Kommentierung des Dritten Engagementberichts zum Thema Plattformisierung des Engagements
Sophie von Schierstaedt
Kommentierung im Rahmen der Sitzung »Dritter Engagementbericht – Perspektiven der Zivilgesellschaft« am 2. Oktober 2020
Inhalt
Plattformisierung des Bürgerschaftlichen Engagements
Punkt 1
Punkt 2
Punkt 3
Punkt 4
Fazit
Autorin
Redaktion
Plattformisierung des Bürgerschaftlichen Engagements
Eine digitale Plattform ist im Kern ihres Wesens mit einer analogen zu vergleichen: sie bündelt Angebote für eine bestimmte Zielgruppe zu einem bestimmten Thema. Die digitale Plattform erlaubt sehr viel bessere Filtermöglichkeiten, die analoge Plattform hat einen stärkeren Fokus auf dem zwischenmenschlichen Beziehungsaufbau. Welches Medium sich für welche zu erzielende Wirkung eignet, ist eine Einzelfallentscheidung und hängt stark mit der Zielgruppe zusammen. Generell kann der digitale Raum als Erweiterung der bestehenden, analogen Räume und auch Werkzeuge betrachtet werden. Momentan existieren diese beiden Räume eher losgelöst und parallel voneinander. Die Verwebung von digitalen und analogen Räumen und Formaten findet eher punktuell statt. Plattformen sind ursprünglich im Rahmen des E-Commerce Bereichs entstanden. Die Grundlogiken, die Plattformen zugrunde liegen, sind wirtschaftlich geprägt und ermöglichen eine schnelle Aufteilung eines Marktes unter den stärksten Akteur*innen.
Der Engagementsektor hat sich das Plattform-System zu eigen gemacht, steht jedoch vor etlichen Herausforderungen, die Handlungs- und Entwicklungsbedarfe mit sich bringen. Diese werden treffend im Dritten Engagementbericht benannt. Die digitale Ausrichtung des Dritten Engagementberichts ist sehr zu begrüßen. Dies trifft vor allem in Zeiten der Corona Krise einen akuten Nerv, da das Internet für das Ehrenamt nicht mehr optional, sondern essentiell geworden ist. Viele relevante Probleme und Themen werden besprochen und bieten interessante Anknüpfungspunkte, weisen auf Handlungsbedarfe hin und benennen konstruktiv und kritisch Herausforderungen. Darüber hinaus birgt der Bericht interessante Details und Hinweise, die sich gut in die operative Arbeit miteinbeziehen lassen.
Diese werden in dieser Kommentierung weder zusammengefasst noch wiederholt. Der Fokus liegt auf einigen Punkten, die besonders mit Blick auf Plattformen im Engagementbereich hervorzuheben sind.
Punkt 1: Algorithmisch gesteuerte Plattformen tragen in sich eine Essenz der Konkurrenz. Die Plattformisierung wird sich auf die Vielfalt der Engagementlandschaft auswirken.
Plattformen folgen den algorithmischen Logiken der digitalen Welt. Dies bedeutet, dass anhand von Formeln, Algorithmen und Daten die Nutzung der Plattform und somit auch deren Reichweite und Wirkung steuerbar ist. Die Befolgung der Regeln – u. a. algorithmisch nachvollziehbarer Webseitenaufbau, SEO- und SEA Management (Search Engine Optimization und Search Engine Advertisement) sowie die Auswertung der Nutzer*inneninteraktion, der freiwillig angegebenen Daten und des Traffics – entscheidet neben qualitätsvollem Content, ob eine Plattform funktioniert oder im digitalen Mittelmaß verebbt. Eine Plattform muss eine kritische Masse an Nutzer*innen und Traffic erreichen, um dem digitalen Konkurrenzdruck stattzuhalten. Die Natur von digitalen Plattformen kollidiert mit dem Ehrenamt an mehreren Stellen:
Datenschutz vs. Datennutzung: damit Formeln und Algorithmen arbeiten können, brauchen sie Daten, mit denen sie rechnen können. Personenbezogene Daten von Nutzer*innen sind sehr schützenswert, gleichzeitig werden sie aber gebraucht, um die geplante Wirkung der Plattform zu erzielen. Das Internet funktioniert nicht ohne Daten und Angebote können die suchenden Nutzer*innen nur erreichen, wenn hier ein Austausch stattfindet. Zwischen dem Datenschutz und der Datennutzung zur Gewährleistung von wirksamen Projekten liegt noch eine Kluft, die es zu überbrücken gilt.
