Beitrag in den Europa-Nachrichten Nr. 10 vom 12.11.2020

Die europäische Dimension:
Jugendpolitik, EU-Jugendstrategie (2019-2027) und Jugendbeteiligung

Christine Maevis / Marlene Kremer (JUGEND für Europa)

Inhalt

EU-Jugendstrategie (2019-2027)
Die europäische Dimension der Jugendbeteiligung
Europäische Jugendziele
Maßnahmen und Instrumente: Erasmus+ JUGEND IN AKTION und Europäisches Solidari-tätskorps
Endnoten
Autorinnen
Redaktion

Die Beteiligung junger Menschen an politischen und gesellschaftlichen Prozessen ist ein Thema, das im europäischen Kontext in den vergangenen Jahren stetig an Bedeutung ge-wonnen hat und sich in der jugendpolitischen Zusammenarbeit der EU-Mitgliedstaaten an vielen Stellen widerspiegelt. Wir möchten in diesem einleitenden Beitrag einen Überblick über die Beteiligung junger Menschen am demokratischen Leben in Europa geben, indem wir dieses Thema in einen größeren jugendpolitischen Kontext stellen und darlegen, wie Maßnahmen und Instrumente der europäischen Jugendpolitik Partizipation fördern und stärken möchten.

EU-Jugendstrategie (2019-2027)

Grundlegend formuliert bereits der Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union die Partizipation junger Menschen als ein Ziel der jugendpolitischen Zusammenarbeit im Rahmen der Europäischen Union. So heißt es in Art. 165 (2): »Die Tätigkeit der Union hat folgende Ziele: […] verstärkte Beteiligung der Jugendlichen am demokratischen Leben in Europa«.

Ein Meilenstein zur Umsetzung dieser vertraglichen Aufforderung bildet die EU-Jugendstrategie (2019-2027), mit der die EU-Mitgliedstaaten die Eckpunkte ihrer jugendpolitischen Zusammenarbeit festlegen. Der Rat hat die EU-Jugendstrategie am 26. November 2018 unter dem Titel »Entschließung des Rates der Europäischen Union und der im Rat vereinigten Vertreter der Regierungen der Mitgliedstaaten über einen Rahmen für die jugendpolitische Zusammenarbeit in Europa: Die Jugendstrategie der Europäischen Union 2019-2027«[1] beschlossen. Für den Zeitraum bis 2027 definiert die Entschließung des Rates Ziele, Arbeitsprinzipien, Schwerpunkte, Aktionsbereiche und Maßnahmen der europäischen jugendpolitischen Zusammenarbeit.

Die EU-Jugendstrategie baut auf dem Verständnis auf, dass junge Menschen eine zukunftsrelevante und gestaltende Rolle für die EU und ihre Mitgliedstaaten haben. Gleichzeitig wird gesehen, dass sie in der heutigen Zeit komplexen Anforderungen und Unsicherheiten – wie hoher Arbeitslosigkeit trotz guter Bildung, Digitalisierung, Desinformation und antidemokratischen Tendenzen – gegenüberstehen. Die EU-Jugendstrategie soll die Jugend und die Jugendpolitik darin unterstützen, diese Herausforderungen positiv zu gestalten. Alle jungen Menschen sollen in die Lage versetzt werden, Architekt/-innen ihres eigenen Lebens zu sein und zu einem positiven Wandel in der Gesellschaft beizutragen.

Mit den Handlungsfeldern Beteiligung (Engage), Begegnung (Connect), Befähigung (Empower) formuliert die EU-Jugendstrategie drei Kernbereiche der jugendpolitischen Zusammenarbeit der EU-Mitgliedstaaten.

Die europäische Dimension der Jugendbeteiligung

Im Kernbereich Beteiligung wird die Partizipation junger Menschen als ein zentraler Aspekt der Zusammenarbeit im Jugendbereich definiert und somit mit einem besonderen Gewicht ausgekleidet. Hier soll mit der EU-Jugendstrategie »eine sinnvolle gesellschaftliche, wirtschaftliche, soziale, kulturelle und politische Partizipation junger Menschen« befördert werden. Zugeordnet sind hier Aspekte wie die Stärkung einer inklusiven demokratischen Partizipation und einer aktiven Beteiligung an politischen Gestaltungsprozessen, die Umsetzung des neuen EU-Jugenddialogs (vorher Strukturierter Dialog) und die Entwicklung von Erfahrungs- und Lerngelegenheiten für Partizipation. Dabei ist gewünscht, insbesondere auch digitale sowie inklusive Formate der demokratischen Beteiligung weiterzuentwickeln.

