Beitrag in den Europa-Nachrichten Nr. 10 vom 12.11.2020

Befähigung zur Beteiligung: Jugend als Agenda-Setter im Projekt #EngagEUrCouncil

Dr. Funda Tekin/ Jana Schubert/ York Albrecht

Inhalt

Lösungsorientiertes Projektdesign: Befähigung zur Beteiligung
Ausblick
Endnoten
Autor*innen
Redaktion

Die EU-Institutionen sind sich einig: Junge EU-Bürger:innen sollen besser in politische Prozesse integriert werden. [1] Im Jahr 2019 sind junge Menschen mit ihrem Engagement beispielsweise für Klimaschutz, Internetkultur oder Seenotrettung und Unterstützung von Geflüchteten europaweit als Agenda-Setter:innen besonders in Erscheinung getreten. Gleichzeitig muss einerseits hervorgehoben werden, dass die Interessen und Anliegen Jugendlicher ähnlich divers sind wie sie selbst. Schüler:innen, Studierende oder Auszubildende haben sowohl individuelle als auch gruppenspezifische Bedürfnisse, die auch in Verbindung mit ihrer staatsbürgerschaftlichen Identität stehen. Während beispielsweise junge Menschen aus Slowenien den EU-Beitritt ihres Landes 2004 als prägendes Ereignis erlebt haben können, sind jungen Portugies:innen womöglich besonders die Folgen der Eurozonenkrise mit hoher Jugendarbeitslosigkeit in Erinnerung. Es zeigt sich bei den Anliegen, für die sich junge Europäer:innen einsetzen und demonstrieren, aber auch, dass es sich häufig nicht um eigene Partikularinteressen im Sinne einer etwa auf Bildungsfragen fokussierten »Jugendpolitik« handelt. Jugendliche fordern viel mehr aktiv eine Berücksichtigung ihrer Interessen bei den großen Herausforderungen des 21. Jahrhunderts ein: Klimaschutz, Migration oder Digitalisierung.

Aus diesen beiden Gedanken folgt, dass weder von »der Jugend« im Sinne einer einheitlich bestimmbaren Zielgruppe noch von einer eng abgegrenzten »Jugendpolitik« gesprochen werden sollte. Stattdessen sollten politische Entscheidungsträger:innen, Jugendverbände und Wissenschaftler:innen die themenspezifischen Anliegen Jugendlicher als relevante Perspektiven in demokratischen Aushandlungsprozessen an- und ernstnehmen. [2] Dieses Verständnis von »junger« Partizipation – in Abgrenzung zur bloßen Meinungsabfrage – liegt dem zweijährigen Projekt #EngagEUrCouncil zugrunde, das vom Institut für Europäische Politik e.V. (IEP) im Januar 2020 initiiert wurde. [3]

Lösungsorientiertes Projektdesign: Befähigung zur Beteiligung

Ziel von #EngagEUrCouncil ist es, junge Menschen aus Deutschland, Portugal und Slowenien anlässlich der Triopräsidentschaft der drei Länder im Rat der Europäischen Union zu vernetzen und politische Ideen – so genannte Youth Ideas – zu erarbeiten, die konkret an Entscheidungsträger:innen adressiert werden. Dabei versucht das Projekt, bekannten Herausforderungen von Jugendpartizipationsprojekten[4] lösungsorientiert und aktiv zu begegnen.

So haben Initiativen zur Jugendbeteiligung häufig das Problem, dass in der Akquise von Teilnehmenden keine zufriedenstellende Repräsentativität gewährleistet werden kann. Oft sind es – besonders im europapolitischen Bereich – gut ausgebildete und bereits in anderen Verbänden organisierte Jugendliche, die erreicht werden. So machen beispielsweise viele Studierende positive Erfahrungen über das Erasmus+-Austauschprogramm, während deutlich weniger Auszubildende mobilisiert werden können, [5] sodass europapolitisches Interesse und Bereitschaft zur Beteiligung unterschiedlich verteilt sein kann. #EngagEUrCouncil versucht hier, die angestrebte Repräsentativität der Teilnehmenden kontinuierlich zu verbessern, indem mit verschiedenen Netzwerken und Schulen kooperiert wird.

