Inhalt
Soziale Netzwerke: Fluch und Segen
Was tut die EU?
Die Rolle des Europäischen Parlaments
Die Zivilgesellschaft: Unser größter Schatz im Kampf gegen Diskriminierung
EU-Außenpolitik: Menschenrechtsverteidiger*innen schützen, Zivilgesellschaft im Ausland unterstützen
Endnoten
Autor
Redaktion
Das Prinzip der Nichtdiskriminierung ist in verschiedenen EU-Verträgen und in der EU-Grundrechtecharta festgeschrieben. So heißt es dort in Artikel 21: »Diskriminierungen insbesondere wegen des Geschlechts, der Rasse, der Hautfarbe, der ethnischen oder sozialen Herkunft, der genetischen Merkmale, der Sprache, der Religion oder der Weltanschauung, der politischen oder sonstigen Anschauung, der Zugehörigkeit zu einer nationalen Minderheit, des Vermögens, der Geburt, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Ausrichtung sind verboten.« Diese Prinzipien dienen als Basis für das zivilgesellschaftliche Zusammenleben in der Europäischen Union.
Soziale Netzwerke: Fluch und Segen
Aber wie steht es im Moment um die Diskriminierungsfreiheit in der EU? Wir befinden uns in einer Zeit, die von gegensätzlichen Entwicklungen geprägt ist: Auf der einen Seite findet eine gesellschaftliche Öffnung statt, wie wir zum Beispiel an der Einführung der gleichgeschlechtlichen Ehe in vielen Ländern oder der Anerkennung vielfältiger Lebensentwürfe beobachten können. Auf der anderen Seite gibt es auch rückwärtsgewandte Strömungen, die sich in der Erstarkung rechter Parteien äußern – wie beispielweise in Ungarn, Polen und zuletzt Italien und Schweden. Soziale Medien wirken teilweise als Verstärker von Diskriminierungen: Aus der (vermeintlichen) Anonymität heraus kann man Menschen leichter attackieren. Auch ich bin so schon vielfach mit sexistischen und frauenfeindlichen Äußerungen konfrontiert worden. Andererseits können sich Personen, die Diskriminierung erfahren, in Online-Netzwerken leichter zusammenschließen und gegenseitige Unterstützung erfahren. In jedem Fall ist traurige Realität: Nach wie vor werden Menschen in der EU aufgrund von Herkunft, Hautfarbe, Geschlecht, Behinderung, Sexualität oder anderer Merkmale jeden Tag vielfach diskriminiert.
Was tut die EU?
Um hier Gegenmaßnahmen zu ergreifen, wurden seit dem Jahr 2000 eine Reihe von Richtlinien auf europäischer Ebene verabschiedet, zum Beispiel zur Chancengleichheit von Frauen und Männern oder zur Gleichbehandlung im Beruf. Allerdings zögert gerade die Vertretung der Mitgliedsstaaten auf EU-Ebene – der Rat der Europäischen Union – häufig, wenn es darum geht, strengere Richtlinien zu erlassen. So wird die sogenannte horizontale Antidiskriminierungsrichtlinie seit mehr als einem Jahrzehnt im Rat blockiert. Dagegen wurde eine Richtlinie zu Frauen in Aufsichtsräten nun verabschiedet, die seit 2012 vom Rat blockiert worden war. Wir Grüne begrüßen zwar, dass sie Richtlinie jetzt angenommen wurde, sind aber enttäuscht darüber, wie wenig ambitioniert sie ausgefallen ist – sie spiegelt im Wesentlichen die Forderungen von vor 10 Jahren wieder. Beim Thema Soziale Rechte hat die Kommission mit der Europäischen Säule Sozialer Rechte [1] jedoch einen wichtigen Schritt nach vorn getan. Die Säule stützt sich auf 20 Grundsätze, wie zum Beispiel die Gleichstellung der Geschlechter oder die Inklusion von Menschen mit Behinderung. Zu den einzelnen Grundsätzen der Säule hat die Kommission bereits mehrere Maßnahmen vorgestellt, weitere sind in Planung.
