Beitrag in den Europa-Nachrichten Nr. 7 vom 27.7.2023

EU-Renaturierungsgesetz im EU-Parlament: Naturschutz lebt, EVP-Blockade gescheitert

Florian Schöne/ Björn Pasemann

Inhalt

Einleitung
Zustimmung nach Zitterpartie – Rechtskonservatives Lager scheitert
Abschwächungen: Agrarökosysteme, Moore und Klagerechte gestrichen
Umweltverbände: «Etappensieg» und «historischer Erfolg»
Breite Unterstützung bis zur letzten Minute
Ausblick
Endnoten
Autoren
Redaktion

Einleitung

Showdown im EU-Parlament: Am 12. Juli 2023 stimmte eine Mehrheit der Abgeordneten im Europäischen Parlament für die Verordnung zur Wiederherstellung der Natur. Trotz starker Abschwächungen sehen Umweltverbände einen wichtigen Etappensieg für die europäische Naturschutzgesetzgebung.

Bis zuletzt war der Ausgang ungewiss: Das Europäische Parlament hat am 12. Juli in Straßburg über die künftige Verordnung zur Wiederherstellung der Natur (Nature Restoration Law, NRL) abgestimmt. Im Vorfeld hatten Agrar-, Fischerei- und sogar der federführende Umweltausschuss den Vorschlag zurückgewiesen. Die Abstimmung im Umweltausschuss am 27. Juni[1] fiel bereits denkbar knapp aus. Die Positionierung der Abgeordneten im Plenum erfolgte nach Wochen der Auseinandersetzung: mit massivem Gegenwind durch die Europäische Volkspartei (EVP) einerseits und einer breiten Unterstützung des Verordnungsvorschlags durch über eine Million Bürger*innen, zahlreiche Umweltorganisationen, tausende Wissenschaftler*innen sowie einer Vielzahl von Wirtschaftsunternehmen andererseits. Selten zuvor war eine EU-Parlamentssitzung mit so viel Spannung erwartet worden.


Zustimmung nach Zitterpartie – Rechtskonservatives Lager scheitert

Mit 336 Ja-Stimmen, 300 Gegenstimmen und 13 Enthaltungen hat das Parlament nach einem Abstimmungsmarathon für das EU-Renaturierungsgesetz gestimmt. Damit konnte das Parlament eine Position für Verhandlungen mit dem Rat und der EU-Kommission im sogenannten Trilog festlegen. Zuvor wurde die grundlegende Zurückweisung des Vorschlags, initiiert von der EVP, mit 324 gegen 312 Stimmen bei 12 Enthaltungen abgelehnt. Die Befürworter*innen der Wiederherstellungsverordnung feierten dies als klare Absage an den Versuch der EVP, das Vorhaben zu stoppen, und werteten das Ergebnis als Niederlage für EVP-Fraktionschef Manfred Weber von der CSU, der nicht davor zurückscheute, in einem rechts-konservativen Bündnis gemeinsam mit Rechtspopulisten und Rechtsextremen zu stimmen. Aus den Reihen der EVP-Fraktion gab es schließlich 15 Abgeordnete, die der grundsätzlichen Zurückweisung der Verordnung nicht zustimmten und damit vom Fraktionskurs abwichen. Somit verfehlte das Lager aus konservativer EVP, rechtskonservativen Europäischen Konservativen und Reformer (ECR), rechtsextremer Identität und Demokratie (ID), zu der auch die Alternative für Deutschland (AfD) zählt, sowie Teilen der liberalen Renew-Fraktion die Mehrheit für die Ablehnung des Renaturierungsgesetzes.


