Beitrag in den Europa-Nachrichten Nr. 9 vom 21.9.2023

Annika Gerlach, UNHCR

Ehrenamtliches Engagement als Säule für den Flüchtlingsschutz in Deutschland

Inhalt

Einleitung
Von Notversorgung bei Ankunft zu Integration
Die Rolle der Zivilgesellschaft im 2. Globalen Flüchtlingsforum
Endnoten
Autorin
Redaktion

Einleitung

Laut des im Juni vom UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR veröffentlichten Jahresberichts zu Flucht und Vertreibung waren zum Ende des vergangenen Jahres mehr als 108 Million Menschen durch Krieg, Verfolgung, Gewalt und Menschenrechtsverletzungen neu oder weiterhin vertrieben, 19 Millionen mehr als im Vorjahr 2021. Davon waren über 62 Millionen Menschen, die innerhalb ihrer Heimatländer geflohen waren, und 35 Millionen Flüchtlinge, die eine internationale Grenze überquert haben, um Sicherheit zu suchen. Aufgrund des Krieges in der Ukraine, aber auch neueren Entwicklungen in bestehenden Konflikten und langandauernden Krisen, zum Beispiel in Afghanistan, waren insgesamt im vergangenen Jahr mehr Menschen als je zuvor neu aus ihrer Heimat vertrieben worden. Auch in diesem Jahr sind seit April mehr als 4,5 Millionen Menschen aufgrund des Konfliktes und der Gewalt im Sudan zur Flucht gezwungen worden, davon über 900,000 in Nachbarstaaten wie den Tschad, Ägypten, den Südsudan, Äthiopien und die Zentralafrikanische Republik.

Auch in Deutschland ist die Zahl von Asylsuchenden, Flüchtlingen und anderen international Schutzberechtigten weiter gestiegen. Die hohen Flüchtlingszahlen stellen Aufnahmeländer, so auch Deutschland vor Herausforderungen. In vielen der Aufnahmeländer, so auch in einigen Ländern in Europa, mussten aufgrund der hohen Anzahl der Schutzsuchenden aus der Ukraine weitere humanitäre Strukturen zu deren Unterstützung geschaffen werden, um Lücken in der Grundversorgung und Unterbringung zu schließen. Ein regionaler Aktionsplan für humanitäre Hilfe und Koordinationsstrukturen wurden innerhalb kürzester Zeit gemeinsam mit den betreffenden Behörden entwickelt, um in einigen der Aufnahmeländer, so zum Beispiel in Moldau oder auch Rumänien, unterstützen zu können und dafür erforderliche zusätzliche Ressourcen zu mobilisieren.

In Deutschland konnte – vor allem auch aufgrund des zivilgesellschaftlichen Engagements von Privatpersonen und Vereinen – eine grundlegende Versorgung nach der Ankunft gewährleistet werden. Zum zweiten Mal innerhalb eines Jahrzehnts hat die deutsche Gesellschaft gezeigt, dass sie bereit und fähig ist unmittelbare und notwendige Unterstützung zu leisten.

Neben staatlichen Strukturen konnten auch die großen zivilgesellschaftlichen Organisationen ihre Arbeit zeitnah erweitern, aber besonders Initiativen von ehrenamtlichen Gruppen, Organisationen und Individuen, die vielerorts Unterstützung anboten, waren vor allen in den ersten Monaten nach Kriegsbeginn und Ankunft der Flüchtlinge besonders wichtig. Laut einer Umfrage der Deutschen Stiftung für Engagement und Ehrenamt, die im März 2022 veröffentlicht wurde, sagten 55 Prozent der Befragten, dass sie sich aktiv für die Menschen aus der Ukraine eingesetzt haben, davon die meisten durch finanzielle oder andere materielle Unterstützung, aber auch 12 Prozent als aktive Helfende. [1]

Von Notversorgung bei Ankunft zu Integration

Anderthalb Jahre später haben manche Ehrenamtliche aufgehört, andere haben ihre Arbeit professionalisiert und einen Platz in bereits bestehen Strukturen gefunden. Auch in diesem Jahr kommen weiterhin schutzsuchende Menschen in Deutschland an, die vor Krieg und Verfolgung fliehen. Laut einer Umfrage von UNHCR vom Anfang des Jahres hoffen viele ukrainische Flüchtlinge, die in unmittelbare Nachbarländer geflohen waren, eines Tages in ihre Heimat zurückkehren zu können, allerdings nicht in vorhersehbarer Zukunft. Die meisten haben vor weiter in Nachbarländern zu bleiben bis sich die Sicherheitslage verbessert und sie eine Grundversorgung in ihrer Heimat als gewährleistet sehen. [2]

Während das Jahr 2022 von der Herausforderung gekennzeichnet war die Grundversorgung von Flüchtlingen zu gewährleisten, geht es nun zunehmend um dauerhafte Lösungen. Auch um eine langfristige Entlastung zu schaffen ist es wichtig ihnen die höchstmöglichen Chancen auf Eigenständigkeit zu geben. Ehrenamtliche, die Flüchtlinge in diesem Prozess begleiten können, werden daher weiterhin eine wichtige Rolle spielen.

