Beitrag in den Europa-Nachrichten Nr. 2 vom 22.2.2024

Christian Moos

Schriftliches Interview zum Paket zur Verteidigung der Demokratie in Europa

Inhalt

Warum ist die Richtlinie zu Interessenvertretung im Auftrag von Drittländern wichtig?
Welche konkreten Maßnahmen enthält das Paket der Europäischen Kommission zur Stärkung der Demokratie in der Europäischen Union?
Wie ist die Position Deutschlands?
Was sagen die organisierte Zivilgesellschaft und der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) zum Demokratiepaket?
Was sind Ihre konkreten Aufgaben als Berichterstatter des Demokratiepakets für den EWSA?
Autor
Redaktion

BBE Europa-Nachrichten: Warum ist die Richtlinie zu Interessenvertretung im Auftrag von Drittländern wichtig?

Christian Moos: Die Richtlinie ist Teil des Pakets zur Verteidigung der Demokratie in Europa, das die Europäische Kommission im Dezember veröffentlichte. Sie verfolgt das Ziel, die Einflussnahme von Staaten außerhalb der Europäischen Union auf die öffentliche Meinung oder auf politische Entscheidungen in Europa transparent zu machen. Das ist zunächst einmal ein begründetes, wichtiges Anliegen. Denn die EU und andere freiheitliche Demokratien stehen seit vielen Jahren unter Dauerfeuer.

Gezielte Desinformation, Hass- und Hetzkampagnen zielen darauf ab, unsere gesellschaftliche Stabilität und sowohl den innereuropäischen als auch den transatlantischen Zusammenhalt zu schwächen. Wir wissen dies spätestens seit 2016, als Russland massiven Einfluss auf die Brexit-Kampagne in Großbritannien und auf die US-Präsidentschaftswahlen genommen hat. Seitdem die russische Aggression gegen die Ukraine in einen offenen Angriffskrieg eskaliert ist, steht fest, dass Russland es auf die Zerstörung der europäischen Ordnung und die Wiedererrichtung einer hegemonialen Stellung zumindest in Mittelosteuropa absieht.

Es ist aber nicht nur russischer Einfluss, der unsere Demokratien zu schwächen sucht. Auch China und eine Reihe weiterer autoritärer Staaten, zu denen leider auch formal mit dem Westen Verbündete wie das Nato-Mitglied Türkei gehören, wollen eine andere Welt- oder zumindest Regionalordnung. Sie befördern dieses Interesse teils verdeckt und mit langem Atem wie China, teils auf offen aggressive Weise wie seit spätestens 2014 und eigentlich schon 2007 Russland. Wir haben es nach der Zeitenwende von 1989/1991 mit revisionistischen Mächten zu tun, die die bestehende Ordnung in Frage stellen. Das erinnert leider an die Zwischenkriegszeit, als Deutschland, Italien und Japan die Nachkriegsordnung zerstörten. Ähnlich wie auch in den 1930er Jahren sind gegenwärtig die Demokratien in der Welt auf dem Rückzug. Dreiviertel der Weltbevölkerung leben in autoritär regierten Staaten, und die verbleibenden freiheitlichen Demokratien werden auch von innen angegriffen.

Es ist deshalb sehr gut, dass die Kommission die mit diesen Entwicklungen verbundenen Gefahren ernst nimmt und unsere Widerstandskraft auch im Informationsraum zu stärken sucht. Das Problem ist nur, dass die vorgeschlagene Richtlinie ihren an und für sich gutzuheißenden Zweck nicht erfüllt, dafür aber schwere Kollateralschäden für die organisierte Zivilgesellschaft drohen. Das ist umso fataler, als die Zivilgesellschaft zusammen mit freien Medien und einer unabhängigen Justiz bereits heute auch in vielen EU-Staaten unter großem Druck steht.

BBE Europa-Nachrichten: Welche konkreten Maßnahmen enthält das Paket der Europäischen Kommission zur Stärkung der Demokratie in der Europäischen Union?

Christian Moos: Das Paket besteht aus einer Mitteilung, Empfehlungen an die Mitgliedstaaten, der genannten Richtlinie und einer eher technischen Verordnung. Die Empfehlungen betreffen inklusive und stabile Wahlverfahren sowie die Mitwirkung und Beteiligung von Bürgerinnen und Bürgern und Organisationen der Zivilgesellschaft an demokratischen Prozessen.

