»Orte des Ankommens« – Ehrenamtliches Engagement für und mit schutzsuchenden Menschen
Bastian Schlinck
Inhalt
Einleitung
Wertebasierte Integration und Ehrenamt
Zusammen stark! – integrative Ehrenamtsarbeit beim DRK
Erkenntnisse und Empfehlungen
Wissens- und Methodentransfer
Fördermittel
Fazit
Endnoten
Autor
Redaktion
Einleitung
Auch eineinhalb Jahre nach Beginn des Kriegs in der Ukraine suchen noch immer fast sechs Millionen Menschen [1] in europäischen Ländern Schutz. Eine großzügige zivilgesellschaftliche Willkommenspraxis steht dabei im starken Kontrast zu zunehmender Migrationssteuerung und Abschottung der EU-Außengrenzen und auch zur oft ablehnenden Haltung gegenüber Schutzsuchenden aus Herkunftsländern außerhalb Europas, die ebenfalls vor Krieg, Terror, Gewalt, Hunger oder Armut fliehen. Die Relevanz integrationspolitischer Maßnahmen nimmt in Europa entsprechend permanent zu – auch und gerade für Länder, die bisher kaum Ziel von globalen Fluchtbewegungen waren. Bürgerschaftliches Engagement zeigt insbesondere in Zeiten gesellschaftlicher Krisensituationen seine essenzielle Bedeutung für eine resiliente und solidarische Gesellschaft. Eine nachhaltige und strategische Integrationsarbeit sollte sich diese Ressourcen daher zu Nutze machen und geflüchtete Menschen und deren (Lebenswelt-)Expertise aktiv in Integrationsstrategien einbeziehen. Um dieser Herausforderung zu begegnen, sollte sich die europäische Zivilgesellschaft u.a. die Frage stellen, welche Lehren man aus den Fluchtbewegungen der Jahre 2015/16 ziehen kann. Erfahrungswerte und gute Praxis können dadurch insbesondere in europäischen Anrainerstaaten der Ukraine adaptiert werden.
Wertebasierte Integration und Ehrenamt
Integrationsmaßnahmen und gesellschaftliche Teilhabe müssen auf universellen Menschenrechten und der Solidarität der Zivilgesellschaft basieren. Daraus sollte wiederum eine gemeinsame europäische Flüchtlings- und Asylpolitik resultieren. Die Grundlagen eines humanistisch geprägten Weltbildes entstehen allerdings nicht im leeren Raum. Sie müssen im Freundeskreis, in Schulen und Vereinen und am Arbeitsplatz, schlicht im täglichen Miteinander aller, ausgehandelt und eingeübt werden. Eine der niedrigschwelligsten und vielfältigsten Möglichkeiten, diese Diskursräume zu öffnen und dort aktiv zu werden, bietet ehrenamtliches Engagement. Hier kommt neben den etablierten Wohlfahrtsverbänden Migrant*innenselbstorganisationen eine besondere Rolle zu, die in der Praxis durch eine enge Vernetzung und Kooperation berücksichtigt werden sollte.
Zusammen stark! – integrative Ehrenamtsarbeit beim DRK
Das Deutsche Rote Kreuz (DRK) setzt vielfältige Impulse im Rahmen ehrenamtlicher Integrationsarbeit. Die Zivilgesellschaft soll für ein solidarisches Miteinander begeistert und befähigt werden. Schutzsuchende Menschen werden dabei als aktiver Bestandteil mitgedacht und eingebunden. Zuletzt wurde dieses Ziel beispielsweise durch das Programm »Zusammen stark! – Ehrenamt« [2] verfolgt, wobei sich der Schwerpunkt auf die Gewinnung, Unterstützung und Qualifizierung von Ehrenamtlichen richtete, die sich im Bereich Flucht und Integration engagieren. Ein Kernziel war die Vereinfachung von Zugängen in das Ehrenamt für Menschen mit und ohne Einwanderungsgeschichte. Das Angebotsspektrum orientierte sich an zentralen Handlungsfeldern, bei denen sich der Einbezug und die Befähigung ehrenamtlicher Strukturen besonders bewährt haben. Dazu zählen insbesondere Sprache und Sprachmittlung, Beratung und Alltagsbegleitung sowie Begegnung und Austausch. Durch jeweils projekt- und sozialraumbezogene Schwerpunkte konnte flexibel auf die jeweiligen Strukturen sowie Fähigkeiten und Bedarfe der Beteiligten reagiert werden. Gemeinsames ehrenamtliches Engagement war Grundlage für neue Beziehungen, aus denen eine konkrete An- und Einbindungen in den jeweiligen Sozialraum und damit in die Aufnahmegesellschaft entstehen konnte.
Erkenntnisse und Empfehlungen
Im Rahmen der Programmevaluation »Orte des Ankommens und des Engagements« [3] wurde deutlich, dass insbesondere die Mitarbeit und das Engagement von Menschen mit Flucht- und Einwanderungsgeschichte einen erheblichen Beitrag zu gelingender Zielgruppenerreichung und Angebotsgestaltung leisten konnten.
Zudem wurden konkrete Empfehlungen ausgesprochen, um eine Verstetigung und Stabilisierung von solchen Engagementstrukturen zu ermöglichen. Darunter fallen insbesondere (vgl. S. 32f)
– Die dauerhafte personelle Koordination von Ehrenamtlichen in allen Phasen ihres Engagements (Akquise, Vermittlung, Qualifikation, Begleitung).
– Die Relevanz von Einrichtung, Erhalt und Begleitung offener sowie geschützter Begegnungsräume.