Eine zweite Herausforderung für Partizipationsprojekte mit Jugendlichen ist, wie die Formate inklusiver gestaltet werden können. So steht z.B. der Strukturierte Dialog der EU, der Jugendliche in den Austausch mit Entscheidungsträger:innen über für sie relevante Themen bringen soll, in der Kritik: Er sei auf europäischer Ebene durch die Vorauswahl von Themen und Teilnehmenden mehr »top-down« gestaltet und wirke eher wie eine Meinungsabfrage, anstatt Mitgestaltungsmöglichkeiten zu bieten. [6] #EngagEUrCouncil setzt hier mit einer ganzheitlichen Strategie an, deren Kern die Befähigung der Teilnehmenden ist: Sie sollen nicht einfach »jugendpolitische« Themen bearbeiten, sondern vielmehr ihre Perspektive zu aktuellen europapolitischen Themen zur Diskussion bringen und im Projektverlauf in konkrete Umsetzungsideen transformieren. Anstatt diffuser, von aktuellen politischen Agenden losgelöste Forderungen formulieren Jugendliche so klar adressierbare Umsetzungsstrategien, mit denen sie über ihre Rolle als Agenda-Setter:innen hinaus zu Agenda-Gestalter:innen in europapolitischen Prozessen werden können. Wichtigste Voraussetzung hierfür ist eine informationsbasierte Diskussion, für die den Teilnehmenden detaillierte und zielgruppengerecht aufbereitete Informationsmaterialen zu EU-Ratspräsidentschaften und Politikbereichen wie Klima-, Handels- oder Außenpolitik zur Verfügung gestellt werden. Zudem integriert das Projekt (Nachwuchs-)Expert:innen aus Wissenschaft und Praxis, die den Teilnehmenden zum niedrigschwelligen Austausch und bei der Ausarbeitung eigener Ideen zur Seite stehen.

Die Bedingungen der COVID-19-Pandemie hat Auswirkungen auf die Art und Weise, wie Jugendliche ihre Ideen gemeinsam diskutieren und gezielt an ihre Adressat:innen übermitteln können. Somit wurde eine kurzfristige Umstrukturierung auch im Projekt erforderlich, wobei Präsenzworkshops durch digitale Kollaborationsmöglichkeiten ersetzt wurden. Herzstück des Ideenerarbeitungsprozesses ist nun ein so genannter Virtual Think Tank, der die Teilnehmenden durch verschiedene Phasen von ersten Einfällen über deren Ausarbeitung zu ausformulierten Ideen, die Entscheidungsträger:innen überzeugen sollen, begleitet. Die Befähigung von Jugendlichen schließt zuletzt auch die Förderung gewählter Rapporteur:innen ein, die stellvertretend für die Teilnehmenden die finalen Youth Ideas einem breiteren Publikum und Stakeholdern präsentieren. Flankiert wird die Jugendbefähigung einerseits durch die Einbettung von #EngagEUrCouncil in das Format der Trio-Ratspräsidentschaft Deutschlands, Portugals und Slowenien, die eine wichtige Agenda-Setting-Funktion für die Europäische Union einnimmt, und somit die Einspeisung der Youth Ideas in den politischen Prozess durch die Verknüpfung mit einem konkreten politischen Anlass erleichtert. Andererseits wird eine nachhaltige Vernetzung der Teilnehmenden angestrebt, die jedoch durch die Pandemie-Auswirkungen und die digitale Durchführung des Projektes eine besondere Herausforderung für die Zukunft darstellt. So zeigen beispielsweise die Aktivitäten von „Fridays for Future“ während der Pandemie, dass Jugendliche nicht nur partizipationswillig bleiben, sondern mit Protestformen über soziale Netzwerke weiterhin Aufmerksamkeit generieren und die Beteiligungsmöglichkeiten digital sogar niedrigschwelliger sein können. [7] Dennoch bleiben persönlicher Austausch oder Druck von Demonstrationen auf der Straße wichtige Bestandteile demokratischer Willensbildung, weshalb im Rahmen von #EngagEUrCouncil Vernetzungstreffen geplant sind, wenn Kontakt- und Reisebeschränkungen einmal der Vergangenheit angehören.