Zudem unterstützt die EU die Förderung marginalisierter Gruppen finanziell mit verschiedenen Hilfsfonds, unter anderem dem Europäischen Sozialfonds Plus. Konkrete Strategien bzw. Aktionspläne für bestimmte Gruppen (wie Menschen, die von Rassismus betroffen sind, oder LGBTQI-Personen) vervollständigen den europäischen Ansatz.
Die Rolle des Europäischen Parlaments
Welche Funktion aber hat das Europäische Parlament in diesem Zusammenhang? Im Gegensatz zu den meisten nationalen Parlamenten kann das Europäische Parlament selbst keine Gesetze einbringen. Was die Rechtsvorschriften zur Bekämpfung von Diskriminierung angeht, hat es aber eine Zustimmungsbefugnis, kann also Gesetzesvorschläge der Europäischen Kommission ergänzen oder abändern. Außerdem fordert es regelmäßig die Kommission bzw. den Rat in bestimmten Bereichen zum Handeln auf. Jüngste Beispiele sind Entschließungen bezüglich fehlender Fortschritte bei der Verabschiedung der horizontalen Antidiskriminierungsrichtlinie, zur Frauenarmut in Europa oder zur Covid-Krise und daraus folgender Diskriminierung. Darüber hinaus kommt dem Europäischen Parlament auch eine wichtige Rolle zu, wenn es darum geht, ein Schlaglicht auf die Situation in einzelnen EU-Ländern werfen. So bemängelt es in einem Bericht, für den die französische Grüne Gwendoline Delbos-Corfield als Berichterstatterin federführend war, unter anderem »einen Zerfall der Demokratie, der Rechtsstaatlichkeit und der Grundrechte in Ungarn« – alles Entwicklungen, die einer diskriminierungsfreien Gesellschaft diametral entgegenstehen. Das Parlament erklärt in dem Bericht, dass Ungarn nicht mehr als Demokratie bezeichnet werden kann, und fordert Rat und Kommission zum Handeln auf. Das Parlament will aber auch selbst Vorbild sein und hat deshalb z.B. Maßnahmen gegen Rassismus (Aktionsplan gegen Rassismus 2020–2025), zur Unterstützung von Menschen mit Behinderung (Referat Gleichstellung, Inklusion und Vielfalt) sowie für Geschlechtergerechtigkeit und mehr Diversität ergriffen. Als Grüne/EFA-Fraktion im Europäischen Parlament gehören wir zu den lautesten Verfechter*innen eines diskriminierungsfreies Arbeitsumfelds und eines toleranten Miteinanders.
Die Zivilgesellschaft: Unser größter Schatz im Kampf gegen Diskriminierung
Wenn es um die Bekämpfung von Diskriminierung geht, ist die Zivilgesellschaft unser größter Schatz. Europaweit gibt es unzählige zivilgesellschaftliche Initiativen, die sich dem Kampf gegen Diskriminierung verschrieben haben – und viele Dachverbände und Einzelorganisationen machen auf europäischer Ebene seit Jahrzehnten erfolgreiche Lobbyarbeit. Es sind Nichtregierungsorganisationen, Opferverbände, Stiftungen, Beratungsstellen oder Bürger*inneninitiativen, die immer wieder den Finger in die Wunde legen und auf Veränderung drängen, die Opfern von Diskriminierungen beistehen und sie begleiten. Auch ich habe davon schon profitiert: Seitdem ich mich regelmäßig Anfeindungen im Netz ausgesetzt sehe, erhalte ich Unterstützung durch die Organisation »HateAid«, die sich für Menschenrechte im digitalen Raum einsetzt und sich gegen digitale Gewalt und ihre Folgen engagiert.
Hierbei befruchten sich die Zivilgesellschaften europäischer Länder auch zunehmend gegenseitig. So wurde das so genannte »Upskirting« (das heimliche Fotografieren unter den Rock) zunächst 2019 in Großbritannien strafbar. Zwei junge Frauen starteten daraufhin in Deutschland eine Petition, die schließlich 2020 zu einem ähnlichen Gesetz führte. Ein anderes Beispiel ist das so genannte »Ja heißt Ja«-Gesetz in Spanien, das jeden nicht einvernehmlichen Sex als Vergewaltigung einstuft. Damit folgt Spanien dem Vorbild von 11 anderen europäischen Ländern, darunter Großbritannien, Schweden und Portugal. Welchen Einfluss zivilgesellschaftliche Bewegungen haben, zeigen Beispiele aus der jüngsten Vergangenheit, wie #MeToo, »Black lives matter« oder die Klimabewegung »Fridays for future« (die regelmäßig darauf hinweist, dass sowieso schon benachteiligte Gruppen durch den Klimawandel am stärksten betroffen sind). Diese Bewegungen – die meist Aktivismus im Netz mit Demonstrationen und Aktionen vor Ort verbinden – sind aus dem gesellschaftlichen Diskurs nicht mehr wegzudenken, ihre Vertreter*innen stellen konkrete Forderungen und erwarten von der Politik Antworten.
