Beitrag in den Europa-Nachrichten Nr. 9 vom 21.9.2023

Anja Böllhoff, European Community Foundation Initiative

Bürgerstiftungen in Europa - Lokale Institutionen oder internationales Netzwerk?

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Einleitung
Autorin
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Einleitung

Sie sind lokal tätig. In manchen Fällen regional. In wenigen Fällen national. Ihr Anliegen ist es, Bürgerinnen und Bürger vor Ort an der Lösung gemeinnütziger Aufgaben zu beteiligen und die Zivilgesellschaft zu stärken. Ihre Themenvielfalt reicht dabei von Bildung, Umweltschutz, sozialer Integration bis hin zu Kultur und Heimatpflege. Sie entwickeln sich in 22 Ländern zu Plattformen des gemeinnützigen Engagements. Die rund 850 Bürgerstiftungen in Europa!

Ist eine Bürgerstiftung dann wie die andere? Nein, und eine einheitliche Definition dazu, was eine Bürgerstiftung genau ist, gibt es auch nicht. Vielmehr blicken wir auf eine heterogene Bürgerstiftungslandschaft, die im Wesentlichen durch den nationalen, regionalen oder lokalen Kontext geprägt ist, in dem die Institution arbeitet.

Und dennoch: Bürgerstiftungen in Europa sind keine lose Ansammlung einzelner lokaler Institutionen. Sie entwickeln sich seit den 80er Jahren in ganz Europa in zwischenzeitlich 22 Ländern zu wertvollen Partnern für Bürgerinnen, Bürger und gemeinnützige Akteure vor Ort, für überregionale Stiftungen ebenso wie für Unternehmen und all diejenigen, die vor Ort etwas verändern wollen. Seit Gründung der ersten Bürgerstiftung in Cleveland in Ohio im Jahr 1902 und der Gründung erster Bürgerstiftungen in den 80er Jahren in Großbritannien, der Ukraine oder Slowakei haben Bürgerstiftungen sich in 22 Ländern ausgebreitet und seitdem in ihrer Form und Funktion weiterentwickelt und an die sich verändernden sozialen, wirtschaftlichen und politischen Umstände angepasst.

Das Grundkonzept einer Bürgerstiftung, dass sich Menschen in einer philanthropischen Einrichtung zusammenschließen, um Zeit, Geld und Ideen einzusetzen und dadurch Veränderungen in ihrem Umfeld herbeizuführen, ist dabei das Gleiche geblieben. Im Unterschied zu traditionellen Stiftungen, die oft aus großen Vermögen finanziert werden, ist das Besondere in Bürgerstiftungen deren partizipativer Ansatz.

Im Zuge des Demokratisierungsprozesses in den Ländern Osteuropas war das in den neunziger Jahren und den frühen 2000er Jahren ein wichtiger Motor für die Ausbreitung von Bürgerstiftungen. Rumänien zählt zu den Ländern, wo mit der ersten Bürgerstiftung in 2008 zwischenzeitlich 18 Bürgerstiftungen das lokale Engagement engagierter Bürgerinnen und Bürger bündeln, und zu kreativen, wirkungsvollen und nachhaltigen Einrichtungen entwickeln lassen, die für internationale wie auch nationale Förderer verlässliche Partner vor Ort sind.

Auch in Ländern, in denen staatliche Repressalien das bürgerschaftliche Engagement eindämmen, wo »Shrinking spaces« mit rechtlichen Regelungen die Arbeit zivilgesellschaftlicher Akteure erschweren und verhindern sollen, stechen Bürgerstiftungen als mutige Leuchttürme hervor. Vielleicht sind es sogar diese rechtlichen Rahmenbedingungen, die lokal engagierte Akteure in Ungarn zum Zusammenschluss motivieren und zur Gründung von zwischenzeitlich 8 Bürgerstiftungen und 5 weiteren Initiativgruppen im Gründungsprozess geführt haben.