Eine dritte Herausforderung für Jugendbeteiligungsprojekte ist der Umstand, dass häufig erarbeitete Forderungen oder Ideen von Entscheidungsträger:innen zwar zur Kenntnis genommen werden, eine nachhaltige Wirkung jedoch ausbleibt. Neben der Befähigungskomponente, die Teilnehmenden relevantes Wissen über die Europäische Union, Ratspräsidentschaften und spezifische Politikbereiche vermittelt, liegt ein besonderes Augenmerk des Projektes auf der Stärkung teilhabespezifischer Soft Skills wie Verhandlungs- und Präsentationstechniken. So sollen die Teilnehmenden einerseits selbst als Multiplikator:innen die erarbeiteten Ideen in ihr soziales Umfeld – beispielsweise über Social Media-Kanäle – hineintragen. Andererseits werden die gewählten Rapporteur:innen »bottom-up« als Gesichter des Projekts in relevante Formate eingebunden, beispielsweise in die vor Wechseln in der Ratspräsidentschaft stattfindenden »Pre-Presidency Conferences« der Trans-European Policy Studies Association (TEPSA), deren Mitglied das IEP ist, oder bei einem Diskussionsforum mit Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier. [8] Aus institutioneller Sicht bietet auch die aufgrund der COVID-19-Pandemie vertagte Konferenz zur Zukunft Europas Spielraum, die Youth Ideas wirkungsvoll in den politischen Prozess auf europäischer Ebene einzuspeisen. Wichtig für #EngagEUrCouncil wird bleiben, eine nachhaltige Vernetzung der Teilnehmenden zu fördern und ihnen andere europapolitische Netzwerke und Initiativen näher zu bringen, bei denen sie ihre Bereitschaft zur Beteiligung weiter einbringen können.

Ausblick

Zum Stand Ende Oktober 2020 ist ein Projektzyklus von #EngagEUrCouncil zur deutschen Ratspräsidentschaft abgeschlossen, [9] während sich ein zweiter Zyklus zur portugiesischen Ratspräsidentschaft kurz vor der Vollendung befindet, sodass eine zweite Ausgabe der Youth Ideas Ende November 2020 im Rahmen einer virtuellen Pre-Presidency Conference in Lissabon einem breiten Publikum vorgestellt wird.[10] 2021 wird dann die slowenische Ratspräsidentschaft in den Fokus rücken.

Es kann festgehalten werden, dass sich die pandemiebedingte Umstellung auf digitale Formate und die Nutzung des Virtual Think Tanks bewährt hat und die Teilnehmenden auch ohne persönliche Treffen vor Ort befähigt werden, aus ersten Vorschlägen konkret an politische Entscheidungsträger:innen adressierbare Ideen zur Zukunft Europas zu erarbeiten. Pandemie, Reise- und Kontaktbeschränkungen scheinen die jungen Engagierten nicht abzuhalten, gemeinsam die Zukunft Europas weiterzudenken – eher im Gegenteil. Der starke Fokus des Projekts auf die Befähigung der Jugendlichen zur informierten Debatte bietet zudem den nachhaltigen Vorteil, die in der medialen Berichterstattung oft wenig thematisierten Ratspräsidentschaften als relevantes Politikereignis der Europäischen Union verstehen und nachverfolgen zu können.

Für #EngagEUrCouncil wird es im weiteren Projektverlauf von großer Bedeutung sein, nicht nur die nachhaltige Vernetzung der Teilnehmenden weiter zu fördern, sondern auch durch die wissenschaftliche Begleitung und Auswertung des Projekts Erkenntnisse zu gewinnen, wie junge Europäer:innen ihre Perspektive auf aktuelle Themen fruchtbar, nachhaltig und wirkungsvoll in europäische Entscheidungsprozesse einbringen können. Ob die Europäische Union dringenden Herausforderungen der Zukunft etwa in der Bekämpfung der Auswirkungen der COVID-19-Pandemie und des Klimawandels begegnen kann, hängt auch von ihrer Fähigkeit ab, zukunftsgerichtete Politik zu betreiben. Hierfür muss einerseits die Union bessere Voraussetzungen zur Integration und Teilhabe junger Menschen schaffen, andererseits sind auch junge EU-Bürger:innen gefordert, sich mit ihren Interessen, Stärken und Kompetenzen noch stärker zu beteiligen.


Endnoten

[1] Europäische Kommission: Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen. Beteiligung, Begegnung und Befähigung: eine neue EU-Strategie für junge Menschen, 22.5.2018, COM(2018) 269 final.

[2] Vgl. Friederike Augustin/Jana Schubert: Vision oder Utopie? Junge Ideen für die Zukunft Europas, in: integration 2/2019, S. 149-157.

