Inhalt
Beginn
Neu: Klare Unterscheidung politische Mittel und politische Zweck
Unklar: Was sind politische Mittel
Unklar: Parteipolitisch neutral
Weitere Unklarheiten
Mangelhaft: Politische Bildung
Schluss: Krieg und Frieden
Endnoten
Autor
Redaktion
Beginn
Stell Dir vor, es ist Krieg, und niemand darf dagegen demonstrieren zumindest kein gemeinnütziger Verein, weil »Frieden« gar nicht als gemeinnütziger Zweck in der Abgabenordnung steht; und weil der Sportverein, der Chorverein oder die Kulturstiftung auch keinen gemeinnützigen Zweck wie »Völkerverständigung« in ihrer Satzung stehen haben. Zum Glück jedoch hatte das Bundesfinanzministerium bereits am 12. Januar 2022 Änderungen am Anwendungserlass zur Abgabenordnung (AEAO) [1] veröffentlicht, mit denen klargestellt wird, dass es »nicht zu beanstanden« sei, »wenn eine steuerbegünstigte Körperschaft außerhalb ihrer Satzungszwecke vereinzelt zu tagespolitischen Themen Stellung nimmt«.
Der Chorverein muss also nicht singen, wenn er für Frieden demonstriert. Der Sportverein kann diskutieren, ob und was er zum Ukraine-Krieg sagen will – diese interne Willensbildung wird nicht mehr beschränkt durch Angst vor dem Finanzamt.
Damit schafft der Anwendungserlass für viele Vereine und Stiftungen Erleichterungen. Zugleich nehmen die Änderungen Druck auf notwendige Gesetzesänderungen. Doch Änderungen am Gemeinnützigkeitsrecht (wie im Koalitionsvertrag der Ampel-Parteien[2] vereinbart) sind weiterhin nötig, denn zu politischen Aktivitäten für gemeinnützige Zwecke bleibt der Erlass unklar und sogar hinter Urteilen des Bundesfinanzhofs (BFH) zurück. Zum möglichen Umfang politischer Bildung zitiert der Erlass nur das Attac-Urteil[3], ohne Vereinen und Finanzämtern bei der Interpretation des sperrigen Begriffs »geistige Offenheit« zu helfen.
Der Erlass nimmt den Vereinen und Stiftungen eine große Last von den Schultern, die sich nur mal nebenbei in gesellschaftliche Fragen einmischen wollen. Für ein dauerhaftes und vertieftes Engagement für Demokratie und Menschenrechte, gegen Extremismus und Ausgrenzung schafft er keine neue Basis.
Diese Änderungen am Anwendungserlass haben die Finanzministerien von Bund und Ländern über Monate diskutiert. Sie gehen unter anderem zurück auf Entscheidungen des Bundesfinanzhofs (BFH) zum BUND Hamburg von 2017 und zu Attac von 2019, die bisher nicht in diese Richtlinien für Finanzämter aufgenommen wurden. Mit dem Erlass wird kein neues Recht geschaffen: Er ist eine Anweisung der Leitung der Exekutive an die nachgeordnete Exekutive (Finanzämter), wie das von der Legislative geschaffene Gesetz zu verstehen und einheitlich anzuwenden ist. Sie bedient sich dabei der Interpretation der Gesetze durch die Judikative.
Bund und Länder haben dabei wohl um jeden Satz gerungen. Mehr Klarheit ist von dieser Ebene der Finanzverwaltung nicht zu erwarten. Bundesregierung und Bundestag müssen den im Koalitionsvertrag politisch erklärten Willen zügig in ein Gesetz gießen, um zivilgesellschaftliches Handeln für Demokratie und gegen Extremismus abzusichern so, wie es etwa der gerade veröffentlichte Aktionsplan Rechtsextremismus[4] der Bundesinnenministerin Nancy Faeser fordert.
Oder, wie es ein hoher Ministerialbeamter erklärt: Die Änderungen am AEAO verarbeiten die Vergangenheit, vergangene Urteile des Bundesfinanzhofs, des höchsten Gerichts für Steuerangelegenheiten. Die Vorhaben aus dem Koalitionsvertrag zu Gemeinnützigkeit sind dagegen die Baustelle der Zukunft.
Neu: Klare Unterscheidung politische Mittel und politische Zweck
Der geänderte AEAO stellt klar, dass gemeinnützige Zwecke mit politischen Mitteln verfolgt werden dürfen, was diese Zwecke nicht zu politischen Zwecken macht. Der Erlass bleibt nebulös zum erlaubten Umfang. Der Abschnitt zu politischen Mitteln in Nummer 16 zu §52 der Abgabenordnung[5] wurde komplett neu gefasst. Damit wird das bisherige Wirrwarr zum Teil beseitigt. Unterschieden wird nun ein
a) eigenständiger politischer Zweck (den es nicht gibt, der aber auch nicht definiert wird),
b) politische Mittel zur Verwirklichung eigener gemeinnütziger Satzungszwecke (z.B. Demos für Umweltschutz) sowie
c) politische Betätigung über den Satzungszweck hinaus (siehe oben).
