Engagementpolitik und Demokratiepolitik
Entwicklungsstand und Herausforderungen der neuen Politikfelder
Ansgar Klein
Inhalt
1. Engagementpolitik als neues Politikfeld
2. Unzivile Entwicklungen in der Zivilgesellschaft
3. Digitalisierung und Demokratie
4. Demokratisierung der repräsentativen Demokratie
Literatur
Autor
Redaktion
In der Folge der Enquete-Kommission zur »Zukunft des Bürgerschaftlichen Engagements« haben sich über die Aktivitäten von Bund, Ländern und Kommunen die neuen und fragilen Politikfelder der »Engagementpolitik« wie auch – damit eng verbunden – der »Demokratiepolitik« entwickelt. Der Beitrag gibt einen Überblick über die neuen Politikfelder und ihre aktuellen Themen und Herausforderungen.
1. Engagementpolitik als neues Politikfeld
Die Enquete-Kommission zur »Zukunft des Bürgerschaftlichen Engagements« kann als Initialzündung für die Entstehung der eng miteinander zusammenhängenden neuen Politikfelder einer Engagement- und Demokratiepolitik gelten. Unmittelbar im Anschluss an die Kommissionsarbeit wurde ein – bis heute bestehender – Unterausschuss Bürgerschaftliches Engagement im Deutschen Bundestag konstituiert. Dessen Mitglieder haben 2021 gefordert, in der neuen Legislaturperiode zu den Themen der Engagement- und Demokratiepolitik einen regulären Ausschuss im Deutschen Bundestag einzusetzen (was nicht erfolgt ist).
Das für Engagementpolitik federführende Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) stärkte in seinen Strukturen den Bereich der Engagementförderung und hat diesen mittlerweile über den Zwischenschritt einer Unterabteilung zu einer eigenen Hauptabteilung »Demokratie und Engagement« fortentwickelt, die die engen Bezüge von Engagement und Teilhabe herstellt.
Verstärkt wurde sowohl die ressortübergreifende Abstimmung zu Engagement- und Teilhabeförderung als auch zu Querschnittsthemen. Zudem wurde die Abstimmung mit den 16 Ländern durch eine regelmäßig tagende Bund-Länder-Gruppe intensiviert.
Die Ressortabstimmung hat mit der 2020 gegründeten Deutschen Stiftung für Engagement und Ehrenamt (DSEE) als öffentlich-rechtliche Stiftung eine Intensivierung erfahren. Die Politik der neuen öffentlich-rechtlich verfassten Stiftung wird freilich, anders, als von den Akteuren der Zivilgesellschaft gefordert, nicht durch die Zivilgesellschaft, sondern maßgeblich vom BMFSFJ zusammen mit dem Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat (BMI) – im Bund zuständig für Teilhabeförderung, politische Bildung, Katastrophenschutz etc. – und dem Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) gesteuert. Zudem wurde die Abstimmung mit den 16 Ländern durch eine regelmäßig tagende Bund-Länder-Gruppe intensiviert.
Das Berichtswesen zu Engagement und Beteiligung hat sich systematisch entwickelt. Individualdaten zu Engagement stehen zur Verfügung über den Freiwilligensurvey (BMFSFJ 2016). Organisationsdaten zur Zivilgesellschaft erhebt das Projekt »Zivilgesellschaft in Zahlen« (Ziviz) beim Deutschen Stifterverband. Der Engagementbericht der Bundesregierung erscheint mit Schwerpunktthema einmal pro Legislaturperiode.
Impulse der Ampel-Koalition zur Engagement- und Teilhabeförderung
Für die neue Legislaturperiode der Ampel-Koalition wurden die Entwicklung einer »Nationalen Engagementstrategie« zusammen mit der Zivilgesellschaft, von der SPD-Fraktion zudem die Einrichtung einer Enquete-Kommission zu »Demokratie- und Engagementpolitik« im Bundestag gefordert. Zudem besteht mit dem von der Koalition angekündigten Demokratiefördergesetz die Chance, Infrastrukturen für Engagement und Beteiligung strukturell zu fördern und abzusichern.
Länder und Kommunen
Ohne Zweifel findet ein Großteil allen Engagements in Städten und Kommunen statt. Vor diesem Hintergrund ist es von herausragender Bedeutung, dass dort seitens von Politik und Verwaltung entsprechende Leitbilder (»Bürgerkommune«) vorliegen und kompetente und stabile Infrastruktureinrichtungen das vielfältige Engagement wie auch Partizipationsprozesse unterstützen und begleiten. Die Adressierung der lokalen Sozialräume ermöglicht niedrigschwellige Zugänge und inklusive Handlungsräume und lokale Bildungslandschaften können den Lernraum Engagement erschließen.
Auf Länderebene ist ein wichtiges Ziel die operative Stärkung des Austausches der 16 Länder mit den zivilgesellschaftlichen Netzwerken auf Länderebene in den Feldern der Engagement- und Demokratiepolitik. Das BBE arbeitet daran im Rahmen einer Stärkung seines »Länderforums«.
