Beitrag in den Europa-Nachrichten Nr. 2 vom 5.3.2020

Städte und Europa – eine »Win-Win«-Beziehung

Constanze Krehl, MdEP

Inhalt

Europa für Städte
Städte für Europa
Die »Win-Win«-Beziehung
Autorin
Redaktion

Die Diskussion, ob nun 50, 60 oder gar 75 Prozent der europäischen Bevölkerung in »Städten« leben, ist müßig (und hängt von der jeweiligen Definition ab). Unstrittig ist aber: Europa gehört weltweit zu den Kontinenten, in welchem die meisten Menschen in Städten leben. Und: Städtische Gebiete sind wichtige Treiber, wenn es um nachhaltiges Wachstum, Jobs oder Innovationen geht. Gleichzeitig sind sie Brennpunkte, in denen soziale und ökologische Probleme besonders deutlich zu Tage treten. Die Entwicklung der städtischen Gebiete wird die weitere wirtschaftliche und soziale Entwicklung Europas bestimmen. Deswegen ist es wichtig, Stadtpolitik breit zu denken. Auch wenn die europäischen Verträge keine konkrete Zuständigkeit der EU für Stadtpolitik oder -planung vorsehen, gibt es zwischen Städten und Europa viele Berührungspunkte, in beide Richtungen.

Europa für Städte

Viele Politikfelder der EU betreffen Städte direkt; seien es Vorgaben beim Umweltschutz, bei der Vergabe von Aufträgen, bei Regelungen hinsichtlich der Daseinsvorsorge bis hin zu Richtlinien im Baurecht: Städte müssen diese Politik vor Ort implementieren. Dies kann Stadtverwaltungen vor große Herausforderungen in der praktischen Umsetzung stellen. Um hier Abhilfe zu schaffen, sieht die aktuelle EU-Städteagenda vor, dass die EU-Rechtsetzung bereits im Vorfeld auf ihre Umsetzbarkeit vor Ort geprüft wird. Ziel der EU-Städteagenda ist es, dass Städte frühzeitig in die Gesetzgebung einbezogen werden und ihre Bedenken äußern können. Außerdem soll es für Städte einfacher werden, sich über die verschiedenen europäischen Fördermöglichkeiten zu informieren. Ein dritter Schwerpunkt der Städteagenda ist die bessere Vernetzung von Städten. Der Erfahrungsaustausch ist wichtig: Stockholmer Konzepte zum Nahverkehr können auch für Leipzig interessant sein, von guten Ideen zur Verbesserung der Luftqualität in Hamburg kann womöglich auch Athen profitieren. Viele deutsche Städte haben sich hier eingebracht und arbeiten, zusammen mit anderen Städten und der Europäischen Kommission, in sogenannten »Partnerschaften« zu verschiedensten Themen. Wir im Europäischen Parlament unterstützen diese Städteagenda, und haben immer dafür geworben, dass Städte sich hier einbringen. Für die kommende Förderperiode von 2021 bis 2027 wollen wir eine Fortführung dieser Initiative. Und wir wollen, dass mindestens 10% der Mittel aus dem Europäischen Regionalfonds für städtische Gebiete reserviert werden. Uns ist dabei klar, dass eine Politik für Städte keine Politik gegen den ländlichen Raum sein darf. Es geht nicht darum, beide gegeneinander auszuspielen. In städtischen Gebieten fokussieren sich jedoch einige der größten Herausforderungen (und auch Chancen) unserer Gesellschaft, und eine starke Stadt strahlt natürlich auch auf das Umland ab.