Den Untersuchungen der European Community Foundation Initiative gemäß sind es aktuell 22 Länder, in denen lokale Organisationen die Merkmale von Bürgerstiftungen aufzeigen: Tätigkeit in einem geographisch beschränkten Raum, breites Tätigkeitsfeld, Unabhängigkeit von staatlichen oder anderen Organisationen, Einsatz von bürgerschaftlichem Engagement, Aufbau von finanziellem Vermögen oder anderen Vermögensgegenständen, finanzielle Unterstützung gemeinnütziger Anliegen. Vor allem dort, wo nationale Dachorganisationen und Verbände sich um Vernetzung und Weiterentwicklung bemühen, zeigt sich eine aktive Bürgerstiftungslandschaft. Zahlenmäßig steht Deutschland mit der ersten Gründung 1996 und zwischenzeitlich über 420 Bürgerstiftungen an der Spitze. Bezogen auf das Stiftungskapital und die Reichweite der Wirkungskraft ist Großbritannien Vorreiter, wenngleich nur 46 Organisationen zum britischen Netzwerk dazu gehören. Besonders rasch schreitet die Gründung von Bürgerstiftungen seit 1992 auch in Italien voran, mit 52 Organisationen und einer Tendenz zu weiteren Gründungen. Seit zwei Jahren erst bemüht sich der spanische Dachverband um Verbreitung des Organisationsmodells im Land und konnte bereits die achte Gründung feiern. Auch die Länder des Balkans mit Serbien als Motor zählen zu denjenigen, die in den nächsten Jahren über Neugründungen berichten werden.

Nationale Inseln? Oder ein internationales Netzwerk? Seit 2016 bemüht sich die European Community Foundation Initiative, ein Projekt im Bundesverband Deutscher Stiftungen, darum, die bestehenden Organisationen zu lokalisieren, zu vernetzen und durch Peer Learning Veranstaltungen weiterzuentwickeln. Das ist besonders für Länder mit Shrinking Spaces oder Entwicklungstendenzen von größter Bedeutung. Konkurrenz unter Bürgerstiftungen ist unbekannt, Voneinander lernen hingegen ein wichtiger Bestandteil der Weiterentwicklung.

Die Bedeutung der internationalen Vernetzung zeigt sich besonders im Angesicht von globalen Krisen. Zu Zeiten der Pandemie begegneten Bürgerstiftungen der lokalen Isolation mit internationaler Vernetzung. Und der Krieg in der Ukraine hat ein hohes Maß an Solidarität zwischen den in Europa und weltweit agierenden Bürgerstiftungen zu Tage gebracht und zahlreiche Organisationen zu finanziellen und Sachspenden, an die vom Krieg in der Ukraine betroffenen Bürgerstiftungen motiviert.

So herausfordernd und anstrengend die globalen Krisen für die einzelne Organisation, für jeden einzelnen Akteur vor Ort auch sind, so zuversichtlich stimmt die Bereitschaft, sich »über den Tellerrand hinaus« zu informieren und zu engagieren. Ist da ein Systemwandel im Gange, der unbeachtet des historischen, politischen und wirtschaftlichen Kontextes zivilgesellschaftliche Akteure miteinander verbindet?

Was jede einzelne Bürgerstiftung so besonders macht, ist die Mitwirkung der Bürgerinnen und Bürger, der Unternehmen und anderer Interessengruppen der jeweiligen Region. Nur durch deren Miteinander, nur durch vertrauensbildende Maßnahmen und demokratische Entscheidungsprozesse können Bürgerstiftungen auch in Zeiten politischer Unsicherheit und eingeschränkter politischer Rahmenbedingungen eine wichtige Rolle bei der Aufrechterhaltung demokratischer Werte und der Lösung gesellschaftlicher Probleme leisten. Gemeinsam stellen sie ein großes Potential an lokalem Know-How, an auf Vertrauen, Solidarität, Bürgersinn und Engagement basierenden Netzwerk dar, welches sich zunehmend zu einem international und national anerkannten Katalysator für Veränderungen entwickelt.

Die European Community Foundation Initiative bietet mit ihren Angeboten Einblicke in die europäische Bürgerstiftungslandschaft und bildet Brücken zu den lokalen Institutionen.


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Anja Böllhoff ist Coordinating Director bei der European Community Foundation Initiative.

Kontakt: anja@communityfoundations.eu

Weitere Informationen: www.communityfoundations.eu


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