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Kein Geld für Städtepartnerschaften bei Homophobie-Verdacht?
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Redaktion
Helena Dalli, die EU-Kommissarin für Gleichstellung, twitterte am 28. Juli, dass sechs polnische Gemeinden, die Resolutionen zu »LGBT-freien Zonen« verabschiedet haben, keine Förderung für ihre beantragten Bürgerbegegnungen aus dem Programm »Europa für Bürgerinnen und Bürger« erhalten. »Europäische Werte und Grundrechte müssen von Mitgliedstaaten und Regierungen respektiert werden« schrieb die Malteserin weiter. Ihr Kollege, Justizkommissar Didier Reynders, reagierte ebenfalls auf Twitter: »In der EU kann keine Diskriminierung toleriert werden. Die Werte der Union müssen in allen EU-finanzierten Programmen, einschließlich Städtepartnerschaften, gewahrt bleiben«. Die EU-Kommission hatte insgesamt 8 polnische Kommunen um Stellungnahmen gebeten, die Anträge auf eine Förderung bis zu 25.000 € im Programm gestellt hatten. Davon antworteten sieben Kommunen, bei sechs wurde die Förderung aus den oben erwähnten Gründen abgelehnt. Auf einmal fand sich unser kleines EU-Programm damit auf den Titelseiten internationaler und natürlich deutscher Medien wieder[1]. Hat die Kommission aus »ideologischen Gründen« die sechs polnischen Kommunen von einer ihnen zustehenden EU-Förderung ausgeschlossen, wie regierungsnahe Medien in Polen argumentieren? Greift die EU mit dem Instrument der Förderentscheidung in die Souveränität der Mitgliedstaaten ein? Der polnische Justizminister Zbigniew Ziobro spricht auf seinem Facebook-Kanal[2] von einem Kulturkrieg, von LGBTI-Aktivist*innen mit »Hooligan-Methoden« und schießt gegen die Entscheidung der EU-Kommission: »Wir werden keine Diskriminierung polnischer Bürger und Stadt- und Gemeinderäte durch die Europäische Union erlauben«.
Zuerst lohnt ein Blick auf die Entscheidung von mittlerweile über achtzig polnischen Gemeinden, Landkreisen und Wojewodschaften (entsprechen etwa den deutschen Bundesländern), die Erklärungen angenommen haben, mit denen der »LGBT+ Ideologie Einhalt geboten« werden soll. Was steht in diesen Erklärungen, die beispielsweise bei der Stadt Tuchów dazu geführt hat, dass ihre französische Partnerstadt Saint-Jean-de-Braye die Partnerschaft nach 26 Jahren aufgekündigt hat[3]?
»Im Zusammenhang mit dem von einigen Politikern verursachten ideologischen Krieg verabschiedet der Stadtrat in Tuchów die Erklärung Gemeinde Tuchów frei von der LGBT+-Ideologie‘. Radikale streben nach einer Kulturrevolution in Polen: Sie greifen die Redefreiheit, die Unschuld von Kindern, die Autorität von Familie und Schule und die Freiheit von Unternehmern an. Aus diesem Grund werden wir unsere lokale Gemeinschaft konsequent verteidigen! Die Kommune Tuchów ist frei von der LGBT+-Ideologie (Lesben, Schwule, Bisexuelle, Transgender und andere)«.[4].
In weiteren Artikeln der Erklärung wird zugesichert, die Gemeinde werde »nicht in die private Lebenssphäre polnischer Frauen und Männer eingreifen« und keine »übertriebenen Probleme und künstliche Konflikte aufzwingen, die die LGBT+-Ideologie mit sich bringt«. So solle die »illegale Einsetzung von Beamten für politische Korrektheit in Schulen« ebenso verhindert werden wie »Frühsexualisierung von Kindern«. Auch gegen die Ausübung administrativen Drucks »um politische Korrektheit anzuwenden (zu Recht manchmal einfach Homopropaganda genannt)« wendet sich die Erklärung, die fast wortgleich in den besagten Kommunen und Gebietskörperschaften angenommen wurde. LGBTI-Aktivist*innen haben die Erklärung angegriffen und u.a. eine »Landkarte des Hasses[5]« ins Netz gestellt, in denen man Gemeinden, Landkreise und Wojewodschaften sehen kann, die entsprechende Erklärungen angenommen haben. Dazu wurden Aufnahmen an den Ortsschildern der betreffenden Gebiete gemacht, unter die Aktivist*innen Schilder mit der Aufschrift »LGBT-freie Zone« installiert hatten[6]. Die Aufnahmen und Proteste hatten vielfache Auswirkungen, wie z.B. Resolutionen des EU-Parlaments[7] bis hin zur Förderentscheidung gegen die sechs polnischen Gemeinden.
