Inhalt
Die Situationen in den einzelnen Bundesländern – ein Überblick
Bürgermeister*innen als Moderator*innen und Entscheider*innen
Kurze Wege zwischen Bürger*innen und ehrenamtlicher Kommunalpolitik
Anforderungen und Erwartungen deutlich erhöht
Kommunalpolitik immer öfter Zielscheibe von Bedrohung und Hass
Hürden bei Aufwandsentschädigungen beseitigen
Autor
Redaktion
Die Situationen in den einzelnen Bundesländern – ein Überblick
Wer an die aktuelle Bürgermeisterin oder den Bürgermeister vor Ort denkt, hat zumeist den gewählten »Fulltime«-Rathauschef oder die Ratshauschefin im Blick. Dass in vielen Flächenländern die Mehrheit aller Bürgermeister*innen ehrenamtlich tätig ist, mag einem Großteil der Bevölkerung gar nicht so präsent sein. In Schleswig-Holstein etwa gibt es rund 1000 ehrenamtliche und 90 hauptamtliche, in Niedersachsen rund 650 ehrenamtliche und über 400 hauptamtliche Bürgermeister*innen und in Mecklenburg-Vorpommern sind es knapp 70 hauptamtliche und über 680 ehrenamtliche. Auch in meinem Bundesland, Rheinland-Pfalz, überwiegen die ehrenamtlichen Kandidat*innen bei Weitem. Die Verbandsgemeinde Nieder-Olm, in der ich hauptamtlicher Verbandsbürgermeister bin, hat sieben Ortsgemeinden mit ehrenamtlichen Ortsbürgermeister*innen, hinzu kommt die Stadt Nieder-Olm mit ebenfalls einem ehrenamtlichen Bürgermeister. Verbandsgemeinden sind eine rheinland-pfälzische Besonderheit und setzen sich »aus Gründen des Gemeinwohls« aus mehreren benachbarten Gemeinden des gleichen Landkreises zusammen. In den sogenannten Ortsgemeinden, die einer Verbandsgemeinde angehören, heißen die Bürgermeister*innen Ortsbürgermeister*innen, die wiederum ehrenamtlich tätig sind. Es gibt in Rheinland-Pfalz über 2000 Ortsbürgermeister*innen.
In den Verbandsgemeinden (Rheinland-Pfalz), Samtgemeinden (Niedersachsen) oder amtsangehörigen Gemeinden (Schleswig-Holstein, Mecklenburg-Vorpommern oder Brandenburg) vertreten die ehrenamtlichen Bürgermeister*innen ihre jeweiligen Gemeinden gegenüber der Gemeinde, die die Selbstverwaltungsaufgaben wahrnimmt. Die ehrenamtlichen Bürgermeister*innen sind hier wichtige Bindeglieder zwischen Vereinen, Bürgerschaft in den Gemeinden und der hauptamtlichen Verwaltung. So bestimmt z. B. § 51 Kommunalverfassung Brandenburg, dass die ehrenamtlichen Bürgermeister*innen Ansprechpartner*innen und Fürsprecher*innen der Bürger*innen der Gemeinden sind. In Rheinland-Pfalz ist die vertrauensvolle Zusammenarbeit von Verbands- und Ortsgemeinden in der Gemeindeordnung normiert. Durch die Teilnahme der hauptamtlichen Bürgermeister*innen an den Sitzungen des Ortsgemeinderates und den regelmäßigen Austausch bekommen die hauptamtlichen Bürgermeister*innen einen guten Einblick in die Lage in den Gemeinden. Dies wäre in dieser Form ohne die gute Verankerung der ehrenamtlichen Ortsbürgermeister*innen in ihren Gemeinden nicht möglich.