Erstmalig steht im Anwendungserlass nun schwarz auf weiß: Ein Verein, der sich mit politischen Mitteln für seinen gemeinnützigen Zweck engagiert, verfolgt deshalb noch lange keinen politischen Zweck. Ein solcher Zweck wäre nicht gemeinnützig: »Politische Zwecke (Beeinflussung der politischen Meinungs- und Willensbildung, Gestaltung der öffentlichen Meinung oder Förderung politischer Parteien) zählen nicht zu den gemeinnützigen Zwecken i. S. d. § 52 AO«, steht im neu gefassten Abschnitt.
Ein Verein zur Förderung der Hilfe für rassistisch Verfolgte verfolgt also noch lange keinen politischen Zweck, wenn er Forderungen an die Bundesregierung erhebt oder demonstriert, um gegen Rassismus vorzugehen. Die Ausführungen zu »politischem Zweck« muss kaum ein Verein auf sich beziehen. Noch hilfreicher wäre gewesen, einen »politischen Zweck« zu definieren. Damit wäre deutlich gewesen, welche politischen Mittel zur Verfolgung eines gemeinnützigen Zwecks eben nicht darunterfallen. Dennoch ist mit der neuen Fassung klar, dass ein Verein keinen politischen Zweck verfolgt, wenn er aus einer Haltung heraus einen gemeinnützigen Zweck fördert.
Unklar: Was sind politische Mittel
Der Teil im Erlass zu politischen Mitteln für den eigenen Zweck verpasst leider einige Klarstellungs-Chancen. Er führt sogar unklare Begriffe ein. Er steht teils im Widerspruch zur BFH-Rechtsprechung. Dennoch bringt er Verbesserungen. Der erste Satz ist eine klare Ansage, die bisher fehlte:
»Es ist einer steuerbegünstigten Körperschaft ... gestattet, auf die politische Meinungs- und Willensbildung und die Gestaltung der öffentlichen Meinung Einfluss zu nehmen, wenn dies der Verfolgung ihrer steuerbegünstigten Zwecke dient und parteipolitisch neutral bleibt.«
Unklar sind die Ausführungen zum möglichen Umfang der Tätigkeiten. Die jetzt im Erlass stehende Formulierung ist letztlich nicht korrekt: »Eine derart dienende und damit ergänzende Einwirkung muss aber gegenüber der unmittelbaren Förderung des steuerbegünstigten Zwecks in den Hintergrund treten. Bei Verfolgung der eigenen satzungsmäßigen Zwecke darf die Tagespolitik nicht im Mittelpunkt der Tätigkeit der Körperschaft stehen.«
Der Bundesfinanzhof (BFH) hatte dazu im BUND-Urteil entschieden[6], dass solche politischen Tätigkeiten die anderen Tätigkeiten »nicht weit überwiegen« dürften. Woher der BFH diese Grenze nahm, ist nicht klar. In der Abgabenordnung steht sie nicht. Abweichend vom Erlass können sich gemeinnützige Organisationen gegenüber Finanzamt und Finanzgericht mindestens auf dieses Urteil berufen.
Unklar: Parteipolitisch neutral
Zu neuen unklaren Begriffen gehört die Anforderung, sich »parteipolitisch neutral« zu verhalten. Die Ergänzung ist schlicht überflüssig, weil bereits darübersteht: »Parteipolitische Betätigung ist immer unvereinbar mit der Gemeinnützigkeit.« Auf diese Weise wäre die Einschränkung zu interpretieren, dem Gesetz folgend: »Die Körperschaft darf ihre Mittel weder für die unmittelbare noch für die mittelbare Unterstützung oder Förderung politischer Parteien verwenden.« (§ 55 Abgabenordnung)
Eine bessere Formulierung im Erlass wäre gewesen: »Keine Tätigkeit einer gemeinnützigen Körperschaft darf darauf gerichtet sein, politische Parteien oder kommunale Wählergemeinschaften zu fördern.«
Es besteht die Gefahr, dass »neutral« von Finanzämtern zu eng ausgelegt wird. Es kann nicht Nachteil eines Vereins sein, wenn Parteien seine Forderungen übernehmen. Ebenso darf ein Verein die Forderungen oder Aussagen einer Partei anhand seiner eigenen Ziele und Schlüsse bewerten, zum Beispiel in Form von Wahlprüfsteinen. Der Begriff der Neutralität entstammt nicht dem Gesetz.
