Beitrag in den Europa-Nachrichten Nr. 4 vom 30.4.2020

Corona und Dämonen im Iran

Dr. Aziz Fooladvand

Inhalt

Verheimlichung
Vertuschung
Dämone und Feinde
Ablenkungsmanöver
USA oder Missmanagement
Corona-Virus wütet
Endnoten
Autor
Redaktion

Die staatlichen Maßnahmen des Regimes in Teheran im Kampf gegen Quvid-19 verlaufen auf drei Ebenen: Verheimlichung, Verschwörung und theologische Erklärung. Diese Maßnahmen sind bekannte zielgerichtete Vorgehensweisen autoritären Systeme.

Verheimlichung

Iraj Harirschi Tabrizi (geb. 1966) Teherans Krisenmanager und Vize-Gesundheitsminister, trat am 27.02.2020 ohne Mundschutz vor die Presse. Er versuchte, die Iraner zu beruhigen, indem er offiziell mitteilte: »Über das Maskentragen haben wir doch sehr deutlich gesagt, dass die normalen Menschen auf keinen Fall eine Maske brauchen«. Seiner Ansicht nach sollen 80% der Infizierten nicht stationär, sondern zu Hause behandelt werden.1] Außerdem sei die Durchführung der Quarantänemaßnahmen ein veraltetes Instrument, das im Ersten Weltkrieg gegen Cholera und Pest eingesetzt worden sei. Nachdem der Chef des Corona-Krisenstabs einen Tag später selbst infiziert wurde, war ihm schnell klar, dass Lügen und Verharmlosung keine geeigneten Maßnahmen für ernsthaftes Krisenmanagement sind. Er räumte ein, dass er ein »Coronaer« sei und appellierte an die Menschen »gut auf sich aufzupassen«. Für diese Empfehlung hat der Minister, selbst ein Mediziner, jedoch kein konkretes Rezept. Über das Ausmaß der schlechten medizinischen Versorgung und fehlenden staatlichen Unterstützung kursieren tagtäglich unzählige Videos in sozialen Netzwerken. Nicht einmal Masken und Handschuhen lassen sich ausfindig machen. Ausreichende Test-Kits sind auch nicht verfügbar.

Vertuschung

Der Staatspräsident des Regimes, der bei vielen Iranern längst seine Glaubwürdigkeit verloren hat, versucht vergeblich seine gesellschaftliche Reputation zu retten. Wieder einmal sollen die ausländischen Kräfte am Werk sein, um die »Heilige Islamische Republik« zu gefährden. Es gebe keine Quarantänemaßnahme für die Städte und die Bevölkerung soll »die Gerüchte« nicht beachten. Corona darf nicht »als Waffe des Feindes zur Stilllegung der Arbeit und Produktion im Lande dienen«.[2] Hassan Rohani, als Regierungschef behauptete am 7. Tag der offiziellen Bekanntgabe der Corona-Epidemie, dass am 29.02.2020 (10.12.1398, iranische Zeitrechnung) Schulen und Universitäten den normalen Betrieb aufnehmen werden. Er unterließ die Universitäts- bzw. Schulschließung und akzentuierte erneut, dass die Feinde des Systems bemüht seien, das Land lahmzulegen [3].

Der Pressesprecher des Gesundheitsministeriums, Kianush Jahanpour, twitterte am 05.03.2020, eine Stadt oder eine Provinz auf Quarantäne zu setzen, sei »weder möglich noch erforderlich«.[4] Diese Äußerungen werden von den Iranern jedoch nicht mehr ernst genommen. Sie haben kein Vertrauen mehr in die Funktionäre des Staates.

Misstrauen und Wut gegen das Regime machen sich unter der Bevölkerung breit. Der iranische Soziologe Mohammad Fazel stellt fest: »die iranische Gesellschaft passiert die Schwelle der Unzufriedenheit zu Wut und Hass«. Das Misstrauen sowie »Wut und Hass« der Bürger entluden sich bei jeder Protestaktion in Parolen wie »Nieder mit den Lügnern«, »schämt euch, schämt euch«, »Nieder mit dem Diktator« usw.

