Beitrag im Newsletter Nr. 7 vom 1.4.2021

Zukunftsallianz Jugend: Mit Kultureller Bildung eine engagierte Gesellschaft gestalten

Katherine Heid & Jens Maedler

Inhalt

Die Auswirkungen der Pandemie auf Kinder und Jugendliche
Das gesellschaftliche Potenzial der Kulturellen Bildung
Kulturelle Bildung und Engagement
Junge Menschen zentral miteinbeziehen
Mehr als Schule – neue Strategien für Bildungsgerechtigkeit und kulturelle Teilhabe
Und nun?
Literatur
Autor*innen
Redaktion

Die Auswirkungen der Pandemie auf Kinder und Jugendliche

Teilhabechancen von Kindern und Jugendlichen haben durch die Corona-Krise empfindliche Einschränkungen erfahren. Deswegen dürfen wir die mittel- und langfristigen Wirkungen der Maßnahmen auf unsere Gesellschaft − und besonders auf Kinder und Jugendliche − nicht außer Acht lassen. Dringend müssen wir Maßnahmen ergreifen, um potentielle negative Folgen aufzufangen. Und wir sollten auch das Potenzial entdecken, das in jeder Krise steckt, um unsere Zukunft aktiv zu gestalten.

Die Rechte der Kinder und Jugendlichen auf Beteiligung wurden im letzten Jahr stark begrenzt. Im öffentlichen Diskurs und in den Medien wurden Kinder und Jugendliche oft nur in ihrer Rolle als »Schüler*in« wahrgenommen, für die die Lücken in der Wissensaneignung im Sinne des Lehrplans minimiert werden müssten. Weit weniger wurden sie als junge Menschen und Gestalter*innen von Gesellschaft gesehen, die sich in einer für sie entscheidenden Phase ihrer sozialen, kulturellen und politischen Entwicklung befinden.

Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie wirken sich zudem ungleich auf Kinder- und Jugendliche aus: Bereits bestehende soziale Ungerechtigkeiten werden verstärkt. Die ungleiche Ausstattung der Haushalte mit Internet sowie digitaler Hard- und Software erschwerte vielen Kindern und Jugendlichen den Zugang zum noch erhaltenen Bildungs-, Kultur- und Freizeitangebot. Das betrifft ebenso die Angebote von kulturellen Vereinen, Verbänden und Einrichtungen. Durch Quarantänemaßnahmen und eine räumliche Enge in der Wohnsituation vieler Familien fehlten zudem wichtige Rückzugs- und Schutzorte für Kinder und Jugendliche, die sonst der Jugendclub, das Vereinsheim, der Proberaum hätten bieten können. Wenn derlei wichtige außerschulische Stützmechanismen und zudem haupt- und ehrenamtliche Angebote der Kulturellen Bildung und Teilhabe wegfallen, dann fehlen auch wichtige Möglichkeiten der Entwicklung, des Austauschs und des Lernens durch non-formale Bildungsangebote.

Das gesellschaftliche Potenzial der Kulturellen Bildung

Dies wiegt umso schwerer, als Kinder und Jugendliche gerade jetzt kulturelle Angebote brauchen, um ihre Welt zu reflektieren, eigene Standpunkte zu entwickeln und sich aktiv an der Gestaltung unserer Gesellschaft zu beteiligen. Genau dies sind die Stärken der kulturellen Kinder- und Jugendbildung, in der sich definitionsgemäß »junge Menschen mit kulturellen Ausdrucksformen, Spiel und Kunst beschäftigen und ihre Sichtweisen und Haltungen zeigen« (BKJ 2020a: 4). Sie ermöglicht jungen Menschen die Erfahrung, ernstgenommen zu werden, mitreden und Einfluss nehmen zu können und lässt Kinder und Jugendliche nachhaltig erleben, dass es sich lohnt, aktiv zu werden und sich zu engagieren.

Kulturelle Bildung und Engagement

Gerade diese Erfahrung, gehört zu werden und selbstwirksam tätig zu sein, ist die Basis für die politische und ehrenamtliche Sozialisation junger Menschen. Wer das kreative Potenzial besitzt, sich Veränderungen vorzustellen und umzusetzen, weil sie*er durch eigenes Erleben weiß, dass sich Engagement dafür lohnt, wird sich engagieren wollen und können.

