Beitrag im Newsletter Nr. 6 vom 24.3.2022

Wie können Freiwilligenagenturen inklusives Engagement unterstützen?

Martina Wegner & Tobias Kemnitzer

Inhalt

Projekt: Inklusion in den Freiwilligenagenturen voranbringen
Herausforderungen der Freiwilligenagenturen im Bereich Inklusion
Engagement für alle ist eine große Chance für Inklusion
Aspekte einer langfristigen Förderung
Herausforderungen durch Gesetze
Autor*innen
Redaktion

Menschen mit Behinderung wollen sich wie viele andere Menschen auch für ihre Mit-menschen einsetzen und engagieren. Mit einem Projekt zeigt die bagfa wie Freiwilligen-agenturen sie dabei unterstützen können.

Viele Freiwilligenagenturen wollen, dass sich Menschen mit Behinderung ganz selbstver-ständlich engagieren können. Doch das verstehen viele Träger, Vereine und Angehörige noch nicht. Sie sehen es eher so, dass Menschen mit Behinderung Hilfe bekommen soll-ten. Leider denken noch viel zu viele Menschen in unserer Gesellschaft genauso. Dabei hat sich Deutschland vor 13 Jahren vorgenommen, die UN-Behindertenrechtskonvention umzusetzen. Eines der wichtigsten Ziele der UN-Behindertenrechtskonvention: Der Mensch mit seinen Fähigkeiten, Wünschen, seinem Wissen und Können steht im Mittel-punkt. Danach müsste eigentlich allen klar sein: Menschen mit Behinderung wollen sich genau wie alle anderen Bürger*innen auch, für ihre Mitmenschen einsetzen und engagie-ren.

Projekt: Inklusion in den Freiwilligenagenturen voranbringen

Die bagfa hat deswegen zusammen mit den Freiwilligenagenturen und der Aktion Mensch Stiftung das Projekt »Sensibilisieren, Qualifizieren und Begleiten: Freiwilligenagenturen als inklusive Anlauf- und Netzwerkstellen für Engagement weiterentwickeln« gestartet. Das Projekt lief über fünf Jahre und hatte drei Ziele: 1. Die Freiwilligenagenturen sollten in Schulungen lernen, was Inklusion und Barrierefreiheit bedeutet. 2. Das Projekt unterstützte die Freiwilligenagenturen dabei, inklusiver zu arbeiten. Und 3. sollten mehr Menschen mit Behinderung dazu eingeladen werden, sich freiwillig zu engagieren. In diesen fünf Projekt-Jahren konnten wir viel erreichen: 300 Freiwilligenagenturen lernten durch Veranstaltungen und spezielle Materialien mehr über Inklusion und Barrierefreiheit. Über 70 Freiwilligenagenturen haben an Schulungen teilgenommen und erste inklusive Aktionen starten. Etwa 20 Freiwilligenagenturen haben sich sogar dazu entschieden, eine komplett inklusive Freiwilligenagentur zu werden. Sie arbeiten nicht mehr in besonderen inklusiven Projekten oder bieten nur technische Zugänge für Menschen mit Behinderung an. Stattdessen arbeiten sie von Anfang an inklusiv. Alle Menschen können sich in diesen Freiwilligenagenturen inklusiv beraten lassen. Die Freiwilligen mit und ohne Behinderung entscheiden selbst, welches Engagement für sie das richtige ist. Alle wichtigen Informationen, Tipps, Projektbeispiele und Arbeitshilfen zum Projekt finden Sie unter bagfa-inklusion.de.

Herausforderungen der Freiwilligenagenturen im Bereich Inklusion

Wo liegen nun aber die besonderen Herausforderungen für Freiwilligenagenturen? Damit Organisationen inklusiv werden können, müssen sich viele Dinge ändern. Dafür braucht man als erstes Zeit und Geduld. Wichtig ist, dass Einsatzstellen lernen: Menschen mit Behinderung können und wollen sich als Freiwillige engagieren. Für viele Einsatzstellen ist das aber eine ganz neue Idee und Erfahrung. Sie müssen sich an diesen Gedanken erst gewöhnen und manchmal vielleicht daran erinnert werden. Einige Freiwilligenagenturen müssen umgebaut werden, damit auch Menschen mit Behinderung ohne Barrieren sie besuchen können. So sind manchmal breitere Türen notwendig, Fahrstühle oder größere Toiletten. Auch die Öffentlichkeitsarbeit muss sich ändern. Die Freiwilligenagenturen brauchen dazu das nötige Wissen und Erfahrungen. Zum Beispiel, wie und wo man Menschen mit Behinderung erreicht, wie man alle Menschen anspricht, wo es Barrieren gibt. Haben die Freiwilligenagenturen diese Veränderungen gestartet, haben sie eine sehr gute Grundlage. Menschen mit Behinderung dann in ein Engagement zu vermitteln, braucht manchmal noch einmal Zeit. Denn die Einsatzstellen müssen jetzt noch einmal dazulernen, was es heißt, Menschen mit Behinderungen als gleichberechtige und aktive Freiwillige anzuerkennen.