Städte für Europa

Die EU gibt sich – im Rahmen ihrer Kompetenzen – also große Mühe, die Städte zu fördern. Umgekehrt sind natürlich auch die Städte in der Verantwortung, ihre Rolle in einem Europa zu spielen, das vor großen Herausforderungen steht. Die Stimme der Städte und Kommunen ist für uns Europapolitikerinnen und -politiker eine wichtige Richtschnur für Entscheidungen. Je lauter und auch zusammenhängender diese Stimme ist, desto besser. Der Europäische Ausschuss der Regionen (AdR) beispielsweise, bestehend aus gewählten Vertreterinnen und Vertretern lokaler oder regionaler Behörden, ist als Institution regelmäßiger Gast im EU-Parlament. Auch Netzwerke wie »Eurocities« sind Gesprächspartnerinnen und -partner, welche die Sorgen und Anregungen ihrer Mitgliedsstädte gut vermitteln können. Was viele nicht wissen: Die Vernetzung von Städten untereinander kann auch europäisch gefördert werden mit dem Programm »Europa für Bürgerinnen und Bürger«. Dieses Programm ermutigt Städte, langfristig mit anderen Städten zusammenzuarbeiten und sich mit gemeinsam vereinbarten Themen zu befassen, Ressourcen zusammenzulegen oder gemeinsame Interessen zu verfolgen. Aber nicht nur Städte sollten sich vernetzen, auch die Menschen können aktiv werden. Ich bin davon überzeugt, dass die Einbeziehung der Stadtbewohnerinnen und bewohner ein nicht zu vernachlässigender Faktor für den Erfolg vieler politischer Maßnahmen ist. Partizipatorische Prozesse führen zu einer größeren Teilhabe der Menschen an kurz- und langfristigen Strategien. Auch bei Städtepartnerschaften ist das zu beobachten: Diese sind auf dem Papier sinnvoll und wertvoll, lebendig werden sie jedoch erst durch die Menschen selbst. Salopp gesagt: Wenn sich die Musikschulen einer deutschen und einer polnischen Stadt verabreden, einmal im Jahr einen Workshop mit Abschluss-Konzert zu veranstalten, ist die Verbindung der Menschen deutlich erfolgreicher, als wenn sich die beiden Oberbürgermeister zu Konsultationen treffen. Das bereits erwähnte Programm »Europa für Bürgerinnen und Bürger« unterstützt auch dies: Gefördert werden Projekte, die es den Menschen ermöglichen, sich am demokratischen Leben der EU zu beteiligen, vom politischen Engagement auf lokaler Ebene bis hin zu einer umfassenden Beteiligung an der EU-Politik. Geförderte Aktivitäten sind neben den Städtepartnerschaften auch anderweitige zivilgesellschaftliche Projekte, an denen Menschen aus mindestens zwei Ländern teilnehmen.

Die »Win-Win«-Beziehung

Städte sind entscheidende Akteure für Wachstum, für einen nachhaltigen ökologischen Wandel, für den Kampf gegen Arbeitslosigkeit und Armut. Ihr Wohlergehen hat Auswirkungen auch auf das Umland. In Städten mischen sich soziale Schichten, dort leben Menschen unterschiedlicher Herkunft zusammen, und eine tolerante, offene Bevölkerung bringt Ideen und Innovation hervor. Deswegen bin ich der Meinung: Nicht nur Städte können voneinander lernen, sondern auch Europa kann von den Städten lernen. Wie in Städten gibt es auch in der EU reichere und ärmere Teile, und auch in der EU müssen wir dafür sorgen, dass alle sich – bei aller Unterschiedlichkeit – gegenseitig respektieren. Nur dann können wir gute Politik für die Menschen gestalten. Gleichzeitig muss die EU Städte unterstützen, ihnen Gehör verschaffen und Möglichkeiten an die Hand geben sich weiter zu entwickeln. Als Sprecherin der sozialdemokratischen Fraktion im Regionalausschuss werde ich dafür kämpfen, auch in der aktuellen Diskussion um die Zukunft der europäischen Förderpolitik. Für mich ist klar: Die Städte von morgen sind das Europa der Zukunft.


Beitrag in den Europa-Nachrichten Nr. 2 vom 5.3.2020
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Autorin

Constanze Krehl, MdEP, in Stuttgart geboren, wuchs in Leipzig auf und studierte Informatik in Dresden. Seit Februar 1991 gehört sie dem Europaparlament an, zunächst als Beobachterin, seit 1994 als gewählte Abgeordnete. Als frühere Vorsitzende der sächsischen SPD ist sie in der aktuellen Legislaturperiode 2019 bis 2024 die einzige ostdeutsche SPD-Abgeordnete im Europaparlament. Der Schwerpunkt ihrer Arbeit ist die europäische Regionalpolitik; unter anderem ist sie Berichterstatterin des EU-Parlaments für die EU-Strukturfonds ab 2021.

Kontakt: europa@constanze-krehl.eu


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