EU-Außenpolitik: Menschenrechtsverteidiger*innen schützen, Zivilgesellschaft im Ausland unterstützen
Und noch eines haben diese Bewegungen gemein: Sie sind zunehmend global, schließlich sind die Probleme, auf die sie hinweisen, globaler Natur. Für mich als Außenpolitikerin ist hier der Blick über den Tellerrand besonders wichtig: Wir können nicht etwas von anderen Ländern einfordern, das wir selbst nicht leben, und gleichzeitig müssen wir uns bewusst sein, dass Menschen überall sich auch an Europa orientieren, wenn es um den Kampf gegen Diskriminierung geht. Wir sollten daher unbedingt solidarisch mit den Zivilgesellschaften außerhalb Europas sein, die auch für unsere Werte eintreten. Darum sind Menschenrechtsverteidiger*innen, also Personen, die weltweit für Menschenrechte kämpfen, ein Fokus meiner Arbeit. So bin ich im Menschenrechtsausschuss Berichterstatterin für einen Bericht, in dem wir Verbesserungsvorschläge dafür erarbeiten, wie die EU diesen Personen besser zur Seite stehen kann. Gleichzeitig versuche ich beispielsweise, den Blick auf die mutigen Menschen im Iran oder Afghanistan zu lenken, die in diesen Ländern für ihre Freiheitsrechte auf die Straße gehen. Frauen sind in diesen Protesten an vorderster Front, und ich bin überzeugt, dass wir uns noch viel stärker für die Beteiligung von Frauen an der politischen Entscheidungsfindung weltweit engagieren müssen. Vor diesem Hintergrund habe ich den #SHEcurity-Index [2] initiiert, der den Stand der Beteiligung von Frauen im Bereich Frieden und Sicherheit abbildet – viele Organisationen, darunter solche der Zivilgesellschaft, unterstützen den Index inzwischen. Die Zivilgesellschaft ist und bleibt die Basis unserer Demokratie. Hier in Europa und weltweit ist eine wache, aufgeklärte Zivilgesellschaft unser bester Schutz gegen Diskriminierung. Allen, die sich beruflich oder in ihrer Freizeit zivilgesellschaftlich engagieren, möchte ich daher herzlich danken. Ein respektvoller Umgang im öffentlichen Raum und die Anerkennung von Vielfalt wäre ohne Ihren Einsatz nicht möglich.
Endnoten
[1] Die Europäische Säule sozialer Rechte in 20 Grundsätzen: https://ec.europa.eu/info/strategy/priorities-2019-2024/economy-works-people/jobs-growth-and-investment/european-pillar-social-rights/european-pillar-social-rights-20-principles_de
Beitrag in den Europa-Nachrichten Nr. 12 vom 8.12.2022
Für den Inhalt sind die Autor*innen des jeweiligen Beitrags verantwortlich.
Autor
Dr. Hannah Neumann ist Mitglied des Europaparlaments für Bündnis 90 / Die Grünen. Im Parlament ist sie u.a. friedens- und menschenrechtspolitische Sprecherin der Fraktion »Die Grünen/Europäische Freie Allianz (EFA)«, Vize-Vorsitzende des Menschenrechtsausschusses, Mitglied im Ausschuss für Sicherheits- und Verteidigungspolitik und Stellvertreterin im Aus-schuss für auswärtige Angelegenheiten sowie Vorsitzende der Delegation für die Beziehun-gen zur Arabischen Halbinsel. Bei Bündnis 90 / Die Grünen ist sie zudem Mitglied der An-tragskommission.
Kontakt: berlin@hannahneumann.eu
Weitere Informationen: www.hannahneumann.eu
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