Darüber hinaus haben personengenerierte Daten schon heute einen (finanziellen) Wert. Dies ist dahingehend beachtenswert, da Plattformen eher mit wirtschaftlichen Unternehmen zu vergleichen sind, weil sie nicht den Auflagen des gemeinnützigen Sektors unterliegen. Plattformen können rechtlich noch keinen gemeinnützigen Status erlangen. Eine gemeinnützige Organisation, die ihre Arbeit durch Drittmittel finanziert, ist an die mit den Drittmitteln einhergehenden Auflagen auch zum Thema Daten, Datennutzung und Verkauf von Daten gebunden. Dies trifft auf Plattformen momentan nicht zu, auch wenn sie sich gemeinnützigen Zielen widmen. Diese Facette birgt eine neue Ebene in der Diskussion rund um die Monetarisierung des Ehrenamts, was jedoch den Rahmen dieser Kommentierung sprengen würde.
Reichweite und Wirkung: Die Reichweite und die Wirkung im digitalen Raum sind leicht messbar. Momentan gibt es noch keine Standards und Benchmarks, anhand derer evaluiert werden kann, ob mit den verwendeten Fördergeldern ausreichend Reichweite und Wirkung erzielt wurde. Die Verhältnismäßigkeitsberechnung bewegt sich somit gerade in einem unregulierten Raum. Die Regeln des digitalen Raums, welche digitalen Angebote erfolgreich und wirksam sind, werden im Engagementbereich noch wenig besprochen. Plattformen orientieren sich – wenn überhaupt – an wirtschaftlichen Maßstäben. Ein wichtiger Aspekt in der Gestaltung von Standards und Benchmarks ist, dass die algorithmische Logik im Kontrast zum Vielfaltsanspruch des Engagements steht. Da das Internet nicht beschränkt ist, ist es wahrscheinlich, dass große und gut finanzierte Plattformen kleine Initiativen vom Markt drängen. Eine Verdrängung äußert sich unter anderem. durch geringe Sichtbarkeit, schlechte Auffindbarkeit der Angebote und eine schlechtere Kommunikation mit der zu erreichenden Zielgruppe. Dies stellt einen Konflikt dar, der näherer Betrachtung bedarf.
Punkt 2: Der technische Wandel ist schneller als die Engagementlandschaft
Wir befinden uns im Zeitalter der digitalen und technischen Innovation. Die Parameter und Regeln, die momentan den digitalen Raum lenken, verändern sich konstant. Beispiel dafür ist die oben genannte SEO/SEA-Logik, die in den nächsten 5-10 Jahren großteilig durch Weiterentwicklungen oder Alternativen, wie die Bot-to-Bot Communication, ersetzt werden wird (Podcast zu dem Thema von 2BAhead). Die gesamte Welt befindet sich in einem jahrzehntewährendem digitalen Wandel und es ist notwendig und sinnvoll, sich als lernende Organisation in einer sich transformierenden Welt zu sehen. Ein Beispiel für diese zukünftig notwendige Haltung ist der New-Work Ansatz. Im gesamten Plattformbereich wird auch in Zukunft viel Orientierungs- und Lernbedarf herrschen. Die Digitalisierung ist kein einmalig zu erledigender Prozess, sondern ein fortwährender und sich konstant entwickelnder Begleiter.
Punkt 3: Plattformen verfolgen vielleicht einen gemeinnützigen Zweck, unterscheiden sich jedoch rechtlich wenig von kommerziellen Plattformen.
Der Dritte Engagementbericht hebt hervor, dass momentan die »Anerkennung der Gemeinnützigkeit von Plattformen großteils schwierig [ist], da durch die Intermediäre Funktion keine ›unmittelbare Wirksamkeit‹ da ist.« (Dritter Engagementbericht, S. 126). Eine Plattform ist eine Schnittstelle für Wissen, Vernetzung, Vermittlung, Nachwuchsgewinnung und vielem mehr. Somit hat eine Plattform in sich schon eine Wirkung, die messbar ist. Die Plattformisierung wird im Zuge der digitalen Transformation weiter stark zunehmen und bedarf der rechtlichen Verankerung. Nur so können Plattformen öffentliche Aufträge der Politik erfüllen. Teilweise tun sie das schon jetzt. Jedoch gelten für sie zum jetzigen Zeitpunkt nicht die gemeinnüztigkeitsverbundenen Reglements.
