Beitrag in den Europa-Nachrichten Nr. 4 vom 29.4.2021

Ein neues Kapitel: die Zukunft der deutsch-britischen Beziehungen nach dem Brexit

Mari Mittelhaus

Inhalt

»Wir werden immer Freunde, Partner und Verbündete sein.«
Die Bedeutung der Zivilgesellschaft
Eine erfolgreiche Ausgestaltung der bilateralen Beziehungen hängt auch von der Finanzierung ab
Autorin
Redaktion

Das in letzter Minute ausgehandelte Handels- und Partnerschaftsabkommen zwischen Großbritannien und der Europäischen Union verhinderte den No-Deal-Brexit und legte zugleich den Grundstein für die Zukunft: Es beinhaltet u.a. Regeln für den Warenverkehr und zur Sicherung fairer Wettbewerbsbedingungen (das sogenannte »Level Playing Field«), aber es klammert Finanzdienstleistungen und die Außen- und Sicherheitspolitik aus. Die Teilnahme der Briten am Erasmus-Programm wird beendet. Dies trifft vor allem die Jugend, also die nächste Generation, die die deutsch-britische Freundschaft gestalten wird.

Gleichzeitig sieht das Abkommen eine Überprüfung nach fünf Jahren vor, sowie laufende Gespräche zu einigen Themen, z.B. Fischerei und Finanzdienstleistungen. Die Verhandlungen zwischen Großbritannien und der EU sind also noch nicht beendet. Diese Situation sorgt für erhebliche Unsicherheiten, bietet aber auch die Chancen zur Wiederannäherung und Wiederherstellung von Vertrauen zwischen den Verhandlungspartnern in der Zukunft.

Das enge Verhältnis zwischen Deutschen und Briten beruht auf einer langen gemeinsamen Geschichte. Jetzt ist ein guter und wichtiger Zeitpunkt, um sich den bilateralen Beziehungen zwischen den Ländern zu widmen – auch, weil sich ein starkes bilaterales Verhältnis positiv auf die Beziehungen zwischen der Europäischen Union und dem Vereinigten Königreich auswirken kann. Welche Themen aus zivilgesellschaftlicher Sicht besonders im Vordergrund stehen, erläutert der folgende Beitrag.

»Wir werden immer Freunde, Partner und Verbündete sein.«

So die Worte von Prinz Charles in seiner Rede bei der zentralen Gedenkstunde zum Volkstrauertag im Bundestag am 15. November 2020. Er erinnerte daran, dass die Tradition der deutsch-britischen Beziehungen auf gemeinsamen Werten fußt, für die sich beide Länder einsetzen, »als Verfechter der Menschenrechte und der regelbasierten internationalen Grundordnung«.

Auch die gemeinsamen Positionen und geopolitischen Interessen bieten Möglichkeiten für eine weiterhin enge Zusammenarbeit beider Länder, z.B. in der Frage einer neuen Sicherheitsarchitektur für Europa, und auch einer koordinierten Haltung gegenüber Russland und China sowie des Kampfes gegen die Pandemie.

Als zweitgrößter Markt für britische Exporte hat Deutschland weiterhin eine große Bedeutung für Großbritannien. Gemeinsame Initiativen sollen fortgesetzt und ausgebaut werden, u.a. in den Bereichen globale Gesundheit und wirtschaftliche Erholung nach der Pandemie, technische Innovation und Forschung und Entwicklung. Um eine weiterhin eine enge Zusammenarbeit zu ermöglichen, haben einige der großen britischen Universitäten Netzwerke in Deutschland gebildet, z.B. das Oxford–Berlin Research Partnership zwischen der Universität Oxford und den vier Berliner Universitäten (Freie Universität Berlin, Humboldt-Universität zu Berlin, Technische Universität Berlin und die Charité).

Ein Thema, das vor allem von der Jugend immer wieder eingefordert wird, hat im Handels- und Partnerschaftsabkommen recht große Beachtung gefunden: der Klimawandel. Mit der Ausrichtung von COP26 in Glasgow in diesem Jahr kommt Großbritannien hier eine prominente Rolle zu, gleichzeitig bieten sich viele Möglichkeiten für die deutsch-britische Zusammenarbeit bei Themen wie »clean growth«, Wasserstoff, Offshore Wind und die Reduzierung des CO2-Ausstoßes ganzer Industriezweige. Es sind einige gemeinsame Initiativen zwischen britischen und deutschen Unternehmen entstanden, z.B. haben Britishvolt und Siemens kürzlich den Bau einer Gigafactory zur Produktion von Batterien für Elektrofahrzeuge in Northumberland angekündigt.

Die Bedeutung der Zivilgesellschaft

Das neue Kapitel der deutsch-britischen Beziehungen wird längst nicht nur von den Bundes- und Landesregierungen und ihren Parlamenten geschrieben. Auf regionaler und Städteebene sind die Wege oft kürzer und es bieten sich viele Möglichkeiten der Zusammenarbeit und des »Voneinander Lernens«. Hier setzt auch die Arbeit des Netzwerks der Deutsch-Britischen Gesellschaften an. So wird die Deutsch-Britische Gesellschaft Berlin Ende April einen Austausch zwischen der Hansestadt Hamburg und der Metropolregion Liverpool organisieren, in dem es um die nachhaltige Entwicklung von Mobilität, Tourismus und Arbeitsplätzen sowie die Reduktion von CO2 in den beiden Städten geht.

