begleitung der Träger im IJFD in der AGDF verantwortlich und setzt sich auf politischer Ebene für verbesserte Rahmenbedingungen im IJFD ein.
Kontakt: titzmann@friedensdienst.de
Redaktion
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