BBE Europa-Nachrichten: Wie ist die Position Deutschlands?

Christian Moos: Nach meinen bisherigen Informationen nimmt Deutschland die Sorgen der Zivilgesellschaft sehr ernst und führt diese auch kritisch im Rat an. Das liegt also auf einer Linie mit unserer Kritik an der Richtlinie. Darüber hinaus scheint bei der Bundesregierung die Sorge zu bestehen, dass eine europäische Harmonisierung eigene Integritäts- und Transparenzbemühungen unterlaufen oder duplizieren könnte, was zu unnötiger Bürokratie führen würde. Letztere Sorge teilen wohl mehrere Mitgliedstaaten, die bereits Transparenzvorschriften für Lobbying haben.

BBE Europa-Nachrichten: Was sagen die organisierte Zivilgesellschaft und der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) zum Demokratiepaket?

Christian Moos: Noch arbeiten wir im EWSA an unserer Stellungnahme. Es zeichnet sich aber ab, dass wir besonders den Richtlinienvorschlag sehr kritisch sehen oder sogar rundheraus ablehnen. Die Richtlinie beinhaltet sehr vage Begriffe, was für wenig Rechtsklarheit und Rechtssicherheit sorgt. Sie bietet denjenigen, die üble Absichten haben und ihren schädlichen Einfluss geltend machen wollen, viel zu viele Schlupflöcher. Und gleichzeitig, das ist das Schlimmste, stigmatisiert sie Organisationen der Zivilgesellschaft, wenn diese finanzielle Mittel aus dem nichteuropäischen Ausland erhalten.

Ich habe überhaupt kein Verständnis dafür, dass die Kommission das nicht erkennt. Die Kommission selbst hat die sogenannten Ausländische-Agenten-Gesetze, wie sie etwa Ungarn nach russischem Vorbild verabschiedet hat, laut und deutlich kritisiert. Völlig zurecht. Nun ähnelt die Richtlinie solchen Freiheitsberaubungsgesetzen aber auf fatale Weise. Denn sie betrifft nicht nur Interessenwahrnehmung im Auftrag von Drittstaaten wie Russland, sondern eben auch Norwegen, der Schweiz, Kanada oder den Vereinigten Staaten. Besonders letztere sind und waren in Mittelosteuropa mit vielfältigen Demokratieförderprogrammen aktiv. Genau gegen diese Förderung einer offenen Gesellschaft richten sich die Gesetzgebungen über ausländische Agenten. Der ungarische Diktator Viktor Orbán kann sich nun auf Brüssel berufen, weil die Kommission selbst ein vergleichbares Gesetz auf den Weg bringt. Das ist für die Zivilgesellschaft, die sich der Gleichschaltung widersetzt, verheerend.

Selbst wenn dies einer differenzierten juristischen Betrachtung nicht standhält, bleibt die Vorlage politisch missbrauchsanfällig, zumal wegen der unbestimmten Rechtsbegriffe. Was ist Interessenvertretung? Wer ist überhaupt betroffen? Die entscheidende Frage ist, wie die Kommission eine Umgehung der Richtlinienbestimmungen vermeiden will. Die Schlupflöcher sind groß wie ein Scheunentor. Der Kreml beauftragt doch nicht transparent eine bestimmte Organisation, Interessen in seinem Namen wahrzunehmen. Wieso soll Transparenz nur für die Vertretung von Interessen gelten, die für Drittstaaten wahrgenommen werden?

Ich kann noch nicht mit Sicherheit sagen, dass der EWSA eine umfassende europäische Integritäts- und Transparenz Rechtsetzung fordern wird, wie sie etwa Civil Society Europe und Transparency International vorschlagen. Ich persönlich werde mich aber dafür einsetzen. Dann kann niemand diskriminiert oder stigmatisiert werden. Klare Regeln für alle, die Interessen vertreten. Interessenvertretung ist legitim und wichtig. Es gibt aber keinen berechtigten Grund, diese verdeckt durchzuführen. Ein umfassendes Transparenzgebot macht auch deshalb Sinn, weil auswärtiger Einfluss auch indirekt erfolgen kann. Zudem hat die Mehrzahl der EU-Mitgliedstaaten bereits entsprechende nationale Regelungen oder bereitet diese aktuell vor.