Plattformen haben oftmals nur die Möglichkeit, sich über Umwege fördern zu lassen oder aber sich über andere Einnahmeformen zu finanzieren. Dieser Faktor wird leicht übersehen und birgt jedoch einen wichtigen Punkt: so lange Plattformen nicht gemeinnützig sind, sind sie eher mit einem wirtschaftlichen Unternehmen zu vergleichen.
Ein weiterer, rechtlicher Aspekt ist, dass die eingeschränkte Haftung von Plattformen für die von den User*innen geposteten Inhalte aufgehoben werden soll. Diese Entwicklung kommt aus dem E-Commerce Bereich und mag dort auch einen Sinn ergeben. Dies verdeutlich jedoch, warum gemeinnützige Plattformen ihre eigenen, rechtlichen Regelungen brauchen. Ein wesentlicher Aspekt digitaler Plattformen ist, dass die Engagierten daran mitwirken und ihre Inhalte, Projekte, Angebote etc. einbringen. Auch wenn eine Aufsichts- und Monitoringfunktion zur Einhaltung demokratischer Grundwerte sinnvoll ist, ist die Haftungsfrage als schwierig einzustufen. Vor allem, wenn Plattformen in der Zukunft den gemeinnützigen Status erhalten sollen.
Punkt 4: Forderungen aus der AG Digitalisierung und Bürgerschaftliches Engagement
Im Frühjahr 2020 widmete sich die AG Digitalisierung und Bürgerschaftliches Engagement bereits dem Thema »Plattformisierung des Bürgerschaftlichen Engagements«. Die Mitglieder der AG forderten mehr Barrierefreiheit und Zugänge sowie die Adaption für unterschiedliche Nutzer*innengruppen. Daran anschließend wurde die Aktivierung und die Ansprache von Zielgruppen, wie z. B. Menschen mit Behinderungen, thematisiert. Der Datenschutz spielte für alle Mitglieder der AG eine große Rolle und hinterließ ein offenes Fragezeichen im Raum. Eine »Plattform-der-Plattformen« wurde ebenso gefordert wie allgemeingültige Standards und Orientierungsleitlinien in der sich digitalisierenden Welt.
Fazit: Der Dritte Engagementbericht fasst den Kommentar gut zusammen
»Was bedeuten diese Beobachtungen nun für die Ausbreitung von Plattformen im Engagementbereich in Deutschland? Mutmaßlich handelt es sich um ein zweischneidiges Schwert. Zu erwarten ist einerseits eine substanzielle Erweiterung von Handlungsmöglichkeiten und Effizienzgewinnen für die nutzenden Bürger*innen und Organisationen. Andererseits steht zu befürchten, dass typische Folgen der ›Plattformisierung‹, darunter eine Zentralisierung der Angebote, Abhängigkeiten von einzelnen Anbietenden (Lock-in-Effekte) und eine Normierung des Handelns im Rahmen der Reputationsökonomie auch hier auftreten.« (Dritter Engagementbericht, S. 121)
Plattformen bergen unglaublich viel Potential. Jedoch ist es wichtig, die Besonderheiten des gemeinnützigen Sektors im Auge zu behalten. Der gemeinnützige Sektor braucht im digitalen Raum eigene Regelungen, Grenzen und Leitplanken, um seinem Auftrag langfristig nachkommen zu können.
Beitrag im Newsletter Nr. 24 vom 3.12.2020
Für den Inhalt sind die Autor*innen des jeweiligen Beitrags verantwortlich.
Autorin
Sophie von Schierstaedt ist Sprecherin der BBE-AG »Digitalisierung und Bürgerschaftliches Engagement« und Referentin bei der Stiftung Bildung für die Entwicklung ehrenamtlicher Organisationen. Die Digitalisierungsexpertin widmet sich dem Ehrenamt in der sich digitalisierenden Welt.
Kontakt: sophie.von.schierstaedt@stiftungbildung.com
Redaktion
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