Vielerorts äußern Vereine und Verbände die Sorge, dass junge Menschen nach der Krise den Weg nicht mehr (zurück) in die Angebote und Strukturen Kultureller Bildung finden und bemühen sich nach Kräften, bestehende Kontakte nicht abreißen zu lassen. Doch klar ist auch, es geht nicht nur darum, die bestehenden Beziehungen unter den Bedingungen der Pandemie aufrechtzuerhalten, sondern auch neue Zielgruppen zu werben. Die Ansprache und Gewinnung neuer Interessent*innen und potentiell neuer Mitglieder gelingt ehrenamtlich geführten Vereinen digital nur in Ausnahmefällen. Schon zu anderen Zeiten finden es z. B. Kulturvereine problematisch, Personen zu finden, die sich langfristig freiwillig engagieren wollen (BKJ 2019: 37).

Kulturelles Engagement lebt von der Begegnung, vom Erproben, vom Austausch. All dies ist auch in digitalen Räumen möglich. Doch kann das nur dort gelingen, wo digitale Räume hierfür eröffnet, »möbliert« und genutzt werden. An dieser Stelle hat die Pandemie die Zivilgesellschaft, hier insbesondere viele ehrenamtliche Akteur*innen im Bereich Kultur und Jugend, kalt erwischt (Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft: 4).

Potenziale zivilgesellschaftlichen Engagements sind daher in Gefahr, nicht aktiviert zu werden. Das hat schwerwiegende gesellschaftliche und politische Folgen. Es droht also nicht nur potentiell eine zukünftige Generation engagierter Bürger*innen wegzubrechen, sondern es fehlen uns die Stimmen der jungen Menschen heute, deren kreative Energie und Engagement wir dringend brauchen.

Junge Menschen zentral miteinbeziehen

Die Überzeugungskraft der Stimmen junger Menschen und ihr Potenzial, gesellschaftliche Umbrüche zu fördern, trat nicht zuletzt im letzten Jahr in der »Fridays for Future«- Bewegung zutage. Die Frage nach einer gerechten Zukunft stellt sich nicht nur angesichts der Herausforderungen einer ökologisch nachhaltigen Gesellschaftspolitik. Jetzt gilt es, gemeinsam soziale, kulturelle, ökonomische und ökologische Ressourcen für eine nachhaltige, gerechte Gesellschaft zu sichern, die Diversität lebt und die europäisch und international eingebunden ist.

Mehr als Schule – neue Strategien für Bildungsgerechtigkeit und kulturelle Teilhabe

Über die Zukunftschancen junger Menschen und unserer Gesellschaft wird heute entschieden. Wir brauchen eine Allianz für die Jugend, damit die junge Generation – damit wir Alle − nicht zu Verlierer*innen der aktuellen Krise werden. Wir müssen dringend Schritte unternehmen, um entstandenen Schaden aufzufangen.

In einem Konsultationsprozess mit den 55 Bundesfachverbänden und Landesdachorganisationen der Kulturellen Bildung erarbeitete die Bundesvereinigung Kulturelle Kinder- und Jugendbildung (BKJ), der Dachverband der Kulturellen Bildung in Deutschland, ein Forderungspapier im Hinblick auf die Bundestagswahlen 2021, in dem zentrale Empfehlungen und Überlegungen gebündelt werden (BKJ 2021).

Das Papier ruft die Bundespolitik u. a. auf, neue Strategien für Bildungsgerechtigkeit und kulturelle Teilhabe innerhalb von Bildungsallianzen zu entwickeln und strukturell zu fördern, um für alle Kinder und Jugendlichen dauerhaft Zugänge zu Kultur und Bildung zu sichern. Bildung muss dabei selbstverständlich weiter als Schule gefasst werden. Außerdem müssen Fachstrukturen der Kulturellen Bildung unterstützt werden, um Lösungsstrategien für gesellschaftspolitische Zukunftsfragen kontinuierlich zu erarbeiten.

Ein wichtiger Fokus und Lösungsansatz ist dabei die Digitalität, die nicht nur für junge Menschen integraler Bestandteil ihrer Lebenswelt ist. Die Corona-Krise hat uns gezeigt, wie groß der Bedarf nach Entwicklung im digitalen Bereich ist, v. a. im nicht-kommerziellen, zivilgesellschaftlichen Sektor. Daher wird gefordert, den Digitalpakt 2.0 über Schule hinaus voranzutreiben, um zivilgesellschaftliche Orte und kommunale Einrichtungen kultureller Kinder- und Jugendbildung in der Entwicklung digitaler und hybrider Angebote zu unterstützen, damit kreative und emanzipierte Teilhabe ermöglicht wird.

