»Ohne eine engagierte Zivilgesellschaft kann es keine gute Antidiskriminierungsgesetzgebung geben«
Dr. Pierrette Herzberger-Fofana
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»Ohne eine engagierte Zivilgesellschaft kann es keine gute Antidiskriminierungsgesetzgebung geben«
Endnoten
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»Ohne eine engagierte Zivilgesellschaft kann es keine gute Antidiskriminierungsgesetzgebung geben«
Ohne eine aktive Zivilgesellschaft kann es sogar keine funktionierende Demokratie geben! Nie war ich von dieser Aussage so überzeugt wie heute, zweieinhalb Jahre nachdem ich das erste Mal mein Büro als Europaabgeordnete aufschloss. Auf den ersten Blick erscheint die zu weilen sehr technische und abstrakte Arbeit des Europäischen Parlaments mit seinen vielen verschiedenen Prozessen als gegensätzlich zum klassischen zivilgesellschaftlichen Engagement, bei dem es oft ums »Anpacken« und »Selbermachen« geht. Ohne den Input der Zivilgesellschaft an uns Abgeordnete wäre eine sinnvolle Europäische Gesetzgebung jedoch nicht möglich!
Schon vor meiner Zeit als Stadträtin in Erlangen war ich zivilgesellschaftlich engagiert. Ob in selbstgegründeten Initiativen oder größeren Zusammenschlüssen, ein Thema lag mir dabei immer besonders am Herzen: rassistische Diskriminierung zu bekämpfen und so zu einer gerechteren Gesellschaft beizutragen. Hierbei habe ich viele tolle Mitstreiter*innen kennengelernt, die auch heute Jahrzehnte später noch aktiv sind. Ein Eindruck war dabei prägend: die Situationen, in denen wir – meist Frauen – uns engagierten, waren oft prekär, fanden neben teilweise unsicheren Arbeitsverhältnissen und Kinderbetreuungssituationen statt. Aber uns, wie so vielen engagierten war klar: Wenn wir es nicht machen, dann macht es keiner! Eine Herausforderung, die sich zivilgesellschaftlichem Engagement gegen Diskriminierung in besonderem Maße stellt.
Als ich 2015 die ersten »Black History Weeks« Erlangen initiierte, ging es mir darum, Rassismus, Vorurteilen und Diskriminierung jeder Art mehr Nährboden zu entziehen. Als Lehrerin war mir schmerzlichst bewusst, dass beispielsweise die europäische Kolonialzeit mit seinen bis heute greifenden Auswirkungen nicht aufgearbeitet wurde. Ich wollte dazu bei-tragen, stereotype zu beseitigen, und die Geschichte und Geschichten Schwarzer Menschen, und ihre Beiträge in Wissenschaft, Kultur und Gesellschaft über die Jahrhunderte hinweg zu beleuchten. Unser Engagement war wichtig und konnte viel bewirken, auch deshalb, weil auf staatlicher Seite so gut wie keine Expertise existierte. Das hat sich heute in vielerlei Hinsicht verändert. Zum einen gibt es auf staatlicher Seite mit den verschiedenen Antidiskriminierungsstellen, Antidiskriminierungsbeauftragen und einer größeren Diversität in Entscheidungspositionen wichtige Ansprechpartner*innen für zivilgesellschaftlich Engagierte. Zum anderen haben einige große Förderprogramme, wie beispiels-weise das Bundesprogramm »Demokratie Leben!«, zu einer stärkeren Professionalisierung zivilgesellschaftlicher Antidiskriminierungsarbeit geführt.
