Was folgt aus dem Dritten Engagementbericht? Empfehlung an die Politik: strukturelle Engagementförderung weiter ausbauen!
Andrea Walter und Matthias Freise
Inhalt
Breitbandausbau vorantreiben, Infrastruktureinrichtungen vor Ort systematisch stärken!
Dritter Engagementbericht als besonders informativ für die Praxis gewertet
Wer ist jetzt gefragt? Der Ball liegt nicht nur bei der Politik
Endnoten
Autor*innen
Redaktion
186 Seiten umfasst der Dritte Engagementbericht »Zukunft Zivilgesellschaft: Junges Engagement im digitalen Zeitalter«, der im Mai 2020 offiziell präsentiert und im Oktober 2020 nun erstmalig gemeinsam mit der (organisierten) Zivilgesellschaft im Rahmen einer digitalen BBE-Veranstaltung diskutiert worden ist.
Auf elf Seiten des Berichts bezieht die Bundesregierung Stellung zu den Handlungsempfehlungen und Anregungen der eingesetzten Sachverständigenkommission, die den Bericht zur Lage des (jungen) Engagements unter digitalisierungsbedingten Veränderungsprozessen erarbeitet hat. Elf Seiten, auf denen die Bundesregierung viele Maßnahmen erläutert, die sie bereits in den vergangenen Jahren implementiert hat, um u. a. den Empfehlungen nach mehr Beteiligungsmöglichkeiten für Jugendliche, der Stärkung Politischer Bildung und Medienkompetenz sowie der Verminderung von sozialer Ungleichheit unter Jugendlichen nachzukommen. Nachfolgend einige Beispiele aus dem Gros an etablierten Maßnahmen:
• Die Einrichtung von Bundesprogrammen wie »Demokratie leben!«;
• Die Förderung von Initiativen wie »Gutes Aufswachen mit Medien«;
• Die systematische Einbindung von Jugendlichen in Politikprozesse, wie z. B. via Online-Beteiligungstools bei der Entwicklung der Jugendstrategie
• Die Gründung der Deutschen Stiftung für Engagement und Ehrenamt (DSEE), die als zentrale Anlauf- und Servicestelle dienen und besonders das bürgerschaftliche Engagement in strukturschwachen und ländlichen Regionen stärken soll.
Zweifelsohne existiert im Jahr 2020 ein solides Fundament engagementfördernder Strukturen im föderalen System der Bundesrepublik. Die zentralen Handlungsempfehlungen werden in der Stellungnahme der Bundesregierung allesamt aufgegriffen. Dass die implementierten Maßnahmen teilweise jedoch nicht weit genug gehen und (mehr) strukturelle Förderung weiter notwendig erscheint, machte jetzt die Diskussion mit Vertreterinnen und Vertretern der organisierten Zivilgesellschaft deutlich.
Breitbandausbau vorantreiben, Infrastruktureinrichtungen vor Ort systematisch stärken!
Der Workshop begann mit je einem Impuls aus dem Kulturbereich und der Freien Wohlfahrtspflege.
Susanne Rindt [1], Leiterin der Abteilung Verbandsangelegenheiten, Engagementförderung und Zukunft der Bürgergesellschaft beim AWO-Bundesverband, betonte die Notwendigkeit gesicherter Infrastruktureinrichtungen vor Ort – ergänzend zur neu gegründeten Deutschen Stiftung für Engagement und Ehrenamt, wobei Doppelstrukturen hier zu vermeiden seien. Insgesamt stellte sie positiv fest, dass der dritte Engagementbericht für den nicht-akademischen Bereich, für die Praxis und Führungsebenen in den zivilgesellschaftlichen Organisationen hilfreiche Anknüpfungspunkte bietet. Sie geht auf den kritischen Befund ein, dass für viele Menschen die im Engagement liegende Chance auf Teilhabe erschwert ist und dass sich durch fehlende digitale Zugänge und Kompetenzen diese Ungleichheit sogar weiter verschärft. Sie führt weiter aus, dass unter den Wohlfahrtsverbänden die schwache Abgrenzung zwischen Engagement und dem einfach Aktiv-Sein, wie sie im Engagementbericht vorgenommen wird, kritisch diskutiert wird. Hier wird eine Verwässerung des Engagementbegriffs befürchtet, auf Kosten des längerfristigen, auf Bindung setzenden Engagements. Positiv am Bericht sei die klare Zuordnung der Empfehlungen zu den Adressaten. Hier sei es gerade für die großen Organisationen und Verbände wichtig, sich selbst kraftvoll den Herausforderungen der Digitalisierung zu stellen, diese als Strukturwandel und Veränderungsprozess zu begreifen und entsprechend zu handeln. Gleichwohl unterstützen die Wohlfahrtsverbände die politischen Forderungen v. a. nach mehr finanzieller Förderung, schnellem und flächendeckenden Internet, dem Aufbau von Beratungs- und Vernetzungsstrukturen und nach und mehr und besseren Open-Source-Lösungen.