Die Vergangenheit hat gezeigt, dass schnelle und möglichst unkomplizierte Hilfe durch Vernetzung, Information, finanzielle Unterstützung und Wertschätzung von Ehrenamt von hoher Wichtigkeit ist. Diese Angebote helfen, dass sich Ehrenamtliche längerfristiger engagieren können und wollen, aber auch damit weitere Helfer gefunden werden können. In Reaktion auf die Flüchtlingszahlen von 2015/16 und die COVID-Krise sind wichtige Hilfsstrukturen für Ehrenamtliche etabliert worden. Von diesen haben auch neuere Initiativen profitiert, die aber längerfristige finanzielle und politische Unterstützung – auch aus dem privaten Bereich – brauchen, um ihre Arbeit vorsetzen zu können.

In Deutschland zeigt sich welche zentrale Rolle ehrenamtliches Engagement, wenn es gefördert, unterstützt und in Koordinations- und Konsultationsmechanismen beteiligt wird, bei der Aufnahme und Integration von Flüchtlingen spielen kann. UNHCR setzt auch in der eigenen Arbeit auf die Unterstützung durch Flüchtlinge und die enge Zusammenarbeit mit der Zivilgesellschaft. In Ländern, in denen es an den nötigen Strukturen fehlt, fördert UNHCR oft in enger Zusammenarbeit mit lokalen Organisationen den Aufbau von ehrenamtlichen Strukturen, in denen auch Flüchtlinge selbst eine zentrale Rolle als Hilfeleistende einnehmen.

Die Rolle der Zivilgesellschaft im 2. Globalen Flüchtlingsforum

Ende dieses Jahres findet zum zweiten Mal das Globale Flüchtlingsforum statt. Dies ist ein internationales Forum, das die internationale Gemeinschaft zusammenbringt, um die Zusammenarbeit und Solidarität mit Flüchtlingen und Aufnahmeländern zu stärken. Das Forum bietet eine Plattform für den Austausch von technischem Fachwissen und für politische und finanzielle Unterstützungszusagen, die zum Erreichen der Ziele des Globale Pakts [3] für Flüchtlinge beitragen sollen. Zu diesen gehört unter anderem das Ziel, den Druck auf Erstaufnahmeländer zu mindern und die Eigenständigkeit und Widerstandsfähigkeit von Flüchtlingen zu fördern. Deutschland war Mitveranstalter des ersten Globalen Flüchtlingsforums im Jahr 2019, und die Bundesregierung plant auch für das zweite Globale Flüchtlingsforum ein aktives Engagement.

UNHCR setzt sich auch dieses Jahr dafür ein, dass die Zivilgesellschaft eine aktive Rolle im Globalen Flüchtlingsforum spielt. Zahlreiche Formate bieten den verschiedenen Akteuren die Möglichkeit an Vorbereitungen und in Nebenveranstaltungen teilzunehmen und dadurch auch Teil des Dialoges zu den politischen und finanziellen Unterstützungszusagen zu sein. Organisationen und Initiativen können sich außerdem selbst Sichtbarkeit verschaffen, in dem sie zum Beispiel Planungsinitiativen unterstützen oder Beispiele von erfolgreichen Initiativen einreichen. Weitere Informationen [4].

Endnoten

[1] Vgl. DSEE.

[2] Vgl. UNHCR.

[3] Vgl. Vereinte Nationen.

[4] Vgl. UNHCR.


Beitrag in den Europa-Nachrichten Nr. 9 vom 21.9.2023
Für den Inhalt sind die Autor\*innen des jeweiligen Beitrags verantwortlich.

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Autorin

Annika Gerlach arbeitet seit 13 Jahren im humanitären Bereich, unter anderen im Flüchtlingsschutz und der Koordination von humanitären Einsätzen. 2017 begann sie ihre Arbeit bei UNHCR (im Irak). Seit Anfang 2023 ist sie als Government Liaison Officer im Nürnberger Büro der Organisation tätig. Davor war sie für verschiedene internationale NGOs in humanitären Krisen in Afrika und Südostasien und als Waffenstillstandsbeobachterin der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa in der Ost-Ukraine im Einsatz.

Kontakt: gerlacha@unhcr.org

Weitere Informationen: https://www.unhcr.org/dach/de


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