Der Wut richtet sich manchmal aus Verzweiflung auch gegen die Protestierenden selbst. Hossein Raghfar, Wirtschaftswissenschaftler an der Universität al-Zahra in Teheran, bestätigt, dass in den letzten 20 Jahren diverse Berichte über die Selbstverbrennung während der Protestaktionen in Städten veröffentlicht wurden.[5]

Dämone und Feinde

Der iranische Generalleutnant und Kommandeur der Islamischen Revolutionsgarde, Hossein Salami, sagte am 05.03.2020 in einer Veranstaltung in Kerman: »Iran befindet sich in einem biologischen Krieg«. Er schloss nicht aus, dass das Corona-Virus »das Produkt der biologischen Kriegsführung der USA« sei. Aus der Sicht des Religionsüberhauptes des Iran, Ali Chamenei, sind außerirdische Kräfte und Dämonen am Werk, um die Islamische Republik zu gefährden. Seine Rede wurde am 22.03.2020 anlässlich des iranischen Neujahrs (Norooz-Fest) im staatlichen Fernsehen übertragen. Für den Obersten Führer ist die Schaffung und weltweite Verbreitung des Coronavirus durch die USA indiskutabel. Er ist überzeugt davon, dass »Dämonen unseren Feinden helfen«. Diese These ist in bestimmten Kreisen sehr populär. Die »Dämonen« würden von Israel und den USA gegen den Iran eingesetzt.

Die wütenden Iraner auf den Straßen sind jedoch anderer Meinung. In fast allen Protestaktionen skandieren sie »unser Feind ist hier, sie lügen, dass er die USA ist«. So stellen sie die gesamte außenpolitische Richtlinie der Machthaber in Teheran in Frage.

Ablenkungsmanöver

Die populistische, antisemititische und antiamerikanische Haltung des Regimes dient als Ablenkungsmanöver von sozio-politischen Krisen, in denen das Regime seit Jahrzehnten steckt. Auslöschung Israels gehört genauso zu zentralen Elementen des Gedankengutes der Mullahs wie ihre frauenfeindliche Haltung. Der am 03.01.2020 durch die USA im Irak als Topterrorist ermordete Kommandeur der Qods-Brigaden (die Eliteeinheit der iranischen Revolutionsgarden für Auslandseinsätze), Ghassem Soleimani, formulierte einst seinen Traum wie folgt: »Israel sollte sich das Mittelmeer genau ansehen, denn es wird sein endgültiger Wohnort sein« [6].

Um die Protestaktionen einzudämmen und die brutale Niederschlagung, Verhaftung und Hinrichtung der Demonstranten zu legitimieren, werden seit der Gründung der Islamischen Republik Iran die friedvollen Protestaktionen der Bürger dem »ausländischen Feind« zugeschrieben. Die Protestierenden werden als »fünfte Kolonne des Feindes« bezeichnet, die vom »Ausland gesteuert« wird. So versucht der Klerus die berechtigten Forderungen der Bürger zu diskreditieren.

Auch der Versuch, die Stagnation der iranischen Wirtschaft auf die verhängten US-amerikanischen Sanktionen abzuwälzen, ist gescheitert und erweckt keine Glaubwürdigkeit bei der breiten Masse.

USA oder Missmanagement

Nicht allein die Sanktionen, sondern die hausgemachten Probleme sind die Ursache für die Misere im Lande:

Das Wirtschaftsmonopol der staatlichen Mafia ähnlichen Strukturen, Schwindel erregende Unterschlagungen und Missbrauch der öffentlichen Gelder, Missmanagement, hegemoniale Bestrebung im Nahen Osten, Aufbau und Unterstützung von radikal-islamischen Regungen, Missmanagement in fast allen Sektoren, Talentabwanderung, Atompolitik und Konflikt mit der internationalen Gemeinschaft, massive Menschenrechtsverletzungen, Machtkonzentration bei wenigen mächtigen Organen, Etablierung einer Geldaristokratie (Platon) und klerikale Priesteraristokratie, Zerstörung der einheimischen Produkte durch Importe von Billigwaren aus China, systematische Vernichtung der Ökosysteme Irans usw. haben den Iran in eine Sackgasse geführt.