Das Thema Beteiligung junger Menschen stellt aber zugleich auch ein Querschnittsthema dar, das sich als Leitgedanke durch die gesamte EU-Jugendstrategie zieht. So wird unter anderem das Ziel vorangestellt, junge Menschen zu ermutigen und zu befähigen, sich als aktive und solidarische Bürger/-innen für einen positiven Wandel einzusetzen. Zudem stellt die Teilhabe junger Menschen eines der Leitprinzipien der europäischen Jugendpolitik und aller im Rahmen der EU-Jugendstrategie durchgeführten Maßnahmen dar: »in Anerkennung des Potenzials, dass [sic] alle jungen Menschen der Gesellschaft zu bieten haben, sollten alle politischen Maßnahmen und Tätigkeiten in Bezug auf junge Menschen ihrem Recht Rechnung tragen, im Wege einer substanziellen Teilhabe von jungen Menschen und Jugendorganisationen an der Entwicklung, der Umsetzung und der Nachbereitung von sie betreffenden politischen Maßnahmen teilzuhaben.«

Europäische Jugendziele

Ferner bekräftigen die Europäischen Jugendziele (European Youth Goals), die als Anhang zur EU-Jugendstrategie verabschiedet wurden, den Stellenwert von Jugendbeteiligung auch unter jungen Menschen selbst. Diese 11 Europäischen Jugendziele beschäftigen sich mit Themen und Herausforderungen, die vielen jungen Menschen in Europa wichtig sind. Sie wurden in einem partizipativen Prozess von Jugendlichen aus ganz Europa gemeinsam im Dialog mit politischen Verantwortlichen erarbeitet und sollen Politik und Verwaltung auf allen Ebenen als Anregung dienen, um Politik im Sinne junger Menschen zu gestalten. Damit sind die Europäischen Jugendziele zum einen ein Beispiel für die aktive Einbindung junger Menschen in politische Prozesse, zum anderen können sie als Inspiration für die Beteiligung junger Menschen dienen, wenn es um ihre Verwirklichung geht. Sie bieten anschauliche und jugendrelevante Ideen für Projekte, mit denen junge Menschen selbst oder Träger der Jugendarbeit einen direkten Zugang sowohl zu europäischen Aktivitäten als auch zu (europäischer) Jugendpolitik erhalten. Das Europäische Jugendziel Nr. 9 »Räume und Beteiligung für alle« nimmt das Thema Beteiligung sogar eigens auf.

Maßnahmen und Instrumente: Erasmus+ JUGEND IN AKTION und Europäisches Soli-daritätskorps

Zur Umsetzung der EU-Jugendstrategie benennt diese unterschiedliche Maßnahmen und Instrumente, unter anderem die EU-Jugendprogramme Erasmus+ JUGEND IN AKTION und Europäisches Solidaritätskorps. Damit wirkt sich der partizipative Leitgedanke der EU-Jugendstrategie auch auf die EU-Jugendprogramme aus; eine Verbindung, die sich in den legislativen Vorschlägen für die kommende Programmgeneration 2021-2027 konkret niederschlägt. So soll die Befähigung junger Menschen zur Partizipation in demokratischen Gesellschaften zu einem zentralen Ziel der neuen Programmgeneration von Erasmus+ JUGEND IN AKTION werden. Insbesondere der Jugendbereich kann und soll dazu beitragen, junge Menschen mit den nötigen Kompetenzen für politische und gesellschaftliche Beteiligung und aktive Bürgerschaft auszustatten. Auch Europa soll dabei in den Blick genommen werden, europäisches Bewusstsein entwickelt und die Beteiligung junger Menschen auf europäischer Ebene gestärkt werden. Praktisch schlägt sich das vor allem in der Einführung des neuen Formats »Jugendpartizipationsprojekte« nieder. Aber auch schon das laufende Programm Erasmus+ JUGEND IN AKTION (2014-2020) weist der aktiven Beteiligung junger Menschen sowohl auf der Ebene der Programmziele als auch der einzelnen Maßnahmen eine zentrale Rolle zu. So benennt das Programmhandbuch 2020 für den Bereich Jugend die Förderung der Beteiligung am demokratischen Leben in Europa als ein spezifisches Ziel des Programms.

Für die Ebene der Maßnahmen verdeutlichen die Ausführungen zu Projekten des EU-Jugenddialogs im Rahmen der Leitaktion 3 den Stellenwert der Jugendbeteiligung besonders. Diese Projekte sollen die aktive Beteiligung junger Menschen am demokratischen Leben fördern, Diskussionen zu den Aktionsbereichen und Themen der EU-Jugendstrategie und den Europäischen Jugendzielen unterstützen und den Dialog zwischen Jugendlichen und politisch Verantwortlichen anregen. Dabei soll der EU-Jugenddialog sicherstellen, dass die Positionen und Forderungen junger Menschen zu Themen der europäischen Jugendpolitik Gehör finden. Im Austausch mit politischen Entscheidungsträger/-innen bringen Jugendliche ihre Anliegen vor, die dann von der Politik aufgenommen bzw. diskutiert werden.

