Beitrag in den Europa-Nachrichten Nr. 12 vom 9.12.2021

»Im Grunde ist es doch einfach« –
Konferenz zur Zukunft Europas

Interview mit Damian Boeselager, MdEP

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Interview
Angaben zur Person
Redaktion

BBE Europa-Nachrichten: Die von der EU ins Leben gerufene Konferenz zur Zukunft Europas ist ein umfassender Prozess mit vielen Bausteinen, die dazu dienen sollen, Bürger*innen aus allen Teilen der EU in die Diskussion zur Zukunft Europas einzubeziehen. Warum ein neues Format? Welches Zeichen möchte die EU mit diesem neuen Format setzen?

Damian Boeselager, MdEP:

Das Problem der EU ist ja gerade, dass nationale Interessen immer wieder das gemeinsame europäische übertrumpfen - im Endeffekt zum Nachteil für uns alle. Aus meiner Perspektive birgt ein neues Format mit Einbezug der Bürgerinnen und Bürger die Chance, diese kurzsichtigen institutionellen Interessen aufzudecken und zu überkommen.

BBE Europa-Nachrichten: Was kann die Konferenz zur Zukunft Europas bewirken und was stünde auf Ihrer Wunschliste ganz oben?

Damian Boeselager, MdEP: Im Grunde ist es doch einfach: Wenn wir uns als Länder entscheiden, Dinge gemeinsam zu regeln, egal ob das jetzt um Migration, Binnenmarkt, Klimawandel oder Digitalisierung geht, dann brauchen wir Entscheidungsprozesse, die zu Ergebnissen kommen. Der zwischenstaatliche Ansatz im Kern der derzeitigen EU scheint hier immer öfter zu langsam zu sein oder zu scheitern. Deshalb würde ich zu der Art der effizienteren Legitimierung übergehen, die wir schon so lange auf nationaler Ebene kennen: die parlamentarische Demokratie auf europäischer Ebene.

BBE Europa-Nachrichten: Was sind die größten Herausforderungen und wo liegen die Grenzen der Konferenz?

Damian Boeselager, MdEP: Die Konferenz leidet schon seit ihrem Beginn unter den gleichen Herausforderungen wie die EU: Immer wieder blockieren sich die gegenseitigen Interessen. Schon jetzt haben die nationalen Regierungen Angst, dass die Konferenz zu erfolgreich wird, und nach einer stärkeren europäische EU verlangt. Die Konferenz kann die Probleme der EU nicht auf Anhieb lösen, aber sie ist wieder ein Schritt in die richtige Richtung. Deshalb lasst sie uns für Stimmen der Veränderung nutzen so stark es geht!

BBE Europa-Nachrichten: Als eine digitale Plattform zur Konferenz zur Zukunft Europas gestartet wurde, kommunizierte die EU einen inklusiven Prozess, dass möglichst viele Menschen über die Plattform ihren Beitrag zur Gestaltung ihrer Zukunft leisten können. Wie inklusiv ist der Prozess aus Ihrer Sicht tatsächlich?

Damian Boeselager, MdEP: Es sind viele interessante Ideen vorgeschlagen worden, aber eigentlich ist die Diskussion zur Zukunft Europas so wichtig, dass alle europäischen Bürgerinnen und Bürger mit einbezogen werden sollten. Da sind wir noch nicht.

BBE Europa-Nachrichten: Haben Sie den Eindruck, dass die Resonanz bei den Bürger*innen den Erwartungen seitens der EU entspricht?

Damian Boeselager, MdEP: Die nationalen Regierungen sind Teil der EU - sie tragen die größte Verantwortung in der Organisation von Veranstaltungen, von Diskussionen in den Parlamenten. Aber wie gesagt: Aus meiner Perspektive wäre es wichtig, dass wir alle, egal ob Politiker oder nicht, versuchen, diese Diskussion über unsere Zukunft anzustoßen. Es gibt für Deutschland keine Zukunft außerhalb der EU. Und die ist gerade ganz schön am Wackeln...

BBE Europa-Nachrichten: In den Medien wurde als Hashtag für die Plattform bekannt: #DieZukunftGehörtDir. Bedeutet das, dass die Zukunft den Bürger*innen gehört, die Onlinezugang haben und digitale Tools beherrschen? Ist eine erfolgreiche Bürger*innenbeteiligung auf europäischer Ebene ohne Digitalisierung vorstellbar?

Damian Boeselager, MdEP: Die sozialen Medien nicht zu bespielen, wäre fahrlässig. Aber natürlich gibt es sehr viele unterschiedliche Formate der Bürgerbeteiligung - und ich hoffe, dass wir alle, Zivilgesellschaft, Politik und ggf. sogar Privatwirtschaft, diese Formate ausprobieren, um möglichst viele Menschen zu erreichen. Nochmal: Unser altes Europa ächzt gerade aus allen Ecken und Enden. Die polnische Regierung hat gerade die Verträge selbst in Frage gestellt. Die Frage zur Zukunft Europas ist eine existentielle Frage, relevant für jeden und jede von uns.

BBE Europa-Nachrichten: Wenn Sie an das Thema Digitalisierung und Digitales Europa denken: Was sind die Handlungsfelder, die aus Ihrer Sicht am wichtigsten sind? Welche Rolle spielt dabei die Zivilgesellschaft?

Damian Boeselager, MdEP: Nach der Konsumentendatenrevolution folgt nun die Industriedatenrevolution. Wenn wir als europäische Firmen hier erfolgreich sein wollen, und vor allem, wenn wir nicht wieder total konzentrierte Märkte mit wenigen sehr mächtigen Firmen sehen wollen, müssen wir jetzt – also ex-ante – Regulierungen schreiben, die diese Entwicklung verhindert. Das finde ich megaspannend.

Gleichzeitig muss allen Regierungen auf allen Ebenen klar sein, dass rein analoge Verwaltungsprozesse für Bürgerinnen und Bürger nicht mehr tragbar sind. Estland hat seine ersten digitalen Wahlen 2005 organisiert. Wir brauchen eine »ZERO-ANALOG« Strategie. Heute.


Das Interview wurde von der Redaktion der BBE Europa-Nachrichten am 9.11.2021 schriftlich geführt.


Beitrag in den Europa-Nachrichten Nr. 12 vom 9.12.2021
Für den Inhalt sind die Autor*innen des jeweiligen Beitrags verantwortlich.

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Angaben zur Person

Damian Boeselager MdEP ist Mitgründer und Abgeordneter von Volt im Europäischen Parlament. Er ist Mitglied in der Konferenz zur Zukunft Europas, im Haushaltsauschuss, Verfassungsausschuss, Industriepolitischen Ausschuss, Innenausschuss, und Ausschuss für künstliche Intelligenz. Er war Verhandler und Sprecher seiner Fraktion für den 672,5 Milliarden Wiederaufbaufonds.

Weitere Informationen: https://www.voltdeutschland.org/damian-boeselager

Instagram: https://www.instagram.com/damian.boeselager/?hl=en

Twitter: https://twitter.com/d_boeselager?s=20

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