Weitere Unklarheiten
Je weiter es im Text des Erlasses geht, desto mehr Fragezeichen tun sich auf. Offenbar hatten einige Ministeriums-Vertreter:innen große Sorge davor, dass eine politische Tätigkeit ausufert - wohin auch immer. Deshalb werden diverse Grenzlinien gezogen, hinter denen jeweils eine Sorge steht. Die Sorgen werden so wenig deutlich, wie die Grenzlinien hilfreich sind.
So soll »die Beschäftigung mit politischen Vorgängen ... im Rahmen dessen liegen, was das Eintreten für die steuerbegünstigten Zwecke und deren Verwirklichung erfordert«. Das Wort »erfordert« irritiert, da im öffentlichen Recht die Erforderlichkeit Teil der Verhältnismäßigkeitsprüfung ist. Dort meint »erforderlich«, dass der Staat nur eingreifen darf, wenn kein milderes Mittel verfügbar ist. Das kann hier kaum übertragen werden. Sonst würde gelten: Klimaschutz geht auch durch eigenes Bäume pflanzen, deshalb darf der Staat nicht dazu aufgefordert werden. Die Formulierung muss in dem Sinne gelesen werden, dass entsprechende Tätigkeiten auf den entsprechenden gemeinnützigen Zweck gerichtet sind, diesem dienen. Das hätte die Finanzverwaltung besser selbst so geschrieben.
Dann steht im Erlass: »Eine derart dienende und damit ergänzende Einwirkung muss aber gegenüber der unmittelbaren Förderung des steuerbegünstigten Zwecks in den Hintergrund treten. Bei Verfolgung der eigenen satzungsmäßigen Zwecke darf die Tagespolitik nicht im Mittelpunkt der Tätigkeit der Körperschaft stehen.«
Dass politische Mittel auch eine unmittelbare Förderung eines gemeinnützigen Zwecks sind, hatte der BFH im BUND-Urteil festgestellt. Der Satz zur Tagespolitik gehört hier schlicht nicht hin, denn der ganze Absatz erklärt ja, dass ein Verein zur Verfolgung seiner gemeinnützigen Zwecke auf die Willensbildung Einfluss nehmen kann, ob aus eigener Initiative oder als Reaktion auf »tagespolitisches« Geschehen. Der Begriff der »Tagespolitik« ist nur hilfreich, wenn es um gelegentliche Stellungnahmen über eigene Zwecke hinaus geht.
Schließlich verstolpern sich die Ministerien bei dieser Formulierung:
»Zur Förderung der Allgemeinheit gehört die kritische öffentliche Information und Diskussion dann, wenn ein nach § 52 Abs. 2 AO begünstigtes Anliegen der Öffentlichkeit und auch Politikern nahegebracht werden soll. Unschädlich sind danach etwa die Einbringung von Fachwissen auf Aufforderung in parlamentarischen Verfahren oder gelegentliche Stellungnahmen zu tagespolitischen Themen im Rahmen der steuerbegünstigten Satzungszwecke.«
Gemeint war offenbar, Tätigkeiten zu beschreiben, die gar nicht auf das Konto »Einflussnahme auf die politische Willensbildung« einzahlen, die also beim Abwägen des Überwiegens in der anderen Waagschale liegen. Fachwissen einzubringen, an parlamentarischen Anhörungen teilzunehmen oder hier auch die »gelegentlichen Stellungnahmen zu tagespolitischen Themen« zählen demnach nicht als politische Mittel zur Zweckverfolgung. Damit können Vereine auch beim Finanzamt argumentieren, falls das Aktivitäten als »zu politisch« bemängelt. So hätte der Satz oben gut formuliert ausgesehen:
»Zur Förderung der Allgemeinheit gehört die kritische öffentliche Information und Diskussion dann, wenn ein nach § 52 Abs. 2 AO begünstigtes Anliegen der Öffentlichkeit und auch Politikern nahegebracht werden soll. Nicht zu politischen Tätigkeiten im engeren Sinne gehört daher u.a. die Einbringung von Fachwissen auf Aufforderung in parlamentarischen Verfahren.«
Mangelhaft: Politische Bildung
Auch die Überarbeitung von Nummer 9 zu § 52 AO zu politischer Bildung zeigt, dass gesetzgeberischer Handlungsbedarf weiter dringend besteht. Das hat sich die Ampel-Koalition vorgenommen: »Wir ... konkretisieren und ergänzen gegebenenfalls hierzu auch die einzelnen Gemeinnützigkeitszwecke.«
Die Ministerien hätten politische Bildung umfassend interpretieren und erläutern können, weniger auf der Basis steuerrechtlicher Urteile als auf der Basis einer fachlichen Bildungsdebatte. Weil die Finanzverwaltung das nicht tut, stehen dort unklare, teils unpassende Anforderungen wie »objektiv und neutral« (so soll die Befassung mit demokratischen Grundprinzipien sein wo jede Journalistin und jeder Lehrer weiß, dass es Neutralität nicht geben kann, wohl aber Intersubjektivität).