Etwas anders ist die Situation in Bayern. Dort ist der*die erste Bürgermeister*in in kreisangehörigen Gemeinden, die weniger als 5000 Einwohner*innen haben, ehrenamtliche*r Bürgermeister*in, wenn der Gemeinderat nicht etwas anderes bis zum 90. Tag vor der Wahl beschließt. In Gemeinden mit mehr als 5000, höchstens aber 10.000 Einwohner*innen kann der Gemeinderat bis zum 90. Tag vor einer Bürgermeisterwahl bestimmen, dass der*die erste Bürgermeister*in Ehrenbeamte*r ist. Zu den Aufgaben des ersten Bürgermeisters, auch wenn er*sie Ehrenbeamte*r der Gemeinde ist, zählen der Vorsitz im Gemeinderat und der Vollzug der dort getroffenen Beschlüsse. Weiterhin ist er*sie für die laufenden Angelegenheiten der Gemeinde verantwortlich und führt die Dienstaufsicht über die Beschäftigten und Beamt*innen der Gemeinde.
Bürgermeister*innen als Moderator*innen und Entscheider*innen
Diese Auswahl an Beispielen zeigt, welche Aufgaben und Bedeutung den ehrenamtlichen Bürgermeisterinnen und Bürgermeistern für die Gemeinden und auch die örtliche Gemeinschaft zukommt. Die ehrenamtlichen Bürgermeister*innen sind in allen Angelegenheiten erste Ansprechpartner*innen für die Gemeindebewohner. Dabei ist es egal, ob sie formal zuständig sind oder nicht. Dies zeigt, dass das Amt des ehrenamtlichen Bürgermeisters weit mehr ist als jedes andere Ehrenamt. Es ist ein Dienst an der Allgemeinheit, der mit viel persönlichem und vor allem kommunikativem Engagement einhergeht. Bürgermeister*in sein bedeutet auch Diskussionen auszuhalten. Wird in der Gemeinde eine neue Kita gebaut? Wie sieht die Perspektive der Gemeinde in fünf, zehn, 20 und 50 Jahren aus? Werden Straßen erneuert? Wie läuft es mit dem Breitbandausbau? Was können wir in Bezug auf die Energiewende vor Ort tun? Dies sind alles Fragen, die kritisch im Gemeinderat, aber auch in der Bürgerschaft diskutiert werden. Der Bürgermeister oder die Bürgermeisterin ist hierbei nicht nur Moderator*in, sondern auch Entscheider*in. Sie müssen eine Vision für die Gemeinde entwickeln und diese mit den Bürger*innen erörtern und auch kontroverse Diskussionen aushalten. Bürgermeister*innen müssen ein großes Interesse an vielen Themen mitbringen. Mal ist man Bauleiter*in, mal zuständig für die Wasserversorgung oder auch der*die örtliche Seelsorger*in. Der ehrenamtliche Bürgermeister oder die Bürgermeisterin zusätzlich noch Ansprechpartner*in fürs Dorf – von kleineren Nachbarschaftsstreitigkeiten bis hin zu kaputten Straßenlaternen und Stromausfällen in der Gemeinde.
Kurze Wege zwischen Bürger*innen und ehrenamtlicher Kommunalpolitik
Die ehrenamtlichen Bürgermeisterinnen und Bürgermeister und deren Engagement ist für das Zusammenleben in den vielen kleineren Gemeinden von großer Bedeutung. Die Anforderungen an die Person gehen in der Regel weit über das Fachliche hinaus. Die Bürgerinnen und Bürger erwarten, dass ihr Bürgermeister, ihre Bürgermeisterin ausreichend in der Kommune präsent ist. Dies gilt für Feste, Vereine, Sportveranstaltungen, Eröffnungen und wichtige Geburtstage. Gerade in kleineren Kommunen soll der*die Bürgermeister*in direkte*r Ansprechpartner*in für Sorgen und Nöte der Menschen sein.