Der wichtigste Kitt für freundschaftliche Beziehungen zweier Länder ist die Zivilgesellschaft, die Verbindungen zwischen Bürgern auf Graswurzel-Ebene. Botschafter Andreas Michaelis bezeichnet sie im Podcast »Staying connected«, einem Projekt mit der Britischen Botschaft, als »very important glue in a relationship«. Je besser man einander kennt, desto mehr Verständnis hat man füreinander. Hier ist es wichtig, die jungen Menschen mitzudenken, denn die Jugend von heute sind die Multiplikatoren der deutsch-britischen Freundschaft von morgen.

Was also ist der Jugend in der zukünftigen Ausgestaltung des bilateralen Verhältnisses besonders wichtig? Die Deutsch-Britische Gesellschaft Berlin organisiert eine jährliche Konferenz für 40 Young Leaders aus beiden Ländern im Alter von 25 bis 32 Jahren. Bei einer Umfrage unter den Teilnehmenden der letztjährigen Young Leaders Konferenz erachtete die Mehrheit die Förderung des Austauschs als besonders wichtig. Stichworte wie »exchanges«, »cooperation«, »students« und »social« wurden am häufigsten genannt.

Gerade auf kommunaler Ebene, z.B. durch Städtepartnerschaften, bieten sich viele Möglichkeiten zur Förderung von Austauschprogrammen für Schülerinnen und Schüler, Azubis und Studierende. Auch Vereine und andere z.T. ehrenamtliche Akteure spielen hier eine große Rolle. Ein Beispiel ist die Deutsch-Britische Gesellschaft Düsseldorf, die jährlich ein Stipendium für einen Studienaufenthalt in Reading, eine Auszeichnung für eine Masterarbeit und Unterstützung für Schüleraustausche anbietet. Die Deutsch-Britische Gesellschaft Rhein-Main verwaltet seit 2010 einen Fond zur Förderung der wissenschaftlichen Beschäftigung mit der britischen Literatur, Kultur und Geschichte an der Goethe-Universität, das Geld erhielt die Gesellschaft von einer privaten Spenderin.

Das Netzwerk Deutsch-Britischer Vereinigungen in Deutschland, das die Deutsch-Britische Gesellschaft Berlin Brandenburg moderiert, ist nur ein Beispiel für den Erfolg der Arbeit in der Breite. Es ist wichtig, Netzwerke weiter auszubauen und so lokal wie möglich zu arbeiten. So war ein weiterer Vorschlag der Young Leaders, auch Partnerschaften mit kleineren Städten und Dörfern zu initiieren, um dem Stadt-Land-Gefälle entgegenzuwirken. Das größte Hindernis für Projekte dieser Art ist jedoch immer wieder die Frage der Finanzierung, die durch den Wegfall des Erasmus+ Programms noch weiter verschärft wurde.

Eine erfolgreiche Ausgestaltung der bilateralen Beziehungen hängt auch von der Finanzierung ab

Das Land Nordrhein-Westfalen feiert in diesem Jahr 75 Jahre seit der Gründung durch die britische Regierung. Es hat im Herbst 2018 eine Enquete Kommission eingesetzt, um die Folgen des Brexit für NRW abzuschätzen. Resultat sind 127 Handlungsempfehlungen. An vierter Stelle steht die »Gründung eines bilateralen deutsch-britischen Jugendwerks zur Förderung des Austauschs von jungen Menschen«. Ein Jugendwerk könnte entscheidend dazu beitragen, die Organisation von Austauschen zu vereinfachen und auf eine finanziell sichere Basis zu stellen. In Ergänzung dazu braucht es einen Ersatz für Erasmus+, damit Studierende und Azubis weiterhin Auslandssemester und/oder -praktika in Großbritannien absolvieren können. Der Deutsche Akademische Austauschdienst und Stiftungen müssen außerdem Finanzierungsprogramme entwickeln für junge Menschen, die ihre universitäre Ausbildung in Gänze im Vereinigten Königreich absolvieren möchten, aber die hohen Studiengebühren nicht aufbringen können. Auch für finanziell benachteiligte Schülerinnen und Schüler, Azubis und Studierende muss ein Zugang zum Vereinigten Königreich erhalten bleiben. Selbstverständlich bedarf es auch anderer Finanzierungsprogramme für die Förderung deutsch-britischer Projekte. Hier steht auch die deutsche Wirtschaft in der Pflicht.

Dennoch gehören zu einem Austausch immer zwei Partner, daher darf der Hinweis nicht ausbleiben, dass in Großbritannien auch vor dem Brexit das Interesse an solchen Programmen nachgelassen hat. Dies liegt in erster Linie an der immer weiter sinkenden Bereitschaft, in der Schule, aber auch an der Universität, die deutsche Sprache zu erlernen. Eine Stärkung des deutschen Forschungs- und Wissenschaftsstandortes könnte dies ändern.

Auch in Deutschland besteht eine gewisse Gefahr, dass das Interesse für einander nachlässt. Viele Generationen hatten ihre ersten britischen Berührungspunkte mit in Deutschland stationierten britischen Soldaten und ihren Familien. Die Präsenz der britischen Armee wurde drastisch reduziert, aber: es gibt eine neue Gruppe von Briten in Deutschland. Es sind diejenigen, die das Vereinigte Königreich aufgrund des Brexit verlassen und die deutsche Staatsbürgerschaft beantragt haben. Allein im Jahr 2019 haben 14.600 einen deutschen Pass erhalten - auch das ist ein neues Kapitel in der deutsch-britischen Freundschaft. Es gilt, diese Chance zu nutzen.


Beitrag in den Europa-Nachrichten Nr. 4 vom 29.4.2021
Für den Inhalt sind die Autor*innen des jeweiligen Beitrags verantwortlich.

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Mari Mittelhaus ist Geschäftsführerin der Deutsch-Britischen Gesellschaft e.V.

Kontakt: mittelhaus@debrige.de

Weitere Informationen: www.debrige.de


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