Abschwächungen: Agrarökosysteme, Moore und Klagerechte gestrichen

Nachdem die grundsätzliche Ablehnung verhindert wurde, kam es zur Abstimmung von zahlreichen Änderungsanträgen, die zu einigen Abschwächungen der Parlamentsposition gegenüber dem vorgeschlagenen Gesetzestext der Kommission führten. In der nun verabschiedeten Position des EU-Parlaments wurde ein Artikel zur Wiederherstellung geschädigter Agrarökosysteme leider gänzlich gestrichen. Darin enthalten waren Verpflichtungen zur Verbesserung des Zustands der biologischen Vielfalt in Agrarlandschaften, etwa von Agrarvögeln und Tagfaltern, des Bodenkohlenstoffs in Ackerböden und des Anteils an Strukturelementen in der Landschaft. Ebenfalls gestrichen wurden die Ziele zur Wiedervernässung entwässerter Moore – eine der zentralen Maßnahmen zur Vermeidung von Emissionen aus der Landnutzung.

Geopfert wurde auch der Artikel, der den Zugang zur juristischen Überprüfung und Klagemöglichkeiten zu den geplanten Wiederherstellungsplänen ermöglichen sollte. Zudem wurden Regelungen zur Wiederherstellung mariner Lebensräume abgeschwächt und Indikatoren für Waldökosysteme wie Altersstruktur und Totholzanteil gelöscht. Auch das Verschlechterungsverbot wurde gestrichen.


Umweltverbände: «Etappensieg» und «historischer Erfolg»

Trotz der Abschwächungen betonen Umweltorganisationen die historische Bedeutung der Verordnung zur Wiederherstellung der Natur und begrüßen, dass die Blockade der EVP verhindert werden konnte. Vernunft und Weitsicht haben gegenüber einer beispiellosen Desinformationskampagne konservativer Kreise gesiegt. Denn resiliente Wälder, lebendige Auen, nasse Moore und artenreiche Agrarlandschaften sind nicht nur entscheidend für die Biodiversität, sondern auch unsere überlebensnotwendige Versicherung gegen zukünftige Schäden durch Trockenheit, Dürre und Überschwemmungen.


Breite Unterstützung bis zur letzten Minute

Am Tag vor der Abstimmung demonstrierten noch zahlreiche Umweltorganisationen vor dem Parlamentsgebäude in Straßburg für ein starkes EU-Renaturierungsgesetz, darunter auch Greta Thunberg von den Fridays for Future. Bis zur Abstimmung unterstützten zudem über eine Million Menschen die #RestoreNature-Kampagne[2]. Darüber hinaus unterzeichneten über 6000 Wissenschaftler*innen einen offenen Brief[3], der die Dringlichkeit des Vorhabens bekräftigte und Falschdarstellungen seitens der EVP widerlegte. Auch ein Bündnis aus mehr als 80 führenden Unternehmen[4] hatte sich zuletzt für die Verordnung stark gemacht.


Ausblick

Die abgeschwächten Texte können im anstehenden Trilog zwischen Kommission, Rat und Parlament noch nachgebessert werden, denn Kommission und Rat haben vergleichsweise progressive Positionen. Angesichts der schwierigen Zeiten für eine fortschrittliche Umweltpolitik ist das Ergebnis von Straßburg ein enorm wichtiger Erfolg, der belegt, dass die Umweltbewegung mobilisieren kann. Zudem lohnt es sich, um jede und jeden Abgeordneten und jede Regierung zu kämpfen. Mit Blick auf die Europawahl im Juni 2024 heißt dies zugleich: Jede Stimme zählt – gemeinsam können wir ein umwelt- und demokratiefeindliches Rollback noch verhindern.


Endnoten

[1] Umweltausschuss am 27. Juni
[2] #RestoreNature-Kampagne
[3] Offener Brief
[4] Führende Unternehmen


Beitrag im Newsletter Nr. 7 vom 27.7.2023
Für den Inhalt sind die Autor*innen des jeweiligen Beitrags verantwortlich.

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Autoren

Florian Schöne ist Geschäftsführer des Deutschen Naturschutzrings.
Kontakt: florian.schoene@dnr.de

Björn Pasemann ist Projektreferent für Naturschutz und Agrarpolitik beim Deutschen Naturschutzring.
Kontakt: bjoern.pasemann@dnr.de

Weitere Informationen: https://www.dnr.de/


Redaktion

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