Offene Einmischung in der politischen Angelegenheit der Länder sowie die hegemoniale Bestrebung in der Region lässt sich aus dieser Äußerung des ein Geistlicher und hochrangiger Funktionär des Regimes ablesen: »Sollte der Feind uns angreifen und beabsichtigen, die Provinz Kuzestan [die am Persischen Golf liegende Erdöl-Provinz des Landes] oder Syrien einzunehmen, liegt unsere Priorität darin, Syrien zu verteidigen und zu retten. Wenn wir Syrien behalten, können wir Kuzestan zurückerobern, aber wenn wir Syrien verlieren, sind wir nicht in der Lage, selbst Teheran zu behalten.« Er fügte hinzu, dass Syrien die fünfunddreißigste Provinz und die »Strategische Tiefe« Irans sei. So wird die militärische Intervention Teherans in Syrien besser verstanden.[7]

Corona-Virus wütet

Die Menschen im Iran fühlen sich nicht nur von der Regierung Rohani, sondern von dem gesamten System im Stich gelassen. Der Corona-Ausbruch hat fehlende effektive und ausreichende medizinische Versorgung und ihren schlechten Zustand aufgedeckt. Vielen Iranern ist es finanziell nicht möglich, den Zugang zum Gesundheitssystem zu finden. Besonders gefährdet sind Millionen Freiberufler, sozialschwache Menschen, Kleinhändler, alleinstehende Mütter usw. Abdolhamid Moarefi von der Universität zu Isfahan prgnostiziert »die Fortdauer der Corona-Pandemi ist ein Gnadenschuss für den Mittelstand und Ausbreitung der Armut«. [8]

Der iranische Staat ist allem Anschein nach nicht fähig, der Lage Herr zu werden. Die Anzahl der Infizierten und Toten steigt kontinuierlich. Kianush Jahanpour, Pressesprecher des Gesundheitsministeriums, räumte heute (11.04.2020) ein, dass die Zahl der Neuinfektionen in den letzten 24 Stunden bei 1.838 liegt und 125 Menschen hätten ihr Leben gelassen [9]. Iran steht zurzeit mit 70.029 Corona-Infizierten und 4.357 Toten an siebter Stelle weltweit. Westliche Experten und oppositionelle Exil-Iraner begegnen diesen Angaben jedoch mit Skepsis. Die oppositionellen Exil-Iraner gehen von 23.900 Tote aus.

Das Regime hat bis dato große Chancen verpasst. Die Iraner fragen zu Recht, was die Machthaber in den letzten 30 Jahren mit 3000 Milliarden US-Dollar der Erdöl-Einnahme gemacht haben?


Endnoten

[1] https://www.iribnews.ir/fa/news/2655565/%D8%B5%D8%AF%E2%80%8C
[2] http://www.president.ir/
[3] https://www.bbc.com/persian/iran-51887490
[4] https://www.dw.com/fa-ir
[5]https://www.radiofarda.com/a/f4_iran_protest_session_set_fire_people/30332503.html
[6] https://www.compass-infodienst.de/Editorial.17917.0.html
[7] https://www.bbc.com/persian/iran/2013/02/130214_nm_tayeb_syria_basij.shtml, 28. April 2013
[8] 10.04.2020 https://isfahan.iqna.ir/fa/news/3890478
[9] »Arman Meli« http://www.armanmeli.ir/fa/news/detail/134206/%DB%B7%DB%B0%DB%B0%DB%B2%DB%B9-


Beitrag in den Europa-Nachrichten Nr. 4 vom 30.4.2020
Für den Inhalt sind die Autor*innen des jeweiligen Beitrags verantwortlich.

Zurück zum Newsletter


Autor

Dr. Aziz Fooladvand ist Publizist (»Der Modernisierungsprozess im Iran in den 60er Jahren als Impuls für die Entstehung des Fundamentalismus«, Cuvillier Verlag), Referent für Jugendzentren, Schulen, Jugendämter und Polizei, Experte für islamischen Fundamentalismus und ist in der Integrations- und Präventionsarbeit sowie in De-Radikalisierung der Jugendlichen tätig. Seit mehreren Jahren ist er Mitglied der Asylgruppe von Amnesty International.


Redaktion

BBE-Newsletter für Engagement und Partizipation in Europa

Bundesnetzwerk Bürgerschaftliches Engagement (BBE)
Michaelkirchstr. 17/18
10179 Berlin

Tel.: +49 30 62980-114

europa-bbe@b-b-e.de
www.b-b-e.de

Zum Seitenanfang