Engagement für alle ist eine große Chance für Inklusion

Gerade im freiwilligen Engagement können sich Menschen viel offener und flexibler begegnen. Menschen mit Behinderung, Einsatzstellen und Freiwilligenagenturen können neue Ideen einfach ausprobieren. Wenn eine Idee nicht funktioniert gibt es noch viele andere Möglichkeiten. Menschen mit Behinderungen können sich hier ausprobieren und neue Fähigkeiten entdecken. Anderen Menschen helfen, die Umwelt schützen, Tiere versorgen – all die Möglichkeiten im freiwilligen Engagement haben eine ganz andere Bedeutung als gemeinsam Fußball zu spielen oder an einem Ausflug teilzunehmen. Im freiwilligen Engagement tragen Menschen Verantwortung, sie gestalten die Zukunft der Gesellschaft und sie tun etwas für andere.

Aspekte einer langfristigen Förderung

All diese Herausforderungen könnten besser gelöst werden: Notwendig wäre eine dauerhafte Förderung des bürgerschaftlichen Engagements. Denn damit Freiwilligenagenturen dauerhaft wirklich inklusiv arbeiten können, brauchen sie neue Strukturen. Das heißt, sie brauchen mehr Personal, mehr finanzielle Sicherheit, einen geregelten Arbeitsalltag, barrierefreie Räume.

Denn Inklusion sollte kein Projekt sein. Echte Inklusion kann nun gelingen, wenn sich Strukturen und auch die Denkweise der Menschen verändern. Warum gibt es außerdem kaum Kooperationen zwischen Behindertenrechtsbewegung und Bewegungen aus anderen Bereichen, zum Beispiel der Frauenbewegung oder der Kinderrechtsbewegung oder den Vereinen und Initiativen vor Ort? Hier könnten viel mehr Menschen sich zusammen engagieren und sich für gemeinsame Ziele einsetzen.

Das Projekt der bagfa war ein Anfang. Mit den Informationen, Tipps, Projektbeispielen und Arbeitshilfen können weitere Freiwilligenagenturen daran arbeiten, inklusiver zu werden. Projekte, Schulungen oder Aktionen zum Beispiel für mehr Barrierefreiheit in Einrichtungen oder für Veranstaltungen können ein erster Schritt sein. Hierfür gibt es auch finanzielle Förderung zum Beispiel durch die Aktion Mensch. Aus diesen ersten Schritten und Erfahrungen kann viel entstehen. So kann eine Freiwilligenagentur zum Beispiel entscheiden, dass sie ab sofort bei allen Einladungen immer auch Menschen mit Behinderungen automatisch mitdenkt.

Herausforderungen durch Gesetze

Eine große Hürde für ein selbstbestimmtes Engagement von Menschen mit Behinderung ist Paragraf 78 im 9. Sozialgesetzbuch. Im Gesetz steht: »Leistungsberechtigten Personen, die ein Ehrenamt ausüben, sind angemessene Aufwendungen für eine notwendige Unterstützung zu erstatten, soweit die Unterstützung nicht zumutbar unentgeltlich erbracht werden kann. Die notwendige Unterstützung soll hierbei vorrangig im Rahmen familiärer, freundschaftlicher, nachbarschaftlicher oder ähnlich persönlicher Beziehungen erbracht werden.« Das bedeutet, dass ein Mensch mit Behinderung sich engagieren kann, wenn andere Menschen sich für den Menschen mit Behinderung engagieren. Das ist absurd! Damit ist der wichtigste Aspekt des selbstbestimmten Engagements nicht möglich.

Es geht darum, dass wir alle an einer Gesellschaft für die Zukunft arbeiten. In dieser Gesellschaft sind alle Menschen selbstverständlich überall dabei. Diese Gesellschaft denkt Inklusion, Demokratie und Engagement zusammen. In dieser Gesellschaft respektieren wir alle Menschen und konzentrieren uns darauf, was sie können, was sie wissen und welche Fähigkeiten sie haben.

Weiterführende Informationen

Die im Projekt entstandenen Materialien sind unter: bagfa.de/themenwelt-inklusion/materialien-der-bagfa-zu-inklusion archiviert.


Hinweis: Dieser Beitrag ist zuerst erschienen im SonderInfoletter #2 der Kampagne »Engagement macht stark!« des BBE am 8. Dezember 2021 zum Themen-Schwerpunkt »Engagement und Inklusion«.


Beitrag im Newsletter Nr. 6 vom 24.3.2022
Für den Inhalt sind die Autor*innen des jeweiligen Beitrags verantwortlich.

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Autor*innen

Martina Wegner ist Professorin an der Hochschule München. Ihr Lehrgebiet ist die Organisation von Zukunftsdiskursen.

Tobias Kemnitzer ist seit 2009 Geschäftsführer der Bundesarbeitsgemeinschaft der Freiwilligenagenturen e. V. (bagfa).


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