Im EU-Programm Europäisches Solidaritätskorps wird der Partizipationsgedanke stark mit dem Konzept von Solidarität verknüpft. Die übergeordneten Ziele des Programms, die Förderung des Engagements junger Menschen und Organisationen, um den sozialen Zusammenhalt, Solidarität und Demokratie in Europa zu stärken, und das besondere Augenmerk auf die Förderung der sozialen Inklusion, sollen auch in der kommenden Programmgeneration unverändert bleiben. Der Anspruch lautet weiterhin, eine zentrale Anlaufstelle für solidarische Aktivitäten zu bieten und im Einklang mit den Zielen der EU-Jugendstrategie junge Menschen dazu anzuregen, sich z. B. in Freiwilligenaktivitäten im Ausland und selbstorganisierten Solidaritätsprojekte in Deutschland als aktive, solidarische Bürger/ -innen für einen positiven Wandel der Gesellschaften in ganz Europa einzusetzen.

Die beschriebenen Ansätze und Ziele der Beteiligung junger Menschen in den EU-Jugendprogrammen zeigen, dass es nicht die eine Form von Partizipation gibt, sondern das Konzept unterschiedliche Verständnisse von Beteiligung umfasst. Und so enthalten auch die EU-Jugendstrategie (2019-2027), die Europäischen Jugendziele und die EU-Jugendprogramme Erasmus+ und Europäisches Solidaritätskorps bisher keine spezifische Definition von Jugendbeteiligung, sie weisen jedoch in eine bestimmte Richtung.

Diese nimmt die im September 2020 von SALTO Participation & Information Resource Centre (SALTO PI) veröffentliche »Jugendbeteiligungsstrategie - Strategie zur Förderung von Jugendbeteiligung am demokratischen Leben durch die Programme Erasmus+ und Europäisches Solidaritätskorps«[2] auf. Sie stellt zwei Arten von Jugendbeteiligung am demokratischen Leben vor, die eng miteinander verbunden sind: Beteiligung, um der Jugend eine Stimme zur Mitwirkung in Entscheidungen zu geben und Jugendbeteiligung im Rahmen von zivilem Engagement und Aktivismus. Beides soll im Rahmen der europäischen Jugendpolitik und insbesondere durch die EU-Jugendprogramme gefördert werden. Dazu hat die Jugendbeteiligungsstrategie eine Definition von Jugendbeteiligung am demokratischen Leben erarbeitet, die zum Kontext der Programme passt: »Bei Jugendbeteiligung am demokratischen Leben geht es darum, dass einzelne junge Menschen und Gruppen junger Menschen das Recht, die Mittel, den Raum, die Gelegenheit und wenn nötig die Unterstützung haben, ihre Ansichten frei zum Ausdruck zu bringen, zur gesellschaftlichen Entscheidungsfindung in Angelegenheiten, die sie betreffen, beizutragen und diese zu beeinflussen sowie sich aktiv am demokratischen und bürgerschaftlichen Leben unserer Gemeinschaften zu beteiligen. «[3]

Die Jugendbeteiligungsstrategie richtet sich an Stakeholder, die bei der Unterstützung der Umsetzung der EU-Jugendprogramme eine Rolle spielen und möchte dazu beitragen, das volle Potential der Programme Erasmus+ und Europäisches Solidaritätskorps für Jugendbeteiligung auszuschöpfen. Dazu soll in einem nächsten Schritt unter anderem ein Handbuch zum Thema Jugendbeteiligung für Praktiker/ -innen veröffentlicht werden, um auch die konkrete Projektarbeit vor Ort in diesem Bereich zu unterstützen. Bestehende, praktische Angebote zum Thema Jugendbeteiligung sind beispielsweise das Portal Participation Pool[4] (SALTO PI) und die Youth Goals Toolbox«[5], die sich spezifisch mit den Europäischen Jugendzielen befasst.


Endnoten

[1] Entschließung über die Jugendstrategie der Europäischen Union 2019-2027 (29.11.2018): https://www.jugendpolitikineuropa.de/downloads/4-20-3999/eu_justrat2019_de_rat.pdf

[2] JUGEND für Europa (27.10.2020): Europäische Strategie veröffentlicht zur Förderung von Jugendbeteiligung in Erasmus+ JUGEND IN AKTION und Europäisches Solidaritätskorps (2021-2027): https://www.jugendfuereuropa.de/news/10999-europaeische-strategie-veroeffentlicht-zur-foerderung-von-jugendbeteiligung-in-erasmus-jugend-in-aktion-und-europaeisches-solidaritaetskorps-2021-2027/

[3] JUGEND für Europa (27.10.2020): Europäische Strategie veröffentlicht zur Förderung von Jugendbeteiligung in Erasmus+ JUGEND IN AKTION und Europäisches Solidaritätskorps (2021-2027)

[4] Participation Pool (SALTO PI): https://participationpool.eu/

[5] Youth Goals Toolbox: https://youth-goals.eu/downloads


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Christine Maevis ist Fachreferentin Europäische Jugendpolitik im Referat Grundsatzfragen bei JUGEND für Europa.
Kontakt: maevis@jfemail.de

Marlene Kremer ist Programmreferentin bei JUGEND für Europa. Dort arbeitet sie zum Thema: Förderung europäischer Jugendprojekte.
Kontakt: kremer@jfemail.de

Weitere Informationen: https://www.jugendfuereuropa.de/


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