Ehrenamtliche Bürgermeister*innen sind auch für hauptamtliche Bürgermeister*innen eine Entlastung. Die Bedeutung von ehrenamtlichen Bürgermeister*innen und Ortsvorsteher*innen hat sich noch einmal besonders in der Corona-Pandemie gezeigt. Über die gute Struktur an ehrenamtlichen Kommunalpolitiker*innen konnten beispielsweise schnell die Verteilung von Masken, der Einkaufsservice für ältere Mitbürger*innen oder auch die Versorgung von Menschen in der Quarantäne organisiert werden.
Im Gegensatz zu den hauptamtlichen Bürgermeister*innen erhalten ehrenamtliche Bürgermeister*innen für ihre Tätigkeit kein Gehalt, sondern eine Aufwandsentschädigung, die sie zu einem Teil auch versteuern müssen. Die Höhe der Entschädigung ist in der Regel durch landesgesetzliche Regelungen vorgegeben und richtet sich nach der Größe der jeweiligen Gemeinde. In Bayern kann die Höhe der Entschädigung durch den*die Bürgermeister*in mit der Gemeinde im Rahmen eines gesetzlich vorgegebenen Rahmens ausgehandelt werden.
Anforderungen und Erwartungen deutlich erhöht
Lange Zeit war es kein Problem, geeignete Kandidat*innen für das Amt ehrenamtlicher Bürgermeister*innen zu finden. Noch vor rund 15 Jahren gaben die allermeisten Bürgermeister*innen an, es sei »ein Job« mit hoher Zufriedenheitsgarantie. Eine Untersuchung der Bertelsmann-Stiftung aus dem Jahre 2008 zeichnete ein erfreuliches Bild. Neun von zehn Bürgermeister*innen waren mit ihrer Tätigkeit, der Lebensqualität in ihrer Stadt und dem, was sie bislang erreicht haben, zufrieden. Nur zwölf Prozent sprachen von geringer Wertschätzung durch die Bürger*innen. So wählten 97 Prozent den Beruf des Bürgermeisters bzw. der Bürgermeisterin, weil sie ihre Stadt oder Gemeinde mitgestalten wollten. 95 Prozent der Befragten hatten Freude am Umgang mit Menschen und 90 Prozent fühlten sich dem Gemeinwohl verpflichtet. Finanzielle Aspekte, Machtwille oder Karrieregründe traten dahinter deutlich zurück.
Dies hat sich verändert. Dies hängt sicherlich damit zusammen, dass sich die Anforderungen, aber auch die Belastungen und das »Klima des Umgangs« verändert haben. Viele ehrenamtliche Bürgermeister*innen klagen gerade in den letzten Jahren darüber, dass die Arbeit nicht einfacher wird. Die Ansprüche an das Amt werden immer höher, während die Gestaltungsmöglichkeiten teilweise aufgrund fehlender Zuständigkeiten oder fehlender Finanzmittel abgenommen haben. Es mangelt nicht nur an Kandidat*innen. Auch die Zeitspanne, für die sich Freiwillige bereit erklären, ein solches Ehrenamt auszuüben, hat sich verringert. Früher waren Ehrenamtliche oft jahrzehntelang im Einsatz, mittlerweile ziehen sich viele schon nach zwei bis drei Jahren wieder aus dem Amt zurück.
Nicht nur die gestiegenen Anforderungen machen den Amtsinhaber*innen zu schaffen, sondern auch die immer größere Erwartungshaltung vieler Bürger*innen. Damit ist es fast unmöglich, neben einem regulären Job noch die Zeit für das kommunale Ehrenamt aufzubringen. Freie Sonn- und Feiertage kennen viele Bürgermeister*innen nicht, auf jedem Fest und jeder Veranstaltung wird ihr Besuch erwartet. Bürgermeister*innen einer Gemeinde ist man nicht an zwei Tagen, sondern 24 Stunden an sieben Tagen der Woche. Dies gilt für das Haupt- und das Ehrenamt gleichermaßen. Potenzielle Interessenten für das Amt schrecken vor diesem Zeitaufwand und dieser Verantwortung zurück. Mit einem anspruchsvollen Job und einer Familie ist das kaum noch zu vereinbaren.