Ich gehe in jedem Fall davon aus, dass es einen großen Konsens bei den im EWSA vertretenen Sozialpartnern und Organisationen der Zivilgesellschaft gibt, dass der Vorschlag viel zu spät kommt. Er wäre auch schon im Frühjahr vergangenen Jahres sehr spät gewesen. Denn die legislativen Bestandteile des Pakets müssen ja noch von Parlament und Rat verabschiedet werden. Und auch die Empfehlungen kommen wenige Monate vor den Europawahlen, die vom 6. bis 9. Juni in den 27 EU-Mitgliedstaaten stattfinden, eigentlich zu spät. Hintergrund des Vorhabens war ja eben, insbesondere die befürchtete massive unfreundliche Einflussnahme von Drittstaaten auf die Europawahlen zu konterkarieren.

Was die Empfehlungen an die Mitgliedstaaten angeht, sind diese weitgehend begrüßenswert. Schade ist nur, dass die Kommission die Chance vergeben hat, in ihrer Mitteilung auch positive Aussagen zu einem europäischen Wahlrecht und einer Stärkung der Demokratie auf europäischer Ebene zu treffen. Die Konferenz zur Zukunft Europas hatte hierzu Empfehlungen ausgesprochen, das Europäische Parlament im vergangenen Herbst konkrete Reformvorschläge gemacht. Ebenso fehlt es hinsichtlich der Mitwirkung an Konkretisierung. Insbesondere wäre es wünschenswert, ja notwendig gewesen, dass die Kommission mehr dazu sagt, wie ein strukturierter Dialog mit der organisierten Zivilgesellschaft aussehen soll und dies vor allem auf europäischer Ebene.

BBE Europa-Nachrichten: Was sind Ihre konkreten Aufgaben als Berichterstatter des Demokratiepakets für den EWSA?

Christian Moos: Meine Aufgabe als Hauptberichterstatter besteht darin, gemeinsam mit meinem Co-Berichterstatter José Antonio Moreno Diaz, der ein spanischer Menschenrechtsanwalt ist, die Stellungnahme des EWSA vorzubereiten. Wir werden dabei von zwei hervorragenden jungen Sachverständigen, Julian Plottka von der Universität Passau und Koldo Casla von der University of Essex, unterstützt.

Unser Entwurf der Stellungnahme wird in mehreren Schritten im Ausschuss beraten und schließlich im Frühjahr im Plenum des Ausschusses verabschiedet. Es hat bereits eine Anhörung im Ausschuss stattgefunden, an der unter anderem Civil Society Europe, das European Civic Forum sowie Transparency International teilgenommen haben. Unsere Aufgabe als Berichterstatter ist es weiterhin, die Sicht des EWSA in Gesprächen mit Kommission, befassten EU-Abgeordneten und gegebenenfalls auch den zuständigen Ratsarbeitsgruppen zu vertreten. Das ist unsere Rolle als beratendes EU-Organ.


Beitrag im Newsletter Nr. 2 vom 22.2.202
Für den Inhalt sind die Autor*innen des jeweiligen Beitrags verantwortlich.

Zurück zum Newsletter


Autor

Christian Moos ist Beauftragter des BBE-Sprecher*innenrates für Europäische Angelegenheiten. Er ist seit 2011 Generalsekretär der überparteilichen Europa-Union Deutschland (EUD), seit 2012 Mitglied des Vorstands der Europäischen Bewegung Deutschland (EBD) und seit 2015 Mitglied des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses (EWSA) und dessen Berichterstatter des Demokratiepaktes.

Kontakt: christian.moos@b-b-e.de

Web: www.b-b-e.de/themenfelder/europa/christian-moos/


Redaktion

BBE-Newsletter für Engagement und Partizipation in Deutschland

Bundesnetzwerk Bürgerschaftliches Engagement (BBE)
Michaelkirchstr. 17/18
10179 Berlin

Tel.: +49 30 62980-130

newsletter@b-b-e.de www.b-b-e.de

Zum Seitenanfang