Gabriele Schulz, stellvertretende Geschäftsführerin des Deutschen Kulturrats, unterstrich besonders den Bedarf an technischer Infrastruktur. So könnten viele der Empfehlungen des Berichts erst umgesetzt werden, wenn Netzausbau und IT-Ausstattung bei Engagierten und Organisationen vorhanden seien.
Dritter Engagementbericht als besonders informativ für die Praxis gewertet
Besonders positiv am Dritten Engagementbericht wurde von den Workshop-Teilnehmenden insgesamt die hohe Lesefreundlichkeit und der Informationsgehalt für die Praxis gewertet. So ermöglichten die beiden extra für den Bericht durchgeführten Studien (eine repräsentative Online-Befragung von 1.006 Jugendlichen sowie eine Befragung unter 61 Organisationen) Aussagen zur Begriffsbestimmung digitaler Praktiken (z. B. Inhalte teilen, Citizen Sourcing oder das Nutzen von Plattformen), sowie zum digitalen Engagementverhalten von Jugendlichen. Die Organisations-Studie bietet Stiftungen, Vereinen, Verbänden, Genossenschaften und gGmbHs zudem die Möglichkeit, eine Standortbestimmung zur eigenen Rolle im Umgang mit der Digitalisierung in ihrer Organisation vorzunehmen.
Wer ist jetzt gefragt? Der Ball liegt nicht nur bei der Politik
Der Dritte Engagementbericht adressiert in seinen Handlungsempfehlungen nicht nur die Politik – differenziert nach einzelnen Handlungsebenen (Land, Bund, Kommunen), sondern auch direkt die neu gegründete Engagementstiftung und auch explizit das organisierte Engagement. So empfiehlt sie den zivilgesellschaftlichen Organisationen u. a. leichtere (digitale) Möglichkeiten des Einstiegs und zur Beteiligung junger Menschen zu initiieren.
Dass tatsächlich jeder gefragt ist und seinen Beitrag leisten kann, um das Engagement in Deutschland weiter zu stärken und dabei gesellschaftlichen Entwicklungen (Digitalisierung) gerecht zu werden, darüber waren sich die Teilnehmenden des Workshops einig.
Organisiertes Engagement: Für zivilgesellschaftliche Organisationen gilt es, sich den digitalen Herausforderungen zu stellen und Veränderungsprozesse aktiv einzuleiten (z. B. digitale Praktiken auszuprobieren, Erwartungen von jungen Menschen für eine Engagementausübung berücksichtigen).
BBE: Der Engagementbericht zeigt, dass sich die im Bericht dargestellten digitalen Praktiken (z. B. Participatory Mapping, Inhalte teilen) nur bedingt mit dem traditionellen Engagementverständnis fassen lässt, das sich in weiten Teilen noch auf die Ausarbeitung der 1999 eingesetzten Enquete-Kommission »Zukunft des Bürgerschaftlichen Engagements« bezieht. Das BBE wäre ein geeignetes Forum, einen Diskurs über ein praxisorientiertes und gleichzeitig wissenschaftlich akzeptiertes Engagementverständnis gemeinsam mit Vertreterinnen und Vertretern aus Zivilgesellschaft, Wissenschaft und Verwaltung zu führen. Zudem gilt es, bestehende Forschung zum Engagement weiter miteinander in Beziehung zu setzen z. B. den Dritten Engagementbericht mit dem aktuellen Achten Altersbericht.
Politik und Verwaltung: Es bedarf weiterer struktureller Förderung des Engagements – und hier vor allem der technischen und personellen Infrastrukturförderung vor Ort, dort wo Engagement konkret wird. Dazu bedarf es einer Abstimmung der beteiligten politischen Ebenen untereinander.
Resümierend bleibt festzuhalten, dass der Dritte Engagementbericht wichtige Erkenntnisse zum (jungen) digitalen Engagement für Wissenschaft und Zivilgesellschaft aufzeigt und deutlich macht, dass weiterhin Handlungsbedarf seitens der Politik besteht. Es bleibt deshalb zu hoffen, dass der Bericht nicht vorschnell in der Schublade verschwindet, sondern die Empfehlungen sukzessive von den einzelnen Akteuren aufgegriffen, diskutiert und umgesetzt werden.
Endnoten
[1] Wir danken Susanne Rindt für ihre inhaltlichen Ergänzungen in diesem Absatz.
Beitrag im Newsletter Nr. 24 vom 3.12.2020
Für den Inhalt sind die Autor*innen des jeweiligen Beitrags verantwortlich.
Autor*innen
Prof.‘in Andrea Walter ist Professorin für Politikwissenschaft und Soziologie an der HSPV NRW
Kontakt: andrea.walter@hspv.nrw.de
PD Dr. Matthias Freise ist Akademischer Oberrat am Institut für Politikwissenschaft der WWU Münster
Kontakt: freisem@uni-muenster.de
Redaktion
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