Auch im Parlament suche ich den direkten Austausch mit der Zivilgesellschaft. Als Co-Präsidentin von ARDI, der Anti-Racism and Diversity Intergroup, einem Zusammenschluss von über 80 Abgeordneten aus verschiedenen Fraktionen die gemeinsam die Diskussion über Rassismus und Diversität voranbringen wollen, hole ich oft eine zivilgesellschaftliche Perspektive ein - und die Zivilgesellschaft ins Parlament, wie beispielsweise bei der Antiracism Week 2023. Antirassismus und Diversität Öffentlichkeit zu geben ist dringend notwendig, denn derzeit befinden sich mehr Abgeordnete mit extrem rechter Gesinnung denn je im Europäischen Parlament. Und so kommt es unter dem Deckmantel der Meinungsfreiheit häufiger zu Ausfällen, die gegen Geflüchtete, sexuelle oder ethnische Minderheiten gerichtet sind. Allein in diesem Jahr wandte ich mich bereits zweimal an die Präsidentin des Europäischen Parlaments, Roberta Metsola, mit der Bitte Abgeordnete zu sanktionieren, weil sie den Hitlergruß gezeigt und die rassistische »Theorie vom großen Austausch« verbreitet hatten. [1]
Es gibt jedoch auch viele engagierte MEPs, die sich gegen jede Art von Diskriminierung einsetzen. Es kommt daher nicht selten vor, dass das Europäische Parlament im Bereich der Antidiskriminierung mehr fordert, als andere europäische Institutionen wie beispielsweise der Rat, in dem einzelne Mitgliedsstaaten fortschrittliche Projekte blockieren können. Dies ist zum Beispiel der Fall, bei der sogenannten Horizontalen Gleichbehandlungsrichtline, die Lücken in der EU-Antidiskriminierungsgesetzgebung schließen soll, da derzeit für bestimmte Kategorien nur ein Diskriminerungsverbot im Bereich der Arbeits- und Anstellungsverhältnissen gilt. [2] Die Richtlinie ist seit vielen Jahre im Rat blockiert, weil einige Länder »Vorbehalte« haben. Derartige Vorbehalte können sich auf einzelne Passagen, oder gegen das Vorhaben als solches richten. In letzterem Fall wird es schwer effektive Antidiskriminierungsgesetzgebung auf europäischer Ebene zu schaffen. Oft treffen so Vorbehalte gegen eine Ausweitung des EU-Rechts im Allgemeinen auch den Bereich der Antidiskriminierung.
Dies war jedoch nicht immer so, denn das Europarecht und das Europäische Parlament spielten in vielerlei Hinsicht eine Schlüsselrolle im Kampf gegen Diskriminierung – ohne würde es wahrscheinlich auch heute noch kein Antidiskriminierungsgesetz in Deutschland geben, denn das deutsche Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) geht auf die Umsetzung vier verschiedener EU-Richtlinien zurück. [3]
Auch an anderer Stelle erwies sich Brüssel als wegweisend. So ist EU-Anti-Racism Action Plan 2020-2025 das erste EU Policy Instrument, das die strukturelle Dimension von Rassismus mit seinen historischen Wurzeln im Kolonialismus, Versklavung und Genozid anerkennt und definiert – ein Schritt, der vielen Mitgliedsstaaten nach wie vor schwerfällt. Als erster verbindlicher Plan der EU Kommission zeigt er auf, wie Rassismus innerhalb der EU beseitigt werden kann und ermutigt die einzelnen Mitgliedsstaaten selbst nationale Aktionspläne gegen Rassismus (NAP) zu verabschieden.
Im Europäischen Parlament wurde in diesem Jahr aus Antidiskriminierungsperspektive ein Meilenstein verabschiedet. Zum ersten Mal adressierte es die spezifische die intersektionelle Diskriminierung von Frauen die auch von Rassismus betroffen sind. [4] Ein Blickwinkel, der in Diskussionen über Geschlechtergerechtigkeit häufig fehlt.
Vergangenen Monat verabschiedete das Parlament schließlich eine Resolution, die sich dem Thema rassistischer Diskriminierung generell annimmt und die Antidiskriminierungsarbeit innerhalb der EU stärken soll. Unter dem Namen »Racial Justice non-discrimination and antiracism in the EU« erkennen wir die vielfältigen Herausforderungen im Bestreben einer diskriminierungsfreien Gesellschaft an und fordern eine regelmäßige Fortschrittsüberprüfung der einzelnen Mitgliedsstaaten. Beide Berichte wären ohne die enge Zusammenarbeit mit der Zivilgesellschaft, die vom Vorgespräch über die Änderungsvorschläge bis hin zu einzelnen Formulierungsvorschlägen beteiligt war, unmöglich gewesen. [5]
Endnoten
[2] COM/2008/0426 – Gesetzesvorschlag für eine Richtlinie des Rates zur Anwendung des Grundsatzes der Gleichbehandlung ungeachtet der Religion oder der Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Ausrichtung.
[3] Antirassismusrichtlinie (2000/43/EG), Rahmenrichtlinie Beschäftigung (2000/78/EG), Gender-Richtlinie (2002/73EG) sowie Richtlinie zur Gleichstellung der Geschlechter auch außerhalb der Arbeitswelt (2004/113/EG)).
[4] (2021/2243(INI)) Intersectional discrimination in the European Union: the socio-economic situation of women of African, Middle-Eastern, Latin-American and Asian descent.
[5] (2022/2005 (INI)) Racial justice, non-discrimination and anti-racism in the EU.
Beitrag in den Europa-Nachrichten Nr. 12 vom 8.12.2022
Für den Inhalt sind die Autor*innen des jeweiligen Beitrags verantwortlich.
Autor
Dr. Pierrette Herzberger-Fofana ist Mitglied des Europäischen Parlaments, Greens/EFA.
Kontakt: Pierrette.Herzberger-Fofana@europarl.europa.eu
Weitere Informationen: https://herzberger-fofana.eu
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