2. Unzivile Entwicklungen in der Zivilgesellschaft
In den Handlungsräumen der Zivilgesellschaft stoßen wir freilich auch auf eine wachsende Anzahl von Akteuren, deren Handlungsorientierungen (Hass, Intoleranz, Gewalt) als unzivil und antidemokratisch bezeichnet werden müssen (vgl. Roth 2003). Daher ist es im Sinne einer zivilgesellschaftlichen Verantwortung für die eigenen Handlungsräume und -grundsätze notwendig, Kriterien zur Beurteilung der zivilgesellschaftlichen Qualität des Handelns zu formulieren. Rupert Graf Strachwitz hat vor diesem Hintergrund »Kriterien einer guten Zivilgesellschaft« zusammengefasst: Auszugehen ist vom Prinzip der zivilgesellschaftlichen Selbstorganisation, das sich aus dem Verständnis des Menschen in seiner grundsätzlichen Freiheit begründet und dieses Verständnis auch auf die diese Freiheiten ermöglichende staatliche Ordnung überträgt. Daraus leiten sich der Grundsatz einer umfassenden Subsidiarität, der Respekt vor anderen Positionen und Lebensentwürfen sowie ein grundlegendes Bekenntnis zu einer pluralistischen Gesellschaft ab. In einem »gewissen Umfang sogar justitiabel« erscheinen als Kriterien ferner folgende Grundprinzipien: Menschen- und Bürgerrechte, Herrschaft des Rechts, Demokratie und kulturelle Vielfalt. Wer sich zu alldem nicht bekennen kann, wird kaum als gute Zivilgesellschaft Akzeptanz finden. Zu diesen fundamentalen Prinzipien treten weitere, die Gegenstand von Diskussionen sind. Hierzu zählen beispielsweise das Recht auf freie Assoziation, das Bekenntnis zu Transparenz und der Grundsatz der offenen Gesellschaft, wonach Akteure, die für das Gemeinwohl zu arbeiten vorgeben, der Öffentlichkeit ihre Ziele, Finanzierung und Entscheidungswege offenzulegen haben (vgl. Strachwitz 2018: 5).
3. Digitalisierung und Demokratie
Auch die Folgen der Digitalisierung unserer Kommunikationsräume sind für die Demokratie einschneidend:
»Die Digitalisierung verändert unsere Art zu kommunizieren. Während im analogen persönlichen Austausch das Gegenüber bekannt oder zumindest erkennbar ist, bietet der digitale Raum zahlreiche Möglichkeiten des anonymen und pseudonymen Austauschs. Anonymität im Netz bedeutet einerseits Wahrung des Rechts auf informelle Selbstbestimmung und Selbstschutz zur freien Meinungsäußerung. Andererseits scheint gerade im digitalen Raum die ›analoge‹ Netiquette der Kommunikation keine tragende Rolle mehr zu spielen. ›Hate Speech‹, Desinformation, Trolle und ›Fake-Profile‹ sind keine Fremdbegriffe mehr, sondern tagtägliche Realität in den sozialen Netzwerken. Wissen ist wie nie zuvor abruf- und überprüfbar, zeitgleich nehmen aber Phänomene wie Anti-Intellektualismus und Verschwörungserzählungen zu.« (Embacher/ Milovanovic/ Staiger 2021)
Zudem stellen die neuen digitalen Kommunikationspraktiken und die damit verbundenen Technologien unser bisheriges Verständnis wie auch die alltäglichen Routinen von Privatheit grundlegend in Frage. Es kommt zu einer Infiltration des digitalen Raumes mit einer stetig wachsenden Zahl von Meldungen aus bislang privaten Sphären. Doch Demokratie benötigt private Schutzräume und die Privatheitsansprüche von Individuen erfordern Demokratie und Rechtsstaat (siehe dazu den von Sandra Seubert und Paula Helm eingeleiteten Sonderschwerpunkt »Privatheit und Demokratie« im Forschungsjournal Soziale Bewegungen 2017).
4. Demokratisierung der repräsentativen Demokratie
Das Programm einer »Demokratisierung der repräsentativen Demokratie« bleibt insgesamt eine notwendige Aufgabe (ausführlich dazu Klein/ Roose/ Kuleßa 2018). Den neuen Politikfeldern der Engagement- und Demokratiepolitik kommt dabei eine wesentliche Bedeutung zu. Das mögliche Spektrum einer Demokratisierung der repräsentativen Demokratie ist breit und das Potential institutioneller Reformen im Kernbereich der Demokratie ist keineswegs erschöpft. Auch eine Reform des Parteiensystems scheint ohne Einbezug des intermediären Raums mit seinen vielfältigen zivilgesellschaftlichen Akteuren, ohne Einbezug der neueren Entwicklungen von Engagement- und Demokratiepolitik nicht vorstellbar. Politisches Lernen kann in Handlungs- und Erfahrungsbezügen zivilgesellschaftlicher Praxis, die sich ihrer Werte und Spielregeln bewusst ist und diese auch reflektiert, zur Ausbildung prodemokratischer Werte, Haltungen und Motive beitragen.
