Beitrag im Newsletter Nr. 24 vom 14.12.2023

Susanne Burmester

Die Neuen Auftraggeber und partizipative Kunstprojekte als Beteiligungsformat

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BBE-Newsletter: Liebe Frau Burmester, Sie sind seit 2017 tätig als Mediatorin der Neuen Auftraggeber.  Können Sie kurz erklären, woher die Idee zum Programm stammt, und welcher Ansatz dahintersteckt? Wer sind überhaupt die »Neuen Auftraggeber«?

Die Neuen Auftraggeber – das sind wir alle! Alle Bürger*innen, die etwas verändern wollen, können zu Auftraggeber*innen werden. Sie haben eine dringende Frage, wollen Sichtbarkeit für etwas erzeugen, das vergessen wurde, oder einfach die Perspektive auf einen Sachverhalt ändern. Solange ein öffentliches Interesse gegeben ist, können sie nach unserem Modell eine künstlerisch kompetente Person beauftragen, sich damit auseinanderzusetzen. Wir Mediator*innen begleiten sie von der Formulierung des Auftrags über die Suche nach der passenden Künstler*in bis zur Umsetzung des Entwurfs. Dabei stützen wir uns auf das »Protokoll«, das beschreibt, wie Auftraggeber*in, Mediator*in und Künstler*in auf Augenhöhe in einen Aushandlungsprozess einsteigen können. Das Modell wurde 1990 in Frankreich entwickelt. Ziel war von Beginn an, Bürger*innen die Möglichkeit zur Beauftragung eines ambitionierten Kunstwerkes von herausragender Qualität zu geben, darum werden in der Regel erfahren Künstler*innen vorgeschlagen. Alle Projekte sind öffentlich, gemeinnützig und nicht-kommerziell.

BBE-Newsletter: Wie läuft es konkret ab, wenn Künstler*in und engagierte Bürgerschaft im ländlichen Raum aufeinandertreffen und zusammenarbeiten? Welche Rolle nehmen Sie als Mediatorin dabei ein?

Bürger*innen, die etwas verändern wollen, rufen uns an. Doch wir schaffen auch Situationen, in denen Menschen dazu ermutigt werden, Auftraggeber*innen für ein Kunstprojekt zu werden. Weil die »engagierte« Bürgerschaft oft schon gute Möglichkeiten der Mitgestaltung für sich gefunden hat, sprechen wir insbesondere jene an, die dazu bisher keine oder wenig Gelegenheit hatten. Wenn sich eine feste Gruppe von 5 bis 12 Personen gefunden hat, begleitet die Mediation sie dabei, ihre Fragestellung in aller Tiefe zu erörtern. Wenn der Auftrag schließlich formuliert und feierlich unterzeichnet wurde, findet der*die Mediator*in die genau passende Künstlerpersönlichkeit, die den Auftrag annehmen könnte. Dabei sind alle Genres der Kunst denkbar. Wenn die Gruppe zustimmt, machen Künstler*innen Vorschläge und diskutieren ihre Entwürfe mit der Gruppe. Die Mediation begleitet auch diesen Prozess, kümmert sich schließlich um Machbarkeit und sucht die Finanzierung für die Umsetzung.

BBE-Newsletter: Was sind Ihrer Meinung nach die größten Herausforderungen sowie Gelingensbedingungen? Was sollte eine Gruppe von Engagierten an Mindset mitbringen, um »Neue Auftraggeber« zu werden?

Wir ermutigen insbesondere jene, die sonst wenig Gelegenheit haben, ihr Lebensumfeld mitzugestalten und legen großen Wert darauf, auch die leisen Stimmen zu hören. Diese zu erreichen, ist nicht einfach, doch lohnt sich, denn sie bringen sehr viel wichtiges neues Wissen in die Prozesse ein. Damit die Aushandlungsprozesse gelingen können, ist viel Zeit notwendig und auch eine Finanzierungsstruktur, die einen derart offenen Prozess ermöglicht. Schließlich stellt auch die Mittelakquise für die Umsetzung der Projekte eine Herausforderung dar. Unser Ideal wäre ein Produktionsfonds für »Kunst im Bürgerauftrag«, um den sich alle Gruppen bewerben könnten. Die Gruppe sollte Zeit und die Bereitschaft mitbringen, mit anderen auf Augenhöhe zu diskutieren. Eine Herausforderung ist dabei oft, die Ausgangsfrage kritisch zu diskutieren und auf eigene Bilder der Umsetzung zu verzichten, bis der künstlerische Entwurf vorliegt.