Bei der Entwicklung der Digitalität gilt es, nicht nur auf die infrastrukturelle Ausstattung, zu achten, sondern es darf die qualitative Entwicklung der Kinder- und Jugendhilfe im Zusammenhang mit den verschiedenen digitalen Formaten auf keinen Fall vernachlässigt werden: Die Entwicklung und Umsetzung hybrider und digitaler Konzepte, die Qualifizierung der haupt- und ehrenamtlichen Aktiven, die digitale Transformation von Kommunikations- und Arbeitsabläufen etc. braucht entsprechende Experimentierräume und Ressourcen. Kommerziellen Anbietern sind neue Plattformen entgegenzusetzen, auch, um zivilgesellschaftlichen und lokalen Angeboten eine größere Sichtbarkeit zu sichern. Barrierefreiheit, Schutz vor Diskriminierung und Kinder- und Jugendschutz sind wichtige Faktoren, die stets mitbedacht werden müssen.

Für das ehrenamtlich getragene Engagement in Vereinen und Verbänden ist es infolge der Pandemie mehr als geboten, dass die Engagementbereitschaft durch Verwaltungsvereinfachungen befördert und nicht mit bürokratischen Hemmnissen beladen wird. Dazu gehört z. B. eine unbürokratische Festbetragsfinanzierung als Regelförderung.

Eine Stärkung der Engagementstrukturen verlangt nach einer Förderung der analogen und digitalen Infrastruktur und erfordert bessere Rahmenbedingungen für die materielle und immaterielle Anerkennung der Engagierten und Vereine (BKJ 2020b). Sichtbarer Ausdruck eines wertschätzenden Politikverständnisses wäre die Reform des Gemeinnützigkeitsrechts dahingehend, dass sie die Bedeutung der Zivilgesellschaft für die politische Willensbildung anerkennt und ihr gerecht wird.

Die Corona-Krise alleine ist nicht die alleinige Ursache der Herausforderungen, die gemeistert werden müssen − sie hat jedoch einzelne Punkte wie unter einem Brennglas hervorgehoben.

Und nun?

Unsere Zukunft bestimmen wir jetzt. Und diese Zukunft muss mit allen Menschen zusammen entschieden und gestaltet werden. Die Förderung zivilgesellschaftlichen Engagements, durch und im Bereich der kulturellen Kinder- und Jugendbildung, ist unbedingt zu verfolgen. Daher: Wir brauchen eine Zukunftsallianz Jugend, um mit Kultureller Bildung Generationengerechtigkeit, Nachhaltigkeit und Digitalität zu gestalten.


Literatur

• BKJ – Bundesvereinigung Kulturelle Kinder- und Jugendbildung (2021): Zukunftsallianz Jugend. Mit Kultureller Bildung Generationengerechtigkeit, Nachhaltigkeit und Digitalität gestalten! Forderungen der Fachorganisationen Kultureller Bildung zur Bundestagswahl 2021. Berlin/Remscheid.

• BKJ – Bundesvereinigung Kulturelle Kinder- und Jugendbildung (2020a): Kulturelle Bildung – Starke Kinder und Jugendliche mit Kunst, Kultur und Spiel. Was? Wo? Wer? Online verfügbar: https://bkj.nu/gmx [Zugriff: 26.03.2021].

• BKJ – Bundesvereinigung Kulturelle Kinder- und Jugendbildung (2020b): Ehrenamt und freiwilliges Engagement in Kultur ist unverzichtbar. Diskussionspapier. Berlin. Online verfügbar: https://bkj.nu/cur [Zugriff: 26.03.2021].

• BKJ – Bundesvereinigung Kulturelle Kinder- und Jugendbildung (2019): Kulturvereine Selbstverständnis, Strukturen, freiwilliges Engagement. Berlin. https://www.bkj.de/publikation/kulturvereine/ Online verfügbar: https://bkj.nu/gmx [Zugriff: 26.03.2021].

• Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft (Hrsg.) (2020): Lokal kreativ, finanziell unter Druck, digital herausgefordert. Die Lage des freiwilligen Engagements in der ersten Phase der Corona-Krise. Essen.


Beitrag im Newsletter Nr. 7 vom 1.4.2021
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Autor*innen

Katherine Heid leitet die Stabsstelle Politik und Gesellschaft bei der Bundesvereinigung Kulturelle Kinder- und Jugendbildung (BKJ).

Jens Maedler leitet den Bereich Freiwilliges Engagement und Ehrenamt bei der Bundesvereinigung Kulturelle Kinder- und Jugendbildung (BKJ).

Kontakt: heid@bkj.de
Bundesvereinigung Kulturelle Kinder- und Jugendbildung (BKJ), Küppelstein 34, 42857 Remscheid; Standort Berlin: Greifswalder Straße 4, 104305 Berlin; 030/484860-0


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