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Was sind heutzutage die bedeutendsten Herausforderungen und wie kann die Zivilgesellschaft gegen Diskriminierung ankämpfen?
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Redaktion
Was sind heutzutage die bedeutendsten Herausforderungen und wie kann die Zivilgesellschaft gegen Diskriminierung ankämpfen?
Rassismus und gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit generell sind nicht ein Problem »nur« für die davon direkt Betroffenen. Eine Demokratie, die Minderheiten und ganze Gruppen von Menschen alleine lässt, verkommt über kurz oder lang zu einer Karikatur einer Demokratie. »Demokratie« – das sind wir alle. Der Kampf gegen Menschenhass muss von uns allen geführt werden, nicht vom Staat und seinen Organen alleine.
Wie sollten wir vorgehen? In einem ersten Schritt sollte ein jeder und eine jede von uns sich selber im Auge behalten. Der Hass gegen andere Menschen hat seinen Ursprung in unseren eigenen Herzen und Köpfen. Wie denken wir über andere Menschen? Wie urteilen wir über andere Menschen? Wie stark ist unsere Neigung ausgeprägt, nach einer als negativ empfundenen Erfahrung mit einer Person auf eine ganze Gruppe von Menschen zu schließen? Machen wir uns nichts vor, die Wenigsten sind immun gegen solche Reflexe. Man sollte sich ehrlich machen, auch besonders sich selbst gegenüber. Wichtig ist, dass man sich nach einem solchen Reflex gedanklich selbst »zur Rede« stellt und das eigene Denken reflektiert.
In einem zweiten Schritt geht es darum, das eigene Verhalten im Auge zu behalten und auch kritisch zu hinterfragen. Die meisten von uns halten sich für weltoffen, reflektiert und menschenfreundlich. Aber mal ganz ehrlich: Verhalten wir uns auch alle wirklich so im Alltag? Ich kann für meinen Part jedenfalls sagen, dass ich es nicht tue, dass es in vielen Situationen eine Diskrepanz gibt zwischen meinem Anspruch an mich selbst und meinem Verhalten zuweilen. In der Theorie bin ich, wie vielleicht manch anderer auch, besser als in der Praxis.
Die nächste Hürde gilt es zu überwinden, wenn es darum geht, Stellung zu beziehen, Flagge zu zeigen, kurz: Zivilcourage zu demonstrieren. Zivilcourage zeigen ist leichter gesagt als umgesetzt. Relativ einfach ist es, auf eine Demonstration zu gehen und inmitten Hunderter oder Tausender Gleichgesinnter für oder gegen etwas zu demonstrieren. Meistens reicht es hierfür, den eigenen inneren Schweinehund zu überwinden, sich vom Sofa zu erheben und zum Ort des Geschehens zu begeben. Mut zur Demonstration wird hierzu-lande in der Regel nicht gebraucht, anders als im Iran oder in Moskau, auch wenn so mancher Montagsspaziergeher suggeriert, als würde er tapfer gegen einen Unrechtsstaat auf die Straße gehen. Nein, Mut zum Widerspruch braucht es, wenn man im engsten Familienkreis das Wort erhebt, im Freundeskreis, am Arbeitsplatz, vor allem dann, wenn alle anderen entweder der Hetze zustimmen oder es vorziehen zu schweigen. Auf Onkel Christians 75. Geburtstagsfest zu sagen, dass ein »Judenwitz« eben nicht witzig, sondern Ausdruck tiefster Menschenfeindlichkeit ist, erfordert Kraft.
Politische Willensbildung wie gesellschaftliches Klima, demokratischer Konsens wie staatsbürgerliche Haltung werden nicht in Laboren erzeugt. Sie entstehen in der Familie, im Freundeskreis, in der Schule, im Verein und am Arbeitsplatz. Deswegen ist es so wichtig, genau in diesen Kontexten das Wort zu erheben.
Jede Generation sollte die Verpflichtung in sich spüren, das Gemeinwesen in einem zumindest ein wenig anständigeren Zustand zu verlassen, als sie es vorgefunden hat. Diese Verantwortung lässt sich nicht an die Politik, an die Regierung oder generell an den Staat delegieren. Es führt kein Weg daran vorbei: Wer in entscheidenden Situationen schweigt, versündigt sich an der nächsten Generation.
Beitrag in den Europa-Nachrichten Nr. 12 vom 8.12.2022
Für den Inhalt sind die Autor*innen des jeweiligen Beitrags verantwortlich.
Autor
Dr. Mehmet Gürcan Daimagüler, Jahrgang 1968, ist Jurist und Buchautor. Ab 2013 vertrat er als Rechtsanwalt Opfer im Münchner NSU-Prozess. Am 9. März 2022 ernannte ihn die Bundesregierung zum Beauftragten gegen Antiziganismus und für das Leben der Sinti und Roma in Deutschland.
Weitere Informationen: www.bmfsfj.de/bmfsfj/aktuelles/alle-meldungen/bundesregierung-beruft-erstmals-antiziganismusbeauftragten-193912
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