BBE-Newsletter: Braucht es Politik und Verwaltung mit an Bord oder funktionieren die Projekte am besten rein aus der Zivilgesellschaft heraus? 

Oft stehen Fragen im Mittelpunkt eines Auftrags, die eine Kritik an der Politik oder an Entscheidungen der Verwaltung enthalten. Darum arbeiten wir bis zur Auftragsunterzeichnung in einem geschützten und nicht-öffentlichen Raum. Nebenbei recherchieren die Mediator*innen zu Aspekten, die den lokalen Ort definieren und erstellen gemeinsam mit den Auftraggeber*innen eine Übersicht, welche Institutionen oder Personen später dringend einbezogen werden sollten. Sobald der Auftrag steht, brauchen die Prozesse dann aber die Kompetenzen und die Unterstützung von Politik und Verwaltung, da es ja meistens um Projekte im öffentlichen Raum geht. Noch dazu benötigen wir für die Umsetzung oft sektorübergreifend im kulturellen und im sozialen Feld finanzielle Unterstützung. Auch die Öffentlichkeit wird ab diesem Zeitpunkt einbezogen sowie die erweiterten zivilgesellschaftlichen Kreise in der jeweiligen Kommune.

BBE-Newsletter: Wie viele solcher Projekte konnten bis dato umgesetzt werden? Haben Sie 2 – 3 Beispiele, welche Kunstwerke in diesem Kontext entstanden sind?

Nach dem Modell der Neuen Auftraggeber wurden seit 1990 mehr als 500 Projekte vor allem in Frankreich, aber auch weltweit erfolgreich umgesetzt. Diese reichen von neuen Pausenklingelzeichen für eine Schule bis zum Umbau ganzer Dörfer, von spektakulären Skulpturen bis zu einer berührenden Komposition, die Eltern eines jungen Mannes beauftragt hatten, der im Attentat von Bataclan 2015 in Paris ums Leben gekommen ist. In Mönchengladbach hat die neuseeländische Künstlerin Ruth Buchanan aus einer verwilderten Brache, die zwischen einem Arbeitslosenzentrum und einem Gymnasium liegt, einen Garten in einen multifunktionalen Ort verwandelt, in dem Skulpturen vielfältige Möglichkeiten der Interaktion beider Gruppen bieten. Bis 2027 werden wir von der Kulturstiftung des Bundes dabei unterstützt, Aufträge zu begleiten, die mit dem Genre Tanz oder Performance beantwortet werden können. Da beginnen aktuell die ersten Schritte mit Auftraggebergruppen.

BBE-Newsletter: Wie würden Sie die Wirkung des Programms beschreiben?

Viele Menschen glauben, nicht mehr mitbestimmen zu können. Als Neue Auftraggeber erhalten sie praktische Gestaltungsmacht und übernehmen Verantwortung. Das hat eine enorme Wirkung, die lange anhalten kann. Der Prozess beginnt mit einer kleinen Gruppe von Menschen, die bereit sind, sich für ein Thema zu engagieren. Doch im Verlauf werden immer mehr Leute am Ort einbezogen, die es betrifft. Wir beziehen insbesondere Leute ein, die sich sonst eher zurückhalten. Insofern sind die Zusammenarbeit mit erfahrenen Künstler*innen und das am Ende entstehende Kunstwerk das sinnstiftende gemeinsame Ziel. Die größere Wirkung für das Zusammenleben in der Kommune ergibt sich aus dem vorgelagerten Prozess, in dem ein Raum für Bürger*innenbeteiligung geöffnet wird. Dabei findet immer ein Austausch darüber statt, was sich Menschen vor Ort für ihren öffentlichen Raum wünschen. Es ploppen zuweilen auch schwelende Konflikte auf und können direkt adressiert werden. So werden die Mitglieder der Gruppe Expert*innen ihres Projektes und treten öffentlich dafür ein. Das stiftet auch über das Programm hinaus enorme Selbstwirksamkeit.