Für das Programm »Europa für Bürgerinnen und Bürger« gelten (wie generell für alle EU-Förderungen) Regelungen zum gleichen Zugang zur Förderung für alle EU-Bürgerinnen und -Bürger: »Der Zugang zum Programm sollte für alle EU-Bürgerinnen und -Bürger gewährleistet sein, ohne jegliche Form von Diskriminierungen aufgrund des Geschlechts, der Rasse oder ethnischen Herkunft, der Religion oder Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Orientierung. Die Projektträger müssen dem Aspekt der Förderung von Nichtdiskriminierung und Chancengleichheit für alle entsprechend Rechnung tragen.«[8]
Eine Förderung von Projekten von Antragsteller/innen, die per Beschluss oder inhaltlicher Ausrichtung bestimmte Bevölkerungsgruppen ausschließen wollen, kommt daher nicht infrage. Aber ist dies bei den sechs polnischen Antragssteller*innen der Fall? Abseits der ideologischen Aufgeregtheit argumentieren einige Kommentator*innen, dass die Beschlüsse der Kommunen keine Rechtsfolgen nach sich ziehen würden, da diese »nicht mit einer bestimmten rechtlichen oder faktischen Handlung verbunden sind. Die Resolution hat keine rechtliche Bedeutung im Hinblick auf die Zulässigkeit und die Möglichkeit, andere als die von den Ratsmitgliedern vorgetragenen Ansichten zu äußern[9]«; es seien Beschlüsse, die nicht auf Gebiete zu beziehen sind, in denen die Gebietskörperschaften irgendwelche Kompetenzen haben. Es finden mit den Beschlüssen also eher unspezifische Meinungsäußerungen statt, als das eine diskriminierende Praxis rechtlich-politisch legitimiert würde. Entscheidender ist vielmehr, welchem Klima der Einschüchterung LGBTI-Personen durch solche Beschlüsse in den entsprechenden Orten ausgesetzt sind. Angriffe auf Pride-Demonstrationen wie in Białystok 2019[10] sowie Befragungen, die auf hohe Raten von Suizid-Absichten bei polnischen LGBTI-Jugendlichen schließen lassen[11], verdeutlichen, dass die Beschlüsse in einem Kontext gesehen werden müssen, in dem es um Fragen des gleichberechtigten und friedlichen Miteinanders in Europa geht.
Eine interessante Frage ist in diesem Zusammenhang, ob Kommunen den Kontakt mit ihren Partnerstädten einfrieren bzw. aufgeben sollten, wenn diese vergleichbare diskriminierende Beschlüsse fassen, wie die polnischen »LGBT-freien Zonen«. Die Bandbreite reicht von Reaktionen wie aus der erwähnten französischen Gemeinde, die ihre Partnerschaft mit der polnischen Partnerstadt aufgekündigt hat, bis zur Position von Städten wie u.a. Stendal, die zwar »den homophoben Beschluss in Pulawy […bedauern]. Das Ende einer Städtepartnerschaft sei aber unrealistisch und würde gegenseitiges Verständnis erschweren«[12]. Aus Sicht der Kontaktstelle bieten gerade kommunale Partnerschaften die Gelegenheit, Kontakte zwischen Bürgerinnen und Bürgern über politische Einstellungen und Konflikte zwischen den nationalen Regierungen hinaus aufrechtzuerhalten. Begegnungen und Austauschprojekte könnten sogar der Ort sein, an dem respektvoll und im gegenseitigen Vertrauen diskutiert werden kann, wie man sich das Zusammenleben mit immer vielfältigeren und ausdifferenzierteren Gemeinschaften vor Ort vorstellt – unter den Vorzeichen der von allen Mitgliedstaaten geteilten und unterschriebenen Grundwerte in Artikel 2 des EU-Vertrages. Die Austausche unterstützen auch dabei, spezifische historische und gesellschaftliche Kontexte in den Partnerländern besser zu verstehen, die dort als »Kulturkampf« politisch instrumentalisiert werden können. Unverständlich nur, dass im Mehrjährigen Finanzrahmen der EU 2021 – 2027 für das Nachfolgeprogramm von »Europa für Bürgerinnen und Bürger« nach bisherigem Verhandlungsstand dafür weniger Geld zur Verfügung gestellt werden soll…
Endnoten
1 U.a. https://www.zeit.de/politik/ausland/2020-07/lgbti-polen-diskriminierung-eu-zuschuesse
2 https://www.facebook.com/ZiobroPL/ (auf Polnisch)
3 https://mannschaft.com/2020/02/21/so-kann-jeder-etwas-gegen-lgbt-freie-zonen-in-polen-tun/
4 https://bip.malopolska.pl/api/files/2105809 (auf Polnisch, Übersetzung mit Hilfe von Deepl.com)
7 https://lgbti-ep.eu/2019/12/18/first-ep-resolution-on-lgbti-rights-of-the-9th-legislature/
8 Aus dem Programmleitfaden https://eacea.ec.europa.eu/sites/eacea-site/files/programme_guide_2019_de.docx
9 https://czasopismo.legeartis.org/2020/08/gmina-wolna-ideologii-lgbt/ (auf Polnisch, Übersetzung mit Hilfe von www.deepl.com)
10 https://www.eurotopics.net/de/223943/polen-hass-auf-lgbt-bewegung
11 https://lgbtfreezones.pl/the-act
Beitrag in den Europa-Nachrichten Nr. 7 vom 6.8.2020
Für den Inhalt sind die Autor*innen des jeweiligen Beitrags verantwortlich.
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Jochen Butt-Pośnik ist Leiter der Kontaktstelle »Europa für Bürgerinnen und Bürger«.
Kontakt: butt-posnik@kontaktstelle-efbb.de
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