– Die Sicherung und der Transfer entwickelter Materialen und Formate der Angebotsarbeit.
– Vernetzung und Einbindung der Angebotsarbeit in eine Gesamtstrategie Flucht und Migration.
Wissens- und Methodentransfer
Der Transfer guter Praxis ist aktuell insbesondere für die europäischen Anrainerstaaten der Ukraine wertvoll. Daher soll ein angemessener Wissens- und Methodentransfer gewährleistet werden. Das DRK konnte in der Entwicklung und Umsetzung der genannten Projekte auf seine Expertise aus langjährigen Aktivitäten und sein breites (internationales) Netzwerk zurückgreifen. Da solche Ressourcen nicht allen zivilgesellschaftlichen Akteuren zur Verfügung stehen, werden Erkenntnisse aus den bisherigen Projekten und Empfehlungen der Evaluation nicht nur in der weiteren Arbeit des Gesamtverbands berücksichtigt, sondern auch Interessierten zur Verfügung gestellt werden. Innerhalb der Strukturen der Rotkreuz- und Rothalbmond-Bewegung (RKRH) fließen die relevanten Erkenntnisse in eine DRK-spezifische Migrationsstrategie, die den Transfer in den Bundesverband gewährleistet. Zudem bestehen Möglichkeiten für den Transfer in die internationale RKRH-Bewegung. Auf europäischer Ebene trägt insbesondere die PERCO-Plattform [4] zur Ausarbeitung eines »integration framework« bei, über das die europäischen RKRH-Nationalgesellschaften von den Erkenntnissen profitieren können. Letztlich münden die Erkenntnisse in eine globale Migrationsstrategie, die derzeit entwickelt wird und die für alle Teile der Bewegung gelten soll.
Fördermittel
Leider geht ein solcher fachlicher Fundus in der Regel mit Ende der Förderung zu weiten Teilen wieder verloren, weshalb die Projektarbeit im Bereich Integration grundsätzlich v.a. einer stabilen Förderperspektive bedarf. Diese ermöglicht kontinuierliche Beziehungsarbeit mit den besonders vulnerablen Zielgruppen und zugleich flexibel auf die besonderen Dynamiken reagieren zu können. Aufgrund der nationalstaatlichen Zuständigkeit kann die EU selbst im Bereich der Integrationspolitik kein Recht setzen. Umso wichtiger ist es daher, dass die Zivilgesellschaft in den Mitgliedstaaten auf der Ebene der Koordinierung und des Wissens- und Praxistransfers durch Fördermittel unterstützt wird. Angesichts der geplanten Kürzungen im Bundeshaushalt mit teilweise eklatanten Auswirkungen auf die Integrationsarbeit der Wohlfahrtsverbände [5] , wächst die Relevanz europäischer Fördermöglichkeiten zusätzlich.
Fazit
Um nachhaltige Integrationsperspektiven zu schaffen, sollte sich die europäische Zivilgesellschaft als Integrationsmotor nicht nur für, sondern vor allem mit Geflüchteten verstehen. Vielfalt im Engagement und vor allem Vielfalt der Engagierten muss gelebt und gefördert werden, was neben einer diversitätssensiblen und rassismuskritischen Öffnung zudem die Stärkung von Migrant*innenselbstorganisationen beinhaltet. Wohlfahrtsverbände wie das DRK können zur Umsetzung einer solchen wertebasierten Integrationsarbeit auf eine langjährige Expertise zurückgreifen. Diese fließt in die Anpassung bestehender und Entwicklung neuer Projekte ein und ermöglicht, auch in Krisensituationen handlungsfähig zu bleiben. Dafür bedarf es aber notwendigerweise der Stärkung und Aufrechterhaltung von Strukturen und angemessener personeller Ausstattung über nationale und europäische Mittel. Und die europäische Asyl- und Migrationspolitik darf dabei nicht im Widerspruch zu den Integrationsbemühungen der Zivilgesellschaft stehen.
Endnoten
[1] https://data.unhcr.org/en/situations/ukraine (zuletzt abgerufen am 08.08.2023)
[2] Das Programm wurde von 2016 bis 2022 aus Mitteln der Beauftragten der Bundesregierung für Flüchtlinge, Migration und Integration gefördert und vom DRK-Generalsekretariat gemeinsam mit DRK Landes- und Kreisverbänden bundesweit umgesetzt.
[3] https://drk-wohlfahrt.de/unser-service-fuer-das-drk/evaluationsberichte
[4] PERCO – Platform for European Red Cross and Red Crescent Cooperation on Refugees, Asylum Seekers and Migrants. Eine Initiative der Europäischen Rotkreuz- und Rothalbmondgesellschaften.
[5] Betroffen sind hier insbesondere die Migrationsberatung für erwachsene Zuwanderer (MBE) und die Jugendmigrationsdienste (JMD).
Beitrag in den Europa-Nachrichten Nr. 8 vom 24.8.2023
Für den Inhalt sind die Autor*innen des jeweiligen Beitrags verantwortlich.
Autor
Bastian Schlinck ist Soziologe und Politikwissenschaftler (M.A.). Seit 2018 arbeitet er im DRK-Generalsekretariat und ist dort als Fachreferent Ansprechperson für die Bereiche Migration und Integration / Bürgerschaftliches Engagement. Als Prozessbegleiter berät er zudem gemeinnützige Organisationen bei der Entwicklung und Umsetzung von Inklusionsstrategien.
Kontakt: [B.Schlinck@drk.de](mailto: B.Schlinck@drk.de)
Weitere Informationen: www. drk-wohlfahrt.de
Redaktion
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