Wenn das Amt schon so viel Zeit kostet, sollte es doch zumindest regelmäßig Handlungsspielraum sowohl inhaltlicher als auch finanzieller Art gewähren, z. B. ein Dorffest zu finanzieren, der Feuerwehr einen Scheck zu überreichen oder für die Jugend den Sportplatz herzurichten. Immer häufiger beklagten Amtsinhaber*innen aber auch die mangelnden Gestaltungsmöglichkeiten. Neben der Erfüllung der Pflichtaufgaben bleibt oft nicht mehr viel Geld für Dinge übrig, die »Spaß machen« und wo kreatives Arbeiten gefragt ist. Unterm Strich machen die freiwilligen Ausgaben – also die Summe der Sachverhalte, über die im Ort entschieden werden kann – oftmals weniger als zehn Prozent des Gemeindehaushalts aus.
Kommunalpolitik immer öfter Zielscheibe von Bedrohung und Hass
Immer mehr Kommunalpolitiker*innen klagen darüber hinaus über Bedrohungen, Beleidigungen, Hassmails und den leider mangelnden Schutz durch die Polizei und die Justiz. Leider gab es auch schon körperliche Übergriffe. Viele Bürgermeister*innen würden sich in diesen Fällen Unterstützung von der »schweigenden Mehrheit« ihrer Gemeinde erhoffen. Um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen: Kritik darf und muss sein. Diese Kritik darf aber nicht in Hass, Drohungen oder sogar Gewalt umschlagen. Was von Expert*innen seit Jahren gefordert, von der Politik aber nicht umgesetzt wird, ist ein Straftatbestand: »Politiker-Stalking«. Wenn die Hetze, wenn die Drohungen und wenn die körperlichen Übergriffe nicht schnellstens massiv sinken, droht auch der Kollaps des Ehrenamtes in Deutschland.
Hürden bei Aufwandsentschädigungen beseitigen
Ein weiteres Ärgernis kommt hinzu. In den vergangenen Jahren führte gerade diese Stellung der ehrenamtlichen Bürgermeister*innen verstärkt zu Konflikten mit der Deutschen Rentenversicherung, die ehrenamtliche Bürgermeister*innen als sozialversicherungspflichte Beschäftigte der Gemeinde ansehen. Eine Reihe von Landessozialgerichten hat diese Sichtweise schon korrigiert. Eine Entscheidung des Bundessozialgerichts oder des Gesetzgebers steht allerdings noch aus.
Ehrenamtliche Bürgermeister*innen sind wichtige und essenzielle Partner für Verwaltung und Bürger*innen gleicherweise. Diese Institution müssen wir weiterhin stärken und Hemmnisse abbauen, damit auch in Zukunft weiterhin viele engagierte Menschen sich für ihre Gemeinden und Städte engagieren können. Neben einer Erweiterung des Gestaltungsspielraums müssen auch Hürden bei den Aufwandsentschädigungen dauerhaft beseitigt werden. Hier sehen wir vor allem die neue Bundesregierung in der Pflicht dafür zu sorgen, dass das kommunale Ehrenamt deutlich und dauerhaft gestärkt wird. Es würde sicherlich helfen, wenn die Gemeinden weniger bürokratische Vorgaben und ausreichend finanziellen Handlungsspielraum hätten. Es wäre wichtig, ehrenamtlichen Bürgermeister*innen das Gefühl zu geben, sie kämpften nicht allein.
Beitrag im Newsletter Nr. 6 vom 18.3.2021
Für den Inhalt sind die Autor*innen des jeweiligen Beitrags verantwortlich.
Autor
Ralph Spiegler ist Präsident des Deutschen Städte- und Gemeindebundes und Bürgermeister der Verbandsgemeinde Nieder-Olm.
Kontakt: ralph.spiegler@dstgb.de
Deutscher Städte- und Gemeindebund, Marienstraße 6, 12207 Berlin | Telefon: 030/77307201
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