Das Leitbild der Bürgerkommune
Für die Verwaltungen insbesondere in Kommunen und Landkreisen ist es von besonderer Bedeutung, dass die jeweiligen Verwaltungsspitzen und politischen Spitzen (Oberbürgermeister und Landräte) Engagement und Partizipation ausdrücklich unterstützen. Die Kommunale Gemeinschaftsstelle KGSt in Köln hat das Leitbild der »Bürgerkommune« in diesem Zusammenhang ausdrücklich empfohlen, das in den 1990er Jahren zunächst gegenüber dem Leitbild eines »neuen Steuerungsmodells« in den Hintergrund getreten ist, das Bürgerinnen und Bürger v.a. als Kunden adressierte. Das Leitbild der »Bürgerkommune« sieht sie demgegenüber v.a. als Mitproduzenten und Mitgestalterinnen.
»Das Leitbild der Bürgerkommune muss Bestandteil eines fachbereichsübergreifenden Arbeitsprinzips sein. Entscheidend ist, dass bürgerschaftliches Engagement, Beteiligung, Transparenz und Zusammenarbeit in Netzwerken in ihren vielfältigen Ausdrucksformen und in ihrer gesamten Breite gefördert werden. Die Förderung muss als übergreifender Ansatz verstanden werden, der sowohl traditionelle Formen einbezieht als auch neue Formen ermöglicht und fördert. Zu diesen neuen Formen gehört auch E-Partizipation. Zielgruppenorientiert ausgerichtet und mit den notwendigen Kompetenzen im Web 2.0 abgesichert, ist E-Partizipation ein sinnvolles Instrument, das in Zukunft weiter an Bedeutung gewinnen wird. Die KGSt empfiehlt, entsprechende Kompetenzen und Ressourcen aufzubauen und bei jedem Beteiligungsprojekt zu prüfen, ob E-Partizipation als Bestandteil einer Multikanalstrategie eingesetzt werden kann.« (KGSt 2014; zur Bürgerkommune siehe systematisch Roß 2012)
Zufallsgenerierte Bürgerräte drohen das Wissen der organisierten Zivilgesellschaft zu verdrängen
Hohe Aufmerksamkeit bis in den Deutschen Bundestag erfährt aktuell das Modell der Bürgerräte, dass v.a. die Organisation »Mehr Demokratie« erfolgreich promoviert. Dieses auf die »Planungszelle« von Peter Dienel (1978) zurückgehende Instrument der »deliberativen Demokratie« setzt auf durch Zufallsauswahl generierte Teilnehmende, die unter Rückgriff auf bereitgestellte Expertise Handlungsempfehlungen abgeben.
Wenn aber durch die öffentliche Hand organisierte Beteiligungsprozesse lokal, regional, national oder europäisch (»Europäischer Zukunftskongress«) künftig v.a. mit solchen zufallsgeneriert besetzten Bürgerräten durchgeführt würden, drohen freilich die Stimmen und Kompetenzen einer sich vielfältig selbst organisierenden Zivilgesellschaft systematisch marginalisiert zu werden. Es kommt also auf die kluge Nutzung der Bürgerräte an, die für vieles ein geeignetes Instrument sind (Nanz/ Leggewie 2016; Roth 2020).
Der Beitrag greift in Ausschnitten zurück auf den Beitrag des Autors »Engagementpolitik und Demokratiepolitik. Ein einführender Überblick zu Entwicklungsstand und Herausforderungen der neuen Politikfelder« in Heft 1-2022 des Forschungsjournals Soziale Bewegungen, De Gruyter. Siehe auch: https://forschungsjournal.de/
Literatur
Die Literaturangaben finden sich in der PDF-Version dieses Beitrags.
Beitrag im Newsletter Newsletter Nr. 7 vom 7.4.2022
Für den Inhalt sind die Autor*innen des jeweiligen Beitrags verantwortlich.
Autor
PD Dr. Ansgar Klein ist Gründungsgeschäftsführer des Bundesnetzwerks Bürgerschaftliches Engagement (BBE), Privatdozent für Politikwissenschaften an der Humboldt-Universität zu Berlin (Lehrstuhl Politische Theorie) und Publizist. 2000-2002 wissenschaftlicher Koordinator der SPD-Bundestagsfraktion für die Enquete-Kommission »Zukunft des Bürgerschaftlichen Engagements«. Mitbegründer des 1988 gegr. Forschungsjournal Soziale Bewegungen (De Gruyter, Berlin); geschäftsführender Hg. der Buchreihen »Bürgergesellschaft und Demokratie« im Springer VS Verlag (Wiesbaden) und der Schriftenreihe des Bundesnetzwerks Bürgerschaftliches Engagement »Engagement und Partizipation in Theorie und Praxis« im Wochenschau-Verlag (Frankfurt/M.).
Kontakt: ansgar.klein@b-b-e.de
Redaktion
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