BBE-Newsletter: Wie kann das Modell der Neuen Auftraggeber das bürgerschaftliche Engagement vor Ort stärken?

Partizipation bedeutet in unserem Modell Entscheidungsmacht und Verantwortung. Doch als neue Auftraggeber*innen werden die Bürger*innen auch zu Teileigentümer*innen ihres Kunstwerkes. Sie erfahren praktisch, dass sie Dinge umsetzen können, die zu Beginn ganz unwahrscheinlich wirken und gewinnen Selbstbewusstsein für weitere Vorhaben. Oft zeigen sich bislang verborgene Kompetenzen. Das Wissen, was auf diese Weise sichtbar wird, ist auch für die Politik interessant. Die Erfahrung der Selbstwirksamkeit hat oft den positiven Effekt, dass die Menschen sich weiterhin vor Ort engagieren. Das führt zur Verstetigung der durch uns begleiteten Prozesse, stärkt die Identifikation mit der Region und stößt neue Vorhaben an.

BBE-Newsletter: Welche Rolle spielen Kunst und Kultur aus Ihrer Sicht im ländlichen Raum (im Vergleich zum Städtischen)? Was würden Sie sich hier politisch wünschen?

Kunst und Kultur ist für die ländlichen Räume genauso wichtig, wie für die Stadt. Leider herrscht manchmal noch die Vorstellung vor, dass Menschen auf dem Dorf keine anspruchsvolle Kultur benötigen und vielleicht auch kein Verständnis dafür haben. Wir machen andere Erfahrungen. Gerade weil heute so viele Menschen unterschiedlicher Lebensentwürfe auf den Dörfern zusammenkommen, ist Kultur mit seiner Fähigkeit, ein offenes Feld zum Austausch anzubieten, so wichtig. Sie schafft Identifikation, fördert den Zusammenhalt und inspiriert den Diskurs. In der Stadt wie auf dem Dorf gilt es jedoch, die Bürger*innen stärker als bisher einzubeziehen und dabei professionell zu begleiten. Wenn man ihnen wirklich eine Stimme geben möchte, dann müssen auch Ressourcen bereitgestellt werden. Wir nehmen eine veränderte Haltung in der Politik wahr. Doch es muss noch viel mehr in Strukturen investiert werden, die zeit- und ergebnisoffene Beteiligungsprozesse ermöglichen, in denen Bürger*innen nicht nur teilhaben dürfen, sondern selbst zu verantwortlichen Akteur*innen werden können.

BBE-Newsletter: Warum ist aus Ihrer Sicht ausgerechnet das Mittel der Kunst so angemessen, um Leute zusammenzubringen und Gemeinschaft zu stärken? 

Kunst ist immer dann gut, wenn sie in ihrer Aussage ambivalent bleibt und nachhaltig Anlass zur Auseinandersetzung bietet. Sie arbeitet mit Bildern, Gefühlen oder Erfahrungen, die immer wieder neu bewertet werden können und bietet eine Plattform, auf der Menschen in den Austausch treten können, als Individuen oder gemeinsam. Unterwegs zum Auftrag fühlen unsere Partner*innen sich immer wieder ermutigt, sich etwas vorzustellen oder zu wünschen, was bisher undenkbar war.

BBE-Newsletter: Was waren Ihre drei größten Lernerfahrungen seit Ihrer Tätigkeit als Mediatorin?

• Menschen auf dem Dorf wissen Dinge, von denen wir alle lernen können. • Der Verzicht auf eine effiziente Projektlogik schafft Raum für kreatives Denken. • Konflikte sind gut und wichtig, weil sie positive Wendungen ermöglichen.


Beitrag im Newsletter Nr. 24 vom 14.12.2023
Für den Inhalt sind die Autor*innen des jeweiligen Beitrags verantwortlich.

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Autorin

Susanne Burmester ist Mediatorin der Neuen Auftraggeber und Vorsitzende der Gesellschaft für Kunst und Mediation im Bürgerauftrag e.V.

Kontakt office@neueauftraggeber.de

Web: www.neueauftraggeber.de


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