[3] Das Projekt #EngagEUrCouncil: Jugendbeteiligung und -begegnung wird gefördert durch die Stiftung Mercator. Das Projekt wird durchgeführt vom Institut für Europäische Politik e.V. (IEP) in Berlin in Kooperation mit dem Instituto Português de Relações Internacionais, Lissabon, dem Centre of International Relations, Ljubljana. Um eine europaweite Reichweite des Projekts zu garantieren, kooperiert das Projekt darüber hinaus mit der Trans European Policy Studies Association (TEPSA) in Brüssel.

[4] Vgl. Patrizia Friedrich/Frederike Hoffmann-van de Poll: Partizipation als Meinungsabfrage oder Beteiligungsmechanismus?, in: deutsche jugend 2/2019, S. 72-79.

[5] Vgl. European Commission: Erasmus+ Annual Report 2017, abrufbar unter: https://op.europa.eu/en/publication-detail/-/publication/4e5c3e1c-1f0b-11e9-8d04-01aa75ed71a1 (letzter Zugriff: 26.10.2020); Nationale Agentur beim Bundesinstitut für Berufsbildung: Mobilitätsstudie Auslandsaufenthalte in der Berufsbildung 2017, abrufbar unter: https://www.na-bibb.de/fileadmin/user_upload/na-bibb.de/Dokumente/06_Metanavigation/02_Service/Publikationen_Warenkorb/Studien_impuls/NA_Mobilitaetsstudie_WebV3_180706-2.pdf (letzter Zugriff: 26.10.2020).

[6] Friedrich/Hoffmann-van de Poll: Partizipation als Meinungsabfrage oder Beteiligungsmechanismus?, 2019, S. 75

[7] Benjamin Dierks: Wie sich Corona auf die Klimakrise auswirkt, in: Deutschlandfunk, 1.11.2020.

[8] Augustin/Schubert: Vision oder Utopie?, S. 154.

[9] Institut für Europäische Politik: Online-Workshopsstatt Seminare: Jugendbeteiligung in Zeiten von Kontakt-und Reisebeschränkungen. Abschlussbericht über den ersten Projektzyklus (03-06/2020), abrufbar unter: http://iep-berlin.de/wp-content/uploads/2020/07/EngagEUrCouncil-Projektbericht-Zyklus-1.pdf (letzter Zugriff: 30.10.2020); vgl. für die Youth Ideas des ersten Zyklus: #EngagEUrCouncil: Youth Ideas for EuropeSetting the Scene for the German EU Council Presidency, abrufbar unter: https://www.german-ppc-2020.eu/en/youthideas.html (letzter Zugriff: 3.11.2020).

[10] Abrufbar ab Ende November 2020 unter der Projektseite: http://iep-berlin.de/forschung/debatte-zur-zukunft-der-europaeischen-union/engageurcouncil-jugendbeteiligung-und-begegnung-fuer-die-trio-eu-ratspraesidentschaft/


Beitrag in den Europa-Nachrichten Nr. 10 vom 12.11.2020
Für den Inhalt sind die Autor*innen des jeweiligen Beitrags verantwortlich.

Zurück zum Newsletter


Autor*innen

Dr. Funda Tekin ist promovierte Politikwissenschaftlerin und Direktorin am Institut für Europäische Politik in Berlin

Kontakt: Funda.Tekin@iep-berlin.de
Weitere Informationen: http://iep-berlin.de/en/team/dr-funda-tekin/

Jana Schubert ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Europäische Politik in Berlin und koordiniert dort das Jugendbeteiligungsprojekt für die Trio-EU-Ratspräsidentschaft Deutschlands, Portugals und Sloweniens #EngagEUrCouncil.

Kontakt: Jana.Schubert@iep-berlin.de
Weitere Informationen: http://iep-berlin.de/blog/team/jana-schubert/

York Albrecht ist Projektassistent am Institut für Europäische Politik im Jugendbeteili-gungsprojekt für die Trio-EU-Ratspräsidentschaft Deutschlands, Portugals und Sloweniens #EngagEUrCouncil.

Kontakt: york.albrecht@iep-berlin.de
Weitere Informationen: http://iep-berlin.de/blog/team/york-albrecht/


Redaktion

BBE-Newsletter für Engagement und Partizipation in Europa

Bundesnetzwerk Bürgerschaftliches Engagement (BBE)
Michaelkirchstr. 17/18
10179 Berlin

Tel.: +49 30 62980-114

europa-bbe@b-b-e.de
www.b-b-e.de

Zum Seitenanfang