Neu hinzugekommen ist dem Attac-Urteil folgend, dass die »Schaffung und Förderung politischer Wahrnehmungsfähigkeit und politischen Verantwortungsbewusstseins in geistiger Offenheit« geschehen soll neu sind tatsächlich nur die drei Worte »in geistiger Offenheit«. Was das genau ist, bleibt der Interpretation von Finanzämtern und Vereinen überlassen dabei soll der Erlass doch den Finanzämtern bei der Interpretation helfen. Offenbar sind alle drei Begriffe (objektiv, neutral, geistig offen) abgrenzend gemeint zu Lügen, Fake-News, Manipulation, Agitation und Starrköpfigkeit.
Korrekt ist, dass die Finanzverwaltung diesen verwirrenden Begriff der »geistigen Offenheit« nur auf politische Bildung bezieht, nicht auf andere Zwecke. Wobei Anforderungen wie Offenheit für neue Erkenntnisse oder Eingestehen eigener Irrtümer auch für die Verfolgung der Förderung des öffentlichen Gesundheitswesens gelten sollte – wie diese Anforderung gut beschriebe und ohne Bewertung von Meinungen vollzogen werden kann, ist eine noch zu führende Diskussion.
Anstelle der Ministerien und des Bundestags sorgt nun das kleine Kulturzentrum DemoZ für eine Klärung, was »geistige Offenheit« bedeutet - durch eine Klage vor dem Finanzgericht.[7],
Schluss: Krieg und Frieden
Sich aus aktuellem Anlass gegen Krieg, auch für Waffenlieferungen oder gegen die Aufstockung des Militäretats zu wenden, ist gemeinnützigen Vereinen also erlaubt. Sich dauerhaft zu diesen Themen zu betätigen, bleibt schwierig: Es fehlt der passende Zweck in der Abgabenordnung einen solchen Zweck kann die Finanzverwaltung nicht erlassen, können Gerichte nicht schnitzen. Und würde es den Zweck geben, wäre weiter unklar, in welchem Umfang dazu Einfluss auf die politische Willensbildung genommen werden müsste – wie viel »unpolitische« Aktivitäten der Verein daneben entfalten muss. In »geistig offener« Bildungsarbeit dürften zwar rüstungspolitische oder friedenspolitische Forderungen erarbeitet werden, ein Bildungsverein dürfte Friedensverhandlungen simulieren; aber er dürfte nicht versuchen, die Ergebnisse politisch durchzusetzen.
Immerhin: Die »Hilfe für politisch, rassistisch oder religiös Verfolgte, für Flüchtlinge, Vertriebene, ... Kriegsopfer, Kriegshinterbliebene, Kriegsbeschädigte und Kriegsgefangene« ist ein gemeinnütziger Zweck. Und wer den Kriegshinterbliebenen und Kriegsbeschädigten hilft, darf auch mal nebenbei sagen: Die beste Hilfe wäre, es würde keinen Krieg geben und die Bundesregierung würde sich für allseitige Abrüstung einsetzen.
Bei dem Text handelt es sich um eine gekürzte und aktualisierte Fassung einer umfänglicheren Analyse vom 28. Januar 2022: https://www.zivilgesellschaft-ist-gemeinnuetzig.de/aeao-klarstellung-zu-politischen-mitteln
Endnoten
[3]https://www.zivilgesellschaft-ist-gemeinnuetzig.de/analyse-attac-urteil-bfh/
[6] https://www.zivilgesellschaft-ist-gemeinnuetzig.de/politik-ohne-parteipolitik/
[7] https://www.zivilgesellschaft-ist-gemeinnuetzig.de/demoz-erhebt-klage/
Beitrag im Newsletter Nr. 6 vom 24.3.2022
Für den Inhalt sind die Autor*innen des jeweiligen Beitrags verantwortlich.
Autor
Stefan Diefenbach-Trommer arbeitet seit Jahren in Bewegungs- und Protest-Organisationen. Seit 2015 ist er Vorstand der Allianz »Rechtssicherheit für politische Willensbildung«, in der sich knapp 200 Vereine und Stiftungen zusammengeschlossen haben.
Kontakt: diefenbach-trommer@zivilgesellschaft-ist-gemeinnuetzig.de
https://www.zivilgesellschaft-ist-gemeinnuetzig.de/
Redaktion
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